Die Frage nach der Haftung deutscher Muttergesellschaften multinationaler Konzerne für Menschenrechtsverletzungen ausländischer Töchter wird hierzulande immer bedeutsamer. Denn obgleich es letztlich der Konzern als solcher ist, der von Menschenrechtsverletzungen profitiert, ist seine Inanspruchnahme –zumindest in der deutschen Rechtsordnung – bisher nicht vorgesehen. Unter den Schlagworten „Human Rights Litigation“, „Human Rights due Diligence“oder „Corporate Social Responsibility“ wird dennoch versucht, eine rechtliche Verantwortung von Konzernmüttern für Menschenrechtsverletzungen ihrer Töchter herzuleiten.
Erst vor kurzem wurden zu diesem Zweck mehrere denkbare zivilrechtliche Haftungsmodelle vorgestellt, welche sich darum bemühen, einen Außenhaftungsanspruch der Opfer zu begründen.Die vorliegende Abhandlung macht es sich zur Aufgabe, die Praktikabilität dieser Modelle und ihre Vereinbarkeit mit den Prinzipien des deutschen Konzernrechts zu überprüfen. Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse der generellen zivilrechtlichen Außenhaftung von Konzernmüttern für ihre Tochtergesellschaften nach deutschem Recht und ihre Bedeutung für die Haftung wegen Menschenrechtsverletzungen. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Herausarbeitung möglicher weiterer Ansatzpunkten, die eine Haftung der Konzernmuttergesellschaften auch nach deutschem Recht rechtfertigen können.
Gliederung
Literaturverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
A. Einführung
B. Aktueller Diskussionsstand der Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen
I. Völkerrechtliche, nationale und private Initiativen
II. Deutsches Haftungssystem
1. Gerichtsstand und kollisionsrechtliche Einordnung
2. Sachrecht
a. Universelle Menschenrechte?
