Warum heutzutage noch immer das traditionelle Familienmodell im Vordergrund steht wird im Laufe dieser Arbeit anhand verschiedener, miteinander kombinierbarer Theorien und Modelle versucht zu erklären und kritisch zu hinterfragen und abschließend in einer Zusammenfassung nach eigener Auswahl erläutert.
Zwar hat man häufig den Eindruck, dass durch die zunehmende Individualisierung und die Normalisierung der Scheidung die Familienmodelle eine hohe Vielzahl erreicht haben und auch die Arbeitsteilung immer individueller wird, jedoch ist es statistisch gesehen tatsächlich so, dass das traditionelle Familienmodell der Eltern-Kind-Gemeinschaft inklusive dieser Arbeitsteilung entsprechend dem 16. Jahrhundert in Deutschland noch immer vorherrschend ist.
Inhalt
1. Begriffe des Familienmodells und der Individualisierung
2. Aktualität des Themas
3. Ressourcen als Grundlage des Modells
3.1 New-home-economics
3.2 Ökonomische Verhandlungstheorie
4. Institutionelle Bedingungen
4.1 Wohlfahrtsstaaten
4.2 Gesetzliche Rahmenbedingungen
5. Normen als Grundlage – Doing gender
5.1 Kompensationshypothese
5.2 Identitätsformationsmodell
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Begriffe des Familienmodells und der Individualisierung
Zur Klärung der Forschungsfrage, warum trotz der fortlaufenden Individualisierung heute noch das traditionelle Familienmodell in Deutschland vorherrschend ist, müssen zuerst einmal die Begrifflichkeiten der Familie, des Familienmodells und der Individualisierung geklärt werden.
Generell kann man sagen, dass es für das Wort „Familie“ je nach Forschungsgebiet, Kultur, persönlicher Ansicht und Sozialhistorie zu viele unterschiedliche Definitionen gibt, um sich auf eine Erklärung festzulegen. Da wir uns in der Sozialforschung befinden, verwende ich im Rahmen dieser Seminararbeit den Konsens der deutschen Familienforschung, in der das Konzept der Lebensformen entscheidend ist für die Beschreibung als „Eltern-Kind-Gemeinschaft“ (Konietzka, Kreyenfeld 2013: 257). Lebensformen sind hier „relativ stabile Beziehungsmuster der Bevölkerung im privaten Bereich“ in „Form des Allein- oder Zusammenlebens [mit oder ohne Kinder]“ (Niemeyer, Voit 1995: 437). Partnerschaft und Ehe ohne Kinder sind hier von der Definition ausgeschlossen und in der Arbeit auch irrelevant. Ein Ausblick in die Soziologie zeigt, dass hier ein wichtiges Merkmal der Familie ist, dass sie gesellschaftliche Funktionen wie Sozialisierung erfüllt und damit eine haushaltsunabhängige Institution darstellt (Nave-Herz 2004: 30). Dort sind also auch haushaltsübergreifende Eltern- und Paarbeziehungen inbegriffen, die hier jedoch ebenso keine Rolle spielen. Mithilfe dieser Festlegung kann man also das traditionelle Familienmodell erklären, das darauf beruht, dass in besagter Hausgemeinschaft der Mann als Haupt- oder Alleinverdiener arbeiten geht und die Frau die Elternzeit in Anspruch nimmt und danach entweder in Teilzeit arbeiten geht oder sich ganz um die Kinder und den Haushalt kümmert. Betrachtet werden hier also die drei Arbeitsfelder Hausarbeit, Kindererziehung und Erwerbsarbeit. Diese innerfamiliale Arbeitsteilung wandelt sich aber auch im Laufe der Beziehung; wie der Mann vor der Heirat noch einige Aufgaben im Haushalt übernimmt, so werden diese im Beziehungsverlauf immer weniger (Schulz, Blossfeld 2006: 24 ff.). Auch die Geburt eines Kindes wird zum bedeutenden Einschnitt in der Arbeitsteilung und zwar insofern, dass durch die abrupte Änderung des Aufgabenfeldes der Frau in Form der Mutterrolle erhebliche Zeitverschiebungen und erhöhte Einkommensbedürfnisse entstehen (Blossfeld 2007: 166 ).
