Die Geschichte des Melusinenstoffs in der deutschen Literatur ist von einer altfranzösischen Herkunft gekennzeichnet. In Form der Prosahistorie von Thüring von Ringoltingen wurde die Sage zu einem der populärsten Bücher. Diese beendete er am 28. Januar 1456 und widmete sie dem Markgrafen Rudolf von Hochberg. Thürings von Ringoltingen Adaption lässt sich als eine stark überarbeitete Übersetzung der Versversion von Couldrettes beschreiben.
Thürings von Ringoltingen Übersetzung wurde zur Zeit der Prosaauflösung im Spätmittelalter verfasst. Mit seiner Übersetzung nahm der Melusinenstoff seinen Platz in der deutschen Literatur des 15. Jahrhunderts ein.
Im Gegensatz zu den Vorgängerversionen stellt Thüring von Ringoltingen die Melusine in seiner Übersetzung anders dar. Sie ist nicht mehr dämonisch, sondern eine schöne und dominierende Frau, die ein nicht-menschliches Merkmal besitzt. Die Darstellung der Figur der Melusine in Thürings von Ringoltingen soll Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit sein.
Im Mittelalter erscheint Melusine als eine Mischung aus Mensch und Meerjungfrau in einer Erzählung.
Sie sehnt sich nach Erlösung und sucht einen treuen Ehemann, dem sie verbietet, unter bestimmten Umständen nach ihr zu sehen.
Die Figur der Melusine spielt eine bedeutende Rolle in der Erzählung und ist eine Variante der mythologischen Meerjungfrau und markiert einen langen Zeitraum des mittelalterlichen Glaubens dieser. Solche Figuren kommen regelmäßig in romantischen Werken vor, welche die weibliche Verführung darstellen und gleichzeitig versuchen diese angeborene Bedrohung zu verteidigen. Figuren wie die der Melusine haben meistens die Funktion eines Topos oder eines konventionellen Bildes.
Inhalt
1. Einleitung
2. Melusine
2.1 Geschlechtsidentitat
2.2 Liebesbeziehung zwischen Reymund und Melusine
2.3 Melusines Dominanz und Herrschaft
2.4 Melusine und das Wunderbare
3. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Geschichte des Melusinenstoffs in der deutschen Literatur ist von einer altfranzosischen Herkunft gekennzeichnet. In Form der Prosahistorie von Thuring von Ringoltingen wurde die Sage zu einem der popularsten Bucher.1 Diese beendete er am 28. Januar 1456 und widmete sie dem Markgrafen Rudolf von Hochberg. Thurings von Ringoltingen Adaption lasst sich als eine stark uberarbeitete Ubersetzung der Versversion von Couldrettes beschreiben.
Thurings von Ringoltingen Ubersetzung wurde zur Zeit der Prosaauflosung im Spatmittelalter verfasst. Mit seiner Ubersetzung nahm der Melusinenstoff seinen Platz in der deutschen Literatur des 15. Jahrhunderts ein.2
Im Gegensatz zu den Vorgangerversionen stellt Thuring von Ringoltingen die Melusine in seiner Ubersetzung anders dar. Sie ist nicht mehr damonisch, sondern eine schone und dominierende Frau, die ein nicht-menschliches Merkmal besitzt. Die Darstellung der Figur der Melusine in Thurings von Ringoltingen soll Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit sein.
2. Melusine
Im Mittelalter erscheint Melusine als eine Mischung aus Mensch und Meerjungfrau in einer Erzahlung.