b. Haftungsmodelle
III. Zwischenergebnis
C. Inanspruchnahme der Konzernmutter für Menschenrechtsverletzungen einer ausländischen Tochtergesellschaft
I. Haftung nach dem Recht verbundener Unternehmen
1. Grundsatz: Konzemrechtliches Trennungsprinzip
a. Begriff
b. Sinn und Zweck der Regelung
2. Außenhaftung im Vertragskonzem und im faktischen Konzern
3. Zwischenergebnis
II. Grenzen der Selbstständigkeit und ihre Systematisierung
1. Besonderer Verpflichtungsgmnd
a. Schuld-und Gesellschaftsrecht
b. Deliktsrecht
aa. Täterschaft und Teilnahme
bb. Haftung für Verrichtungsgehilfen
cc. Konzemweite Untemehmensorganisationspflichten
dd. Spezialgesetzlich angeordnete Haftung
c. Zwischenergebnis
2. Durchgriffshaftung
3. Konzemvertrauens- oder Konzemlegalitätshaftung?
III. Bedeutung für die Haftung wegen Menschenrechtsverletzungen
1. Praktikabilität der entwickelten Konzemhaftungsmodelle
2. Alternative Anknüpfungspunkte
IV. Zwischenergebnis
D, Rechtspolitische Perspektive
E, Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprob nicht enthalten
A. Einführung
11. September 2012. Am Rande der pakistanischen Millionenstadt Karatschi bricht im Fabrikgebäude der Textilfirma Ali Enterprises ein Feuer aus, welches 259 Todesopfer fordert. Mit dem Großteil der dort hergestellten Waren wurde die deutsche KİK Textilien und Non-Food GmbH beliefert. Im März 2015 erheben Betroffene Schadensersatzklage vor dem LG Dortmund.1 13. November 2017. Das OLG Hamm verhandelt über die Menschenrechtsklage eines peruanischen Landwirts gegen den Energiekonzem RWE. Der Vorwurf lautet auf Mitverursachung des Klimawandels durch CO2-Emissionen, infolgedessen die Abschmelzung eines Gletschers der Anden die Lebensgrundlage des Peruaners gefährdet.2 Konstellationen wie diese zeigen, dass die Frage nach der Haftung deutscher Muttergesellschaften multinationaler Konzerne für Menschenrechtsverletzungen ausländischer Töchter hierzulande immer bedeutsamer wird. Denn obgleich es letztlich der Konzern als solcher ist, der von Menschenrechtsverletzungen profitiert, ist seine Inanspruchnahme bislang unmöglich. Unter den Schlagworten „Human Rights Litigation“, „Human Rights due Diligence“ oder „Corporate Social Responsibility“ wird daher versucht, eine rechtliche Verantwortung von Konzemmüttem für Menschenrechtsverletzungen ihrer Töchter herzuleiten. Erst vor kurzem wurden zu diesem Zweck mehrere denkbare zivilrechtliche Haftungsmodelle vorgestellt, welche sich darum bemühen, einen Außenhaftungsanspruch der Opfer zu begründen.3 Die vorliegende Abhandlung macht es sich zur Aufgabe, die Praktikabilität dieser Modelle und ihre Vereinbarkeit mit den Prinzipien des deutschen Konzem- rechts zu überprüfen. Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse der generellen zivilrechtlichen Außenhaftung von Konzemmüttem für ihre Tochtergesellschaften nach deutschem Recht und ihre Bedeutung für die Haftung wegen Menschenrechtsverletzungen.4 Um einen Überblick über die Problematik menschenrechtlicher Klagen zu bekommen, wird in einem ersten Schritt zunächst der aktuelle Diskussionsstand dargelegt (B.). Im darauffolgenden Teil werden dann die allgemeinen Gmndsätze der Konzemhaftung herausgearbeitet (C.I. und C.II.) und anschließend auf die Haftung für Menschenrechtsverletzungen übertragen (C.IIL). Nachfolgend wird das gefundene Ergebnis einer rechtspolitischen Würdigung unterzogen (D.). Abschließend wird darauf eingegangen, ob auch ein zukünftiges Festhalten an den nationalen Konzemhaftungssyste- men ein gangbarer Weg ist oder es zur Wahrung der Menschenrechte durch Konzerne einer internationalen Lösung bedarf (E.).
B, Aktueller Diskussionsstand der Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen
Der aktuelle Diskurs bezüglich einer Konzemhaftung für Menschenrechtsverletzungen beinhaltet völkerrechtliche, nationale und private Aspekte. Das folgende Kapitel zeigt daher die jeweiligen essentiellen Gesichtspunkte auf und geht anschließend speziell auf den Diskussionsstand im deutschen Recht ein.
I. Völkerrechtliche, nationale und private Initiativen
