Analyse der Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien mit dem Iran-Konflikt als Fallbeispiel
Zusammenfassung
Von den ersten Kontakten der Amerikaner und Saudis während des 2.Weltkriegs über den Zusammenhalt gegen den Irak 1990/91 bis zu den Divergenzen durch 9/11 und dem 3.Golfkrieg sind sowohl Annäherungen als auch Abstoßungseffekte zwischen beiden Staaten ersichtlich. Unter Trump ist eine interessante Dynamik vorhanden: einerseits greift die USA in der Tagespolitik wieder aktiv in der Region ein, andererseits wird der Truppenabzug aus Syrien fortgesetzt. Im Falle Saudi-Arabiens dagegen ist eine konstante außenpolitische Mobilmachung festzustellen. Nach Jahrzehnten der sicherheitspolitischen Zurückhaltung interveniert Riad zudem spätestens seit Mohammed bin Salmans Machtergreifung intensiv in anderen Staaten, allen voran im Jemen.
Die Analyse beginnt mit einem historischen Abriss der amerikanisch-saudischen Beziehungen, die sich der wirtschaftlichen Kooperation („Erdöl für Sicherheit“) und ersten sicherheitspolitischen Unternehmungen („twin pillar“ und „dual containment“) widmet. Danach werden Divergenzen und Überschneidungen in den bilateralen Beziehungen erörtert. Damit einhergehend und darauf aufbauend beginnt das Fallbeispiel mit einem Rückblick auf die Veränderungen der sicherheitspolitischen Konstellationen im Nahen Osten seit dem Syrienkrieg. Abschließend wird in einem „Szenario“ die Verbundenheit von Trump und MBS sowie deren Ambitionen erörtert und in die regionalen Dynamiken unter Einbeziehung der Akteure Türkei, Katar, V.A.E. und Russland eingebettet. Zuletzt wird ein zusammenfassendes Fazit die Thesen dieser Analyse aufgreifen und einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen geben
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Fundierung
3 Sicherheitspolitik im Nahen und Mittleren Osten
3.1 Divergierende Interessen
3.2 Gemeinsame Interessen
4 Fallbeispiel: Trump, MBS und ein neuer Krieg?
4.1.1 Der Syrienkonflikt als Katalysator der saudischen Außenpolitik?
4.1.2 Neue Sicherheitsfronten im Nahen Osten: Saudi-Arabien vs. Iran
5 Fazit und Ausblick
1 Einleitung
Als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika scheint Donald J. Trump eigentümlicher als seine Vorgänger zu sein. Eine seiner markantesten Eigenschaften ist seine Direktheit, beispielsweise im Falle Saudi-Arabiens. Im Gegensatz zu Bush Jr. und Obama machte Trump keinen Hehl über die amerikanischen Interessen im Ölkönigreich und gab als Antwort auf die Frage, ob der Mord von Jamal Kashoggi in Istanbul die amerikanischen Beziehungen zu Riad ändern könnte: „Vielleicht wusste der Kronprinz davon, vielleicht auch nicht […] Sie [KSA] sind ein großartiger Verbündeter in unserem Kampf gegen Iran“. Damit fasste Trump die amerikanisch-saudischen Beziehungen prägnant zusammen. Im sicherheitspolitischen Dilemma der USA im Nahen und Mittleren Osten sieht Washington die arabische Ölmonarchie als einen wichtigen Sicherheitspartner gegenüber dem gemeinsamen Feind östlich von Bagdad. Doch sind die zwischenstaatlichen Beziehungen dieser beiden Akteure insgesamt tatsächlich so reibungslos abgelaufen, wie es den Anschein hat?
Um die Dynamik der US-Saudi-Beziehungen zu verstehen, ist eine tiefgründige Analyse der Außenpolitik beider Staaten unumgänglich. Von den ersten Kontakten der Amerikaner und Saudis während des 2.Weltkriegs über den Zusammenhalt gegen den Irak 1990/91 bis zu den Divergenzen durch 9/11 und dem 3.Golfkrieg sind sowohl Annäherungen als auch Abstoßungseffekte zwischen den USA und Saudi-Arabien ersichtlich. Mit Blick auf die amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten sind freilich zwei große Phasen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion festzuhalten: das handelstüchtige Engagement im Israel/Palästina-Konflikt, den Einmarsch und die Besatzung im Irak und der Kampf gegen den Terror unter Bush Jr., und den allmählichen sicherheitspolitischen Rückzug aus der Region, nachdem Obama das Dilemma in Syrien und anderen von der Arabellion betroffenen Staaten nicht adäquat lösen konnte. Unter Trump ist eine eigentümliche Dynamik vorhanden: einerseits greift die USA in der Tagespolitik wieder aktiv in der Region ein, andererseits wird der Truppenabzug bspw. aus Syrien fortgesetzt. Im Falle Saudi-Arabiens dagegen ist eine konstante außenpolitische Mobilmachung festzustellen. Nach Jahrzehnten der sicherheitspolitischen Zurückhaltung – bei indirekter Einmischung in anderen Staaten im Rahmen von Terrorfinanzierung – interveniert Riad spätestens seit Mohammed bin Salmans Machtergreifung intensiv in anderen Staaten, allen voran im Jemen.
