Medienerfolg für Politiker wurde spätestens mit der Etablierung des Fernsehens zum Maßstab für den Erhalt von politischer Macht. Joshua Meyrowitz, ein US-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler der Universität von New Hampshire, hat in den 1980er eine Theorie zum Einfluss des Fernsehens auf Wirklichkeit und Identitäten entwickelt. Er beschreibt darin die Wirkung von Fernsehen auf politische Realitäten.
"Die Fernseh-Gesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter" (1985), dient dieser Arbeit als theoretische Grundlage für die Leitfrage nach der Entwicklung der Mediengesellschaft in Deutschland am Beispiel Gerhard Schröders und somit auch nach der Frage ob Medienerfolg Bedingung für den Erhalt politischer Macht ist.
Die vorliegende Arbeit stellt zunächst die Theorie dar und beschäftigt sich im weiteren Verlauf damit, wie sie sich in der Mediengesellschaft Deutschlands wiedererkennen lässt. Am Beispiel von Gerhard Schröder soll schließlich untersucht werden inwieweit sich die Ansätze von Meyrowitz zum Beispiel im Bezug auf Image und Rollen, die vom Fernsehen beeinflusst werden, wieder finden lassen. Weiterhin soll geprüft werden, ob die Theorie, welche sich allein mit der amerikanischen Medienlandschaft der 1980er Jahre beschäftigt, auch in der Bundesrepublik besteht. Es werden einzelne Punkte aus der Theorie dargestellt; anfangend von den Medien, die die Umwelt verändern, über die Entstehung neuer sozialer Rollen und die dadurch bedingte Veränderung der Autoritäten in einer Gesellschaft.
Im Anschluss zu diesem theoretischen Teil der Arbeit folgen die Darstellung der Entwicklung der Medien, eine kurze Definition von Mediengesellschaften und schließlich ein Kapitel zu Gerhard Schröder als Medienkanzler. Es soll sein Auftreten in den Medien untersucht werden: Sein Image, das er in den Medien produziert und die verschiedenen Rollen, die er einnimmt. Besonders sein Image bzw. seine Darstellung als Privatmann in der Öffentlichkeit wird hervorgehoben. Es werden Begrifflichkeiten aus der einleitenden Theorie verwendet, um anhand dieser letztlich die Leitfrage dieser Arbeit zu klären. Es soll durch die Darlegung der Entwicklung der Medien in Deutschland am Beispiel Gerhard Schröders festgestellt werden, ob die Bundesrepublik Deutschland und ihre Politik hinsichtlich der Medien amerikanisiert wurde und eine „Fernsehgesellschaft“ nach Meyrowitz entstanden ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Medien verändern die Umwelt
3. Medien, Situationen, Verhalten
4. Neue Medien schaffen neue Rollen
5. Die Veränderung der Autoritäten
6. Das politische Ritual als politische Realität
7. „privat-öffentlich“ und „öffentlich-öffentlich“
8. Auf dem Weg in die Mediengesellschaft
8.1 Entwicklung der Medien
8.2 Mediengesellschaften
9. Gerhard Schröder als Medienkanzler
9.1 Imageunstimmigkeiten – nichts ungewöhnliches
9.2 Die Rollen Gerhard Schröders
9.3 Schröder in der Öffentlichkeit und Politik ein Privatmann
9.4 Veränderung der Autoritäten beziehungsweise Endmystifizierung
10. Schlussbetrachtung
11. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Medienerfolg für Politiker wurde spätestens mit der Etablierung des Fernsehens zum Maßstab für den Erhalt von politischer Macht.1 Joshua Meyrowitz, ein US-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler der Universität von New Hampshire, hat in den 1980er eine Theorie zum Einfluss des Fernsehens auf Wirklichkeit und Identitäten entwickelt. Er beschreibt darin die Wirkung von Fernsehen auf politische Realitäten. „Die Fernseh-Gesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter“ (1985), dient dieser Arbeit als theoretische Grundlage für die Leitfrage nach der Entwicklung der Mediengesellschaft in Deutschland am Beispiel Gerhard Schröders und somit auch nach der Frage ob Medienerfolg Bedingung für den Erhalt politischer Macht ist.