Völkerrechtliche Verträge verpflichten auch heute noch ausschließlich Staaten zur Wahrung der in ihnen enthaltenen Menschenrechtsgarantien, nicht aber private Rechtssubjekte untereinander.5 Zurzeit können Konzerne daher - mit Ausnahme bei der Verletzung zwingender Vorschriften des lus cogens, wie Sklaverei, Folter oder Völkermord - auf völkerrechtlicher Basis nicht flir Menschenrechtsverletzungen in Anspruch genonmien werden.6 Gleichwohl geht der interstaatliche Konsens von einer menschenrechtlichen (Mit-)Verantwor- tung multinationaler Konzerne aus.7 Mithilfe einer Vielzahl von „soft law“- Instrumenten8 wird daher versucht, verbundene Unternehmen durch interne Steuerungsmechanismen und fakultative Selbstverpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte anzuhalten.9 Dabei ist sämtlichen Instrumentarien gemein, dass sie auf freiwilliger Umsetzung basieren und mangels materiell-rechtlicher Haftungsnomien keine Ersatzansprüche för die Opfer von Menschenrechtsverletzungen vorsehen.10 Es werden lediglich indirekte Anreize zu einer menschenrechtswahrenden Verhaltenssteuerung gesetzt.11 Auch in nationalen Haftungssystemen zeigen sich vermehrt Ansätze, Konzerne für Menschenrechtsverletzungen in die Pflicht zu nehmen. Im gesamten Common Law wird die Inanspruchnahme einer Muttergesellschaft für menschenrechtliche Verfehlungen durch das „piercing the corporate veil“ untersucht.12 In Großbritannien verpflichtet darüber hinaus der บк Modem Slavery Act 2015 sämtliche Unternehmen mit Bezug zum Inland zur jährlichen Stellungnahme über Sklaverei und Menschenhandel in ihren Lieferketten - allerdings ohne, dass direkte Sanktionen vorgesehen sind.13 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der deutsche Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte14, derbis auf Weiteres eine freiwillige Umsetzung der enthaltenen Vorschriften vorsieht. Die Prüfung gesetzlicher Maßnahmen wird lediglich für den Fall angedroht, dass bis 2020 weniger als 50 % der erfassten Unternehmen die angeordneten Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt eingeflihrt haben.15 Am weitesten vorangeschritten ist freilich Frankreich mit der Einführung kon- zemintemer Untemehmensorganisationspflichten in Art. L. 225-102-4 Code de Commerce und der Sanktionierung bei deren Verletzung nach Art. 1382 Code Civil über Art. 225-102-5 Code de Commerce.16 Schließlich finden sich auch eine Reihe privater Ansätze internationaler Konzerne, die die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards garantieren, jedoch ohne darauf einen rechtlichen Anspruch zu gewähren.17
II. Deutsches Haftungssystem
Das deutsche Haftungssystem hat im Rechtsvergleich zu England und Frankreich bislang größere Schwierigkeiten, Konzemmütter zur Haftung für Menschenrechtsverletzungen ihrer Töchter heranzuziehen. Probleme bereiten vor allem das Kollisions- und Sachrecht.
1. Gerichtsstand und kollisionsrechtliche Einordnung
Die Lösung der Frage nach dem richtigen Gerichtsstand ist vergleichsweise einfach.18 Denn nach Artikel 4 I iVm Artikel 63 I Brüssel I-VO sind deutsche Gerichte für Menschenrechtsklagen international zuständig, sofern das beklagte Unternehmen seinen Satzungs- oder Verwaltungssitz in Deutschland hat.19 Schwierigkeiten ergeben sich jedoch durch die, zum Teil noch ungeklärte, Qualifikation von Ansprüchen aus Menschenrechtsverletzungen sowie die Überlagerung nationaler und europäischer Vorschriften im Kollisions- recht.20 Denn neben einer deliktsrechtlichen Einordnung kommt auch eine vertragsrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Qualifikation derartiger Ansprüche in Betracht.21 Unabhängig von der konkreten Einordnung wird durch die jeweilige Kollisionsnorm jedoch regelmäßig ausländisches Sachrecht berufen, mithin das Recht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft.22 Die Beurteilung eines menschenrechtsverletzenden Sachverhalts auf der Grundlage deutschen Rechts ist demnach kaum möglich. In der Literatur werden aufgrund dieses materiell als unbefriedigend empfundenen Ergebnisses - vor allem mit Blick auf das Deliktsstatut - Ergebniskorrekturen erwogen.23 Die Praxis allerdings entschied bisweilen zugunsten des ausländischen Sachrechts.24
2. Sachrecht
Sofern Ausnahmeanknüpfungen für möglich gehalten werden oder das Kollisionsrecht ausnahmsweise auf deutsches Sachrecht verweist, stellt sich die Frage nach möglichen Haftungsgrundlagen. Denn trotz des generellen Bedürfnisses, Konzemmuttergesellschaften für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Tochtergesellschaften haftbar zu machen, ist umstritten, ob dies auf Basis der aktuellen Rechtslage bereits möglich ist.25
a. Universelle Menschenrechte?
