Herrschaft, Macht und Gewalt im früheren Deutsch-Ostafrika
Eine historische Untersuchung
Zusammenfassung
Wie häufig in kolonialen Kontexten ist der herkömmliche Herrschaftsbegriff, welcher ein Maß von Legitimität beinhaltet, hier nicht gegeben. Das zeigt die Unrechtmäßigkeit des indirekten Arbeitszwangs und die Willkür, mit der Gesetze geändert wurden sobald erneut ein tiefgreifender Arbeitermangel auftrat.
In der relativ kurzen Zeitspanne von 30 Jahren, die das Kolonialreich Deutschlands andauerte, standen vor allem ökonomische Gewinne im Mittelpunkt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Verstrickung der wirtschaftlichen Interessen sowie der Ausbeutung und Unterdrückung der afrikanischen Gesellschaft. Institutionalisierte Macht spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese Arbeit stellt die Kolonialbevölkerung nicht als hilflose Objekte institutionalisierter Gewalt dar, sondern verdeutlicht die Willkür der Verwaltung und die makaberen Auffassungen der deutschen Kolonialherren über das kostbarste Gut dieser Kolonie, den schwarzen Körper als Produktionskraft. Des Weiteren wird die Kehrtwende aufgezeigt, in der ein Teil der afrikanischen Bevölkerung sich dem homogenen Machtgefüge teilweise entzieht.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hinführung zu Foto Nr
3. Einbettung des Fotos
3.1 Die Polizeitruppe
3.2 Koloniale Wirtschaftspolitik
3.2.1 Das System der Zwangsarbeit
3.2.2 Die Prügelstrafe
3.2.3 Die reformistische Phase unter Dernburg und Rechenberg
4. Bezug zum Portfolio
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Seminar „Ansichten aus Deutsch-Ostafrika“ beschäftigt sich über mehrere Semester hinweg mit einem Fotokonvolut, bestehend aus 62 Fotos. Diese Fotos stammen aus der Kolonialzeit des deutschen Imperialismus im sogenannten Deutsch-Ostafrika (1885 – 1918), dem heutigen Tansania. Sie wurden aus Privathänden, höchstwahrscheinlich aus dem Nachlass des Pfarrers Spanuth, an das Landesmuseum Hannover weitergegeben. Dieses Seminar und Studenten aus Tansania wollen nun die Bilder kontextualisieren um eine Ausstellung in Deutschland sowie in Tansania vorzubereiten. Im vorangegangen Semester wurden die Fotos bestimmten Themengebieten zugeordnet. Daraus haben sich vier Kategorien ergeben: Lebensrealitäten, Ruinen, Infrastruktur und Mobilität sowie Herrschaft, Macht und Gewalt. Letzteres Sample bestand nach Abschluss des letzten Semesters aus fünf Fotos; mit der vorliegenden Arbeit wird der Kategorie ein weiteres Foto hinzugefügt.
Jedes dieser 62 Fotos impliziert jedoch Herrschaft, Macht und Gewalt, da dies zentrale und prägende Faktoren in der Kolonialzeit waren. Ein Foto des Kolonisierenden von den Kolonisierten impliziert immer eine imperiale Perspektive. Auf diese zugrundeliegende Macht, Unterdrückung, Gewalt und Herrschaft muss explizit hingewiesen werden. Dieses Sample stellt demnach die manifestierte und institutionalisierte Macht, Herrschaft und Gewalt dar.
In der relativ kurzen Zeitspanne von 30 Jahren, die das Kolonialreich Deutschlands andauerte, standen vor allem ökonomische Gewinne im Mittelpunkt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Verstrickung der wirtschaftlichen Interessen sowie der Ausbeutung und Unterdrückung der afrikanischen Gesellschaft. Institutionalisierte Macht spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese Arbeit stellt die Kolonialbevölkerung nicht als hilflose Objekte institutionalisierter Gewalt dar, sondern verdeutlicht die Willkür der Verwaltung und die makaberen Auffassungen der deutschen Kolonialherren, über das kostbarste Gut dieser Kolonie, den schwarzen Körper als Produktionskraft. Des Weiteren wird die Kehrtwende aufgezeigt, in der ein Teil der afrikanischen Bevölkerung sich dem homogenen Machtgefüge teilweise entzieht, indem sie selbst zu deutschen schwarzen Kolonialsoldaten werden.