Sie sehnt sich nach Erlosung und sucht einen treuen Ehemann, dem sie verbietet, unter bestimmten Umstanden nach ihr zu sehen.3
Die Figur der Melusine spielt eine bedeutende Rolle in der Erzahlung und ist eine Variante der mythologischen Meerjungfrau und markiert einen langen Zeitraum des mittelalterlichen Glaubens dieser. Solche Figuren kommen regelmaBig in romantischen Werken vor, welche die weibliche Verfuhrung darstellen und gleichzeitig versuchen diese angeborene Bedrohung zu verteidigen. Figuren wie die der Melusine haben meistens die Funktion eines Topos oder eines konventionellen Bildes.4
„Reymundt sahe durch das Loch hineyn / und sahe / daB sein Weib im Bad nacket saB / sie war oberhalb dem Nabel ein schon Weiblich Bild / und von Leib und Angesicht gantz schon / aber von dem Nabel hinab war sie ein grosser langer und ungehewrer Wurmschwantz / als blaw Lasur / und mit weisser Silberfarb tropfflich unter einander gesprengt / als denn ein Schlang gemeinlich gestallt ist.“5 In der zitierten Textstelle erblickt Reymund das erste Mal Melusines wahre Gestalt. Diese ergibt sich aus der Verfluchung ihrer Mutter. Der Schlangen- bzw. Drachenschwanz, der sich an Samstagen bildet, ist ihr Wesensmerkmal und zeigt, dass sie einer anderen Gattung als den des Menschen angehort.6
Thuring versucht in seiner Adaption der Melusine ihr ihre damonische Art, im Gegensatz zu seinen Vorgangern, zu entsagen. Er versucht Melusine als Adlige reprasentabel zu machen und spricht ihr damonische Zuge im gesamten Roman ab. Viel mehr beschreibt er Melusines auBergewohnliche Schonheit, die auf eine auBermenschliche Existenz deutet, die von gottlicher Natur sein muss, und ihre Frommigkeit. Der Schlangenschwanz ist kein Fluch, sondern das, was sie erst zur Spitzenahnin der adligen Familie qualifiziert. Somit ist er nicht ein Zeichen des Bosen, sondern ein von Gott erhaltenes Kennzeichen, das sie von anderen Lebewesen differenziert.7
Die Allmachtigkeit Gottes wird in der Gestalt der Melusine dargestellt und erscheint somit als Teil der gottlichen Schopfung, was sie damit zu Gottes Werk macht.
Melusines Gestalt ist quasi ihr Markenzeichen, betont ihre AuBergewohnlichkeit und hebt sie von allen anderen Frauen ab, was die Geschichte fur den Leser und fur das Publikum anziehend macht.8 Mit Ausnahme von Reymund beziehen alle Figuren ihr Wissen uber Melusine vom Horensagen, was sie ungreifbar macht. Sie wirkt zwar unheimlich, aber ihre AuBergewohnlichkeit wird bestaunt.9
2.1 Geschlechtsidentitat
Zu Beginn der Handlung tritt Reymund auf. Dieser hat seinen Onkel fahrlassig beim Jagen umgebracht und muss nun eine Ausgrenzung aus der Gesellschaft befurchten.10 Sein unhofisches Verhalten schadigt ihn in seiner Geschlechtsidentitat als adeliger Krieger und fuhrt zu einem typischen Motiv in den arthurischen Romanen, die Erzahlstruktur des Doppelweges. Hier verliert der Held durch ein Fehlverhalten seine soziale Position, erwirbt aber nach der Krisenuberwindung sein ritterliches Ansehen wieder und vergroBert dieses. Bei Reymund liegt der Unterschied darin, dass er seinen sozialen Aufstieg durch Melusine erlangt, welche sich unter bestimmten Umstanden selbst als Ehefrau anbietet.