Die vorliegende Arbeit stellt zunächst die Theorie dar und beschäftigt sich im weiteren Verlauf damit, wie sie sich in der Mediengesellschaft Deutschlands wiedererkennen lässt. Am Beispiel von Gerhard Schröder soll schließlich untersucht werden inwieweit sich die Ansätze von Meyrowitz zum Beispiel im Bezug auf Image und Rollen, die vom Fernsehen beeinflusst werden, wieder finden lassen. Weiterhin soll geprüft werden, ob die Theorie, welche sich allein mit der amerikanischen Medienlandschaft der 1980er Jahre beschäftigt, auch in der Bundesrepublik besteht. Es werden einzelne Punkte aus der Theorie dargestellt; anfangend von den Medien, die die Umwelt verändern, über die Entstehung neuer sozialer Rollen und die dadurch bedingte Veränderung der Autoritäten in einer Gesellschaft.
Im Anschluss zu diesem theoretischen Teil der Arbeit folgen die Darstellung der Entwicklung der Medien, eine kurze Definition von Mediengesellschaften und schließlich ein Kapitel zu Gerhard Schröder als Medienkanzler. Es soll sein Auftreten in den Medien untersucht werden: Sein Image, das er in den Medien produziert und die verschiedenen Rollen, die er einnimmt. Besonders sein Image bzw. seine Darstellung als Privatmann in der Öffentlichkeit wird hervorgehoben. Es werden Begrifflichkeiten aus der einleitenden Theorie verwendet, um anhand dieser letztlich die Leitfrage dieser Arbeit zu klären. Es soll durch die Darlegung der Entwicklung der Medien in Deutschland am Beispiel Gerhard Schröders festgestellt werden, ob die Bundesrepublik Deutschland und ihre Politik hinsichtlich der Medien amerikanisiert wurde und eine „Fernsehgesellschaft“ nach Meyrowitz entstanden ist.
2. Medien verändern die Umwelt
Bis 1985 konzentrierte sich die Forschung zur Wirkung der elektronischen Medien auf die sozialen Umwelten lediglich auf den übermittelten Inhalt. Das Medium an sich wurde nur als „neutrales Übermittlungssystem von Kommunikation“2 betrachtet. Die Möglichkeit, dass elektronische Medien selbst neue Umwelten schaffen können und sich das soziale Verhalten unabhängig vom vermittelten Inhalt ändern kann wurde bis dahin ignoriert. Meyrowitz geht davon aus, dass das Fernsehen durch seine weite Verbreitung neue soziale Umwelten schafft, die vollkommen unabhängig von den Medien übertragenden Inhalten sind.
Neben der Umwelt nehmen die Medien auch Einfluss auf Situationen und Verhalten. Soziale Situation erfordern bestimmte Regeln, die kultur- und rollenabhängig sind. Zunächst muss der Mensch, um sich an das soziale Leben anzupassen, eine Sammlung von Situations-Definition der jeweiligen Kultur erlernen. Es wird von ihm erwartet, den Definitionen von bestimmten Situationen zu gehorchen und die erwartete Rolle einzunehmen und zu erfüllen. Meyrowitz behauptet, dass sich soziale Situationen häufig durch den Einfluss technologischer Neuerungen entwickeln. Solche Entwicklungen versteht er als unbeabsichtigte Konsequenz durch die Medien.3
Situationsveränderungen sind nicht direkt umsetzbar, sondern einem Entwicklungsprozess unterworfen. Neue Situations-Definitionen müssen zunächst erlernt und verinnerlicht werden, bis sie als normal betrachtet werden. So zum Beispiel gesetzliche Änderungen die das traditionelle Rollenverständnis verändern. Das neue Elterngesetz, welches es auch dem Vater ermöglicht Elternzeit in Anspruch zu nehmen, könnte hierfür als ein Beispiel dienen.
