Innerhalb des Anerkennungsjahrs erlebte ich eine Vielfalt an Beratungsthemen in meiner Praxisstelle. Neben Fragen zur Erziehung, der Klärung schwieriger Familiensituationen und der Behandlung emotionaler Probleme von Kindern nahm die Trennungs- und Scheidungsberatung mit Abstand den größten thematischen Schwerpunkt der Beratungsarbeit ein. Aufgrund der großen Aktualität dieser Thematik möchte ich in meinem Hauptteil des Praxisberichts das Thema „Trennung und Scheidung“ behandeln und hierbei den Fokus auf die Sicht der Kinder legen.
Innerhalb dieses Kapitels werde ich als erstes beleuchten, was es für Kinder bedeuten kann, wenn sich deren Eltern trennen. Als nächstes werde ich die Stadien der kindlichen Trennungsbewältigung aufgreifen und im Anschluss nehme ich Bezug zur Erziehungsberatung – mit welchen Aufgaben sie Kinder bei der Trennung unterstützen kann. Hierzu werde ich unter anderem die in der Praxisstelle angebotene Trennungs- und Scheidungskindergruppe vorstellen und exemplarisch vier Sitzungen anhand der Entwicklung eines teilnehmenden Kindes analysieren. Abschließend werde ich in einem Fazit zusammenfassen, was die Ergebnisse meines Hauptteils für die Arbeit in einer Erziehungsberatungsstelle bedeuten.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ziel und Zweck, Auftrag der Erziehungsberatung
3. Trennungskinder im Blick – Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Kinder und die Rolle der Erziehungsberatung
3.1 Die Bedeutung von Trennung und Scheidung für Kinder
3.2 Stadien der Trennungsbewältigung bei Kindern
3.3 Was hilft Kindern, eine Trennung gut zu bewältigen? – Aufgaben der Erziehungsberatung
3.4 Teilnahme an einer Kinderscheidungsgruppe
3.5 Die Scheidungs- und Trennungskindergruppe in der Praxiseinrichtung
3.5.1 Vorstellung von M.
3.5.2 Erleben von M. in der Kindergruppe
3.6 Fazit für die Arbeit in der Erziehungsberatung
6. Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Trauerphasen der Kinder bei Trennung und Scheidung
Abbildung 2: Kindliche Coping-Strategien bei Trennung und Scheidung
Abbildung 3: Verlauf einer Kindergruppenstunde
1. Einleitung
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Begriff der Beratung erkannte ich, wie vielseitig dieser Ausdruck ist. Sowohl in unserem privaten als auch im beruflichen Umfeld werden wir stets mit Ratschlägen und Beratungen konfrontiert – sei es der Rat eines Freundes, die Zurechtweisung durch einen Kollegen oder die Unterstützung eines Familienangehörigen während einer schwierigen Lebensphase. Dieser informellen alltäglichen Beratung steht die formalisierte Beratung gegenüber. Die formelle Beratung zeichnet sich dadurch aus, dass sie in institutionelle, rechtliche, ökonomische und berufsethische Rahmenbedingungen eingebettet ist, innerhalb derer die anstehenden Aufgaben, Probleme und Konflikte dialogisch bearbeitet und geklärt werden (vgl. Deutsche Gesellschaft für Beratung, S. 3). Des Weiteren beruht das Beratungsverständnis auf einer theoretischen und methodischen Grundlage, die von qualifizierten Berater*innen ausgeübt wird. Sie hat in einem zwischenmenschlichen und zeitlich begrenzten Prozess die Aufgabe, den Ratsuchenden mehr Klarheit über ihre Probleme und deren Bewältigungsmöglichkeiten zu schaffen, indem persönliche Erfahrungen und subjektiv geprägte Sichtweisen der Beratenen reflektiert werden (vgl. ebd., S. 5f.). Abhängig von den zu bewältigenden Anforderungen, Problemlagen und Krisensituationen der Ratsuchenden, reicht das Beratungsangebot unter anderem von der Erziehungsberatung, bis hin zur Paar-, Berufs- oder Schuldnerberatung. Diese Vielfalt sowie der vermehrte Bedarf an professioneller Beratung zeigt sowohl die hohe Relevanz des pädagogischen Handlungsfeldes Beratung auf als auch Veränderungen von Lebensformen, Werten und Normen (vgl. ebd., S. 4).
