Heteronormativitätskritik. Gayle Rubin und Judith Butler im Vergleich
Zusammenfassung
Untersucht werden Rubins Konzept eines „Magischen Kreises“ in ihrer Publikation „Sex denken: Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik“ (1984) und Butlers Modell der „heterosexuellen Matrix“ aus ihrem Aufsatz „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991). Anschließend sollen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede der Theorien herausgearbeitet werden, wie beide an die Konzepte von Sex und Gender sowie von Heteronormativität herantreten.
Gayle Rubin geht in ihrem Modell des „Magischen Kreises“ darauf ein, wie Sexualität hierarchisiert wird. Sie zeigt, wie monogame Heterosexualität in unserer Gesellschaft privilegiert und alle andere Sexualitäten diskriminiert werden. Heterosexualität als Norm diskutiert auch Judith Butler. Sie beschreibt das Konzept der „heterosexuellen Matrix“, in dem biologisches und soziales Geschlecht sowie das Begehren des gegensätzlichen Geschlechts übereinstimmen müssen, damit eine Geschlechtsidentität in der Gesellschaft akzeptiert wird.
Beide Theorien begreifen diese Norm als Zwang zur Heterosexualität, wobei jegliche andere Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten in der Gesellschaft marginalisiert beziehungsweise von ihr ausgeschlossen werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gayle Rubins Modell des „Magischen Kreises“
3. Judith Butlers Konzept der „heterosexuellen Matrix“
4. Rubin und Butler im Vergleich
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im August 1994 treffen sich die feministischen Theoretikerinnen der Queer- und Gender Studies, Gayle Rubin und Judith Butler, zu einem Interview. Während einer Abschweifung Rubins merkt Butler an: „I’d like to bring us back to gender“, woraufhin Rubin antwortet: „You would! [...] I think I will leave any further comments on gender to you, in your capacity as the reigning ‚Queen’ of Gender!“1. Wie dieser Gesprächsausschnitt bereits andeutet, beschäftigen sich die Anthropologin Gayle Rubin und die Philosophin Judith Butler beide mit den Begriffen Sex und Gender, sowie mit deren Dekonstruktion und den dahinterstehenden Machtstrukturen.
In diesem Essay werden die Theorien von Gayle Rubin und Judith Butler zu dem Konzept der Heteronormativität verglichen. Dabei wird auf die Sex-Gender-Trennung und die mit der Heteronormativität verbundenen Machtstrukturen eingegangen. Untersucht werden Rubins Konzept eines „Magischen Kreises“ in ihrer Publikation „Sex denken: Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik“ (1984) und Butlers Modell der „heterosexuellen Matrix“ aus ihrem Aufsatz „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991). Anschließend sollen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede der Theorien herausgearbeitet werden, wie beide an die Konzepte von Sex und Gender sowie von Heteronormativität herantreten.
2. Gayle Rubins Modell des „Magischen Kreises“
In ihrem Aufsatz „Sex denken: Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik“ aus dem Jahr 1984 beschreibt Gayle Rubin die Verbindung von Sexualität, Heteronormativität und Machtbeziehungen. Ihr Ausgangspunkt ist, dass moderne westliche Gesellschaften vom Christentum geprägt sind und daher Sex als „sündhaft und tabuisiert“2 behandeln. Das hat zur Folge, dass in westlichen Kulturen Sex „generell als gefährliche, zerstörerische und negative Kraft“3 aufgefasst wird. Ausgenommen sei dabei „Sex in der Ehe zum Zweck der Nachkommenzeugung“4. Darauf aufbauend behauptet Rubin, dass „moderne westliche Gesellschaften [...] sexuelle Akte gemäß einer hierarchischen Wertordnung ein[schätzen]“5, an deren Spitze verheiratete, monogam lebende Heterosexuelle stehen. Diese sexuelle Rangordnung stellt Rubin im Modell des „Magischen Kreises“ dar.6 Personen, die sich im inneren dieses Kreis befinden, stehen weit oben in der Rangordnung. Im inneren Kreis sind Attribute wie ehelich, heterosexuell, in Paaren und zu Hause angelegt. Nach Rubin wird Sex im inneren Kreis als „gut, normal, natürlich und gesegnet“ betrachtet. Im äußeren Kreis befinden sich die „schlechten, abnormalen, unnatürlichen und verfluchten“ Sexualitäten, nämlich die, die von der festgesetzten Norm abweichen.7 Darunter fallen unter anderem Homosexuelle, Transsexuelle und Transvestiten. Die Sexualitäten im inneren Kreis werden in der Gesellschaft privilegiert, während diejenigen, die sich im äußeren Rand befinden, diskriminiert und stigmatisiert werden.8 Rubin identifiziert hierbei die Vorstellung einer „einzigen idealen Sexualität“ und gewissermaßen einen Zwang zur Heterosexualität.9 Nicht nur Sexualität wird kulturell produziert, sondern auch die Einstellung gegenüber Sex. Dadurch ist einzig monogame Heterosexualität als normale und natürliche Sexualität im inneren des Kreises angesiedelt.10
