Das am 26.01.2016 ergangene Urteil (Az.: KZR 41/14 "Jaguar-Vertragswerkstatt") des BGH betrifft den Status einer Automobil-Vertragswerkstatt als notwendige Ressource für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen. Im Fall klagt die Klägerin, Betreiberin einer Autoreparaturwerkstatt, auf einen erneuten Abschluss eines Werkstattvertrages, nachdem ihr als Einzelfall bei der Neuplanung des Automobilherstellers der Abschluss eines neuen Vertrages verweigert wurde.
Der BGH hält bei diesem Urteil grundsätzlich an einer von ihm in der Vergangenheit entwickelten, stufenweisen Marktabgrenzung fest. So geht er ei¬nerseits von einem Endkundenmarkt für Instandsetzung- und War¬tungsdienstleistungen aus, andererseits von einem vorge¬lagerten Ressourcen Markt, auf dem sich die Werkstät¬te als Nachfrager und die Hersteller als Anbieter gegenüberste¬hen. Das gehandelte Gut auf diesem vorgelagerten Markt ist der Status einer Vertragswerkstatt. Laut BGH können jedoch die Markt¬verhältnisse auf dem nachgela¬gerten Endkundenmarkt Auswirkun¬gen auf die sachliche Abgren¬zung des vorgelagerten Ressourcen Markts haben. Deswegen sind die Ansprüche, Erwar¬tungen und Gepflo¬genheiten der Fahrzeugei-gentümer als Nachfra¬ger auf dem nachgelager¬ten Endkunden¬markt hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den vorge¬lagerten Markt zu prüfen. Die Erwartungshaltung der Jaguar-Endkunden ist tatrichterlich daraufhin zu prüfen, ob die Pkw-Eigentümer eine Vertragswerkstatt zur Durchführung von Serviceleistungen e¬her in Anspruch nehmen als eine freie Werkstatt, auch wenn dafür höhere Preise anfallen als bei freien Werkstätten.
Die vom BGH im Rahmen der Revision aufgegriffenen Rechtsprobleme betreffen die absolute und relative Marktmacht eines Automobilherstellers im Verhältnis zu seinen Vertragswerkstätten, sowie die Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen Vertragskündigung. Die ersten beiden Probleme betreffen das Rechtsgebiet des Kartellrechts, das Letztere das Rechtsgebiet des Schuldrechts unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Aspekte. Im Weiteren sollen Meinungsstände zu den jeweiligen vom BGH aufgegriffenen Rechtsproblemen vorgestellt und jeweils in einer Stellungnahme bewertet werden. Abschließend werden die wesentlichen Punkte der Arbeit in einem Fazit zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
A. Einführung
B. Analyse
I. Absolute Marktmacht oder marktbeherrschende Stellung
1. Meinungsstand
a) BGH
b) EU-Recht
2. Stellungnahme
II. Relative Marktmacht oder unternehmensbedingte Abhängigkeiten
1. Meinungsstand
a) BGH
b) EU-Recht
2. Stellungnahme
III. Wirksam ausgesprochene Vertragskündigung
1. Meinungsstand
a) BGH
b) Kündigungsschranke des § 20 GWB
c) Kündigungsschranke des § 242 BGB
2. Stellungnahme
C. Fazit
D. Literaturverzeichnis
A. Einführung
Das am 26.01.2016 ergangene Urteil (Az.: KZR 41/14 „Jaguar-Vertragswerkstatt“) des BGH betrifft den Status einer Automobil-Vertragswerkstatt als notwendige Ressource für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte, Importeurin des englischen Automobilherstellers Jaguar in Deutschland1, der Klägerin im Zuge einer Neuordnung ihres Servicenetzes den Servicevertrag für Pkw der Marke gekündigt und entgegen der überwiegenden Zahl der sonstigen gekündigten Vertragswerkstätten den Abschluss eines neuen Vertrages verweigert.
Die Feststellungsklage der Klägerin auf Zulassung zum Werkstättennetz und der Antrag auf Belieferung mit Originalersatzteilen zu Netzkonditionen wurden vom Landgericht Frankfurt abgewiesen. Der erstinstanzliche Feststellungsantrag wurde im Berufungsverfahren weiterverfolgt, hilfsweise sollte festgestellt werden, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam sei. Das Berufungsgericht hat die Berufung in Bezug auf den Hauptantrag zurückgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Es hat hinsichtlich der Abweisung des Hauptantrags die Revision zugelassen.