2. Hinführung zu Foto Nr. 30
Abbildung 1: Foto Nr. 30 des Fotokonvoluts aus dem Landesmuseum Hannover
[Diese Abbildung wurde von der Redaktion entfernt.]
Es sind fast 20 Männer zu sehen, welche an den Handgelenken und am Hals mit Eisenketten gefesselt und jeweils an den einen Holzstamm vor ihnen festgebunden sind. In der ersten Reihe stehen zwei Männer, die folgenden sind Viererreihen. Durch unterschiedliche Kleidung und Kopfbedeckung fällt ein heterogenes Gruppengefüge auf. Die Männer zeigen zudem verschiedene Haltungen und Mimik. Zum Teil wird in die Kamera geschaut und fragmentarisch lässt sich auch ein Lächeln erkennen, während andere nicht zur Kamera schauen oder einen unzufriedenen Eindruck machen. Keiner von ihnen hat festes Schuhwerk an. Am Ende der Reihen liegt eine große Walze, welche von den Männern offensichtlich gezogen werden soll. Diese Gegebenheiten zeigen deutlich, dass es sich um eine Art Zwangsarbeit handeln muss. Die zwei weiteren schwarzen Männer in Uniform, die neben der Gruppe stehen, vertiefen diese Annahme. Beide haben eine Peitsche in der Hand und schauen zur Kamera. Auffällig ist das große P auf dem linken Oberarm, welches darauf hinweist, dass es sich nicht um Söldner der Schutztruppe sondern um Angehörige der Polizeitruppe handelt. Die Uniformen beider Truppen, glichen sich in vieler Hinsicht, beide bestanden aus einem khakifarbenen Tarbusch, blau-grauen Gamaschen und braunen Lederstiefeln. Der Unterschied lag in einem roten P auf dem Oberarm und einem größeren Reichsadler auf der Mütze, welcher gelb war und nicht weiß, wie bei der Schutztruppe. Auch die Knöpfe des Uniformrocks waren gelb statt weiß. 1 Die Uniformen auf dem Foto sind somit typisch für die Polizeitruppe des deutschen Kolonialreichs zwischen 1906 und 1914. Des Weiteren lässt sich ein einzelner junger Mann in weißer Kleidung, mit einem schwarzen Hut ganz rechts auf dem Foto erkennen. Über seine Position bzw. Aufgabe lassen sich nur Vermutungen anstellen. Da das weiße, niedrige Gebäude im Hintergrund Gitterstäbe an den Fenstern vorweist und eine gekalkte Wand zu erkennen ist, lässt sich vermuten, dass es sich um ein Verwaltungsgebäude handelt, in dem die Gefangenen untergebracht bzw. gehalten werden. Demnach könnte der Mann in Weiß ein Diener sein, welcher Verwaltungsaufgaben des Gefängnisgebäudes übernimmt. Ebenso gut könnte er ein medizinischer Assistent sein.
3. Einbettung des Fotos
Die Uniformen der Söldner ließen eine Einschränkung des Aufnahmezeitpunktes des Fotos zu. Da es demzufolge zwischen 1906 und 1914 aufgenommen worden ist, wird im Folgenden hauptsächlich diese Zeitspanne der drei Jahrzehnte kolonialer deutscher Herrschaft im Blick auf sozial-wirtschaftliche Faktoren analysiert.