Im Gegensatz zu ihren Ansichten, die sie in ihrem früheren Artikel „The Traffic in Women“ (1975) eingenommen hat, „[plädiert sie] hier für die Notwendigkeit, Geschlecht und Sexualität analytisch zu trennen, um ihre getrennte soziale Existenz präziser zu reflektieren.“11 Rubin demonstriert diese Trennung am Beispiel der Unterdrückung von Lesben. Diese seien im Feminismus größtenteils als unterdrückte Frauen begriffen worden. Allerdings werden sie ebenfalls als „Abartige und Perverse“12 unterdrückt. Wie Geschlecht ist Sexualität für Rubin eine politische Kategorie: „Sie ist in Machtsysteme integriert, die manche Individuen und Aktivitäten ermutigen und belohnen, während sie andere unterdrücken und bestrafen.“13
3. Judith Butlers Konzept der „heterosexuellen Matrix“
In ihrem Aufsatz „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990) zeigt Butler die Konstruktionsmechanismen, die hinter geschlechtlicher Identität stehen.14 Zunächst geht Butler auf die im feministischen Diskurs gängige Unterscheidung von Sex und Gender ein, bei der Sex das biologische und Gender das soziale Geschlecht beschreibt. Butler kritisiert die Annahme, dass dem sozialen Geschlecht das biologische zugrunde liegt. Sie behauptet, dass die diskursiven Mittel, die das soziale Geschlecht hervorbringen, auch das biologische Geschlecht konstruieren.15 Vornehmlich Naturwissenschaften entscheiden darüber, welche körperlichen Merkmale für das biologische Geschlecht von Bedeutung sind. Dadurch „reproduzieren diese Disziplinen trotz ihres ungebrochenen Objektivitätsanspruchs herrschende kulturelle Normen und zementieren die geltenden Geschlechterverhältnisse“16, nämlich die eines männlichen und eines weiblichen Geschlechts. Diese binäre Geschlechtsidentität wird immer wieder durch einen „hegemonialen kulturellen Diskurs“ hergestellt.17
Die Art und Weise, wie Diskurs und Norm bei der Konstitution von Geschlechtsidentität in den westlichen Gesellschaften zusammenspielen, wird von Butler „heterosexuelle Matrix“ genannt.18 Der Begriff der heterosexuellen Matrix steht bei Butler „für das Raster der kulturellen Intelligibilität, durch das Körper, Geschlechtsidentitäten und Begehren naturalisiert werden.“19 Eine intelligible, also „sinnvolle, sozial verstehbare“20, Geschlechtsidentität liege dann vor, wenn ein scheinbar natürlicher Zusammenhang zwischen Sex, Gender und Begehren besteht. Damit ein Körper in unseren westlichen Gesellschaften als intelligibel anerkannt wird, muss er ein stabiles Körpergeschlecht (Sex) haben, das durch die entsprechende Geschlechtsidentität (Gender) sowie „durch die zwanghafte Praxis der Heterosexualität“21 im Begehren des gegensätzlichen Geschlechts zum Ausdruck gebracht wird. Butler erkennt in dieser Konstruktion eine „Zwangsordnung [von] Geschlecht/Geschlechtsidentität/Begehren“22. Der heterosexuellen Matrix steht damit ein Bereich gegenüber, in dem kein kohärentes Verhältnis von Sex, Gender und Begehren herrscht, und der deshalb von Ausschluss aus der Gesellschaft betroffen ist. Wen Butler damit meint, ist deutlich: Homosexuelle, Transvestiten, Transsexuelle und all diejenigen, deren Identität nicht in Sex, Gender und Begehren übereinstimmt.23
Nicht nur die Intelligibilität von Sex, Gender und Begehren produziert Heteronormativität, sondern auch die Performanz von Geschlechtsidentität. Butler versteht Gender als eine Darbietung, die ständig wiederholt wird. Die Wiederholung spiegelt die bereits etablierten Geschlechtsidentitäten wider, wobei das Subjekt nicht selbst Darsteller der Geschlechtsidentität ist, sondern diese diskursiv produziert wird.24 Die Performanz von Gender hat das Ziel, „die Geschlechtsidentität in ihrem binären Rahmen zu halten“25, und ist somit ein Faktor von Macht.