Allerdings sind gewisse Grundlagen von Nöten, um die heutige Situation zu verstehen und in den Internationalen Beziehungen einordnen zu können. Deshalb erfolgt zunächst eine Einordnung der beiden staatlichen Akteure in die Theorien der IB mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im generellen außenpolitischen Verhalten festzustellen. Im Anschluss beginnt die Analyse mit einem historischen Abriss der amerikanisch-saudischen Beziehungen, die sich der wirtschaftlichen Kooperation („Erdöl für Sicherheit“) und ersten sicherheitspolitischen Unternehmungen („twin pillar“ und „dual containment“) widmet. Danach werden die Divergenzen und Überschneidungen in den bilateralen Beziehungen erörtert. Damit einhergehend und darauf aufbauend beginnt das Fallbeispiel mit einem Rückblick auf die Veränderungen der sicherheitspolitischen Konstellationen im Nahen und Mittleren Osten seit dem Syrienkrieg. Abschließend wird in einem „Szenario“ die Verbundenheit von Trump und MBS sowie deren Ambitionen erörtert und in die regionalen Dynamiken unter Einbeziehung der Akteure Türkei, Katar, V.A.E. und Russland eingebettet. Zuletzt wird ein zusammenfassendes Fazit die Thesen dieser Analyse aufgreifen und einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen geben. Um einen besseren Lesefluss zu garantieren, werden für alle Literatur- und Quellenverweise End- statt Fußnoten verwendet.
2 Theoretische Fundierung
Das außenpolitische Verhalten der USA und des Königsreichs Saudi-Arabien in der Weltpolitik erlauben vielerlei Möglichkeiten bei der Anwendung von Theorien aus dem Forschungsfeld der Internationalen Beziehungen auf das jeweilige Vorgehen. Beide Akteure verstehen sich als Akteure in einer von Sicherheitsbedrohungen geplagten Staatengemeinschaft, in der Allianzen (NATO, Arabische Liga) und Kooperation in Form von Regimen (OSZE, Islamische Liga) für die Durchsetzung und das Fortbestehen der eigenen Interessenslage unabdinglich sind. Gleichwohl gibt es sichtbare Unterschiede in den Paradigmen beider Akteure. Die USA verstehen sich seit der Zäsur 1989/90 als einzige Weltmacht mit ökonomischen und militärischen Kapazitäten, die notwendig sind, um die Sicherheitsarchitektur des 21.Jahrhunderts aufrecht zu erhalten und gezielte Operationen weltweit – und praktisch zu jederzeit – durchzuführen. Allerdings haben zwei langjährige und von asymmetrischer Kriegsführung geprägte Einsätze zur Demokratisierung und Wiederaufbau des Ziellandes (Afghanistan, Irak) sowie die daraus entstandenen Mehrkosten i.H.v. ca. $5 Billionen zu einer Veränderung des eigenen Rollenbildes geführt. Der Kampf gegen den Internationalen Terrorismus wurde als Erweiterung der eigens auferlegten Verpflichtung gesehen, in die Rolle eines „Weltpolizisten“ zu schlüpfen; die Ergebnisse stehen nicht im Interesse der USA. Mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten ist Washington über die Kriegseinsätze hinaus der bedeutendste Ansprechpartner der regionalen Akteure gewesen.
