Diese Hausarbeit wird untersuchen, ob Platons Politeia als totalitärer Staat zu verstehen ist. Anhand der Theorien von Carl J. Friedrich und Zbigniew Brezezinski soll dieses Fragestellung erörtert werden. Vor allem Karl R. Poppers Kritikpunkte sollen im Rahmen dieser Arbeit in den Fokus rücken. Abschließend soll das Fazit eine übersichtliche Schlussfolgerung ermöglichen
„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht“. Mit diesen Worten ehrt der britische Philosoph Alfred North Whitehead den antiken Philosophen und Staatstheoretiker Platon. Er schreibt ihm zu, das Vorbild der abendländischen Philosophie darzustellen.
Platon wurde im 5. Jahrhundert vor Christus als Schüler Sokrates bekannt. Er selbst strebte nach politischer Macht, scheiterte daran jedoch. Auch der Versuch seine Ideale auf Sizilien in Zusammenarbeit mit dem Diktator Dionysios zu verwirklichen, blieben unverwirklicht. Seine Vorstellung eines gerechten Staates schrieb er in „Der Staat“ nieder. Er schafft hier „eine ideale Seelenverfassung sowie analog dazu ein Idealbild des Staates“. Seit dem 20. Jahrhundert gerät dies jedoch immer wieder in den Fokus der Kritiker. Karl R. Popper warf ihm beispielsweise vor, als Vorbote der totalitären Regime zu agieren und so auch den Weg für den Nationalsozialismus geebnet zu haben. Auch die Nationalsozialisten selbst beriefen sich immer wieder auf Platon, wenn sie beispielsweise durch gezielte Fortpflanzung die deutsche Rasse perfektionieren wollten. Durch gezielte Indoktrination und Mobilisierung sollte das deutsche Volk dem platonischen Idealstaat nacheifern. Doch zielte Platon tatsächlich auf eine totalitäre Gesellschaft, die das Individuum dem Staat unterstellt, oder war Platon nur ein Opfer der Propaganda?
Inhalt
1. Platon als Vorbild der Nationalsozialisten
2. Merkmale des Totalitarismus
3. Ist Platons Staatsmodell totalitär?
3.1. Politeia als platonischer Idealstaat
3.2 Gerechtigkeit als platonische Ideologie
3.3 Führungskader durch die Philosophen
3.4 Gewaltlose Herrschaft in der Politeia
3.5 Zensur der Information
3.6 Berufsverteilung durch den Staat
4. Platon als Aristokrat
5. Garantie der Sicherheit durch den Staat
Literaturverzeichnis
1. Platon als Vorbild der Nationalsozialisten
„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht“1. Mit diesen Worten ehrt der britische Philosoph Alfred North Whitehead den antiken Philosophen und Staatstheoretiker Platon. Er schreibt ihm zu, das Vorbild der abendländischen Philosophie darzustellen.
Platon wurde im 5. Jahrhundert vor Christus als Schüler Sokrates bekannt. Er selbst strebte nach politischer Macht, scheiterte daran jedoch. Auch der Versuch seine Ideale auf Sizilien in Zusammenarbeit mit dem Diktator Dionysios zu verwirklichen, blieben unverwirklicht. Seine Vorstellung eines gerechten Staates schrieb er in „Der Staat“ nieder. Er schafft hier „eine ideale Seelenverfassung sowie analog dazu ein Idealbild des Staates“2. Seit dem 20. Jahrhundert gerät dies jedoch immer wieder in den Fokus der Kritiker. Karl R. Popper warf ihm beispielsweise vor, als Vorbote der totalitären Regime zu agieren und so auch den Weg für den Nationalsozialismus geebnet zu haben. Auch die Nationalsozialisten selbst beriefen sich immer wieder auf Platon, wenn sie beispielsweise durch gezielte Fortpflanzung die deutsche Rasse perfektionieren wollten. Durch gezielte Indoktrination und Mobilisierung sollte das deutsche Volk dem platonischen Idealstaat nacheifern. Doch zielte Platon tatsächlich auf eine totalitäre Gesellschaft, die das Individuum dem Staat unterstellt, oder war Platon nur ein Opfer der Propaganda?