In Bezug auf die Bedeutung neuer Medien für soziale Rollen und damit letztlich auch für Situationen bezieht sich Meyrowitz auf den US-Amerikanischen Soziologen Ervin Goffman. Goffman beschreibt das gesellschaftliche Leben mit der Metapher des Theaters. Nach dieser Theorie ist jeder Mensch in der Lage situationsbedingt verschiedene Rollen einzunehmen. Jeder einzelne kann auf verschiedenen „sozialen Bühnen“ auftreten und sich gemäß dem Interesse des „Publikums“ und der Situation verhalten. Dieses Auftreten nennt Goffman „performance“; es wird bewusst und unbewusst geplant.4 Weiterhin unterscheidet er zwischen „öffentlichen“ und „privaten“ Verhalten, so zu sagen gleichzusetzen mit der Unterscheidung zwischen „Vorder- und Hinterbühne“. Demnach erfordert öffentliches Auftreten (auf der Vorderbühne) in gewisser Hinsicht das Spielen einer Rolle. Zum einen wird dies als aufgesetzt und unehrlich kritisiert, zum anderen aber erwartet das Publikum auch die Darbietung eines bestimmten Charakters sobald er sich auf der Bühne befindet. Er erwartet ein Schauspiel.5 Ein Beispiel für eine solche Situation könnte sein, dass ein Politiker, wenn er sich auf der Bühne vor Publikum befindet einen bestimmten Charakter spielt und sich dem konform verhalten muss. Wird er nun zu einem Thema befragt, über das er nicht hinreichend informiert ist, muss er sich dennoch gemäß seiner Rolle als Politiker und Experte verhalten, bestmöglich informiert wirken, um vor seinem Publikum in der Rolle zu bestehen.
Meyrowitz kritisiert an der Theorie von Goffman, dass sie lediglich einen Aspekt des sozialen Lebens einbeziehen würde. Situationisten wie Goffman seien damit beschäftigt Situationen und situatives Verhalten so wie es in der Gesellschaft gegeben ist zu beschreiben, anstatt zu analysieren, wie und warum sich die Situationen jeweils entwickeln. Im Besonderen kritisiert Meyrowitz diesen Ansatz als deskriptiv und nicht sonderlich nützlich um soziale Veränderungen in der Gesellschaft zu erklären oder vorherzusagen. Der Einfluss der Medien auf die Interaktion werde von den Situationisten nicht hinreichend betrachtet.6
Genauso wenig erachtet Meyrowitz jedoch die Annahmen von Medien-Theoretikern als ausreichend um zu klären welchen Einfluss Medien auf soziale Umwelten nehmen. Diese Medientheorien beschrieben zwar die Neuformungen kultureller Umgebungen und institutionellen Strukturen durch die Medien, sie sagten jedoch nicht viel darüber aus „wie die Medien spezifische soziale Situationen oder sogar das alltägliche Sozialverhalten umformen.“7 Die Gemeinsamkeit von Medientheoretikern und Situationisten bestünde darin, dass sich beide Theorien damit auseinandersetzen, wie spezifische Handlungen und Worte geprägt werden. Sie betrachten hierfür die Gruppen, die Zugang zu den Medien haben. Die Medientheoretiker sind in dem Zusammenhang der Ansicht, dass neue Medien Zugangsmuster ändern. Für beide Theorien ist die Frage nach dem Zugangsmuster essentiell. Die theoretische Lücke besteht nach Meyrowitz nun darin, dass er davon ausgeht, dass Medien wenig Einfluss auf die Dynamik zwischenmenschlicher Interaktion haben. Somit entkräftet er die Hauptargumente der Theorien und stellt die Ideen der Situationisten noch weiter in Frage. Sie würden die Existenz und damit den Einfluss der Medien in ihrer Theorie nicht berücksichtigen.8 Ziel seiner Theorie muss es somit sein Aspekte beider Theorien zu verbinden, um die Auswirkungen neuer Medien auf soziales Verhalten und die Veränderung der Umwelten hinreichend zu erklären.