Spätestens nach dem „nein“ zum offiziellen Eintritt der USA in den Syrienkonflikt unter Barack Obama wurde jedoch der schrittweise Rückzug aus der Region offenkundig, und damit auch der sinkende Einfluss als Akteur in Konfliktzonen. Ausgerechnet die Vermeidung eines erneuten Kriegseinsatzes führte dazu, dass die Interessen der USA im NuMO noch stärker beeinträchtigt wurden, als in der Ära Bush Jr. Das entscheidende Indiz dafür ist die Tatsache, dass im Syrienkonflikt und darüber hinaus die Russische Föderation unter Vladimir Putin der „Hauptansprechpartner“ von allen regional und lokal tätigen Akteuren geworden ist. Auch Saudi-Arabien war sich der Folgen des Rückzugs der USA bewusst, woraus die augenblickliche Bereitschaft des Ölkönigreichs für Interventionen in Syrien und im Jemen abzuleiten ist.
Jedoch sind gewisse Konstanten der US-Außenpolitik weiterhin aktiv. Auch unter Donald J. Trump bleibt die Außenpolitik Washingtons seiner realistischen Schiene treu. Im Gegensatz zu früheren Wahlkampfversprechen hat Trump nicht den Rückzug aus dem Nahen Osten eingeleitet, sondern lediglich das Vorgehen seines Vorgängers intensiviert: statt eigenen „boots on the ground“ werden ausgewählte Partner in der Region unterstützt, deren Interessen wiederum mit denen Washingtons deckungsgleich sind oder zumindest große Überschneidungen vorweisen können. Die Unterstützung erfolgt via Finanzhilfen, Unternehmenskooperation und Waffenlieferungen. Daher ist, zumindest im NuMO, eine Kontinuität von Obama zu Trump festzuhalten. Inwiefern lässt sich die amerikanische Außenpolitik dann in eine IB-Theorie einordnen?
Als geeignetste Theorie erscheint der Neoklassische Realismus. Im Gegensatz zum klassischen Realismus werden hier die Variablen nationaler Politik und die Beschränkung einer Exekutive im Bereich der außenpolitischen Entscheidungsfindung anerkannt. Der staatliche Akteur ist keine reine blackbox. Vor allem der Aspekt der „systemic and domestic restraints“ erlaubt „richer and more contextualized explanations” der jeweiligen Außenpolitik.[1] Sowohl Veränderungen der Bedrohungslage als auch Änderungen der Bedrohungsperzeption der „national security executive“ lösen wiederum Justierungen der Außenpolitik des Akteurs aus. Gleichwohl ist der Akteur darauf angewiesen, Unterstützung in der Bevölkerung zu generieren und „human and capital resources from civil society“ zu mobilisieren. Sollte sich ein Akteur über einen langfristigen Zeitraum äußeren Bedrohungen ausgesetzt fühlen, sind zudem zentralisierende Tendenzen der Exekutive zur effizienteren „Extraktion“ der o.g. Kapazitäten wahrscheinlich.[2] Gleichzeitig geht der Neoklassische Realismus von einer Konsensfindung von „scholars, current and former government officials, pundits and defense intellectuals“ in der Sicherheitspolitik eines Akteurs aus.[3] Entsprechend ist hier ein Paradigmenwechsel unter Trump zu erkennen: im Gegensatz zur vorherigen Administration verfolgt die aktuelle US-Regierung einen langfristigen Anlauf zur Eindämmung des Iran – die größte Bedrohung im NuMO in der überparteilichen Perzeption Washingtons – und verzichtet entsprechend auf die Äquidistanzpolitik von Obama. Im Rahmen der konfrontativen Innenpolitik von Trump gegenüber den Demokraten sowie Herangehensweisen, die eindeutige autokratische Tendenzen im Weißen Haus erkennen lassen, kann zwar von einer Zentralisierung keine Rede sein – doch der Versuch ist deutlich. Gleichzeitig wird bspw. in der ersten National Security Strategy von Trump 2017 die Zuhilfenahme von John Bolton („former government officials“) und Michael Rubin („defense intellectuals“) erkennbar, im Zuge der rhetorischen Konfrontation mit dem Iran die von Außenminister Mike Pompeo („pundit“, im Sinne vom ex-CIA Chef).