Eine Vielfalt an Beratungsthemen erlebte ich ebenfalls innerhalb des Anerkennungsjahrs in meiner Praxisstelle. Neben Fragen zur Erziehung, der Klärung schwieriger Familiensituationen und der Behandlung emotionaler Probleme von Kindern, nahm die Trennungs- und Scheidungsberatung mit Abstand den größten thematischen Schwerpunkt der Beratungsarbeit ein. Aufgrund der großen Aktualität dieser Thematik möchte ich in meinem Hauptteil des Praxisberichts das Thema „Trennung und Scheidung“ behandeln und hierbei den Fokus auf die Sicht der Kinder legen. Innerhalb dieses Kapitels werde ich als erstes beleuchten, was es für Kinder bedeuten kann, wenn sich deren Eltern trennen. Als nächstes werde ich die Stadien der kindlichen Trennungsbewältigung aufgreifen und im Anschluss nehme ich Bezug zur Erziehungsberatung – mit welchen Aufgaben sie Kinder bei der Trennung unterstützen kann. Hierzu werde ich unter anderem die in der Praxisstelle angebotene Trennungs- und Scheidungskindergruppe vorstellen und exemplarisch vier Sitzungen anhand der Entwicklung eines teilnehmenden Kindes analysieren. Abschließend werde ich in einem Fazit zusammenfassen, was die Ergebnisse meines Hauptteils für die Arbeit in einer Erziehungsberatungsstelle bedeuten.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Formulierungen, die auf geschlechtliche Aspekte abzielen, sowohl für Frauen, Männer als auch jene gelten, die sich geschlechtlich davon separieren.
2. Ziel und Zweck, Auftrag der Erziehungsberatung
Zur Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortung steuert das Jugendamt alle Hilfen zur Erziehung, worunter auch die Leistung „Erziehungsberatung“ fällt. Die Erziehungsberatung ist eine im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgelegte psychosoziale Dienstleistung der Jugendhilfe und soll gemäß §28 SGB VIII
„Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme der zugrundeliegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen. Dabei sollen Fachkräfte verschiedener Fachrichtungen zusammenwirken, die mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen vertraut sind“ (§28 SGB VIII).
Im Vergleich zu den anderen erzieherischen Hilfen wird sie jedoch nicht förmlich durch das Jugendamt gewährt. Das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) legte im Jahr 2005 fest, dass Erziehungsberatung von Eltern und Kindern direkt, ohne Gewährung der Hilfe durch das Jugendamt, in Anspruch genommen werden kann: „[…] der Träger der öffentlichen Jugendhilfe [soll] die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung, zulassen.“ (vgl. §36a Abs. 2, Satz 1, SGB VIII). Somit kann die Erziehungsberatung als „niedrigschwellige“ Leistung beschrieben werden, wodurch Eltern und andere Erziehungsberechtigte die Unterstützung durch Beratung direkt in Anspruch nehmen können, ohne bürokratische Hürden (vgl. Menne 2005, S. 242).
Nach §27 haben Personensorgeberechtigte Anspruch auf erzieherische Hilfen, wenn sie selbst eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung nicht gewährleisten können. §28 des KJHG implementiert Erziehungs- und Familienberatung als eine solche, mögliche Hilfe. Die Praxiseinrichtung bietet ihr Unterstützungsangebot für Eltern und deren Kinder an, sowie für alle Personen darüber hinaus, die mit der Erziehung oder Betreuung der Kinder oder Jugendlichen befasst sind. Mit ihnen wird gemeinsam nach Wegen und Möglichkeiten gesucht, die vorhandenen persönlichen, familiären oder erzieherischen Schwierigkeiten zu lösen. Wie im Leitbild der Praxiseinrichtung festgehalten, verfolgt die Beratungsstelle das Ziel, mit ihrer Tätigkeit die Eltern, Kinder und Jugendliche in der Erziehung und Entwicklung zu unterstützen. Dabei steht besonders die Hilfe zur Selbsthilfe im Fokus, damit „Eltern und die jungen Menschen für sich selbst und für einander Verantwortung tragen können“ (11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, S. 42).