Diese Hausarbeit wird untersuchen, ob Platons Politeia als totalitärer Staat zu verstehen ist. Anhand der Theorien von Carl J. Friedrich und Zbigniew Brezezinski soll dieses Fragestellung erörtert werden. Vor allem Karl R. Poppers Kritikpunkte sollen im Rahmen dieser Arbeit in den Fokus rücken. Abschließend soll das Fazit eine übersichtliche Schlussfolgerung ermöglichen.
Es gibt zahlreiche Werke, die sich mit dem Thema des Totalitarismus befassen. Jesse Eckhard hat als Herausgeber des Werkes „Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung“ ein Werk geschaffen, dass neutral und übersichtlich über die Thematik informiert. Eckhard ist es gelungen, die Entwicklung der Totalitarismustheorien von ihren Anfängen bis in das 20. Jahrhundert umfassend darzustellen. Die Beiträge stammen von bekannten Autoren wie Hannah Arendt oder Carl J. Friedrich, aber auch von weniger rezipierten Forschern. Dies ermöglicht dem Leser einen bisher ungewohnten Blickwinkel auf den Forschungsgegenstand. Auch Jerzy Maćkóws „Totalitarismus und danach“ muss an dieser Stelle erwähnt werden. Maćków greift die Theorien Friedrichs und Brezezinskis auf und verdeutlicht diese anhand des totalitären Regimes der Sowjetunion. Konstantin Schimerts Werk „Platonkritik Karl Poppers: Untersuchungen hinsichtlich der Einbeziehung philosophischer Voraussetzungen Platons “ ist ein weitere wichtige Lektüre zum Verständnis, ob die Politeia als totalitär gelten kann.
2. Merkmale des Totalitarismus
Der Totalitarismus ist eine diktatorische Form der Herrschaft. Im Unterschied zu einer autoritären Herrschaft versucht der totalitäre Staat in alle Lebensbereiche des Menschen hineinzuwirken. Privates und öffentliches Leben werden gleichgeschalten; die Gesellschaft soll sich völlig mit dem Staat identifizieren.3 Per Definitionem gibt es sechs Merkmale, um einen Staat als totalitär zu entlarven: So ist die Alleinherrschaft einer Partei ein wesentliches Merkmal. Auch das Vorhandensein einer allumfassenden Ideologie sowie einer ideologischen Erziehung zählen dazu. Des weiteren sind die Verstaatlichung der Wirtschaft, die Überwachung der Gesellschaft durch das Terrorsystem des Staates oder auch die Zensur der Medien beziehungsweise ein Monopol der Kommunikationsmittel ein bedeutender Bestandteil des Totalitarismus.4 Um auf einer gemeinsamen Basis zu diskutieren, wird der Totalitarismus als „allumfassender staatlicher Herrschaftsanspruch“ definiert, „der auf der Grundlage einer legitimierenden Ideologie, auf die Identität von Staat und Gesellschaft zielt und mit einer monistischen Herrschaftsstruktur sowie unbegrenzter Herrschaftsausübung verbunden ist.“5 Diese Sichtweise stammt von Carl J. Friedrich und Zbigniew Brezezinski und gilt als politolologisch-strukturelle Version.
