In dieser Arbeit sollen die Erkenntnisse der neuen Gehirnforschung für den Fremdsprachenunterricht genauer betrachtet werden. Anschließend wird auf die Aufgaben einer Fremdsprachenlehrkraft eingegangen.
Inhalt
I Erkenntnisse der neuen Gehirnforschung für den Fremdsprachenunterricht
1. Das Gehirn
1.1 Aufbau des Gehirns
1.2 Lernprozesse im Gehirn
2. Neue Erkenntnisse über den Fremdspracherwerb
2.1 Bewegung und Fremdsprachenlernen
2.2 Entspannung und Fremdsprachenlernen
2.3 Mentale Visualisierung und Fremdsprachenlernen
3. Praktische Anwendung
II Lehrpersonenverhalten im Fremdsprachenunterricht
1. Die Aufgaben einer guten Fremdsprachenlehrkraft
1.1 Motivation
1.1.1 Die Hattie Studie
1.1.2 Notenvergabe
1.1.3 Feedback
1.2 Instruktion
1.2.1 Placebo-Effekt und Hawthorne-Effekt
1.3 Koordination der Lernprozesse
Literaturverzeichnis
I Erkenntnisse der neuen Gehirnforschung für den Fremdsprachenunterricht
1. Das Gehirn
Das Gehirn ist das Organ, welches den größten Energieverbrauch im menschlichen Körper aufweist. Rund ein Fünftel des eingeatmeten Sauerstoffs werden für seine Leistungen verbraucht, da es sich um ein komplexes Steuerungszentrum handelt, das zahlreiche überlebensnotwendige Funktionen besitzt.1 Seine zentralen Aufgaben sind Informations- transport und -verarbeitung und Aufnahme von Sinneseingängen, sowie die Ausgabe an die Muskulatur, interne Regulationen und Aufrechterhaltung der Homoiostase. Abgesehen von den letzteren beiden sind alle genannten Funktionsbereiche von Bedeutung, wenn es um den Prozess des Sprechens und des (Fremd-)Spracherwerbs geht. Dank neuer Technologien der Gehirnforschung, wie zum Beispiel der Magnetenzephalographie (MEG), der Elek- troenzephalographie (EEG) und vor allem der funktionellen Magnetzesonanztomographie (fMRT), ist es möglich, genaue Bilder zu erhalten, die die Aktivitäten des Gehirns abbilden können, was zu neuen Erkenntnissen über die Funktionsweise des Gehirns führte. So können wir heute viel genauer als noch vor 20 Jahren sagen, was auf neuronaler Ebene passiert, wenn wir sprechen oder eine Fremdsprache lernen. Diese Erkenntnisse liefern neue Ansätze für den Fremdsprachenunterricht, mit denen sich das Folgende befassen wird. Dafür wird zunächst der für den Fremdspracherwerb relevante Aufbau des Gehirns sowie der neuronale Ablauf von Lernprozessen erklärt. 2
1.1 Aufbau des Gehirns
Das Gehirn gliedert sich in fünf Teile : Myelencephalon (Nachhirn) Metencephalon (Hinterhirn), Mesencephalon (Mittelhirn), Diencephalon (Zwischenhirn), beinhaltet Thalamus und Hypothalamus, und Telencephalon (Großhirn), zu dem auch das Limbische System mit den Mandelkernen (Amygdala) und der Hippocampus gehört. Für den Spracherwerb ist vor allem das Großhirn von Bedeutung, weil es unter anderem die bewusste Wahrnehmung steuert, und der Hippocampus eine für das deklarative (Faktenwissen) und episodische (persönliche Erfahrungen) Gedächtnis notwendige Hirnstruktur ist. Aber auch das Diencephalon spielt eine große Rolle, da der Hypothalamus für die Ausschüttung von Neurohormonen verantwortlich ist, die im Lernprozess eine wichtige Rolle spielen können.3
Alle Hirnareale bestehen unter anderem aus mehreren Milliarden Neuronen, die über elektrische oder chemische Synapsen verbunden sind und dadurch für eine schnelle Informationsübertragung sorgen. Das Großhirn weist eine besonders neuronenreiche äußere Schicht auf, die Großhirnrinde (Neocortex), die in Frontallappen, Temporallappen, Pariettallappen und Okzipitallappen gegliedert ist. Der Neocortex ist der Ort der höheren Hirnfunktionen wie Willen, Kreativität, Gedächtnis, Bewusstsein und Sinneseindrücke, sodass sich hier auch die Zentren finden lassen, die für das Sprechen maßgeblich sind: Das Wernicke- Zentrum und Broca-Zentrum. Das Broca-Zentrum befindet sich auf dem Frontallappen, das Wernicke-Zentrum in etwa an der Schnittstelle der drei anderen Lappen.4 Beide Zentren liegen bei den meisten Menschen in der linken Hemisphäre des Gehirns. Dies unterstützt zwar die Auffassung, dass für das Sprechen bzw. den Spracherwerb nur die linke Hirnhälfte verantwortlich sei, doch diese Annahme ist mittlerweile überholt, da durch neuere Erkenntnisse der Neurobiologie bewiesen wurde, dass über die beiden Sprachzentren hinaus noch weitere Areale im Gehirn für die Sprache verantwortlich sind und die interhemisphärische Interaktion eine Rolle spielt. So ist beispielweise beim Verstehen von Sprache auch die Sprachmelodie entscheidend, welche ebenso wie andere musikalische Eindrücke rechtshemisphärisch verarbeitet wird. Die Verbindung zwischen linker und rechter Hemisphäre über den Balken (corpus callosum) ist also für die Sprache wichtig, und sollte auch im Fremdsprachenunterricht nicht vernachlässigt werden, um bestmögliches Lernen zu gewährleisten.5 Wie genau das funktionieren kann, darauf wird im zweiten Teil eingegangen.