Die Arbeit in der Praxiseinrichtung, wie auch in jeder anderen Erziehungsberatungsstelle, unterliegt den folgenden vier Grundprinzipien:
- Freiwilligkeit:
Die Bereitschaft, sich in den Prozess einer Veränderung von Einstellungen, Verhalten oder familiärer Beziehungen zu begeben, können oft nur auf der freien Entscheidung der Ratsuchenden gründen. Empfehlungen von wichtigen Bezugspersonen oder Einrichtungen können Druck erzeugen, ebenso wie amtliche Maßnahmen oder drohende Sanktionen (Nicht-Versetzung, gerichtliche Anordnungen, etc.), sind aber manchmal erforderlich, um den betroffenen Familien die Notwendigkeit einer Unterstützung deutlich zu machen. Der Druck von außen sollte jedoch in eine eigene Fragestellung der Betroffenen sowie in eine innere Motivation umgewandelt werden, damit sich ein erfolgversprechender Beratungskontakt entwickeln kann.
- Direkter Zugang (Niedrigschwelligkeit):
Obwohl Erziehungsberatung im SGB VIII zu den Hilfen zur Erziehung gehört, die vom zuständigen Jugendamt eingeleitet werden, ist die Inanspruchnahme der Beratungsstelle ohne Zugangsbeschränkungen oder bürokratische Hürden möglich. Nur wenn die Überweisung in die Beratungsstelle durch das Jugendamt erfolgte oder die Erziehungsberatungsstelle eine Form von Kindeswohlgefährdung feststellt, wird das Jugendamt eingeschaltet und weitere Hilfen durch das Jugendamt koordiniert.
- Verschwiegenheit:
Durch die Verschwiegenheitspflicht (§203 StGB) der Berater*innen ist der Vertrauensschutz der Ratsuchenden gewährleistet, welcher Voraussetzung eines positiven Veränderungsprozesses ist. Die Weitergabe von Informationen über die Lage der Betroffenen oder über Beratungsinhalte ist nur dann zulässig, wenn die Betroffenen in Form einer Schweigepflichtentbindung ihr Einverständnis gegeben haben oder wenn die Berater*innen aufgrund des Verdachts einer Kindeswohlgefährdung verpflichtet sind, das Jugendamt hinzuzuziehen.
- Kostenloses Beratungsangebot:
Die Klient*innen müssen in keiner Form für die Kosten der Beratung aufkommen. Alle fallbezogenen Leistungen der Beratungsstelle, Koordinationsaufgaben oder präventive Aktivitäten werden für die Ratsuchenden kostenfrei erbracht. Oftmals weisen die Beratungsstellen jedoch auf die Möglichkeit einer Spende hin, um beispielsweise den Förderverein der Einrichtung zu unterstützen (vgl. Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung in Hessen e.V.).
3. Trennungskinder im Blick – Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf Kinder und die Rolle der Erziehungsberatung
Seit dem Jahr 2003, in dem die Scheidungszahlen in Deutschland seit Jahrzehnten ihren Höchststand1 erreichten, ist ein leichter Abstieg der Scheidungen zu verzeichnen. Trotz dieses Rückgangs lag die Scheidungsquote im Jahr 2017 noch immer bei erheblichen 34,06%, was 153.501 der geschlossenen Ehen ausmacht (vgl. Statista 2018). Durch die Scheidungen sind neben den Erwachsenen auch diejenigen betroffen, die sich am wenigsten dagegen wehren können: die Kinder. Im Jahr 2017 gab es 123.563 sogenannte „Scheidungskinder“2, die minderjährig waren (vgl. Statistisches Bundesamt 2018). Eine große Anzahl der Trennungs- und Scheidungskinder sind einem hoch eskalierenden elterlichen Konflikt ausgesetzt. Die Klärung sorge- oder umgangsrechtlicher Fragen scheitern regelmäßig in Fällen einer „hochstrittigen“ Elternschaft. Aus dem anhaltenden hohen Konfliktniveau der Eltern können erhebliche Risiken für die Entwicklung der betroffenen Kinder resultieren, die über die Jahre hinweg in eine tatsächliche Gefährdung des Kindeswohls münden (vgl. Dietrich u.a. 2010, S. 7). Um die problematischen, intrafamiliären Folgen eskalierender Elternkonflikte zu minimieren, kommt neben den juristischen Professionen auch der Jugendhilfe die Aufgabe zu, die Konflikthaftigkeit der elterlichen Beziehung frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam werden mit den betroffenen Familien passgenaue, an ihrer Situation ausgerichtete Hilfen entwickelt (vgl. ebd.).
