Die Arbeit untersucht, inwieweit in den Lehrplänen der DDR und des Freistaates Sachsen im Fach Französisch die Teilkompetenz Sprechen qualitativ als Lernziel beschrieben wird. Dabei wird der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) einbezogen.
Fremdsprachenerwerb im schulischen Kontext bedeutet gemeinhin die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen in einer fremden Sprache. Dies vollzieht sich traditionell im Wesentlichen in zwei Handlungsbereichen: den rezeptiven Kompetenzen, zu denen (verstehendes) Hören und Lesen zählen, sowie den produktiven Kompetenzen, unter die Schreiben und Sprechen fallen. In der Diskussion der jüngeren Zeit spielt zudem die als Interaktionskompetenz bezeichnete Fähigkeit eine bedeutende Rolle.
Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die Betonung der Sprechkompetenz in den dem Französischunterricht zu Grunde liegenden Lehrplänen diachron zu verfolgen. Dabei werden zum einen die Lehrpläne der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für das Fach Französisch aus den Jahren 1967, 1968 und 1970, zum anderen die Lehrpläne des Landes Sachsen aus den Jahren 1992 und 2009 herangezogen. Besonders interessant erscheinen dabei zwei bildungspolitische Zäsuren. Die erste wird durch das Ende der marxistisch-leninistisch geprägten Unterrichtsfokussierung, die zweite durch die Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) im Jahr 2001 und die Etablierung der nationalen Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz 2003/04 markiert.
Da Kommentare zu den Lehrplänen, am wenigsten zu einzelnen Bundesländern und Fächern, kaum zu finden sind, wird sich ein Großteil der Arbeit auf lehrplanimmanente Interpretationen stützen müssen. Erst ab Kapitel 2.2, in dem der Einfluss des GeR behandelt wird, können Schriften, die Vor- und Nachteile dieses Werkes darstellen, berücksichtigt werden. Hier werden vor allen Dingen Aufsätze aus dem Sammelband Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts von Karl-Richard Bausch und Mitarbeitern einbezogen.
Inhalt
1 Französischunterricht im Spiegel der Lehrpläne
2 Die Bedeutung der Sprechkompetenz in verschiedenen Curricula
2.1 Lehrpläne der Deutschen Demokratischen Republik
2.1.1 Französisch Grundkurs (1967)
2.1.2 Französisch Aufbaukurs (1968)
2.1.3 Französisch Abiturkurs (1970)
2.2 Lehrpläne des Landes Sachsen im Spiegel des Gemeinsamen
2.2.1 Das Sprechen im GeR
2.2.2 Lehrplan Französisch Gymnasium Sachsen (1992)
2.2.3 Einfluss des GeR auf den Lehrplan Französisch
3 Zusammenfassung: Altes und Neues in den Lehrplänen
4 Bibliografie
Anhang
1 Französischunterricht im Spiegel der Lehrpläne
Linearität des Lernzuwachses war ein Ideal, das man früher in stofforientierten Curricula verfolgte. Dabei stellte man schnell fest, dass es kaum eindeutige Kriterien dafür gibt, welche Redemittel oder grammatische Strukturen schwieriger sind als andere bzw. früher oder später gelernt werden sollten. (Burwitz-Melzer Quetz 2006: 361)
Fremdsprachenerwerb im schulischen Kontext bedeutet gemeinhin die Ausbildung kommunikativer Kompetenzen in einer fremden Sprache. Dies vollzieht sich traditionell im Wesentlichen in zwei Handlungsbereichen: den rezeptiven Kompetenzen, zu denen (verstehendes) Hören und Lesen zählen, sowie den produktiven Kompetenzen, unter die Schreiben und Sprechen fallen. In der Diskussion der jüngeren Zeit spielt zudem die als Interaktionskompetenz bezeichnete Fähigkeit eine bedeutende Rolle. Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die Betonung der Sprechkompetenz in den dem Französischunterricht zu Grunde liegenden Lehrplänen diachron zu verfolgen. Dabei werden zum einen die Lehrpläne der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für das Fach Französisch aus den Jahren 1967, 1968 und 1970, zum anderen die Lehrpläne des Landes Sachsen aus den Jahren 1992 und 2009 herangezogen. Besonders interessant erscheinen dabei zwei bildungspolitische Zäsuren. Die erste wird durch das Ende der marxistisch-leninistisch geprägten Unterrichtsfokussierung, die zweite durch die Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) im Jahr 2001 und die Etablierung der nationalen Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz 2003/04 markiert.