Die Begrifflichkeit der Individualisierung drückt hier aus, dass eine „gesellschaftliche Dynamik“ stattfindet (Rüling 2007: 13) und die Anzahl und die Akzeptanz gegenüber alternativen Lebensformen wie etwa Alleinerziehenden, homosexuellen Paaren oder Singlehaushalten in Deutschland stetig ansteigt, oder wie Beck sagt: „Der oder die Einzelne selbst wird zur lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen.“ (Beck 1986: 209) Bezüglich der innerfamilialen Arbeitsteilung kann dies beispielsweise bedeuten, dass alternative Arbeitsteilungsformen wie der Fall, dass die Frau Vollzeit arbeiten geht und der Mann die Kinder betreut, heutzutage verbreitet ist. Dies geht auch mit einer Pluralisierung der Lebensformen einher, worauf hier jedoch nicht
Das Modell der traditionellen Familie ist seit der Moderne um das 16. Jahrhundert herum in Europa und auch Deutschland vorherrschend; die besondere Arbeitsteilung hat sich seit den 1960er Jahren zwar insofern etwas zurück- bzw. weitergebildet, dass seitdem die Frau oft als Mitverdienerin fungiert, doch die Grundidee des Mannes als Hauptverdiener hat sich nicht verändert. Zwar hat man häufig den Eindruck, dass durch die zunehmende Individualisierung und die Normalisierung der Scheidung die Familienmodelle eine hohe Vielzahl erreicht haben und auch die Arbeitsteilung immer individueller wird, jedoch ist es statistisch gesehen tatsächlich so, dass das traditionelle Familienmodell der Eltern-Kind-Gemeinschaft inklusive dieser Arbeitsteilung entsprechend dem 16. Jahrhundert in Deutschland noch immer vorherrschend ist (Mikrozensus 2014).
Warum das so ist, wird im Laufe dieser Arbeit anhand verschiedener, miteinander kombinierbarer Theorien und Modelle versucht zu erklären und kritisch zu hinterfragen und abschließend in einer Zusammenfassung nach eigener Auswahl erläutert. Dabei werden zuerst die grundlegenden Bedingungen wie Ressourcen als Grundlage dafür beleuchtet, anschließend die rahmenden institutionellen Bedingungen innerhalb Deutschlands miteinbezogen und zuletzt die speziell in der hier behandelten Familienform geltenden Normen auf Basis des Doing-gender-Modells behandelt.
2. Aktualität des Themas
Dass das traditionelle Familienmodell in Deutschland noch immer vorherrschend ist, zeigt der Mikrozensus von 2014:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Statistisches Bundesamt (2014)
Darin ist zu erkennen, dass Ehepaare und Lebensgemeinschaften mit minderjährigen Kindern zusammen 79,6% der Familien mit Kindern stellen und nur 20,3% alleinerziehend sind. Inwiefern sich dies auf die Arbeitsteilung des Paares untereinander auswirkt, lässt sich ebenfalls durch Erhebungen des statistischen Bundesamtes nachweisen: Demnach verbringen Männer durchschnittlich 288 Minuten täglich mit Erwerbsarbeit, an zweiter Stelle des Zeitaufwandes kommt Freizeit und an dritter Stelle Soziales. Bei Frauen sind das Soziale und die Erwerbsarbeit vertauscht in ihren Rangfolgen (Statistisches Bundesamt 2004: 73). Für die Kinderbetreuung bringen Frauen einer weiteren Studie zufolge täglich 105 Minuten auf, Männer dagegen 51 Minuten (Statistisches Bundesamt 2015: 10). Männer haben täglich im Schnitt sechs Stunden Freizeit, Frauen fünf und eine dreiviertel Stunde (ebd.: 25). Mit unbezahlter Arbeit, also Hausarbeit, verbringen Frauen durchschnittlich 29,5 Stunden pro Woche, Männer 19,25 Stunden (ebd.: 7). All diese Daten unterstützen die Annahme, dass die traditionelle Arbeitsteilung in Deutschland unter Paaren mit Kindern noch immer weit verbreitet ist.