Nach § 17 SGB VIII haben Mütter und Väter im Rahmen der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung im Falle einer Trennung und Scheidung. Der Erziehungsberatung kommt hierbei die Aufgabe zu, „ […] Bedingungen für eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Wahrnehmung der Elternverantwortung zu schaffen.“ (§17 SGB VIII, Abschnitt 1, Satz 3). Weiterhin sind
„ […] Eltern unter angemessener Beteiligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung zu unterstützen. “ (§ 17 SGB VIII, Abschnitt 2).
Die Aktualität der Thematik Trennung und Scheidung spiegelt sich auch in den Beratungsthemen der Praxiseinrichtung wider. Im Jahr 2017 kamen 147 Klienten mit dem Beratungsbedarf zum Thema „Trennung und Scheidung“ in die Beratungsstelle, was das häufigste Beratungsthema mit 30% aller Klienten*innen ausmacht. Hier fällt, im Vergleich zum Vorjahr, ein Anstieg (um 3,6%) dieses Beratungsthemas auf (vgl. Jahresbericht Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche 2017, S. 17). Aufgrund der großen Aktualität sowie der hohen Präsenz der Thematik in der Praxiseinrichtung, wird im Weiteren das Thema Trennung- und Scheidung im Kontext der Erziehungsberatungsstelle beleuchtet. Da der Rahmen des Praxisberichts keine allumfassende Behandlung des Themas zulässt, wird der Blick ausschließlich auf die Trennungs- und Scheidungskinder gelegt. Dabei soll geschaut werden, was eine Trennung der Eltern für Kinder bedeutet und welche Aufgabe der Erziehungsberatung zukommt. Der Schwerpunkt wird hierbei auf der Trennungs- und Scheidungskindergruppe liegen, die einmal im Jahr in der Beratungsstelle in A-Stadt angeboten wird.
3.1 Die Bedeutung von Trennung und Scheidung für Kinder
Die Trennung und Scheidung der Eltern kann für Kinder ein äußerst krisenhaftes Lebensereignis darstellen, das eine Reihe an individuellen, sozialen und materiellen Veränderungen mit sich bringt. Um diese Veränderungen bewältigen zu können, erfordert es von den Kindern und Jugendlichen einen intensiven und mitunter langen Anpassungsprozess (vgl. Dietrich u.a. 2010, S. 19). Die Kinder fühlen sich oft von dem „gehenden Elternteil“ – auch nicht selten von beiden Elternteilen – verlassen, wodurch ihr Sicherheitsgefühl sowie ihr Selbstwerterleben tief erschüttert werden kann. Ohnmacht und das Gefühl, die aktuelle Situation nicht unter Kontrolle zu haben, erzeugen Ängste (vgl. Hötker-Ponath 2008, S. 21). Der Auszug eines Elternteils wird von den Kindern meist als markantester Punkt im Trennungsgeschehen wahrgenommen (vgl. Oberndorfer 2008, S. 33). Die Kinder stehen in dieser Phase vor der Aufgabe, ihre Beziehungen innerhalb der Familie neu zu gestalten und ihre Rolle in der Familie neu zu definieren (vgl. ebd). Aufgrund der meist noch ungeklärten Situation zwischen den Eltern, wird die Trennungsphase von den Kindern meist als unbeständige und strukturlose Zeit wahrgenommen, in der sie mit ihren verletzten Gefühlen und Enttäuschungen kaum umgehen können (vgl. Thöne-Jäpel 1997, S. 143).
Die Kinder wollen ihren Eltern die Konfrontation mit ihren Ängsten und Nöten ersparen, um sie in dieser schwierigen Zeit nicht noch mehr zu belasten. Daher sind auffällige Reaktionen der Kinder in der Regel „gesünder“ als unauffällige. Dies ist für die Trennungseltern oft schwer zu ertragen, da sie in der Regel selbst sehr belastet sind und den Blick für die Sorgen und Nöte ihrer Kinder verlieren, besonders wenn sich die Jüngsten zurückziehen. Deshalb ist es wichtig, die Eltern darüber aufzuklären, dass die Kinder mit verändertem auffälligem Verhalten angemessen auf die neue Lebenssituation reagieren. Die Reaktionen der Kinder sind individuell, altersmäßig unterschiedlich und von der Art des Trennungsgeschehens abhängig (vgl. Hötker-Ponath 2008, S. 22).