Die vom BGH im Rahmen der Revision aufgegriffenen Rechtsprobleme betreffen die absolute und relative Marktmarkt eines Automobilherstellers im Verhältnis zu seinen Vertragswerkstätten, sowie die Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen Vertragskündigung. Die ersten beiden Probleme betreffen das Rechtsgebiet des Kartellrechts, das letztere das Rechtsgebiet des Schuldrechts unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Aspekte.
Im Weiteren sollen Meinungsstände zu den jeweiligen vom BGH aufgegriffenen Rechtsproblemen vorgestellt und jeweils in einer Stellungnahme bewertet werden. Abschließend werden die wesentlichen Punkte der Arbeit in einem Fazit zusammengefasst.
B. Analyse
I. Absolute Marktmacht oder marktbeherrschende Stellung
Der BGH greift in seinem Urteil zunächst das Rechtproblem der absoluten Marktmacht oder marktbeherrschender Stellung nach § 18 f. GWB in Bezug auf den vorliegenden Fall auf. Gemäß § 18 Abs. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, wenn es auf einem bestimmten Markt ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder wenn es eine überragende Marktstellung hat.
1. Meinungsstand
a) BGH
Der BGH hält bei diesem Urteil grundsätzlich an einer von ihm in der Vergangenheit entwickelten, stufenweisen Marktabgrenzung fest.2 So geht er einerseits von einem Endkundenmarkt für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen aus, wie andererseits von einem vorgelagerten Ressourcenmarkt, auf dem sich die Werkstätten als Nachfrager und die Hersteller als Anbieter gegenüberstehen.3 Das gehandelte Gut auf diesem vorgelagerten Markt ist der Status einer Vertragswerkstatt. Laut BGH können jedoch die Marktverhältnisse auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt Auswirkungen auf die sachliche Abgrenzung des vorgelagerten Ressourcenmarkts haben. Deswegen sind die Ansprüche, Erwartungen und Gepflogenheiten der Fahrzeugeigentümer als Nachfrager auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den vorgelagerten Markt zu prüfen. Ihr Verhalten entscheidet darüber, ob es für Werkstätten überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist, Pkw-Serviceleistungen für eine bestimmte Marke ohne den Status einer Vertragswerkstatt des jeweiligen Herstellers auszuüben. Abhängig von der Erwartungshaltung der Endkunden könnte der Markt für Pkw-Serviceleistungen letztendlich doch markenspezifisch abzugrenzen und der jeweilige Hersteller marktbeherrschend sein.4 Daher ist die Erwartungshaltung der Jaguar-Endkunden tatrichterlich daraufhin zu prüfen, ob die Pkw-Eigentümer eine Vertragswerkstatt zur Durchführung von Serviceleistungen eher in Anspruch nehmen als eine freie Werkstatt, auch wenn dafür höhere Preise anfallen als bei freien Werkstätten.5 Da es sich bei Fahrzeugen der Marke Jaguar um hochpreisige Pkw handelt, könnten Eigentümer laut Vermutung des BGH mehr Wert auf Wartung und Reparatur durch eine Vertragswerkstatt des Herstellers legen.6
Hier erfolgt der Bezug auf das vom Berufungsgericht herangezogenen BGH-Urteil in Sachen MAN-Vertragswerkstatt.7 Der BGH hat im damaligen Urteil verneint, dass der Status einer Vertragswerkstatt einen eigenständigen Markt ausmache. Seiner Meinung nach sei dieser nur eine von mehreren untereinander austauschbaren Ressourcen (wie das Angebot von Ersatzteilen, Diagnosegeräten und Spezialwerkzeugen) und stellt damit einen Teil des umfassenderen Marktes dar, auf dem solche Ressourcen angeboten werden. Laut dem damaligen Verständnis des BGH könne der Status einer Vertragswerkstatt zwar erforderlich sein, um Garantie- und Kulanzleistungen sowie Leistungen im Rahmen von Rückrufaktionen