Melusine selbst benotigt auch eine Integration in die Gesellschaft. Diese hat zwar auch einen mannlichen Verwandten getotet, jedoch im Gegensatz zu Reymund mit Vorsatz, woraufhin sie und ihre Schwestern von ihrer Mutter verflucht wurden. Die Mutter stellt die hofische Gesellschaft dar und bestraft Melusines normabweichendes Verhalten. Aufgrund ihrer Gestaltverwandlung muss sich Melusine jeden Samstag zuruckziehen, wodurch sich ihre geschlechtsspezifischen Rollen am Hofe als Ehefrau und Mutter einschranken. Sie muss einen Mann finden, der ihre Bedingung akzeptiert und ihr Verschwinden an Samstagen nicht hinterfragt, was eine massive Beschrankung der eheherrlichen Gewalt des Ehemannes uber die Ehefrau bedeutet.11
Beide Figuren sind zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens in ihrer Geschlechteridentitat geschadigt und stehen wegen normabweichenden Verhalten auBerhalb der hofischen Gesellschaft.12
2.2 Liebesbeziehung zwischen Reymund und Melusine
Die Geschlechterrollen in der Adaption der Melusine von Thuring von Ringoltingen ist von der Stofftradition bestimmt. Der „Melusine“ Thurings von Ringoltingen liegt das Motiv der gestorten Martenehe (erstmals wurde der Begriff von Friedrich Panzer im Jahre 1902 eingefuhrt)13 zugrunde, welches das dominierende Verhaltnis eines nicht ganz menschlichen Lebewesen zu einem Menschen impliziert. In der Melusine ist dieses nicht-menschliche Wesen immer eine weibliche Figur. Unublich zu der mittelalterlichen Zeit steht hier die Frau in der Hierarchie der Geschlechter uber dem Mann.14
Unublich zu anderen Erzahlungen, in denen es um die Liebe in der gestorten Martenehe, die mit Tabus verbunden ist, setzt Thuring von Ringoltingen seinen Fokus nicht darauf. Er stellt das Ziel der Nachkommenschaft und den des Wohlstandes in den Vordergrund und ruckt die sexuelle Seite der Martenehe in den Hintergrund.15
Die Adaption von Thuring von Ringoltingen ist eine klassische Auspragung des Motivs der Martenehe.
In der ersten Begegnung Reymunds und Melusine kann man nur bedingt von einer emotionalen Neigung reden - Reymund ist von seiner Angst eingenommen, nimmt aber trotzdem Melusines Schonheit wahr. Diese Wahrnehmung verschwindet im Laufe des Gespraches und Reymunds Entscheidung eine eheliche Beziehung einzugehen begrundet sich in dem angebotenen Schutz der Melusine. Welches Motiv Melusine bei dieser Handlung verfolgt, ist zunachst unklar. Spater wird aufgedeckt, dass der eigentliche Grund fur das Angebot dieser Ehe die Hoffnung ist, die Verfluchung ihrer Mutter loszuwerden und eine mogliche Erlosung zu erfahren - auf beiden Seiten lasst sich also ein Nutzen aus dieser Ehe ziehen, Reymund in Form von Reichtum und Macht und Melusine in Form von Erlosung. Trotzdem bereitet es Schwierigkeiten, die Beziehung auf eine nutzenorientierte Ebene zu reduzieren, denn der Schmerz, den beide Figuren bei der Trennung verspuren, ware damit nicht zu erklaren. Trotzdem kann nicht die Rede von einer groBen Liebesgeschichte mit vielen Emotionen sein. Aus diesem Grund ist es ratsam, sich nicht auf die Gefuhle der beiden Figuren zu konzentrieren, sondern auf die Ehe an sich.
Die Literatur zur Ehe war Teil des volkssprachlichen Ordnungsschrifttums und war mit Beginn des Buchdrucks weit verbreitet. Gegen die Wende zum 15. Jahrhundert setzte die Diskussion zur Ehe ein und fuhrte im 16. Jahrhundert zu einer Verbreitung von Einzelschriften, die die Voraussetzungen und Bedingungen der Ehe beinhalteten.