Eine Kölner Langzeitstudie3 untersuchte 1997 die Symptombelastung bei Kindern in Trennungsfamilien. Die Ergebnisse der Studie bestätigten bisherige Forschungsergebnisse: Kinder sind im Vorschul- und frühen Grundschulalter besonders durch eine Trennung der Eltern belastet. Die Kinder in diesem Alter registrieren familiäre Veränderungen ganz genau und sind emotional hoch betroffen. Aufgrund ihres egozentrischen Weltbildes neigen viele Kinder in dieser Altersstufe dazu, sich selbst die Verantwortung für die Trennung zu geben und Schuldgefühle zu entwickeln. Erst ab ca. acht bis zehn Jahren können Kinder die Trennung der Eltern realitätsgerechter interpretieren und differenzieren (vgl. Hötker-Ponath 2008, S. 22). Die Ergebnisse weiterer Langzeitstudien haben aufgezeigt, dass Mädchen und Jungen auf die Trennung ihrer Eltern unterschiedlich reagieren. Jungen haben oftmals das Gefühl, ihre Emotionen wie Schwäche, Angst oder Verzweiflung nicht so sehr ausdrücken zu dürfen. Aufgrund des hohen Anteils an alleinerziehenden Müttern4, fehlen Mädchen häufig Erfahrungen im Umgang mit dem andersgeschlechtlichen Elternteil, wohingegen Jungen unter der fehlenden kontinuierlichen Identifizierungsmöglichkeit mit dem männlichen Elternteil leiden (vgl. Jaede u.a. 1996, S. 9). Auch geraten Jungen leichter in die Rolle des Partnerersatzes, die sie überfordert und in einen Rollenkonflikt gegenüber der Mutter bringt.
Bezüglich des zeitlichen Verlaufs der Trennungsbewältigung konnte die Kölner Untersuchung ebenfalls Ergebnisse aufzeigen. Die anfängliche Zeit unmittelbar vor und nach der räumlichen Trennung wird als eine hochbelastete und konfliktreiche Phase angesehen. Besonders in dieser Zeit braucht das Kind einfühlsame und geduldige Eltern. Eine Trennung bedeutet jedoch nicht, dass die Kinder veränderte Familiensituation langfristig nicht bewältigen können. Die Kölner Untersuchung zeigte auf, dass sich die Symptombelastung im Laufe der Jahre vermindert, wobei es sehr individuelle Entwicklungen gibt. Die sozial-emotionalen Beziehungssysteme strukturieren sich um und im weiteren Verlauf erfolgt eine Reorganisation und Stabilisierung des neuen Familiensystems. Trennungsfamilien benötigen bis zu sechs Jahre zur Bewältigung und Wiederanpassung an die neue Lebenssituation (vgl. Sander 2002).
Dabei kommt der Erziehungsberatung die Aufgabe zu, die Eltern für die Situation und das Empfinden ihrer Kinder zu sensibilisieren. Es reicht jedoch nicht aus, sich im Rahmen der Trennungsberatung auf die Eltern zu konzentrieren, denn auch die Interessen und Bedürfnisse der Kinder müssen in den Fokus rücken (vgl. Dietrich u.a. 2010, S. 27).
3.2 Stadien der Trennungsbewältigung bei Kindern
Neben den Einflüssen auf familialer Ebene oder des sozialen Umfelds, die nach der Trennung auf Kinder einwirken, gibt es Faktoren, die beim Kind selbst wirken. Dazu zählt die Bewältigung von Stress und Trauer. Im Verlauf der Bewältigung des Trennungsgeschehens verspüren die Kinder meist eine starke Trauer – besonders über die Auflösung des ursprünglichen Familiensystems und den „Verlust“ des ausziehenden Elternteils. Weiterhin können Geschehnisse im Trennungsprozess als Stressoren auf das Kind einwirken, wie z.B. Loyalitätskonflikte oder das Involviertsein in Streitigkeiten zwischen den Eltern (vgl. Meyer 2013, S. 37).