auszuführen. Gestützt auf die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der BGH in seinem damaligen Urteil jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkannt, dass jener Teilbereich einen eigenständigen Markt bildet, welcher vom Markt für die Ressourcen zur Erbringung sonstiger Werkstattleistungen abzugrenzen ist. Für den Betreiber einer Reparaturwerkstatt gäbe es - auch wenn er seine Leistungen nur für eine bestimmte Marke erbringen will - eine Reihe möglicher Dienstleistungen, die er auch außerhalb des Garantie- oder Kulanzverhältnisses erbringen könne. Laut Auffassung des BGH in Sachen MAN war weder tatrichterlich festgestellt noch ersichtlich, dass das Angebot von Instandsetzungs- und Wartungsleistungen für Nutzfahrzeuge ohne den Status einer Vertragswerkstatt unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos wäre. Vielmehr hatte das Berufungsgericht eine solche Annahme durch die Feststellung widerlegt, dass der überwiegende Teil der entsprechenden Leistungen zum damaligen Zeitpunkt von freien Werkstätten ausgeführt wurde.8
Der BGH macht seine Überlegungen zu Marktabgrenzung auf dem vorgelagerten Ressourcenmarkt also am Verhalten der Abnehmer auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt fest. Bei Nutzfahrzeugen, die der Eigentümer gewerbsmäßig nutzt und häufig in größeren Flotten betreibt, kann das anders sein als bei privaten Pkw-Nutzern. Je nachdem ist der vorgelagerte Markt doch markenspezifisch abzugrenzen. In Folge einer markenspezifischen Abgrenzung kann der Hersteller auf diesem Markt marktbeherrschend sein.9
Der BGH hat bemängelt, dass das Berufungsgericht auf den vorliegenden Pkw-Fall die Bewertung für Nutzfahrzeuge angewendet hat ohne hinreichende Feststellungen getroffen zu haben, ob Nutzfahrzeug- und Pkw-Markt diesbezüglich vergleichbar sind.10
Damit diese fehlenden tatrichterlichen Erhebungen nachgeholt werden können verweist der BGH den Fall an das Berufungsgericht zurück.
b) EU-Recht
Im Gegensatz zum BGH, der die Anwendungsvoraussetzung des Diskriminierungs- und Behinderungsverbotes des § 18 f. GWB prüft, befasst sich die Kommission hinsichtlich absoluter Marktmacht (oder marktbeherrschender Stellung) mit der Bestimmung der Marktanteilsschwelle im Zusammenhang mit der Gruppenfreistellungsverordnung.11
Die Auffassung der EU-Kommission hinsichtlich der Marktabgrenzung unterscheidet sich von der des BGH.12
Nach der generellen Sichtweise der Europäischen Kommission kommt es zur Definition eines sachlichen Marktes darauf an, ob ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung aus Sicht des unmittelbaren Abnehmers austauschbar ist, um eine bestimmte Nachfrage zu befriedigen. Dies wäre für den vorliegenden Fall der Markt auf dem der Fahrzeughersteller die Zulassung als Vertragswerkstatt anbietet.13 Kommt es auf die Anwendbarkeit der Kfz-GVO an, nutzt die Kommission allerdings eine andere Form der Marktabgrenzung, um zu prüfen, ob für einen Vertragswerkstattvertrag der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV eröffnet ist und ob eine Ausnahme der Kfz-GVO bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV einschlägig ist.
Bei der Marktabgrenzung hinsichtlich der Vertragswerkstätten stellt die Kommission nicht auf die Sicht der Vertragswerkstatt, also der direkten Marktteilnehmer, sondern auf die des Pkw-Endkunden ab.14
Für die Endkunden ist die markenspezifische Unterscheidung wichtig, weil nicht jede Werkstatt jede Serviceleistungen für eine bestimmte Marke durchführen kann. Die Kommission betrachtet den Marktanteil des Herstellers auf diesem markenspezifischen Markt von Serviceleistungen für Endkunden.