Da Kommentare zu den Lehrplänen, am wenigsten zu einzelnen Bundesländern und Fächern, kaum zu finden sind, wird sich ein Großteil der Arbeit auf lehrplanimmanente Interpretationen stützen müssen. Erst ab Kapitel 2.2, in dem der Einfluss des GeR behandelt wird, können Schriften, die Vor- und Nachteile dieses Werkes darstellen, berücksichtigt werden. Hier werden vor allen Dingen Aufsätze aus dem Sammelband Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts von Karl-Richard Bausch und Mitarbeitern einbezogen.
Ein streng linearer Zuwachs der Bedeutung des Sprechenkönnens im Verlauf des letzten Drittels des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts wird dabei freilich nicht vermutet. Der Französischunterricht in der DDR fand unter gänzlich anderen Prämissen als heute statt, wo der (gesamt)europäische Gedanke und die selbstständige Befähigung der Schülerinnen und Schüler zur transnationalen Verständigung gerade im Vordergrund des Fremdsprachenunterrichts stehen. Formulierungen im Lehrplan, die die ausgewiesene Bedeutung der Sprechkompetenz in der jeweiligen Zeit widerspiegeln, sollen also im Mittelpunkt stehen.
2 Die Bedeutung der Sprechkompetenz in verschiedenen Curricula
2.1 Lehrpläne der Deutschen Demokratischen Republik
Einführend sei bemerkt, dass das Ministerium für Volksbildung der DDR nicht einen, alle Klassenstufen umfassenden Lehrplan für fremdsprachliche Unterrichtsfächer herausgegeben, sondern eine Staffelung in Grund-, Aufbau- und Abiturkurs vorgenommen hat. Wie heute konnte der Französischunterricht zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Laufbahn der Schülerinnen und Schüler einsetzen, beispielsweise in Klasse 7 oder 9. Meistenteils wurde Französisch nach Russisch als 2. Fremdsprache gelernt und begann in Klasse 7, sodass sich für die Aufteilung der Lehrpläne die folgende Zuordnung ergibt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwar soll in der vorliegenden Arbeit primär kein Vergleich der Niveaustufen erfolgen, jedoch erscheint dieser Abgleich der inhaltlichen Klarheit halber sinnvoll. Es ist darüber hinaus wichtig zu wissen, dass um die 70er Jahre des 20. Jahrhundert gerade eine Novellierung der Lehrpläne in der DDR stattgefunden hat. Die Bemerkung im interpretatorischen Werk des Lehrplans, es sei „Wesenszug der neuen Lehrpläne, daß sie den Fremdsprachenunterricht sprachpraktisch orientieren“ (Neuner 1973: 380), lässt auf einen nicht unerheblichen paradigmatischen Wechsel im Fremdsprachenunterricht schließen. Man darf dabei allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass der Anteil der Französischlernenden damals ungleich geringer war, als er es heute ist, und „[d]ass der Französischunterricht nie über den ‚Mauerblümchenstatus‘ hinauskam, führten ostdeutsche Didaktiker und Pädagogen u. a. auch auf die Überbetonung des Schreibens und der Beherrschung der Orthografie, grammatisierende und formale Unterrichtsverfahren, zu stark lese- und übersetzungsbetonte Unterrichtsphasen, auf die Verkennung der Rolle des Übersetzens gegenüber der des (stillen) Lesens und die ungenügende Arbeit mit Unterrichtsmitteln zurück“ (Pfeil 2007: 135–136). Betrachten wir also das curriculare Fundament der damaligen Französischlehrerinnen und -lehrer.