Auch für die Analyse der saudischen Außenpolitik, in der Region wie auch allgemein, erscheint der Neoklassische Realismus die geeignetste aller Theorien. Fawcett fasst den Forschungsstand der Internationalen Beziehungen und der Area studies mit Zuhilfenahme von Hinnebusch und alidayHall Halliday wie folgt zusammen:
„There is no such thing as an ‘Arab’ or an ‘Islamic’ foreign policy […] and neither the major Arab institutions […] have so far aspired to promoting one. Hence identity clearly does matter, but as a means of influencing perceptions and thus state behavior, rather than displacing states and state power.”[4]
Für die Mechanismen eines Rentier-Staates bezeichnet Qasem den Neoklassischen Realismus zwar als ungeeignet, um die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft zu erfassen, gesteht der Theorie jedoch ein, die Politik eines solchen Staates gezielter erfassen zu können, als der Neorealismus oder Liberalismus mit ihren „blackbox“-Annahmen.[5]
3 Sicherheitspolitik im Nahen und Mittleren Osten
Die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien reichen bis in die 1940er Jahre zurück. Im Rahmen der Jalta-Konferenz traf US-Präsident Roosevelt auf den saudischen König und Staatsgründer Abdul Aziz. Weil das Energieunternehmen Standard Oil, nach der Aufteilung von Rockefellers Großimperium u.a. in Form von „Standard Oil New Jersey“ bekannt, von den Saudis Konzessionen für Ölförderung bis 1993 erhalten hatte, drehte sich das Gespräch der beiden Staatschefs eher um die Lage in Palästina und die Gründung eines zionistischen bzw. jüdischen Staates und die jeweilige Haltung dazu. Entscheidend war die saudische Kriegserklärung gegen Deutschland kurz nach der Konferenz; vermutlich hatte Roosevelt dies im Gespräch als Bedingung gestellt, um das Ölkönigreich später in die geplanten Vereinten Nationen aufzunehmen – aller Rückständigkeit Saudi-Arabiens zum Trotz.[6] Für die USA avancierte Saudi-Arabien schnell zu einem von zwei Partnerländern – das andere war der Iran nach 1953 – der sogenannten „twin-pillar“ Strategie. Mit dem Rückzug Großbritanniens aus seinem ehemaligen Kolonialgebiet in der arabischen Halbinsel ging der hegemoniale Anspruch vom ehemaligen Empire auf die USA über. Amerikanische Unternehmen wie GE bauten ihre Einsatzorte in Saudi-Arabien aus, während die Ölförderung von ARAMCO (Arabian American Oil Company) auch mit Bildungseinrichtungen für junge Saudis verbunden wurde. Entscheidend ist im Nachgang jedoch die strategische Bedeutung Saudi-Arabiens in der Region, die, in den Worten von US-Präsident Truman, „direct importance to the defense of the Near East area“ vor der Sowjetunion beherbergte und dessen militärische Aufrüstung sich entsprechend vorteilhaft „to the security of the United States“ auswirken würde.[7] Entsprechend fungierte Saudi-Arabien als einer von zwei Partnern auch sicherheitspolitischer Ebene, der, im Rahmen der twin-pillar Strategie, eine kleinere aber wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung amerikanischer Interessen in der Region einnahm.[8]
Als die iranische Monarchie gestürzt und das Land vom Irak 1980 überfallen wurde, ergriffen die USA schnell Partei für den Irak und fanden dabei in Saddam Hussein einen neuen Partner. Dies einer der gewichtigsten Paradigmenwechsel der USA in der Region. Der sunnitische Autokrat erhielt zudem auch Hilfe aus Saudi-Arabien, das den irakischen Streitkräften bspw. in der Bombardierung eines Öltransfergebiets auf iranischem Boden assistierte.[9] Der Irak war also ein gemeinsamer Verbündeter der USA und Saudi-Arabiens gegen Iran. Als die irakische Armee 1990 im Ölreichen Stadtstaat Kuwait einmarschierte, wandten sich sowohl die USA als auch Saudi-Arabien von Saddam ab. In Folge einer internationalen Militärkoalition zogen sich die irakischen Truppen wieder zurück und wurden nun von Saddam angewiesen, rebellierende kurdische Gruppen im Norden zu unterdrücken. Die USA, Türkei und weitere Verbündete setzten zwar eine Flugverbotszone im Nordirak in Kraft, doch Saddam konnte den Entmachtungsversuchen widerstehen.[10] Nach der twin-pillar Strategie setzten die USA deshalb auf das Prinzip des „dual containment“ als Gegengewicht zu Irak und Iran, da beide Länder als bedrohlich für die amerikanischen Sicherheitsinteressen und denen der amerikanischen Partnerstaaten eingestuft wurden, und erhöhten die Militärpräsenz in Saudi-Arabien massiv. Der Einmarsch der USA im Irak 2003 wurde von Saudi-Arabien nicht gutgeheißen, weil der Wegfall des Rivalen Saddam und der Zerfall der irakischen Armee ein Machtvakuum in der Region eröffnete, das nun vor allem vom Iran gefüllt werden konnte.[11]