Mit dieser Sichtweise erhebt die Kommission den Marktanteil des Herstellers auf dem Endkundenmarkt für die bestimmte Marke. Die Betrachtungsweise der Kommission beruht auf der alten Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung 1400/2002, die 2010 außer Kraft getreten ist. Die Berechnung der Marktanteile war hier noch ausdrücklich in Art. 8 Abs. 1 c der GVO vorgegeben.15
Der Wortlaut stellte auf den Anteil ab, den der Lieferant „an dem relevanten Markt (hat), auf dem er […] Instandsetzungs- oder Wartungsdienstleistungen verkauft”16. Darunter wurde der Endkundenmarkt verstanden, wobei dem Lieferanten (hier dem Hersteller) nicht nur der Endkundenanteil seiner Eigenwerkstätten (eigener Niederlassungen) zugerechnet wird, sondern auch der Anteil seiner Vertragswerkstätten.17 Dies führt regelmäßig zum Wert von über 30 %.18
In der neuen Kfz-GVO findet sich in diesem Zusammenhang hingegen nur noch ein Verweis auf die allgemeine Vertikal-GVO, welche aber genau wie die neue Kfz-GVO keine Spezialvorschriften zur Marktabgrenzung mehr enthält.19 Art. 3 Abs. 1 der Vertikal-GVO gibt lediglich vor zur Ermittlung des Marktanteils des Anbieters auf den relevanten Markt abzustellen, auf dem dieser seine Vertragswaren oder -dienstleistungen anbietet.
Da vorliegend das Verhältnis von Hersteller zu Vertragswerkstatt zur Diskussion steht, wäre der relevante Markt derjenige zwischen Hersteller und Werkstatt und gerade nicht der Endkundenmarkt, sondern der diesem vorgelagerte Markt.20 Die Kommission grenzt den Markt trotz dieser Änderung weiterhin in bisheriger Weise markenspezifisch ab.21
2. Stellungnahme
Die stufenweise Definition des BGH in einen Markt zwischen Fahrzeughersteller und Werkstatt und einen Markt zwischen Werkstatt und Endkunde ist im Grunde nachvollziehbar. Mit diesem Vorgehen widerspricht der BGH bei der Definition des relevanten Marktes jedoch der Ansicht der Europäischen Kommission, die zur Bestimmung des relevanten Marktes im Zusammenhang mit der Kfz-GVO rein die Endkundensicht heranzieht. Allerdings betont der BGH im vorliegenden Fall durchgängig die Möglichkeit einer markenspezifischen Marktabgrenzung, entscheidet jedoch diesbezüglich nicht sondern verweist zur weiteren Tatsachenermittlung an die Vorinstanz zurück.
Für die Sichtweise der Kommission spricht, dass Kunden des Pkw-Servicemarkts und insbesondere in einem hochpreisigen Segment wie dem der Marke Jaguar Wert auf die Durchführung von Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten in einer Vertragswerkstatt legen.
Dazu hat auch der BGH entsprechende Vermutungen dargelegt, kommt aber nicht zu dem Schluss, dass der relevante Markt dann derjenige aus Endkundensicht ist. Er trifft lediglich die Aussage, dass Ansprüche, Erwartungen und Gepflogenheiten der Fahrzeugeigentümer auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt den vorgelagerten Markt zwischen Hersteller und Vertragswerkstatt beeinflussen können.
Gegen die Sichtweise der Kommission spricht, dass sie dem Hersteller bei ihrer Marktanteilsberechnung sowohl das Eigen- wie auch das Fremdgeschäft zurechnet, obwohl er beim Fremdgeschäft nicht das wirtschaftliche Risiko trägt. Darüber hinaus würdigt diese Betrachtungsweise nicht ausreichend das Leistungsspektrum der Vertragswerkstatt, da diese nicht nur ein vom Hersteller erworbenes Gut an den Endkunden weiterreicht. Die angebotene Dienstleistung der Werkstatt beinhaltet die Verknüpfung von z.B. Beratung, Reparatur und Wartung und Ersatzfahrzeuggestellung in der für die Vertragswerkstatt typischen Art und Weise.
Weiterhin spricht gegen die Sichtweise der EU Kommission, dass sich bei ihrer Betrachtungsweise nahezu immer für die Hersteller ein Marktanteil von > 30 % ergibt. Bei Überschreitung des Marktanteils von 30 % gilt die GVO nicht mehr, sondern Art. 101 Abs. 1 AEUV und somit sind Wettbewerbsbeschränkungen durch die Hersteller grundsätzlich verboten. Solche Wettbewerbsbeschränkungen können beispielsweise in sogenannten Selektionen des Servicenetzes zu sehen sein. Man unterscheidet nach quantitativen und qualitativen Selektionen. Eine qualitative Selektion bedeutet, dass der Hersteller den potentiellen Händlern beispielsweise Mindeststandards und Qualitätskriterien in Bezug auf die (technische) Ausstattung vorgibt. Bei der quantitativen Selektion begrenzt der Hersteller dagegen die Anzahl der Standorte seines Servicenetzes.