3. Medien, Situationen, Verhalten
Im Zusammenhang mit den Medien und den verschiedenen Situationen muss nun auch das Verhalten näher erläutert werden. Als eine „Verhaltens-Region“ bezeichnet Goffman einen Ort, der bis zu einem gewissen Grad durch Wahrnehmungsschranken begrenzt wird.9 Der Ort ist somit ein untergeordnetes Kennzeichen eines Wahrnehmungsfeldes. Durch verschiedene Situationen wird definiert, wer sich an welchem Ort befindet. Im Wesentlichen geht es jedoch um das jeweilige Verhalten, dass von der Umwelt wahrgenommen wird. Ein Beispiel für den Zusammenhang von Verhalten, Ort und Situation beschreibt Meyrowitz einen Kellner. Dieser verhält sich im Gastraum anders als in der Küche. Befinden sich jedoch im Gastraum keine Gäste, so kann er sich dort genauso verhalten wie in der Küche. Durch dieses Beispiel wird deutlich, dass es bei Verhalten nicht um die physikalische Umgebung selbst geht, sondern dass Interaktionen durch die „Muster des Informationsflusses“ bestimmt werden.10 Meyrowitz geht davon aus, dass man Situations-Definitionen vollkommen von der physischen Existenz trennen kann, solange man sich nur auf den Zugang der Informationen konzentriert. Durch neue elektronische Medien können Grenzen und Situations-Definitionen überwunden werden, welche von physischen Umwelten geschaffen sind. Nach Meyrowitz ist „Fernsehen vergleichbar damit, Menschen durch einen Einwegspiegel in einer Situation zu beobachten, in der alle Beteiligten wissen, dass sie von Millionen von Menschen in isolierten Quadern beobachtet werden.“11
Die Trennung von bestimmten Situationen besteht jedoch weiterhin. Denn es sei schwierig in einer bestimmten Situation so zu reagieren, als sei es eine andere. Die Trennung von Situationen ermöglicht auch die Trennung von Verhaltensweisen. Beispielsweise verhält man sich auf der Arbeit anders als zu Hause. Doch auch diese Trennung kann durch neue Medien verändert werden, da diese die Begrenzung zu sozialen Situationen verändern oder aufheben und einen schnelleren Zugang zu Ereignissen ermöglichen. Durch die Medien können neue Einblicke und neue Verhaltensweisen entstehen. Es kann entweder zu vorübergehenden Mischung von Situationen kommen oder zu langfristig gemischten. Erstere führen meist zu Konfusionen und Unterbrechungen im Verhalten und aus letzteren entstehen neue Verhaltensmuster.12 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es für bestimmte Verhaltensmuster so viele einzelne Definitionen gibt, wie es unterschiedliche Situationen gibt, in denen sie auftreten. Bezieht man dies auf das Beispiel der Vorder- und Hinterbühne, so verschiebt sich die Trennlinie zwischen diesen beiden Bühnen und somit verändert sich das Stück. Das Verhalten „in der Mitte“ wird zum neuen Bühnenverhalten.
Durch die neuen Medien gelangen auch immer mehr Informationen aus dem privaten Bereich ungewollt in den öffentlichen Bereich, welche dann oftmals versucht zu integrieren werden. Die Menschen glauben, dass sie sich verändert hätten, weil plötzlich ganz andere Dinge auf der Vorderbühne präsent sind, dabei hat sich nur die Trennlinie von vorne und hinten verschoben.