2.1.1 Französisch Grundkurs (1967)
Nach fast 20-jährigem Bestehen des Bildungssystems der DDR kann der Französischunterricht auf eine ebenso lange Existenz zurückblicken, wenn er auch – wie eben angedeutet – angesichts der weitgehenden Obligation, Russisch als erste Fremdsprache zu lernen, keinen so großen Anteil an Lernenden verbuchen kann. Der Lehrplan für den Grundkurs aus dem Jahr 1967 besteht aus einführenden Bemerkungen („Ziele und Aufgaben“), dem „Inhalt des Unterrichts“ mit Angabe der inhaltlichen Themen, Lexik und Phonetik sowie tabellarischer Skizzierung der grammatischen Komplexe. Am Ende befinden sich „Grundlinien zur methodischen Gestaltung des Unterrichts“. Wirft man einen Blick in die Vorbemerkungen zum Lehrplan, findet man dort unter den Zielen und Aufgaben des Französischunterrichts Folgendes: „Im Vordergrund steht […] die Entwicklung des verstehenden Hörens und des Sprechens. Die Schüler werden befähigt, einfache Gespräche zu führen.“ (Ministerrat 1967: 5). Der Schwerpunkt liegt also auf den nichtschriftlichen Kompetenzen. Die Lernenden sollen mit Hilfe des zweijährigen Grundkurses für mündliche Kommunikationssituationen geschult, somit in die Lage versetzt werden, sich auf einfachem Niveau auf Französisch zu äußern und Äußerungen auf Französisch zu verstehen und zu beantworten. Weiter unten im Lehrplan wird das Unterrichtsziel ‚Sprechen‘ in vier Teilziele unterteilt, die bis zum Abschluss des Grundkurses, also i. d. R. am Ende von Klasse 8, zu erreichen sind:
Weitgehend normgerechte Artikulation, Bindung, Betonung und Stimmführung (Intonation).
Ausdrucksvoller, phonetisch normgerechter Vortrag von Liedern, Gedichten und kurzen Prosatexten aus dem Gedächtnis.
Stellen und Beantworten einfacher Fragen über bekannte Sachverhalte, Führen kürzerer Gespräche über Themen des Alltagslebens mit Hilfe des obligatorischen Sprachmaterials, Beschreiben bildlich dargestellter Situationen (Lehrbuchabbildungen, Dias), inhaltliche Wiedergabe kurzer Sinnzusammenhänge. (ebd.: 7)
Es ist festzuhalten, dass die Schwerpunkte auf der korrekten Aussprache, dem Führen einfacher Dialoge, dem bloßen Reproduzieren und der Beschreibung von Bild- und Textmaterial liegen. Als standardsprachliche Norm wird „die gepflegte Pariser Umgangssprache“ (ebd.: 10) definiert. An die Lehrerinnen und Lehrer wird aus methodischer Sicht folgende Forderung gestellt: „Der Unterricht soll sprachpraktisch erteilt werden. […] Für die weitaus meisten Phasen des Unterrichts ist das Prinzip der Einsprachigkeit zu sichern.“ (ebd.: 23)1. Dies gilt darüber hinaus auch für die Schülerinnen und Schüler, denn diese sind „anzuhalten, sich in der Fremdsprache an den Lehrer zu wenden, wenn sie einen Sinnzusammenhang noch nicht erfaßt haben“ (ebd.: 25). Damit wird die französische Sprache nicht nur zum Ziel, sondern auch zum Zweck des Unterrichts erhoben. Das Einüben immer längerer französischer Phrasen geschieht methodisch durch deren Wiederholen im Chor so lange, „bis sie der vom Lehrer (bzw. vom Tonband) gebotenen Norm in Lautung, Betonung, Rhythmus und Sprechtempo zumindest nahekommen“ (ebd.). Interessant ist, dass die Lehrenden angehalten werden, im Unterrichtsgespräch ihre Fragen so zu stellen, dass Ein-Wort-Antworten der Lernenden zu Gunsten ganzer Sätze „zur Vervollständigung der Kommunikation“ (ebd.) zurückgedrängt werden. Inwiefern diese Praxis authentische Gesprächssituationen des Alltags widerspiegelt, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden.