Unklar ist zunächst, welcher Menschenrechtsstandard einer Konzemhaftung zugrunde zu legen wäre. Denn „die Menschenrechte“ sind nicht im Sinne eines universal gültigen Rechtekodex zu verstehen, sondern ergeben sich aus einem Zusanmienspiel verschiedener internationalen Übereinkommen.26 Mangels Rechtsverbindlichkeit ist die territoriale Bedeutung der Menschenrechte sodann von der nationalen Ratifikation und Umsetzung abhängig.27 In der Europäischen Union herrscht durch die Geltung der EMRK zwar ein einheitliches Menschenrechtsverständnis, die hier zu betrachtenden Menschenrechtsverletzungen spielen sich jedoch zumeist in außereuropäischen Ländern ab. Im Hinblick auf deliktische Ansprüche ist festzuhalten, dass Menschenrechte zumindest in Form von Leben, Freiheit und Eigentum in das deutsche Deliktsrecht implementiert und somit schützenswerte Rechtsgüter sind.28
b, Haftungsmodelle
Da die zivilrechtliche Haftung von Konzemmüttem für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Töchter weder durch den NAP Wirtschaft und Menschenrechte, noch durch eine spezialgesetzliche Haftungsnomi geregelt ist, sind mögliche Anknüpfungspunkte im allgemeinen Privatrecht zu suchen. In jüngster Zeit sind zu diesem Zweck eine Reihe denkbarer einseitiger und zweiseitiger Haftungsmodelle entwickelt worden.29 Während unter einseitigen
Haftungsmodellen eine Vertrags-, Deklarations-, und Konzemlegalitätshaf- tung diskutiert wird, betreffen zweiseitige Modelle die Deliktsorganisationsund Deliktsdurchgriffshaftung.30 Inhaltlich trifft dabei die Annahme, bereits vorhandene Rechtsprechung zur deliktischen Verkehrssicherungspflicht und Compliance-Verantwortung könne auf transnationale Menschenrechtsverletzungen übertragen und internationale Standards als Auslegungshilfen für Sorgfaltsmaßstäbe herangezogen werden, auf die Bedenken, eine solche Haftung widerspräche den grundlegenden Prinzipien des deutschen Konzemrechts.31 III, Zwischenergebnis
Völkerrechtliche, nationale und private Initiativen sind durch zwei gegenläufige Strömungen geprägt. Einerseits sind verbindliche Regelungen zur Wahrung der Menschenrechte eine Rarität. Andererseits kristallisiert sich eine eindeutige Tendenz zum Schutz der Menschenrechte durch Unternehmen heraus. Mit Blick auf das deutsche Sachrecht lässt sich zudem festhalten, dass dieses bei Menschenrechtsklagen grundsätzlich ohnehin nicht zur Anwendung berufen und eine Haftung der Konzemmütter äußert fraglich ist. c, Inanspruchnahme der Konzernmutter für Menschenrechtsverletzungen einer ausländischen Tochtergesellschaft
Im folgenden Abschnitt wird nun die generelle Außenhaftung von Konzem- müttem für Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaften und ihre Bedeutung für und wider die Konzemhaftung bei Menschenrechtsverletzungen analysiert. Um eine Aussage über die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme der Muttergesellschaften bei Menschenrechtsverletzungen ausländischer Töchter treffen zu können, bedarf es zunächst der Beleuchtung der allgemeinen konzemrechtli- chen Außenhaftung. Zur Bewahrung der Übersichtlichkeit wird im Folgenden nur auf den Aktienunterordnungskonzem eingegangen.32 I, Haftung nach dem Recht verbundener Unternehmen Zunächst ist die generelle Außenhaftung der Konzemmütter gemäß dem Recht verbundener Unternehmen der §§291 ff. AktG33 zu untersuchen. Behandelt werden hierbei sowohl die hintergründigen Prinzipien als auch die Haftungssystematik selbst.