Die für den Totalitarismus typische Ideologie wird als allumfassend und chiliastisch beschrieben, zudem hat sie einen absoluten Wahrheitsanspruch. Sie zielt auf den idealen Endzustand einer Gesellschaft. Der totalitäre Staat baut die staatlichen Institutionen und Strukturen auf dieser Ideologie auf, die Staatspartei soll im Sinne der Ideologie politisch agieren. Eine Opposition gibt es nicht. Die Ideologie bildet die Legitimation der Herrschaft.6 Durch die Ausschaltung des pluralistischen Parteiensystems kommt es zu einer Verschmelzung von Partei und Staat. Der Staat ist nun streng hierarchisch gegliedert. Doch nicht nur staatliche Angelegenheiten prägen den Totalitarismus, auch die Gesellschaft wird davon beeinflusst. Es kommt zu einer sogenannten „Verstaatlichung der Gesellschaft“:7 Durch Propaganda, Indoktrination und staatliche Erziehung wird das Individuum systemkonform geschult. Die Zensur der Medien unterstützt diese Idee,da staatskritische Texte nicht veröffentlicht werden und somit das Bild des harmonischen Staates aufrecht erhält. Entstehen sollen dabei einer neuer Menschentypus, welcher das politische System nicht nur stabilisiert, sondern auch perfektioniert. Das Terrorsystem, oftmals durch eine Geheimpolizei verwirklicht wie beispielsweise die GESTAPO im Dritten Reich oder die KGB in der Sowjetunion, soll die Bevölkerung kontrollieren. Durch das Verbreiten von Angst und Terror schaffen sie einen Konfirmitätsdruck, der die Bürger im Sinne des Systems agieren lässt.8
Einige Wissenschaftler sind der Meinung, die Definition nach Breszezinski und Friedrich sei nicht ausreichend. Als totalitär einstufte Systeme können oftmals in der politischen Theorie nicht durch diese Merkmale verifiziert oder falsifiziert werden. Auch dass die totale Steuerung des Staates über die bürgerlichen Emotionen in keiner Weise bedacht wird, wird oftmals bemängelt. Für diese Hausarbeit wird diese Definition jedoch den Schwerpunkt bilden und anhand ihr soll erörtert werden, ob Platons Politeia die Grundlage eines totalitären Staates schafft.
3. Ist Platons Staatsmodell totalitär?
3.1. Politeia als platonischer Idealstaat
In Platons „Der Staat“ wird ein dualistisches Weltbild beschrieben: So existiert neben der wahrnehmbaren Welt ebenso eine Welt der Ideen, welcher höher gestellt ist, da die körperliche Welt lediglich eine Nachahmung der Ideenwelt ist. Auch der Mensch ist durch einen Dualismus gekennzeichnet. So geht Platon neben der Existenz des vergänglichen Körpers, von einer unsterblichen Seele aus.9 Die Seele wird durch Vernunft, Mut und Begierde geleitet. Jeder dieser Seelenteile besitzt eine ihm zugeschriebene Tugend wie Weisheit, Tapferkeit und Mäßigung.
Die platonische Isormorphie ist ein wesentlicher Bestandteil, um die Politeia richtig zu interpretieren: So sind Staat und Seele gleich aufgebaut. Der Staat setzt sich aus drei Ständen zusammen. Jedem Stand wird ein Seelenteil zugeschrieben. So bilden die Philosophen den Lehrstand, welcher durch Vernunft geprägt ist. Sie sind die Herrscher der Politeia. Der Wehrstand wird durch die Wächter gestellt, die die Sicherheit des Staates garantieren sollen. Der dritte Stand setzt sich aus dem einfachen Volk, wie beispielsweise den Bauern zusammen, das den Nährstand darstellt. Ihr Seelenteil entspricht der Begierde. 10
Glaubt man Platon, herrscht im Staat Harmonie, wenn jeder, das tut was er am besten kann. „Der Staat ist gerecht, wenn jeder seiner Stände seine Aufgabe erfüllt“.11 So entspricht die Politeia in ihrem Ursprung der Aristokratie, da aus der Sicht des Systems die Befähigstens herrschen. Bei Platon sind das die Philosophen. Sie unterscheiden sich zu ihren Mitbürgern, da sie über das wahre Wissen („Episteme“) verfügen und nicht nur lediglich über Meinungen („Doxa“).