Zur Messung der Sprechkompetenz im Sinne von Leistungskontrollen gibt der Lehrplan wie folgt Auskunft:
Es ist erforderlich, vornehmlich solche Leistungskontrollen der Schüler durchzuführen, die für den Sprachlernprozeß nützlich sind und der allmählichen Herausbildung wichtiger Zielfertigkeiten und Zielfähigkeiten dienen. So werden im Grundkurs in der mündlichen Leistungskontrolle die Wortschatzkenntnisse in sinnvollen Sprachzusammenhängen, die Fähigkeit, Fragen und Antworten zu bilden bzw. zu beantworten, und die Leseleistung überprüft. (ebd.: 29)
Hier werden eingedenk der eingangs bezeichneten Zielkompetenzen Anforderungen an mündliche Lernstandsüberprüfungen beschrieben, die stets darauf abzielen, zusammenhängende und sinnvolle Gespräche zu beginnen, aufrechtzuerhalten und zu beenden. Die angestrebte Norm der als Standard formulierten Varietät des Pariser Beckens soll zusätzlich durch das laute Lesen von Texten überprüft werden.
2.1.2 Französisch Aufbaukurs (1968)
An den zweijährigen Grundkurs schließt sich der ebenfalls zweijährige Aufbaukurs an, dessen Abschluss gewöhnlich mit dem Ende der 10. Klasse, also dem Ende der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (POS), zusammenfällt. Der Aufbau des Lehrplans von 1968 entspricht im Wesentlichen dem des unter 2.1.1 behandelten Lehrplans. Die bis zum Abschluss des Aufbaukurses zu erreichenden vier Teilziele der Kompetenz ‚Sprechen‘ lauten hier folgendermaßen:
Ausdrucksvoller Vortrag von Liedern und Gedichten aus dem Gedächtnis unter Beachtung der phonetischen Normen.
Führen einfacher Gespräche über das persönliche Leben und zur Verständigung im Alltag (Reagieren in der Fremdsprache auf Fragen und Aufforderungen sowie selbständiges Formulieren von Fragen und Aufforderungen).
Beschreiben von Situationen oder Handlungsabläufen (auch auf der Grundlage von Bildern, Dia-Reihen und anderen Anschauungsmitteln).
Zusammenhängendes Berichten über Geschehnisse des täglichen Lebens sowie Äußerungen in einfacher Form zu aktuellen politischen, kulturellen und sportlichen Ereignissen (auch unter Verwendung von selbst angefertigten Gliederungen und Stichwörtern). (Ministerrat 1968: 9–10)
Dass abermals die Reproduktion von auswendig Gelerntem an erster Stelle genannt wird, ist auffällig. Entweder geschieht dies im Sinne einer hierarchisierenden Aufzählung der Kompetenzen, wobei die Reproduktion freilich die einfachste ist, oder aber der (besonders repräsentativen?) Rezitation wird wegen der „emotionale[n] Wirksamkeit des Unterrichts […] durch Lieder und Gedichte“ in Verbindung mit der „Schönheit der französischen Sprache“ (ebd.: 7) tatsächlich besondere Wichtigkeit beigemessen. Auch die Forderung nach normgerechter Aussprache ist wiederkehrend. Das Niveau der Gespräche, die die Schülerinnen und Schüler zu führen in der Lage sein sollen, wird wie im Grundkurs zunächst als „einfach“ bezeichnet; dafür scheint – im Sinne der Progression der sprachlichen Gewandtheit der Lernenden in der Fremdsprache – der Selbstständigkeit ein größerer Stellenwert zugeschrieben zu werden. Das letzte zitierte Teilziel bezeugt einen hohen Anspruch an die Handlungsrelevanz, indem explizit die Fähigkeit, sich mit dem aktuellen Geschehen in unterschiedlichen Domänen auseinanderzusetzen zu können, angestrebt wird.