1. Grundsatz: Konzernrechtliches Trennungsprinzip
Obgleich Konzerne wirtschaftlich oft als Einheit betrachtet werden, bleiben die einzelnen Unternehmen nach §§ 15, 17 I iVm § 18 rechtlich selbstständig.34 Ausgangspunkt der Haftung im Konzern ist damit das konzemrechtliche Trennungsprinzip, welches zum Teil auch als konzemrechtliches Rechtsträgerprinzip bezeichnet wird.35
a. Begriff
Das konzemrechtliche Trennungs- bzw. Rechtsträgerprinzip verbindet das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip mit der kapitalgesellschaftsrechtlichen Haftungsprivilegierung.36 Unter gesellschaftsrechtlichem Trennungsprinzip ist die haftungs- und vollstreckungsrechtliche Selbstständigkeit des Vemiögens von Gesellschaft und Gesellschaftern zu verstehen, mit der Folge, dass die juristische Person bzw. Personengesellschaft ein von ihren Gesellschaftern unabhängiges Zurechnungssubjekt darstellt.37 Die gesetzliche Haftungsprivilegierung der Kapitalgesellschaften hingegen bezeichnet die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvemiögen.38 Resultat der Verknüpfung beider Maximen im Konzemrecht ist, dass gmndsätzlich keine gemeinsame Haftung der Konzemuntemehmen besteht und die Haftung auf das Gesellschaftsvemiögen des jeweiligen Rechtsträgers beschränkt ist.39 Folglich kann die Eigenschaft als Muttergesellschaft an sich keine Haftung für Tochtergesellschaften begründen.40 Dies gilt auch dann, wenn die Konzemmutter Gesellschafterin ihrer Tochter ist.41
b. Sinn und Zweck der Regelung
Sinn und Zweck des konzemrechtlichen Trennungsprinzips ist es, den Anteilseignern der jeweiligen Gesellschaften ein kalkulierbares Risiko im Gegenzug zur Investition in ungewisse Unternehmungen zu ermöglichen.42 So ist die Erforschung und Bereitstellung neuer Technologien und Güter volkswirtschaftlich erstrebenswert, geht aber nicht ohne ein gewisses Risiko vonstatten.43 Durch die Verwendung mehrerer miteinander verbundener Gesellschaften mit einer Haftungsbeschränkung auf das jeweilige Gesellschaftsvemiögen, wird die Investitionsbereitschaft potentieller Investoren erhöht und der wirtschaftliche und soziale Fortschritt beschleunigt.44 Denn die mehrfache Risikoextema- lisierung ermöglicht es, die wirtschaftlichen Vorteile von Kooperation und Teilintegration umfassend zu nutzen, ohne dass jeder Konzemgesellschaft das volle Haftungsrisiko der jeweils anderen zugerechnet wird.45 2, Außenhaftung im Vertragskonzern und im faktischen Konzern Dem Trennungsprinzip zufolge statuiert die konzemrechtliche Haftungs- und Ausgleichssystematik der §§291 ff. keine allgemeine Konzemhaftung. Vielmehr wird der sog. Konzemgefahr Rechnung getragen, also dem Umstand, dass durch die Verbindung rechtlich selbstständiger Unternehmen eine Interessenverschiebung zugunsten übergeordneter Untemehmensgruppenziele und zulasten einzelner Untemehmensziele stattfindet.46 Differenziert wird zwischen konzemintemem und -externem Recht, sowie Vertragskonzem und faktischem Konzern.47 Im Vertragskonzem konmit vor allem der konzemintemen Verlustübemahme nach § 302 I, welche die Gläubiger des abhängigen Unter- nehmens durch Pfåndungs- und überweisungsmöglichkeiten lediglich mittelbar schützt, praktische Relevanz zu.48 Daneben vermittelt § 303 I einen direkten Anspruch gegen die Konzemmutter nur bei Beendigung der Konzernierung oder Vermögenslosigkeit der Tochter.49 Für den praktisch häufiger auftretenden Fall des faktischen Konzerns besteht nach § 317 IV iVm § 309 IV 3 ein unmittelbarer Anspruch der Tochtergesellschaftsgläubiger gegen die Konzemmutter, sofern die Tochter mittellos ist und ein Anspmch nach § 3171 auf Nachteilsausgleich geltend machen kann.50 3, Zwischenergebnis