Insgesamt ist Meyrowitz der Annahme, dass neue Medien, die die bestehenden sozialen Informationssystem eher trennen würden, den Menschen erlauben würden, sowohl das Verhalten „tief im Hintergrund“ als auch das Verhalten „am vorderen Bühnenrand“ selbst zu entwickeln. Somit werden elektronische Medien, die die bestehenden Informationssysteme vermischen, womöglich zu einem sogenannten „Seitenbühnen“-Verhalten im „mittleren Bereich“ führen.13
4. Neue Medien schaffen neue Rollen
Betrachtet man nun verschiedene Rollen des sozialen Lebens, lassen sich drei große Rollen-Kategorien erkennen auf die Meyrowitz sich bezieht. Als erstes die Rollen, die sich aus der Zugehörigkeit zu anderen Menschen ergeben oder aus dem „Sein“. Im Allgemeinen werden sie auch als Gruppenidentitäten betrachtet und zeigen verschiedene Gruppen auf, sind jedoch vom Prinzip her gleich. Als zweites Rollen, die sich aus dem Wandel oder dem „Werden“ ergeben. Damit ist die Sozialisation gemeint. Die letzte Rollen-Kategorie beschreibt die Rollen welche aufgrund von Autoritäten entstehen. Sie spiegeln sich in der Hierarchie wider. In diesem Fall sind die Rollen getrennt und ungleich. Dieses Rollenmodell ist in der Realität nicht eindeutig anwendbar. Es gibt Überschneidungen, denn jeder Mensch agiert in verschiedenen Kategorien und es ist ebenso möglich, dass sich die Rollen selbst überkreuzen.14 Zusammen decken sie fast jede Facette des täglichen Lebens ab. Drei Variablen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, sind der relative Zugang zu sozialer Information, die Trennung zwischen Hintergrund und Bühne und der Zugang zu physischen Orten.
Bezieht man nun die Medien ein, werden die Orte vermischt und vorher getrennte Gruppenidentitäten können verschmelzen. So können neue Medien den Sozialisationsprozess beeinflussen, weil sie bei vielen Gruppen den Grad an möglicher Kontrolle verändern, jemandem Zugang zu ihrem Hintergrund-Verhalten zu ermöglichen. Durch elektronische Medien werden bis dahin private Inhalte öffentlich verbreitet und für die Allgemeinheit verfügbar gemacht und fördern so die aufeinander folgenden Sozialisationsstadien. Ist ein Kommunikationsmedium in der Lage das, was verschiedene Menschen in einer Gesellschaft wissen, in verschiedene besondere Wissens-Bereiche auf zu spalten, können zahlreiche Autoritäten entstehen. Je mehr die neuen Medien die Informations-Welten mischen, desto mehr fördert dies die egalitären Formen der Interaktion.15
Meyrowitz ist der Meinung, dass Menschen mit großer Autorität ihr Image genau kontrollieren müssen, so dass es so wirkt, als ob sie ihr Image überhaupt nicht beachten würden. Personen mit einem hohen Status können diesen nur aufrechterhalten, wenn sie den Informationsfluss sorgfältig kontrollieren und gleichzeitig die Techniken der Kontrolle verbergen. Diese wird jedoch durch elektronische Medien erschwert und somit können die neuen Medien die Hierarchien eventuell beeinflussen, indem sie die Zugänglichkeit von Personen mit hohen Status verändern.16
Insgesamt stellt Meyrowitz fest, dass sich tradierte und an physische Orte gebundene Gruppenzugehörigkeiten auflösen, sich verschiedene Sozialisations-Stadien vermischen und Hierarchien eingeebnet werden. Das Fernsehen verändert das Individuum nicht nur weil es den physischen Ort unwichtig macht, sondern auch soziale Bezüge vernachlässigt werden. So erscheinen beispielsweise Fremde, die regelmäßig im Fernsehen zu sehen sind, wie gute Freunde. Traditionelle Sozialisation beinhaltete den kontrollierten Zugang zur Information der Gruppe, jedoch lassen elektronische Medien keine Kontrolle zu, da sie für die ganze Familie zugänglich sind. Nach Meyrowitz haben „die elektronischen Medien[…] die Bedeutung von Ort, Zeit und physischen Barrieren als Einflussgrößen der Kommunikation nachhaltig verändert.“17
5. Die Veränderung der Autoritäten
Im Zeitalter der neuen Medien sind das Image und die Rhetorik von Politikern anhand der Situation in denen sie ihre Rolle spielen zu untersuchen und weniger die Fähigkeiten an sich. Meyrowitz beschäftigt sich mit der allgemeinen Umwelt beziehungsweise der Situation, welche den Politiker umgibt und für alle Politiker, die das gleiche Amt anstreben, identisch ist.18 Er nimmt demnach einen Perspektivenwechsel vor; weg von der Untersuchung der spezifischen rhetorischen Fähigkeiten, hin zu der Fokussierung der sozialen Umwelten. Meyrowitz sagt dieser Perspektivenwechsel ermögliche es die Ursachen der politischen Schwierigkeiten einhergehend mit der rasanten Entwicklung visueller Medien aufzuzeigen. Er geht davon aus, dass der Imageverlust von Politikern mit ihrer „Kommunikationsumwelt“ zusammenhängt und nicht mit Führungsproblemen.19
An dieser Stelle soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Meyrowitz seine Theorie in den 1980er Jahren verfasst hat und seine Beobachtungen sich auf das US-politische Umfeld beschränken. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll noch untersucht werden, inwieweit sich seine Beobachtungen über die Veränderungen der politischen Realitäten durch Medien in der Bundesrepublik wiederfinden lassen. Als Beispiel wird hier der sogenannte Medienkanzler Gerhard Schröder dienen.