4. Rubin und Butler im Vergleich
Sowohl der „Magische Kreis“ als auch die „heterosexuelle Matrix“ stellen das regulierende System dar, in dem jede andere Sexualität außer Heterosexualität als Abweichung von der Norm angesehen wird. Rubin und Butler begreifen Heterosexualität als ein homogenes, einheitliches Gebilde, dem eine Vielfalt von anderen Sexualitäten gegenübersteht.26 Sie heben die Hegemonie von Heterosexualität hervor, indem sie zeigen, dass der Fokus und die Kritik der Gesellschaft auf diejenigen fallen, die nicht in die heterosexuelle Norm passen.27 Rubin und Butler stellen einen Zwang zur Heterosexualität und zu einem binären Geschlechtermodell fest, durch die Machtbeziehungen produziert und aufrechterhält. Obwohl beide Theoretikerinnen das Konzept erklären, welches später durch den Begriff der Heteronormativität geprägt wurde,28 unterscheiden sie sich in der Auffassung, wie dieser Prozess in Bezug auf Sexualität und Gender abläuft. Butler nimmt eine poststrukturalistische Position ein, indem sie Sex, Gender und sexuelles Begehren dekonstruiert. Damit zeigt sie, wie deren Konstruktion aufeinander beruht, um soziale Normen zu bestimmen und zu kontrollieren. Butler wirft die Frage auf, wie nicht-normative Sexualitäten die Stabilität von Gender in Frage stellen könnten. Im Gegensatz dazu vollzieht Rubin keine solche Dekonstruktion von Gender und Sexualität. Sie stellt vielmehr eine hierarchische Rangordnung dar, in der Gender und Sexualität organisiert sind.29 Dabei sehen sowohl Rubin als auch Butler die Bedeutung der sozialen Kategorien Sex, Gender und Sexualität als veränderbar, konstruiert und eben nicht als Konstante in der Gesellschaft verwurzelt, sondern in Machtbeziehungen eingegliedert.30
[...]
1 Butler, Judith/Rubin, Gayle: „Sexual Traffic.” (Judith Butler interviews Gayle Rubin). Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies (Summer-Fall 1994) 6 (2-3), 1994. S.62-99. 97.
2 Huber, Clemens: Queering Development. Eine Analyse zum Sexualitätsdiskurs in der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel des DED-Briefs. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Universität Wien, 2012. 13.
3 Rubin, Gayle S.: Sex denken: Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik (1984). In: Andreas Kraß (Hrsg.): Queer Denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies). Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003. S.31-79. 37.
4 Ebd. 38.
5 Ebd. 39.
6 Vgl. ebd. 43.
7 Vgl. ebd.
8 Vgl. ebd. 39.
9 Vgl. ebd. 46.
10 O’Brien, Julia (Hrsg.): The Oxford Encyclopedia of the Bible and Gender Studies. Oxford: Oxford University Press, 2014. 322.
11 Rubin (1984), 75.
12 Vgl. ebd.
13 Ebd. 77.
14 Vgl. Bergmann, Franziska/Schößler Franziska/Schreck, Bettina (Hrsg.): Gender Studies. Bielefeld: transcript Verlag, 2012. 119.
15 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991. 24.
16 Vgl. Bergmann, Franziska/Schößler Franziska/Schreck, Bettina (2012), 10.
17 Butler (1991), 27.
18 Distelhorst, Lars: Judith Butler. Paderborn: Wilhelm Fink, 2009. 27.
19 Butler (1991), 219.
20 Villa, Paula-Irene: Judith Butler. Frankfurt am Main: Campus, 2003. 64.
21 Butler (1991), 219f.
22 Ebd. 21.
23 Distelhorst (2009), 28.
24 Butler (1991), 206f.
25 Ebd. 206.
26 Jackson, Stevi: Heterosexuality in Question. London u.a.: SAGE Publications, 1999. 164.
27 Vgl. Anderson, Eric: Inclusive Masculinity: The Changing Nature of Masculinities. London: Routledge, 2009. 40.
28 Vgl. Hartmann, Jutta (Hrsg.): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007. 10.
29 Marchia, Joseph/Sommer, Jamie M.: (Re)Defining heteronormativity. In: Sexualities. Thousand Oaks, Calif. u.a.: SAGE Publications, 2017. 5ff.
30 Jackson (1999), 124.