Das Recht verbundener Unternehmen beschränkt die Haftung der herrschenden Gesellschaft damit grundsätzlich auf den Ausgleich schädigender Einflussnahme.51 Den Gläubigem der abhängigen Gesellschaft soll diese selbst als solvente Schuldnerin erhalten bleiben. Direktansprüche gegen die Konzemmutter konmien nur bei Vermögenslosigkeit des beherrschten Unternehmens oder Beendigung der Konzemiemng in Betracht. Folglich haftet die Konzemmutter regelmäßig nur für ihr eigenes Handeln, nicht aber für Verhaltensweisen aus der Sphäre ihrer Tochtergesellschaften.
II. Grenzen der Selbstständigkeit und ihre Systematisierung
Eine Außenhaftung der Konzemmutter ist aber auch außerhalb der Systematik der § § 291 ff. denkbar. Denn die Konzemiemng steht einer Haftung durch Vorschriften anderer Rechtsgebiete grundsätzlich nicht entgegen, allerdings ist das konzemrechtliche Trennungsprinzip auch dann zu beachten.52 Sofern nichts Gegenteiliges erwähnt wird, gelten die folgenden Ausführungen für Vertragskonzeme und faktische Konzerne gleichermaßen.
1. Besonderer Verpflichtungsgrund
In Betracht konmit zunächst eine direkte Haftung der Konzemmutter gegenüber den Gläubigem ihrer Tochtergesellschaft aufgmnd eines besonderen Verpflichtungsgmndes. Hierbei ist einerseits an das Schuld- und
3
[...]
1 Wagner, RabelsZ 2016, 717, 720; Weil er/Kall er/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 388.
2 Müller, sz 2017, abmfbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/klimawandel- peruanischer-bauer-bringt-rwe-vor-gericht-1.3772256, Stand 19.12.2017; Weller/ritornale, ZGR2017, 509, 510.
3 Hübner, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche บntemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 18 ff; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 386 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 390 ff.
4 Eine darüber hinaus in Betracht kommende Haftung aufgrund öffentlichen Rechts, mithin straf- oder verwaltungsrechtlicher Vorschriften, ist hier nicht zu untersuchen.
5 Auswärtiges Amt, NAP Wirtschaft und Menschenrechte, abrufbar unter: https ะ//www.auswaertiges-amt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a31d2e85464461565/nap-wirtschaft- menschenrechte-data.pdf, Stand: 19.12.2017; Kuntz, Conceptualising, S. 51, 63; Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 91; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 721.
6 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 1 II GG, Rn. 30 ff.; Peters, Jenseits der Menschenrechte, S. 91; Report of the independent international Commission of inquiry on the Syrian Arab Republic, UN Doc. A/HRC/19/69, 22. Februar 2012, Rn. 106; Spießhofer, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, S. 67.
7 Saage-Maaß, Unternehmen zur Verantwortung ziehen, S. 5, abrufbar unter: https ://www,misereor.de/ fileadmin/publikationen/ studie-untemehmen-zur-verantwor- tung-ziehen-2014.pdf, Stand: 23.12.2017; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 386.
8 Besonders hervorzuheben sind hierbei die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und die Richtlinie 2014/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen.
9 Kroker, ccz 2015, 120, 23.
10 Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 387; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 722.