In den methodischen Gestaltungsrichtlinien am Ende des Lehrplans findet man schließlich eine Relativierung des Niveaus, auf dem die Lernenden Gespräche führen können sollen, denn sie sollen „inhaltlich anspruchsvollere und somit sprachlich schwierigere Fragen zu stellen sowie selbst umgehend auf Fragen in der Sprache zu reagieren“ (ebd.: 27) in der Lage sein. Die entsprechenden Übungen sind von den Lehrenden so auszuwählen, dass „die Schüler zunehmende Sicherheit bei der Verständigung in Alltagssituationen gewinnen“ (ebd.). Auf dem Gebiet des Erzählens und Beschreibens soll die Hilfestellung der Lehrenden sukzessive in den Hintergrund treten – aus Sicht der heutigen Lernstrategienforschung kann man von Fading sprechen –, damit der Grad des Ausdrucksvermögens, von „Umfang und sprachlicher Qualität zu[nimmt]“ (ebd.). Als Leistungsziel für den Abschluss des Aufbaukurses wird subsumiert: Die „Schüler [sollten] zunehmend eigene Gedanken äußern und in einfacher Form persönlich zu einem Thema Stellung nehmen“ (ebd.). Man beachte die Forderung des „einfachen“ Niveaus nach regulär vier Jahren Französischunterricht. Das Einhalten der Ausspracheregeln wird präzisiert, indem von „größtmögliche[r] Annäherung an die orthoepische Norm“ (ebd.: 31) die Rede ist, denn „[d]ie Ausspracheschulung ist immanenter Bestandteil des gesamten Französischunterrichts und erfolgt in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Sprechens“ (ebd.).
Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Leistungsmessung sind die Ausführungen, die neben dem Grad der Kompetenz ausdrücklich auch den „Fleiß der Schüler […] überprüfen“ (ebd.: 34). Im Übrigen ist der beschriebene Niveauunterschied, also der Zuwachs an erwarteter Kompetenz verglichen mit dem des Grundkurses nicht besonders groß; während allerdings die Fähigkeit zur Deskription im Grundkurs noch eine Kann-Bestimmung ist (in die mündliche Kontrolle „können auch schon Bildbeschreibungen, Zusammenfassungen, einfache Nacherzählungen und Berichte einbezogen werden“ [Ministerrat 1967: 30]), dient sie im Aufbaukurs als selbstverständliches Mittel, um die Sprechleistung der Schülerinnen und Schüler einschätzen zu können: „Stellen und Beantworten von Fragen […], das richtige Reagieren in einfachen Gesprächssituationen des Alltagslebens, das Beschreiben von Bildern und Handlungsabläufen sowie das zusammenhängende Berichten“ (Ministerrat 1968: 34) sollen als Indikatoren für die Beurteilung der Sprechleistung der Lernenden zur Anwendung kommen. Man kann nichtsdestotrotz ablesen, dass die erwarteten mündlichen Leistungen nach vier Jahren Unterricht im Fach Französisch gegenüber dem Abschluss des Grundkurses an Umfang gewinnen sollen.