1.2 Lernprozesse im Gehirn
„Lernen [tritt] auf, wenn Erfahrung eine relativ dauerhafte Veränderung im individuellen Wissen oder Verhalten schafft“6. Im Grunde lernt ein Mensch fast ständig, sei es aktiv und bewusst, durch das Üben von Vokabeln, oder eher passiv, durch eine wiederholte Tätigkeit, die eher nebenbei geschieht, wie das Tippen auf dem Smartphone. Beides führt dazu, dass wir lernen, nämlich einmal die korrekten Vokabeln, sodass sie beim nächsten Vokabeltest wieder abrufbar sind, oder eben die genaue Tippfolge bestimmter Wörter, sodass wir diese irgendwann im Schlaf tippen könnten. Diese Entwicklung, also das Abspeichern von Vokabeln oder Tippfolgen (=das Gelernte) lässt sich auch als eine Veränderung auf der neuronalen Ebene beobachten:
Das komplexe Netzwerk des Neocortex unterliegt einer ständigen Reorganisation, abhängig von der Aktivität bzw. der Nutzung der neuronalen Bahnen. Impulse, die wiederholt auftreten, sorgen dafür, dass die entsprechenden Neurone gestärkt werden bzw. mehr Neurone in diesem Areal aktiviert werden, wohingegen ein Ausbleiben der Impulse die Neuronen schwächt und nach einem langen Prozess des Ausbleibens die Neurone sogar einem anderen Areal zugeordnet werden können. Wenn Vokabeln regelmäßig wiederholt werden, bildet sich also eine starke neuronale Spur im Hirn, sodass diese Vokabeln irgendwann mit Leichtigkeit abrufbar sind. Man spricht von neuronaler Plastizität, die für den Lernprozess maßgeblich ist. Ebenso bedeutsam ist die synaptische Plastizität. Auch diese ist aktivitätsabhängig, getreu dem Motto use it or lose it, und beschreibt einen Prozess des Aufbaus bzw. Abbaus der Synapsen. Beim Auftreten von häufigen, ähnlichen Impulsen, die über den gleichen neuronalen Weg geleitet werden, kommt es zur Teilung der Synapsen, sodass eine neue Synapse entsteht, oder zur Ausbildung weiterer Kontaktstellen.
Ein weiterer wichtiger Faktor des Lernprozesses auf neuronaler Ebene ist die von der Neurobiologin Carla Shatz treffend formulierte Regel whatfirestogetherwirestogether, was beutet, dass die Kommunikation zwischen zwei Neuronen umso besser funktioniert, je häufiger diese gemeinsam aktiviert werden.7 Dies ist für die Didaktik insofern interessant, als dass sich daraus ableiten lässt, dass mehrere Sinneseindrücke gleichzeitig aktiviert werden können, um eine bestmögliche Verankerung einer Information zu erreichen. Es ist nämlich nicht nur von Bedeutung, ob eine Information gespeichert wird, sondern auch das Wie spielt eine Rolle. Beispielsweise können mit der Information assoziierte Bewegungen , mentale Bilder oder Emotionen die Speicherung dieser Information und auch das Abrufen deutlich vereinfachen.8
Wie genau das in der Praxis aussehen kann, wird im Folgenden erläutert.
2. Neue Erkenntnisse für den Fremdspracherwerb
Für die Fremdsprachendidaktik ist die Kenntnis über die oben beschriebenen Strukturen und Prozesse unseres Gehirns hilfreich, um den Fremdspracherwerb bestmöglich zu unterstützen oder die Lehre entsprechend anzupassen. Regelmäßige, intensive Wiederholung ist maßgeblich für den Übergang von Informationen aus dem Kurzeit- ins Langzeitgedächtnis, also der Verstärkung der neuronalen Spuren, und je mehr diese Informationen mit anderen verknüpft sind, desto einfacher lassen diese sich wieder abrufen. Um den Unterricht so zu konzipieren, dass er optimal an die Gegebenheiten unseres Gehirns angepasst ist, und das Lernen somit vereinfacht, gibt es verschiedenen Möglichkeiten.