Die einzige Bedingung, die Melusine fur die Ehe zwischen ihr und Reymund stellt, ist, dass sie an Samstagen nicht gesehen werden will, ohne dass Reymund diese Bedingung hinterfragt oder sie bricht. Reymund willigt ein und halt sich auch lange Zeit an diese Bedingung. AnschlieBend wird die EheschlieBung mit einer Hochzeit gefeiert.16 Schon vor der Hochzeit gibt Melusine Reymund die richtigen Anweisungen zur Umgehung der Gerichtsverhandlung und zur Grundung ihres gemeinsamen Reichtums. Nacheinander bekommt Melusine dann zehn Kinder und lasst zwischen den Geburten Burgen, Schlosser und Kloster bauen. Mit der Geburt der Kinder wird das Familiengluck illustriert. Melusine nimmt die Funktion der Kindes- und Landesmutter ein, wodurch ein Ungleichgewicht in der Ehe entsteht. Die mannliche Unterlegenheit Reymunds nimmt im Laufe der Handlung weiter zu, da Melusine ihm nicht nur Gluck verspricht, sondern die Verwirklichung dessen selbst in Gang setzt. Melusines aktive Rolle bei der Verwirklichung des Familienglucks scheint kein Anlass zur offentlichen Klage geworden zu sein, da sich ihre Aktivitaten in die Rolle der Hausfrau einbetten lassen. Der Landeserwerb mit der Hirschhaut, welcher durch Melusine geplant und durch Reymund ausgefuhrt wurde, kann man als Modell fur den spateren Landesausbau verstehen. Ausloser fur MutmaBungen wurde Melusines wochentliches verschwinden und ihr damit verbundener Ausbruch aus der mannlichen Kontrolle. Reymunds Bruder weckt in ihm das Misstrauen, Melusine wurde ihm gegenuber Machenschaften planen oder sogar Ehebruch begehen.17 Reymund lasst sich dazu verleiten, der Sache auf den Grund zu gehen und erspaht durch ein Loch in der Badezimmertur Melusines wahre Gestalt. Beide Figuren waren vor ihrer Ehe aus der Gesellschaft auf unterschiedliche Weise ausgeschlossen - Reymund aufgrund der anstehenden Gerichtsverhandlung und Melusine aufgrund der Verfluchung ihrer Mutter. Mit der EheschlieBung ermoglichte sich fur beide eine Integration in die Gesellschaft, allerdings nicht vollstandig. Bei Melusine ist die Integration immer zeitlich bedingt, von Sonnenabend bis Freitag ist sie Teil dieser, samstags jedoch nicht. Eine zeitliche Aufspaltung Reymunds findet nicht statt, er ist jederzeit von der Gesellschaft bestimmt und seine naturliche Seite wird unterdruckt. Das Erblicken der Melusine in der Badewanne kann auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden: Zum einen erblickt Reymund seine eigene weibliche Seite, die er aufgrund der gesellschaftlichen Vorgaben nicht zugelassen hat und auch nicht zulasst, welches zum Bruch seiner Selbstverwirklichung fuhrt und den Blick auf das unausgewogene Verhältnis zwischen ihm und Melusine richtet, in der sie die dominierende Rolle spielt. Melusine ist nämlich diejenige, die alles plant und entscheidet, wodurch Reymund die Rolle eines elften Kindes einnimmt, das sich in den gegebenen häuslichen Umständen verkriecht.
[...]
1 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.14.
2 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.81.
3 Antje SyfuB: Nixenliebe: Wasserfrauen in der Literatur, S.63.
4 Bettine Menke: The Figure of Melusine, S.1.
5 Thuring v. Ringoltingen: Melusine, S.71.
6 Anke Bennholdt-Thomsen / Alfredo Guzzoni: Melusine und andere Wasserfrauen in Yvan Golls Schauspiel und der Lyrik des 20. Jahrhunderts, S.44.
7 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.101.
8 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.103.
9 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.104.
10 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.93
11 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.95.
12 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.96.
13 W. Gunther Rohr: Liebe in Thurings von Ringoltingen Melusine. Die Beziehung Reymonds und Melusines vor dem Hintergrund der zeitgenossischen Ehelehre., S.365.
14 Claudia Steinkamper: Melusine - vom Schlangenweib zur „Beaute mit dem Fischschwanz“, S.88.
15 W. Gunther Rohr: Liebe in Thurings von Ringoltingen Melusine, S.365.
16 W. Gunther Rohr: Liebe in Thurings von Ringoltingen Melusine, S.373.
17 W. Gunther Rohr: Liebe in Thurings von Ringoltingen Melusine, S.374.