11 Eine besondere Bedeutung kommt insofern der sog. „Corporate Reputation“, also der medialen Negativberichterstattung, zu .Hübner, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche บntemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 21; Kroker, ccz 2015, 120, 123.
12 Hiibner, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 26 f; Renner/Kuntz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 61 ff; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 768 ff.
13 Doris/Zimmer, BB 2016, 181, 183.
14 Im Folgenden: NAP Wirtschaft und Menschenrechte.
15 Auswärtiges Amt, NAP Wirtschaft und Menschenrechte, abmfbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a 31d2e85464461565/nap-wirtschaft-menschenrechte-data.pdf, Stand: 20.12.2017.
16 Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 417 f.
17 Zu finden auf den Intemetpräsenzen der entsprechenden Unternehmen (letzter Abruf jeweils: 20.11.2017), bspw. Bayer, Position von Bayer zum Thema Menschenrechte, abrufbar unter: https://www.baver.de/de/position-von-baver-zum-thema-menschen- rechte.aspx, Stand: 19.12.2017; Daimler, Richtlinie für integres Verhalten, abmfbar unter: https://www.daimler.com/dokumente/nachhaltigkeit/integritaet/daimler-richtli- niefuerintegresverhalten.pdf, Stand: 19.12.2017; Volkswagen, Menschenrechte im Fokus, abmfbar unter: https://www.volkswagenag.com/presence/nachhaltig- keit/documents/shiit/shiit-01 -kapite I/Sh iit VW Magazin S 50.pdf, Stand: 19.12.2017.
18 Coester-Waltjen, in: Greimer/Kaissis/Thümmel, FS Schütze, S. 29; Sandrock, ZRP 2013, 218, 218; Stiirner, JZ 2014, 13, 20; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 728 ff.
19 Stiirner, in: Hilbig-Lugani/Jakob/Mäsch, et al, FS Coester-Waltjen, S. 844; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 389; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 732; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 392; Weller/Thomale, ZGR2017, 509, 523.
20 Renner/Kimtz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche บntemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 64.
21 Renner/Kimtz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemeh- mensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 65 ff; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 390; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 396.
22 Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh. § 13, Rn. 173, 175; Gliński, Haftung multinationaler Unternehmen S. 14■, Renner, ZGR2014, 452, 463; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 393.
23 Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2502; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 391 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 393 ff. LG Dortmund, Pressemitteilung vom 30.08.2016, S. 3.
23 LG Dortmund, Pressemitteilung vom 30.08.2016, S. 3.
25 Kimtz, Asset Partitioning, S. 23; Renner/Kimtz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivilund strafrechtliche บntemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 53; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2504; Thomale/Hiibner, JZ 2017, 385, 385; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 526.
26 Osieka, Zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen, S. 23; Weller/Thomale, ZGR 2017,509,526.
27 Osieka, Zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen, S. 28; Spießhofer, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, S. 67.
28 Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 400.
29 Einseitige Haftungsmodelle sind solche, die die Konzemmutter als Schuldnerin in die Pflicht nehmen, ohne den Geschädigten eine Gläubigerstellung zuzuweisen. Zweiseitige Haftungsmodelle nehmen das Inlandsuntemehmen in die Pflicht und gewähren den Geschädigten eine Kompensation. Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 517.
30 Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 410 ff.; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 517.
31 Beurskens/Mainka, Der Konzern 2017, 425, 431; Kimtz, Asset Partitioning, S. 23; abrufbar unter: https://papers.ssm.com/sol3/papers.cfm7abstract İCU2949685, Stand: 20.12. 2017, Osieka, Zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen, S. 148ff, 272 f.; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2504; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 418 ff.; van Dam, JETL 2 (2011) 221, 236 ff., 244 ff.; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 782.
32 Viele Überlegungen lassen sich auch auf den GmbH-Unterordnungskonzem übertragen. Baierlipp, Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns S. 32 f; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 398.