2.1.3 Französisch Abiturkurs (1970)
Der Abiturkurs führt die Lernenden der Erweiterten Oberschule (EOS) schließlich zur allgemeinen Hochschulreife. Wer den Unterricht bis dahin absolviert, kann am Ende eine i. d. R. sechsjährige Ausbildung in der französischen Sprache der eigenen Sprachbiografie zuschreiben. Der Lehrplan aus dem Jahr 1970 enthält einige bemerkenswerte Forderungen sowohl an die Lernenden als auch an den Unterricht. Als globales Ziel finden wir zu Beginn: „Im Abiturkurs müssen die Schüler – aufbauend auf den Ergebnissen des Grund- und Aufbaukurses – befähigt werden, die französische Sprache möglichst sicher zur Verständigung, vor allem in Alltagssituationen, […] gebrauchen zu können.“ (Ministerrat 1970: 4). Erneut begegnet man hier der Prämisse, die Einsatzfähigkeit der französischen Sprache müsse sich vor allen Dingen in Gesprächen über gebräuchliche Themen beweisen. Der Anstieg des Niveaus wird nun expressis verbis dargelegt: „Gegenüber den Zielen, die für den Abschluß des Aufbaukurses gestellt wurden, drückt sich das höhere Niveau insbesondere dadurch aus, daß die Schüler zu größerer Selbständigkeit und Sicherheit vor allem in der mündlichen […] Sprachausübung gelangen“ (ebd.). Die Aufschlüsselung der Kompetenz ‚Sprechen‘ erfolgt nun wesentlich umfänglicher und differenzierter als in beiden vorangehenden Lehrplänen:
Führen von Gesprächen
mit Stellen und Beantworten von Fragen (vor allem in mehreren Sätzen), Formulieren von Wünschen, Aufforderungen, Meinungen u. a.; im Rahmen von Alltagssituationen sowie über den persönlichen Lebensbereich […].
Zusammenhängendes Darlegen
in Form von Berichten, Beschreibungen, einfachen Kurzvorträgen;[…] auch auf der Grundlage auditiv oder visuell aufgenommener fremdsprachlicher Informationen.
Fremdsprachiges Reagieren auf muttersprachig vorgegebene Sachverhalte
in Form des sinngemäßen Übertragens von Fragen und Antworten (Einholen bzw. Erteilen von Auskünften), Wünschen, Aufforderungen und kurzen Mitteilungen; im Rahmen von einfachen Alltagssituationen […] (ebd.: 10–11)
In den drei Teilkompetenzen rekurrieren die thematische Fokussierung sowie die Forderung nach stilistischer Einfachheit bei höchstmöglicher Korrektheit. Erneut wird die sprachliche Qualifikation auf Situationen des Alltags beschränkt. Das erklärte Ziel der Sprechleistungen wird in folgenden Rahmen eingebettet: Sie sollen „sich in möglichst natürlichen (nachgebildeten) Sprachsituationen vollziehen“, die im „Alltagsleben und dem persönlichen Lebensbereich der Schüler“ (Ministerrat 1970: 25) angesiedelt sind. Die zunehmende Selbstständigkeit der Lernenden drückt sich dabei in der Fähigkeit aus, dass sie den Dialog hinsichtlich „Thematik, Situation und Richtung“ (ebd.) zu lenken in der Lage sind. Die textliche Grundlage für das Führen von Gesprächen tritt „zugunsten von selbständigen Äußerungen zu einem einfachen Thema“ (ebd.) sukzessive in den Hintergrund. Neu im Abiturkurs ist die Kompetenz, die man in der neueren Fremdsprachenforschung des 21. Jahrhunderts als ‚Mediation‘ bezeichnet, also das „Paraphrasieren in der Fremdsprache“ (Weskamp 2008: 6) bzw. die Fähigkeit, „zusammenhängende sprachliche Äußerungen und Texte sinngemäß von der einen in die andere Sprache [zu] übertragen“ (KMK 2004: 14). Der DDR-Lehrplan formuliert diese Fertigkeit, 30 Jahre vor der Einführung des GeR, so: Es handelt sich „nicht um eine sprachlich adäquate Wiedergabe in der Fremdsprache, sondern die Schüler sollen sich darin üben, mit dem von ihnen beherrschten Sprachmaterial ihre Gedanken einfach auszudrücken“ (Ministerrat 1970: 26).
Zur Kontrolle der mündlichen Leistung der Lernenden soll „vor allem erfaßt werden, ob der Schüler in der Lage ist, auf gestellte Fragen variationsreich, gegebenenfalls in mehreren Sätzen, sachlich richtig zu antworten, […] zusammenhängend seine Gedanken zu einem Thema nach entsprechender Vorbereitung vorzutragen“ (ebd.), und zwar angesiedelt in alltäglichen Situationen.