Die Politeia ist geprägt von einem selektiven Erziehungssystem. Schon Babys werden ihren Müttern entrissen, um ausgebildet zu werden. Auch weibliche Kinder werden hier integriert. „Ziele dieser Erziehung sind die Anpassung der Staatsbürger an das System“12, so soll jedes Kind seinem entsprechenden Stand zugewiesen werden. Das Ständewesen ist hier kein Erbfaktor, sondern vielmehr ein Produkt des Metall-Mythos. Platon geht von der Schaffung des Menschen durch Gott aus. Jedem Menschen wurde ein Metall beigemischt. So sollen diejenigen, die eine goldene Seele besitzen, herrschen, die silbernen Seelen wachen und eisernen Seelen sorgen für die Ernährung des Staates.13 Durch das Erziehungssystem wird der Seelenbestandteil der Kinder untersucht. Des weiteren ist die staatliche Eugenik ein wesentlicher Bestandteil der Polis: So dürfen sich lediglich vom Staat arrangierte Paare fortpflanzen – missgebildete oder kränkliche Kleinkinder werden verstoßen und somit indirekt getötet14. Die Polis, die Platon in „Der Staat“ entwirft, entsteht aus der „Schwäche des einzelnen“15. So kompensiert die Gesellschaft den Mangel des Individuums. Durch die Arbeitsteilung der Stände entsteht ein gerechter Staat. Zum Schluss ist zu erwähnen, dass Platon einen Idealstaat, also eine Utopie, entwirft und keine realen Zustände beschreibt.
[...]
1 North Whitehead, Alfred, Prozeß und Realität, Suhrkamp Verlag, Berlin, 1987, S.91
2 Schimert, Konstantin, Platonkritik Karl Poppers: Untersuchungen hinsichtlich der Einbeziehung philosophischer Voraussetzungen Platon, ars una Verlag, Neuried, 2003, S.13
3 Vgl. Maćków, Jerzy, Totalitarismus und danach. Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation, Nomos, Baden-Baden, 2005, S. 11
4 Vgl. Brezezinski, Friedrich, Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur, in Eckhard, Jesse: Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Nomos, Bonn, 1996, S. 230
5 Otto, Dirk, Das utopische Staatsmodell von Platons Politeia aus der Sicht von Orwells Nineteen Eighty-Four. Ein Beitrag zur Bewertung des Totalitarismusvorwurfs gegenüber Platon, Duncker & Humblot, Berlin, 1993, S. 129
6 Vgl. Maćków, Jerzy, Totalitarismus und danach. Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation, Nomos, Baden-Baden, 2005, S. 52-56
7 Maćków, Jerzy, Totalitarismus und danach. Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation, Nomos, Baden-Baden, 2005, S. 58
8 Vgl. Brezezinski, Friedrich, Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur, in Eckhard, Jesse: Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Nomos, Bonn, 1996, S. 231
9 Vgl. Kunzmann, Peter, Burkard, Franz-Peter, Wiedmann, Franz (Hrsg.), dtv-Atlas Philosophie, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1991, S. 45
10 Vgl. Marti, Urs, Studienbuch Politische Philosophie, Orell Füssli Verlag, Zürich, 2008, S.22-23
11 Platon, Der Staat, Reclam, Stuttgart, 2010, S.236, V. 441d
12 Otto, Dirk, Das utopische Staatsmodell von Platons Politeia aus der Sicht von Orwells Nineteen Eighty-Four. Ein Beitrag zur Bewertung des Totalitarismusvorwurfs gegenüber Platon, Duncker & Humblot, Berlin, 1993, S. 62
13 Vgl. Platon, Der Staat, Reclam, Stuttgart, 2010. S. 201-202, [414b-415d]
14 Vgl. Otto, Dirk, Das utopische Staatsmodell von Platons Politeia aus der Sicht von Orwells Nineteen Eighty-Four. Ein Beitrag zur Bewertung des Totalitarismusvorwurfs gegenüber Platon, Duncker & Humblot, Berlin, 1993, S. 68-70
15 Kunzmann, Peter, Burkard, Franz-Peter, Wiedmann, Franz (Hrsg.), dtv-Atlas Philosophie, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1991, S. 45