Auch, dass die Individualisierung immer mehr an Bedeutung zugenommen hat in den zehn Jahren von 2004 bis 2014, lässt sich belegen. So lebten 2014 rund 20,4 Millionen Paare zusammen in Deutschland, 18 Millionen Alleinstehende lebten zu 89% alleine und 2,7 Millionen Menschen waren alleinerziehend. Im Jahr 2014 hatte sich die Zahl der Alleinstehenden um 16% erhöht, die Zahl der Lebensgemeinschaften stieg um 18%, die der Alleinerziehenden um 8%. Die Zahl der Eheschließungen ging um 8% zurück (Statistisches Bundesamt 2016: 43 f.). Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass immer mehr Menschen auf partnerschaftliches Zusammenwohnen verzichten und dadurch natürlich auch die Form der Arbeitsteilung untereinander wegfällt. Dieser Trend der Individualisierung setzt sich nun zwar schon seit einigen Jahren stetig fort, jedoch ist das traditionelle Familienmodell einschließlich der traditionellen Arbeitsteilung ja noch immer vorherrschend in Deutschland und daher der Schwerpunkt dieser Arbeit
3. Ressourcen als Grundlage des Modells
3.1 New-home-economics
Um das Familienmodell hinreichend erklären zu können, betrachtet man zuerst die Grundlagen jeder Gemeinschaft und Institution; die Ressourcen. Die ökonomische Theorie der Familie, auch new-home-economics genannt (Becker 1998), besagt, dass die Mitglieder eines Haushaltes ihre Arbeitsteilung spezialisieren, um den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Die Spezialisierung wird durch rationale Wahl auf Basis von Ressourcen und Humankapital wie Wissen, Können und Zeit festgelegt. Dabei wird die maximale Spezialisierung als bester Fall angesehen, was bedeutet, dass durch die Anforderung des maximalen Nutzens sich auch bei Paaren mit geringen Ressourcenunterschieden eine spezifische Aufteilung entwickelt. Diese ist von Grund auf geschlechtsneutral, was so gesehen noch keine Erklärung für das traditionelle Familienmodell darstellt. Jedoch ergibt sich durch die rationale Wahl und die unterschiedliche Ressourcenaufteilung automatisch, dass der Partner mit dem niedrigeren Einkommen die Hausarbeit übernimmt, damit sich derjenige mit dem höheren Einkommen voll und ganz auf die Erwerbsarbeit konzentrieren kann. Bei gleichem Einkommen findet dennoch eine Spezialisierung abhängig vom Haushaltsnutzen statt. Dadurch, dass jedoch Frauen meist von Haus aus weniger verdienen als Männer und sich meist auch Männer mit einem höheren Status auf dem Arbeitsmarkt suchen (Klenner, Schäger 2001: 5), übernimmt die Frau in der Regel auch aus monetären Gründen die Hausarbeit. Durch die Geburt eines oder mehrerer Kinder wird die Spezialisierung erhöht, da hierdurch noch mehr Aufgaben zu erledigen sind, die aufgeteilt werden müssen. Hierbei übernimmt meist die Frau die Kindererziehung, da der Mann sich ja aus rationaler Wahl heraus auf die Erwerbsarbeit konzentriert und daurch weniger monetäre Verluste anfallen. Dieser Theorie zufolge ist der Traditionalisierungsprozess also die unintendierte Folge einer rein rationalen Wahl der Eheleute, die je nach Einkommensverhältnis, also zumeist zu Gunsten des Mannes ausfällt.