Dies sind überblickartig die Ziele und Anforderungen, wie sie im Lehrplan des sechsjährigen Französischunterrichts, gültig für die POS und EOS in der DDR in den Jahren ab ca. 1970, dargestellt sind. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der damit auf die Länder übertragenen Hoheit über die Bildung wurden für alle Fächer gänzlich neue Lehrpläne verfasst und erlassen, die 1992 in Kraft traten.
2.2 Lehrpläne des Landes Sachsen im Spiegel des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) (2001)
Im ersten Kapitel der deutschsprachigen Ausgabe des GeR ist in knapper Form der Zweck des Referenzrahmens formuliert: Er „stellt eine gemeinsame Basis dar für die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, curricularen Richtlinien, Prüfungen, Lehrwerken usw. in ganz Europa“ (Europarat 2001: 14) und soll so dazu beitragen, „die Barrieren zu überwinden, die aus den Unterschieden zwischen den Bildungssystemen in Europa entstehen“ (ebd.). Es werden demnach Vorschläge für einen einheitlichen Unterricht in den modernen Fremdsprachen unterbreitet, die sich eben u.a. in den Lehrplänen niederschlagen sollen. Deshalb werden im Folgenden die Ausführungen zum Bereich ‚Sprechen‘ im GeR beschrieben und zu denen in den sächsischen Lehrplänen für das Fach Französisch aus den Jahren 1992 und 2009 kontrastiert.
2.2.1 Das Sprechen im GeR
Im umfangreichen Werk des Europarates sind die Kompetenzbeschreibungen der einzelnen Teilfertigkeiten auf zahlreichen Seiten verteilt, da eine sehr detaillierte Gliederung in Einzelaspekte vorgenommen wird. Außerdem wird zwischen Fremd- und Selbstevaluation unterschieden. Exemplarisch sei hier auf die im Anhang befindliche Tabelle 2 mit dem Titel „Gemeinsame Referenzniveaus: Raster zur Selbstbeurteilung“ (Europarat 2001: 36) verwiesen. Die darin enthaltene Rubrik ‚Sprechen‘ möge als Vergleichs- und Diskussionsgrundlage im Zusammenhang mit der hier behandelten Lehrplanentwicklung dienen. Überhaupt werden diese graduell von Niveau A1 bis C2 reichenden Stufen gern als das ‚Herzstück‘ des GeR betrachtet, wenngleich vom Europarat selbst darauf verwiesen wird, dass diese Niveaus „in keiner Weise ein[schränken], wie verschiedene Bildungssektoren […] ihr eigenes System von Niveaus und Modulen organisieren und beschreiben“ (Europarat 2001: 34). Die in der Tabelle enthaltenen knappen Formulierungen aus der Sicht der Lernenden stellen einen praktischen Bezug im Sinne der ‚Tauglichkeit‘ der eigenen Sprechleistungen dar, wie es auch in den Lehrplänen üblich ist, wenn dort auch (noch) nicht von den Ich-kann-Deskriptoren Gebrauch gemacht wird.
Das Sprechen zerfällt in die beiden Bereiche „an Gesprächen teilnehmen“ und „zusammenhängendes Sprechen“, was dialogischen bzw. monologischen Sprechakten entspricht. Betrachten wir als Beispiel die Ich-kann-Aussage für die Niveaustufe B2 für den Zweig „an Gesprächen teilnehmen“. Der Deskriptor lautet: „Ich kann mich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit einem Muttersprachler recht gut möglich ist. Ich kann mich in vertrauten Situationen aktiv an einer Diskussion beteiligen und meine Ansichten begründen und verteidigen.“ (Europarat 2001: 36). Alles in allem bleibt festzuhalten, dass der Fortschritt des GeR nach Meinung der meisten Forscherinnen und Forscher darin besteht, „die Anforderungen an einen funktionierenden Sprachverkehr im Interesse der Bewältigung gesellschaftlicher Kommunikationshandlungen“ (Barkowski 2003: 23), und zwar im europäischen Kontext, zu betonen.
[...]
1.Hervorhebungen hier und im Folgenden aus dem Original übernommen.