Nach der Rechtsprechung des EuGH, wird ein rein qualitatives System i.d.R. als nicht wettbewerbsbeschränkend und somit als grundsätzlich zulässig angesehen.22 Im Ergebnis heißt dies: Hersteller dürfen ihr Servicenetz unter qualitativen Aspekten, aber nicht rein hinsichtlich der Anzahl der Standorte frei gestalten. Die Europäische Kommission zwingt mit ihrer Marktdefinition die Hersteller zur Aufnahme jedes Bewerbers in ihr Servicenetz, sofern er die qualitativen Standards erfüllt, selbst wenn eine Ausweitung des Netzes nicht zur Strategie des Unternehmens passt. Im Ergebnis führt diese Praxis der Kommission paradoxer Weise zu einem weiteren Ausbau der Marktmacht des bereits marktbeherrschenden Unternehmens und damit potentiell zu einer weiteren Verdrängung der Wettbewerber. Die Sichtweise des BGH mit stufenweiser Marktabgrenzung aus der sich ein solcher Zulassungsanspruch nicht zwangsläufig ergibt erscheint ist daher insgesamt vorzuziehen.
II. Relative Marktmacht oder unternehmensbedingte Abhängigkeiten
Im Weiteren geht der BGH auf eine etwaige unternehmensbedingte Abhängigkeit oder relative Marktmacht des Herstellers gemäß § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB ein. Nach § 20 Abs. 1 GWB haben Unternehmen relative Marktmacht wenn kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise von ihnen abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.
1. Meinungsstand
a) BGH
Hinsichtlich der unternehmensbedingten Abhängigkeit (oder relativen Marktmacht) führt der BGH im vorliegenden Urteil an, dass er eine solche bisher angenommen hat, wenn sich ein Händler so weit auf den Vertrieb von Produkten eines bestimmten Herstellers ausgerichtet hat, dass ein Wechsel zum Vertrieb von Produkten eines anderen Herstellers nur möglich ist, wenn er erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nimmt.23 Diese Annahme hat der BGH im Grundsatz auch auf das Verhältnis von Fahrzeughersteller zur Vertragswerkstatt ausgeweitet.24 Der BGH stellt im Urteil klar, dass die Ausrichtung des Geschäftsmodells erheblich über eine bloße Spezialisierung hinausgehen muss. Dies sieht er als gegeben, wenn beispielsweise besondere, herstellerspezifische Kenntnisse erworben werden müssen.
Der BGH weist im Weiteren darauf hin, dass hinsichtlich der unternehmensbedingten Abhängigkeit von der Vorinstanz keine Feststellungen getroffen wurden. Er schließt sich aber der Auffassung der Vorinstanz an, welche darlegt, dass diese nach dem Vortrag der Klägerin möglich sei.25 Daher ist auch aus Sicht des BGH für die weitere revisionsrechtliche Prüfung eine unternehmensbedingte Abhängigkeit zu unterstellen. Sofern eine unternehmensbedingte Abhängigkeit vorliegt, stellt der BGH klar, dass § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB Anwendung finden. Danach ist es dem marktstarken Unternehmen untersagt, kleine und mittlere Unternehmen die als Anbieter oder Nachfrager von ihm abhängig sind, zu behindern oder ohne sachlichen Grund anders zu behandeln als gleichartige Unternehmen. Der BGH gibt an, dass die Verweigerung des Zugangs zum neu gestalteten Servicenetz, eine solche potentielle Behinderung oder Diskriminierung sein könnte.