33 Folgende §§ ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des AktG.
34 Bork, ZGR 1994, 237, 243; König, AcP 217 (2017), 611,614.
35 Renner/Kimtz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 52; Wagner, in: Habersack, MüKoBGB Bd. 6, § 823, Rn. 800; ders., RabelsZ 2016, 717, 759.
36 Renner/Kimtz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 52; Wagner, RabelsZ 2016,717,759.
37 Daimer-Lieb, in: Zöllner/Noak, KölnKommAktG Bd. 1, § 1, Rn. 31; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13, Rn. 5; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 1, Rn. 14; Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKoGmbHG Bd. 1, § 13, Rn. 332.
38 Fischer, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 1, Rn. 29; Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKoGmbHG Bd. 1, § 13, Rn. 332.
39 Briinkmanns, in: Kirchof/Eidenmüller/Stümer, MüKoInsO Bd. 3, Konzeminsolvenzrecht, Rn. 3; Saenger, Gesellschaftsrecht, S. 503 f, Rn. 924; Schneider, BB 1981, 249, 254.
40 Baierlipp, Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns S. 26.
41 Ebd, S. 26; Wagner, RabelsZ 2016, 717, 759.
42 Gliński, Haftung multinationaler Unternehmen, S. 13; Lehmann, ZGR 1986, 345, 353.
43 König, AcP 217 (2017), 611, 617; Lehmann, ZGR 1986, 345, 353.
44 Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 1, Rn. 17; Lehmann, ZGR 1986, 345, 353.
45 Engerí, in: Siekmann/Cahn/Florstedt, et al., FS Baums, S. 399.
46 Koppensteiner, in: Zöllner/Noack, KölnKomm AktG Bd. 1, § 15, Rn.10 f.; Krieger, in: Hoffmann-Becking, MHdB GesR Bd. 4, § 69, Rn. 6; Wazlawik, Die Konzemhaftung der deutschen Muttergesellschaft S. 2.
47 Im Vertragskonzem soll die gelockerte Vermögensbindung und Weisungsmöglichkeit kompensiert und legitimiert werden. Im faktischen Konzern wird über ein Einzelausgleichsystem (den sog. Außenseiterschutz) gehaftet. Nach neuer Rechtsprechung ist die Figur des qualifiziert faktischen daneben überholt. Altmeppen, in: Goette/Habersack/Kalss, MüKoAktG Bd. 5, Vorb. §§311 ff., Rn. 5; Dauner-Lieb, in: Zöllner/Noak, KölnKommAktG Bd. 1, § 1, Rn. 56; Eschenbruch, Konzemhaftung, Rn. 2001; Lieder, in: Heidinger/Leible/Schmidt, KommGmbHG Bd. 1, § 13, Rn. 422; Renner/Kuntz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 57; Saen ger, Gesellschaftsrecht, S. 524, Rn. 973; Schneider, BB 1981, 249, 254; Servatius, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 302, Rn. 1.
48 Altmeppen, in: Goette/Habersack/Kalss, MüKoAktG Bd. 5, § 302, Rn. 77 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzemrecht, § 302, Rn. 44; Renner/Kuntz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 55; Servatius, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 302, Rn. 17; Veil, in: Spindi er/Stilz, Kommentar zum Aktiengesetz Bd. 2, § 302, Rn. 26.
49 Altmeppen, in: Goette/Habersack/Kalss, MüKoAktG Bd. 5, § 302, Rn., Rn. 39 ff.
50 Koppensteiner, in: Zöllner, KölnKommAktG Bd. 6, § 317, Rn. 67; Renner/Kuntz, in: Krajewski/Oehm/Saage-Maaß, Zivil- und strafrechtliche Untemehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, S. 57 f.
51 Eschenbruch, Konzemhaftung, Rn. 2004.
52 Spickhoff, in: Soergel, BGB Bd. 12, § 823, Rn. 149; Wagner, in: Habersack, MüKoBGB Bd. 6, § 823, Rn. 95, 800