Kritisieren könnte man diese Theorie damit, dass man bei der Aufgabenteilung bestimmt nicht nur danach entscheidet, wie viele Ressourcen wie beispielsweise Zeit man zur Verfügung hat, sondern vor allem auch danach, was man persönlich gerne machen möchte und was nicht. Dadurch entstehen Interessenskonflikte und die Theorie der rationalen Wahl ist hier teilweise widerlegt. Des Weiteren gibt es auch in vielen Ressourcen homogene Paare, nicht nur beim Einkommen beispielsweise. Dabei gestaltet sich die Aufgabenteilung schwierig und ist oftmals ebenfalls nicht bzw. nicht nur durch rationale Wahl zu erklären.
Ein Stück weit kann man diese Theorie also bestimmt zur Erklärung des Fortbestehens des traditionellen Familienmodells heranziehen, jedoch liegen ihre Grenzen hier bei den individuellen Wünschen der Partner und der Homogenität in bestimmten Aufgabenbereichen wie beispielsweise bei gleichem Einkommen. Auf diese Aspekte geht teilweise die ökonomische Verhandlungstheorie ein.
3.2 Ökonomische Verhandlungstheorie
Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die ökonomische Verhandlungstheorie, die voraussetzt, dass Hausarbeit generell der unbeliebtere Teil der Arbeitsteilung ist und die Erwerbsarbeit als erstrebenswerter angesehen wird (Ott 1992). Daher sehen Paare nicht wie bei der ökonomischen Theorie der Familie den Nutzen der gewinnbringendsten Arbeitsteilung, sondern befinden sich in einer Art dauerhaften Konflikts um die Durchsetzung individueller Interessen auf Basis ökonomischer Ressourcen, also des Einkommens. Dies führt zu einer Verhandlung zwischen den Partnern, bei der derjenige mit dem höheren Einkommen die Verhandlungsmacht besitzt und damit höhere Chancen hat, seine eigenen Wünsche durchzusetzen. Dadurch findet im Laufe der Beziehung im Gegensatz zur ökonomischen Theorie der Familie keine Spezialisierung statt. Da, wie bei der vorhergehenden Theorie bereits gezeigt wurde, dies meistens der Mann ist, macht die Frau gezwungenermaßen die meiste Hausarbeit. Dies muss aber kein Dauerzustand sein, da stetig eine Nachverhandlung stattfindet, bei der die sich aufgrund von Ressourcenverschiebung wandelnde Machtverteilung im Mittelpunkt steht. Die dauerhafte Traditionalisierung entsteht jedoch dann, wenn die Frau beispielsweise durch seinen beruflichen Auf- oder ihren Abstieg, auch etwa durch die Geburt eines Kindes, dauerhaft nicht mit der Ressourcenausstattung des Mannes mithalten kann und damit ihre Verhandlungsmacht stark geschwächt ist. Die Arbeitsteilung resultiert hierbei also aus der Aufteilung des Humankapitals zwischen dem Paar und der damit verbundenen Machtasymmetrie, die auf Bildung und Einkommen beruht. Verdient die Frau mehr, kann sie jedoch der später behandelten Kompensationshypothese zufolge dem Mann gegenüber nicht durchsetzen, dass er mehr Arbeit übernimmt.
Auch bei dieser Theorie wird ab der Elternschaft die Aufgabenverteilung wieder neu ausdiskutiert, da die Interessen und Aufgaben sich mit der Geburt eines Kindes drastisch ändern. Hier ist die Wahrscheinlichkeit einer Traditionalisierung durch den häufigen, wenn auch oft nur kurzfristigen Berufsausstieg der Frau besonders hoch, da sie dadurch weniger monetäre Ressourcen zur Verfügung hat und gleichzeitig öfter und länger zu Hause ist.
[...]