Laut BGH sind die gegenseitigen Interessen beider Parteien abzuwägen und die Frage zu klären, aus welchem Grund die Beklagte die Klägerin nicht in ihr neu gestaltetes Netz von Vertragswerkstätten aufnehmen will. Seitens des Berufungsgerichts fehlen hierzu laut BGH entsprechende Feststellungen. Der BGH stellt ferner heraus, dass die Vorinstanz nicht geprüft hat, ob für eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber den anderen Werkstätten von der Beklagten sachliche Gründe angeführt wurden. Laut BGH hat das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob es im Rahmen der Kündigung oder der mündlichen Verhandlung eine sachliche Begründung für ein notwendiges Ausscheiden der Klägerin aus dem Servicenetz gab. Ebenso prüfte es nicht, ob gegenüber den Werkstätten, mit denen neue Verträge abgeschlossen wurden, eine sachliche Begründung gegeben wurde. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung der Zulassung zum Servicenetz ohne sachliche Begründung und damit diskriminierend im Sinne von § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB erfolgte.26
Der Schutz für unternehmensbedingt abhängige Marktteilnehmer hat aber laut BGH nicht zur Folge, dass die Geschäftsbeziehung überhaupt nicht aufgelöst werden kann. Der gesetzlichen Regelung soll nicht die Funktion eines einseitigen Sozialschutzes zukommen.27 Der Hersteller als Normadressat von § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB ist nach Ansicht des BGH grundsätzlich frei, seine geschäftliche Tätigkeit nach seinem Ermessen so zu gestalten, wie er es für wirtschaftlich erachtet. Daher kann die Geschäftsbeziehung immer noch aufgelöst werden, dies muss aber mit einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen um den Schutz des § 20 Abs. 1 S.1, Abs. 3 S. 1, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB zu gewährleisten. Diese sah der BGH hier mit 2 Jahren als gegeben, denn in dieser Zeit habe das abhängige Unternehmen die zumutbare Möglichkeit, seinen Betrieb auf die Marke eines anderen Herstellers umzustellen.28
[...]
1 Im Weiteren werden Importeurin des englischen Automobilherstellers Jaguar in Deutschland, Hersteller und Beklagte als Synonym verwendet.
2 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730; Walz, EWiR 2016, 481; Bechtold,
BB 2011,1610 (1612).
3 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730.
4 Walz, EWiR 2016, 481.
5 Ströbl BB 2016, 1167 (1172).
6 Walz, EWiR 2016, 481 f.
7 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730
8 BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730 (2731).
9 Ströbl, BB 2016, 1167 (1169).
10 Ströbl, BB 2016, 1167 (1169).
11 Bechtold, BB 2011, 1610 (1611 f.).
12 Becker/Simon in: MükoEuWettbR Einl. GVO Nr. 461/2010 Rn. 6; Walz EWiR 2016, 481 (482); Nolte in: Langen/Bunte Kartellrecht nach Art. 101 AEUV Rn. 938 ff.
13 Bechtold, BB 2011, 1610 (1612).
14 ABl. EU C 138/16 v. 28.5.2010, Rn. 15, 57, 70.
15 ABl. EG L 203/40 v. 1.8.2002.
16 ABl. EG L 203/37 v. 1.8.2002, Art. 3 Abs. 1.
17 Bechtold, BB 2011, 1610 (1612).
18 Evaluation Report on Block Exemption Regulation 1400/2002, Staff working document No. 4: The impact of Regulation 1400/2002, COM(2008)388 endg., 22; Wegner/Oberhammer, WUW 2012, 366 (368); Ensthaler, NJW 2016, 2504 (2507); Schultze/Oest, BB 2011, 1361 (1364).
19 Wegner/Oberhammer, WUW 2012, 366 (368).
20 Schultze/Oest, BB 2011, 1361 (1363).
21 ABl. EU C 138/16 v. 28.5.2010 Rn. 15; Leitfaden zu ABl. EG. L 203/30 v. 1.8.2002, S. 84 f.
22 EuGH 25.11.1977, NJW 1978, 480 (481); EuGH 14.06.2012, EuZW 2012, 628 (630).
23 BGH 23.02.1988, WuW/E 2491 (2493); BGH 21.02.1995, WuW/E 2983 (2988).
24 BGH 28.06.2005, WuW/E DE-R 1621 (1623); BGH 30.03.2011, NJW 2011, 2730 (2731).
25 OLG Frankfurt 29.07.2014, 11 U 6/14, Rn. 59.
26 BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).
27 BGH 23.02.1988 WuW/E 2491 (2495); BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).
28 BGH 26.01.2016, NJW 2016, 2504 (2506).