Dass trauernde Menschen verschiedene Phasen der Bewältigung durchleben, wurde unter anderem von Kast (2008) beschrieben. Wolfgang Jaede (2006, S. 40) überträgt diese Phasen auf Kinder, die von Trennung und Scheidung betroffen sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Leugnen und nicht wahrhaben wollen
Manche Kinder agieren zu Beginn so, als ob die Trennung gar nicht stattgefunden hätte. Das Leugnen hilft den Kindern zu Beginn, um mit dem Verlust fertig zu werden. Die Kinder klammern dabei die Wirklichkeit aus ihrem Bewusstsein aus. Dies deutet auf eine große Betroffenheit des Kindes hin, vor der es sich zu schützen versucht. Erst wenn das Kind in seinem Selbstbewusstsein ausreichend gestärkt ist, kann es sich mit der Tatsache der endgültigen Trennung auseinandersetzen (vgl. Jaede 2006, S. 40).
2. Protest und Aggression
Wenn das Ereignis der Trennung nicht mehr zu leugnen ist, beispielsweise wenn ein Elternteil ausgezogen ist, geraten die Kinder zunehmend unter Druck. Ihre Gefühle wie Wut und Aggression, die sie bislang zurückhalten konnten, brechen nun auf und richten sich direkt gegen die Eltern. Auch wenn es für Eltern schwierig sein kann, diese Aggressionsphase der Kinder auszuhalten, befreit sie die Kinder von inneren Spannungen und aus der anfänglichen Lähmung (vgl. ebd.).
3. Hoffnung und Verhandlung
Die Phase der Hoffnung und Verhandlung kann auch Jahre nach der Trennung auftreten, wenn sich Kinder wünschen, dass ihre Eltern wieder zusammenkommen. Erst wenn die Trennung für beide Elternteile eindeutig ist, können sich die Kinder darauf einstellen und sie innerlich akzeptieren. Viele Kinder sind nach einer klaren Entscheidung der Eltern eher erleichtert, da sie die Klarheit über die aktuelle Situation erhalten, wenn diese auch sehr schmerzlich ist (vgl. Jaede 2006, S. 40).
4. Trauer und Versöhnung
Die Kinder trauern nicht nur über den Weggang eines Elternteils (zu dem in der Regel weiterhin Kontakt besteht), sondern auch über den Verlust der ‚Elternschaft‘ und der ‚vollständigen Familie‘. Mit der Trauer erfolgt nicht nur die gefühlsmäßige Auflösung des Trennungsschmerzes, sondern auch das Ideal der vollständigen Familie. Das Kind akzeptiert nun, dass es zwei auf Dauer getrennte und unabhängige Familien hat, die sich nicht im Weg stehen und nicht mehr ausschließen (vgl. ebd.).
Im Rahmen der Stadien der Trennungsbewältigung haben Kinder unterschiedliche Strategien, mithilfe derer sie versuchen, die neue Familiensituation zu verarbeiten. Wolfgang Jaede, Jürgen Wolf und Barbara Zeller-König beschreiben sogenannte Coping-Strategien, die Trennungs- und Scheidungskinder hierfür anwenden. Dabei unterscheiden die Autoren zwischen defensiven Strategien, die zur Vermeidung und dem eigenen Schutz dienen, sowie den aktiven Problemlösestrategien, die dem Kind helfen, sich mit den Anforderungen und Stresssituationen aktiv auseinanderzusetzen. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Kinder zu einem Zeitpunkt mehrere Coping-Strategien benutzen können (vgl. Jaede u.a. 1996, S. 20).
[...]
1 Im Jahr 2003 lag die Zahl der geschiedenen Ehen bei 213.975 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/228/umfrage/anzahl-der-ehescheidungen-seit-1990/).
2 Die Zahl der minderjährigen Trennungskinder ist hierbei nicht mitberücksichtigt.
3 Die Beschreibung der Studie ist nachzulesen unter: https://www.psychdata.de/index.php?main=search&sub=browse&id=stuh96ko20&lang=ger
4 2016 gab es 1,6 Millionen Alleinerziehende, davon waren 1,4 Millionen alleinerziehende Mütter und 182.000 alleinerziehende Väter. Somit wuchsen circa 90% der Trennungs- und Scheidungskindern ohne den leiblichen Vater auf. (vgl. https://www.bmfsfj.de/blob/119524/f51728a14e3c91c3d8ea657bb01bbab0/familienreport-2017-data.pdf, S. 18)