Von zentraler Bedeutung für die Veränderung der Autoritäten ist nach der Theorie die „Endmystifikation“ der Politiker. Durch das Fernsehen werden sie ständig entlarvt und „verlieren die Kontrolle über ihr Image und ihren Auftritt. Infolgedessen verlieren die politischen Führer ihre Aura und werden eher auf das Niveau eines Durchschnittsmenschen herabgezogen.“20 Das Fernsehen produziert eine weitreichende Nähe zwischen dem Publikum und dem Politiker, welche beide auf gewisse Art und Weise auf die gleiche Ebene stellt. Wie bereits zu Beginn dieser Arbeit herausgearbeitet wurde, nehmen alle Menschen situationsspezifische Rollen an, um der jeweiligen Definition der Situation in der sie sich aktuell befinden gerecht zu werden. Die elektronischen Medien nehmen Einfluss auf die Situationen, verändern Bedingungen und somit die Rollenaufgaben für den Politiker. Fernsehen nimmt den politischen Akteuren die Unterscheidung zwischen „Vorder- und Hinterbühne“. Es ist ihnen nicht möglich aus der Rolle der öffentlichen Person heraus zu treten. Sobald sie die „Hinterbühne“ betreten, ist das Publikum (die Öffentlichkeit) weiterhin durch Kameras anwesend. Durch die konstante Begleitung beziehungsweise Beobachtung durch elektronische Medien wird die Freiheit des Politikers eingeschränkt. Er kann sich nicht länger von seinem Publikum isolieren und eine andere soziale Rolle einnehmen, zum Beispiel die des Privatmannes (Vater oder Ehemann sein); er ist beinahe ständig in der Rolle des Politikers.
Die neuen Medien ermöglichen dem Publikum die sogenannte „Seitenbühnen-Perspektive“ einzunehmen.21 Aus der Veröffentlichung der Seitenbühne ergeben sich neue Aufgaben für den Politiker. Daher geht Meyrowitz davon aus, dass sich der politische Akteur nun in allen Bereichen konsistent verhalten muss. Das bedeutet, er kann seine Rolle als Politiker nicht länger ablegen und um zu bestehen muss er in der Lage sein ständig und spontan mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
[...]
1 Vgl. Meng, Richard: Der Medienkanzler. Was bleibt vom System Schröder? Frankfurt am Main 2002, S.8.
2 Meyrowitz, Joshua: Die Fernseh-Gesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter, Weinheim 1987, S. 22.
3 Vgl. ebd., S. 25.
4 Vgl. ebd., S. 31ff.
5 Vgl. ebd., S. 33.
6 Vgl. ebd., S. 34f.
7 Ebd., S.34.
8 Vgl. ebd..
9 Vgl. ebd., S. 40f.
10 Vgl. ebd., S. 45ff.
11 Ebd., S. 46.
12 Vgl. ebd., S. 48.
13 Vgl. ebd., S. 48.
14 Vgl. ebd., S. 51f.
15 Vgl. ebd., S. 52ff.
16 Vgl. ebd., S. 53.
17 Ebd., S 21.
18 Vgl. ebd., S. 182.
19 Vgl. ebd..
20 Ebd..
21 Vgl. ebd., S. 183.