3.1 Die Polizeitruppe
Die beiden uniformierten Personen des Fotos können unter der Bezeichnung Askari gefasst werden. Die Askari waren schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Askari ist ein arabisches Wort, welches ins Deutsche als Lehnwort aus dem Swahili übernommen wurde und so viel wie Soldat bedeutet.2 Die Askari wiesen kein homogenes Gruppengefüge auf, wie angenommen werden könnte. Im Gegenteil, die Askari der Schutz- und Polizeitruppen wurden aus verschiedenen afrikanischen Ländern geworben. Deutsche Soldaten waren aufgrund ihrer Anfälligkeit für Krankheiten und der demographischen Gegebenheiten schnell ausgeschlossen. Mangels Alternativen und aufgrund der Kosteneinsparung griffen die Deutschen auf die Afrikaner zurück, wenngleich auch nur widerwillig. 3 Sie rekrutierten hauptsächlich Männer aus dem heutigen Sudan, Ägypten und Somalia. Des Weiteren wurden die sogenannten Zulus am Nyassa-See (vom Volk der Nguni) geworben. Im Jahr 1890 sollen die Kolonialtruppen etwa 1300 Askari beinhaltet haben, davon waren 600 Sudanesen, 450 Zulus, 100 Somali und etwa 150 Ostafrikaner.4 Nach anfänglicher Skepsis gegenüber landeseigenen Soldaten, wurde im selben Jahr ein Entwurf entwickelt, der darauf hinaus lief, nun doch mehrheitlich Soldaten aus dem eigenen Schutzgebiet heranzuziehen. In der Regel haben sich afrikanische Söldner für fünf Jahre verpflichtet. Viele dieser Söldner verlängerten diese Zeit nicht.5 In der 1891 gebildeten Schutztruppe formten Askari die Mannschaften der Truppe, während die Positionen der Offiziere und Unteroffiziere an Weiße vergeben wurden. Einige Jahre später wurde aus der Schutztruppe eine Polizeitruppe abgesondert. Der Unterschied lag in der administrativen Zuteilung. Während die Polizeitruppe der Zivilverwaltung der jeweiligen Kolonie unterstand, unterlag die Schutztruppe dem Militär. Die Polizeitruppe unterstand demnach dem Gouverneur und übernahm Aufgaben wie etwa das Einfangen von ausgerissen Trägern oder, wie auf dem Foto zu sehen, das Überwachen von Eisenbahn- und Straßenarbeiten. Ebenfalls wurden sie als Steuereintreiber eingesetzt. Die Askari waren demnach ein wichtiges Intermediär für die deutsche Herrschaft, denn über sie konnte kommuniziert und somit auch geherrscht werden. Von der afrikanischen Bevölkerung wurden damit nicht nur die Deutschen, sondern auch die Askari als die Kolonisierenden angesehen . 6
3.2 Koloniale Wirtschaftspolitik
Zwischen 1884 und 1899 eroberte Deutschland verschiedene Kolonien in Afrika, wie auch im Pazifik und Nordostchina. Deutschland wurde damit zur viertgrößten europäischen Kolonialmacht. Der damalige Reichskanzler Bismarck sprach sich lange Zeit gegen den Erwerb von Kolonien aus, sein plötzlicher Sinneswandel warf viele Fragen in der Wissenschaft auf. Ein Blick in die Fachliteratur lässt verschiedene Positionen erkennen, weshalb Deutschland auf die überseeische Expansion angewiesen war. Vier Leitmotive lassen sich dabei herausstellen. Zum einen gab es das zunehmende Problem des raschen Bevölkerungswachstums in Folge der industriellen Revolution, welche eine demographische Transition mit sich brachte. Daraufhin folgte eine sozial und wirtschaftlich motivierte Auswanderungswelle. Um Verluste bei der Zahl deutscher Arbeiter und gering und ihre Denkweisen im Sinne des Reichs zu halten, wollte das Deutsche Reich diese Auswanderer in deutsche Siedlungskolonien lenken.7 Des Weiteren wird als Motiv der Expansion häufig das „Ventil für soziale Konflikte“ oder „Ventil des Überdrucks“ angeführt. Wobei die Kolonien als Außenstellen fungieren sollten, in die sich häufenden sozialen Unzufriedenheiten verlagert werden können.8 Als drittes Motiv lassen sich national- psychologische Motive anführen. Durch das Abgrenzen zum Anderen und das Einnehmen einer aufklärerischen Emanzipationshaltung, auch anhand sozialdarwinistischer Hierarchien, sollten nationale Identitätssehnsüchte befriedigt werden.9
[...]
1 Überblick deutscher Kolonialuniformen: http://www.germancolonialuniforms.co.uk/ (28.02.2019)
2 Michels, Stefanie, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika. Bielefeld 2009, S.18f.
3 Morlang, Thomas, Askari und Fitafita. Farbige Söldner in den deutschen Kolonien. Berlin 2008, S.7.
4 Pesek, Michael, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expedition, Militär und Verwaltung seit 1880. Frankfurt/New York 2005, S.302f.
5 Bührer, Tanja, Die kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegsführung 1885-1918. München 2011, S.128f.; Pesek (2005), S.303f.
6 Pesek (2005), S.300ff.
7 Gründer, Horst, Geschichte der deutschen Kolonien. 3.Aufl. Paderborn 1995, S.26ff.
8 Conrad, Sebastian, Deutsche Kolonialgeschichte. Nördlingen 2005, S.25.
9 Vgl. ebd. S.25f.