2.1 Bewegung und Fremdsprachenlernen
Bewegung kommt im Schulalltag sehr selten vor, obwohl Bewegung eine positive Auswirkung auf unseren Körper hat. Sie bietet Abwechslung, dient als Ausgleich für langes Stillsitzen und gibt neue Energie für bessere Konzentration, das ist sowohl den Lehrkräften als auch den Schülerinnen und Schülern bewusst. Dass Bewegung allerdings auch für unser Gehirn positive Veränderungen bewirken kann, ist erst durch Forschungen mit fMRT bekannt geworden.
Ganz allgemein wurde nachgewiesen, dass durch Bewegung eine Erhöhung der Wachstumsfaktoren, die für die Neubildung und Vernetzung von Neuronen verantwortlich sind, erzielt wird. Wie in 1.2 beschrieben, ist diese Neuvernetzung notwendig für den Lernprozess. Vor allem Ausdauersport kann eine Verdopplung der neugebildeten Neuronen im Hippokampus, also dem für das Lernen wichtige Zentrum, bewirken. 9
Für den Fremdsprachenunterricht ist es allerdings unmöglich, all zu viel Bewegung oder gar Ausdauersport durchzuführen. Nichtsdestotrotz können andere For men von Bewegung ,wie Gestik, das Lernen einer Fremdsprache begünstigen. Erste Indizien dafür lieferte 1997 eine PET-Untersuchung von Gehörlosen, die zeigte, dass beim Benutzen der Zeichensprache nicht die rechte Hirnhälfte (räumliche und visuelle Vorstellung) aktiv ist, sondern die Sprachzentren, die auch bei Hörenden aktiv sind. Folglich wurde vermutet, dass auch hörenden Sprachschülerinnen und Sprachschüler auf diesen Weg (nämlich durch Gestik/Bewegungen) eine zusätzliche Aktivierung des Gehirnzentrums erreichen können. Mit der Entdeckung von Spiegelneuronen 2003 durch Rizolatti u.a. wurde diese Vermutung bestätig: Spiegelneuronen werden nämlich aktiv, wenn man eine Bewegung und Gestik von anderen beobachtet oder sich diese mental vorstellt, und befinden sich im Broca-Zentrum. Eine Aktivierung des Sprachzentrums ist also sogar durch das Beobachten einer Bewegung möglich. 10
Einen weiteren eindrücklichen Beweis für die Bedeutung von Bewegung für den Fremdsprachenunterricht lieferte eine Studien aus dem Jahr 2007. Probandinnen und Probanden lernten die Namen von 64 „nobjects“ (=nicht existierende Objekte) auswendig. Eine Gruppe führe zu den „nobjects“ semantisch passende Bewegungen aus, die andere Gruppe machte willkürliche Bewegungen. Sowohl in Bezug auf das Behalten der Wörter und das korrekte Zuordnen, als auch auf die Schnelligkeit des Abrufens und die Flexibilität im Umgang mit den Wörtern, war bei der Gruppe mit den semantisch passenden Bewegungen signifikant besser, was darauf zurückzuführen ist, dass bei ihnen eine frühe Aktivierung des motorischen Hirnareals (mittels EEG) gemessen werden konnte. Die Verbindung von der Sprache mit einer inhaltlich passenden Bewegung fördert also den Lernprozess enorm.11
2.2 Entspannung und Fremdsprachenlernen
Neben Bewegung wurde auch ein positiver Effekt für den Fremdsprachenerwerb durch Entspannung nachgewiesen. Erste Ergebnisse hierzu lieferte eine Untersuchung von Jasiukaitis (1997), die bewies, dass während der Hypnose, also einem Zustand der Tiefenentspannung, das Sprachzetrum in der linken Hirnhälfte durchaus aktiv ist und konzentriert arbeitet, entgegen der Erwartung, dass es inaktiv sei. Es ist demnach sinnvoll, im Fremdsprachenunterricht Entspannungsphasen, im sogenannten Alpha-Zustand, der durch ein vermehrtes Auftreten von Alpha-Wellen im Gehirn gekennzeichnet ist, einzuführen, in denen das zuvor gelernte wiederholt wird. Erreicht wird ein solcher Zustand durch eine entspannte Sitzposition, entsprechende Atemtechnik, ruhige Musik oder Ähnliches. In Verbindung mit Spiegelneuronen (s. 2.1) kann eine solche Entspannungsphase genutzt werden, um die Sprachareale allein durch die Vorstellung beispielsweise der Handlungen im Lektionstext zu aktivieren, und somit eine andere Form der Wiederholung schaffen, als das bloße Wiedergeben der Handlung des Lektionstextes.12
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1 vgl. Baur, 2015, S. 82.
2 vgl. Böttger, 2016, S. 28-37.
3 vgl. Baur, 2015, S. 82.
4 vgl. Böttger, 2016 S. 39-45.
5 vgl. Sambanis, 2013, S. 104-106.
6 Woolfolk , 2008, S.257.
7 vgl. Sambanis, 2013, S.14-18.
8 vgl. Schirp, 2003, 305-308.
9 vgl. Walk , 2011, S 27-29.
10 vgl. Schiffler, 2012, S. 11.
11 vgl. Sambanis, 2013, S.101 f.
12 vgl. Schiffler, 2012, S. 14 f.