Abseits der Sicherheitspolitik waren die amerikanisch-saudischen Beziehungen äußerst pragmatischer Natur. Das Prinzip „Öl gegen Sicherheit“ wich erst in Folge der Ölkrise 1973 allmählich auch, wenngleich die Energie-Exporte des Königreichs an den transatlantischen Partner eine wichtige Säule der zwischenstaatlichen Beziehungen darstellte. In Bezug auf die Energiepolitik ist seither jedoch ein Trend festzustellen, der so mancher öffentlicher Darstellung widerspricht: die amerikanischen Ölimporte aus Saudi-Arabien sind seit der Ölkrise 1973 stets zurückgegangen. Das Ziel der US-Regierungen, von Öl- und anderen Energieimporten unabhängig zu werden, führte zu einem Abfall der Öllieferungen aus Saudi-Arabien von 16,5% 1993 und unter 10% im Jahr 2017.[12] Die USA importieren z.B. inzwischen weitaus mehr Öl aus Kanada (40%) und verfügen darüber hinaus im Zuge massiver Investitionen in das sog. „Fracking“ über die weltgrößte Ölproduktion.[13] Insbesondere während der Amtszeit von Obama stieg die heimische Produktion um mehr als das Doppelte und erreichte 2019 neue Rekordwerte.[14] Eine Abhängigkeit der USA von Erdöllieferungen aus Saudi-Arabien und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ist daher nicht gegeben. Vielmehr liegt es im Interessen Washingtons, die Erdöl- und Erdgaslieferungen aus dem Persischen Golf in verbündete Zielländer in Europa zu gewährleisten, damit die amerikanischen Verbündeten keine Engpässe erleiden. Da Saudi-Arabien ein wichtiger Erdöllieferant für Japan, Südkorea und Indien sowie teilweise am Ölimport einiger europäischer Länder beteiligt ist[15], liegt es im Interesse der USA, den kontinuierlichen Strom an Energielieferungen zu gewährleisten, indem die Sicherheitslage am Persischen Golf, insbesondere in der Straße von Hormuz, aufrechterhalten wird.
Es lässt sich festhalten, dass die amerikanisch-saudischen Beziehungen ursprünglich auf dem simplen Prinzip „Energie im Tausch für Sicherheit“ fußen und in Folge der Ölkrise 1973 eine Ausweitung in ihrer Komplexität erfuhren. Nach dem Wegfall der „twin pillar“ Strategie und in Folge der Erstarkung des Irak unter Saddam, und insb. nach dessen Sturz das Ausfüllen des Machtvakuums durch Iran, intensivierten sich die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien in sicherheitspolitischer Hinsicht. Freilich sind im Laufe der 70 Jahre langen Kontakte zwischen Washington und Riad sowohl Höhen als auch Tiefen in den Beziehungen festzustellen. Deshalb erfolgt nun eine Analyse der Überschneidungen als auch Divergenzen amerikanischer und saudischer Beziehungen mit Fokus auf Sicherheitspolitik.
3.1 Divergierende Interessen
In den amerikanisch-saudisch Beziehungen lassen sich zwei zentrale Konfliktfelder darlegen, die bereits in den 1990er Jahren, spätestens aber nach den Anschlägen des 11.September 2001 zurückverfolgt werden könne: die Sicherheitspolitik der USA im Nahen und Mittleren Osten und die Finanzierung des fundamentalistischen internationalen Terrorismus durch Saudi-Arabien.
Der internationale Terrorismus wird von Saudi-Arabien offiziell geächtet und bekämpft. Tatsächlich stellten von Islamisten verübte Anschläge und Revolten seit 1979 die saudische Regierung vor innen- wie außenpolitische Herausforderungen. Die Erstürmung der Großen Moschee in Mekka 1979 führte beispielsweise zu einer restriktiveren Sozialpolitik unter König Khalid, nachdem er der sogenannten ´Ulama (Prediger und religiöse „Rechtsgelehrte“) freie Hand in der Verbreitung des Wahabismus gab – einer erzkonservativen religiösen Bewegung, die seit dem 18.Jahrhundert existiert und die auf der Ablehnung jeglicher vermeintlich unorthodoxer und unislamischer Moderne fundiert ist. Allerdings beruht die Verbindung zw. Königsfamilie und den Wahhabiten ohnehin auf dem Zweckbündnis des Staatsgründers Abd al-Aziz ibn Saud mit wahhabitischen Stämmen, und mit der gemeinsamen Konsolidierung ihrer Macht auf der arabischen Halbinsel in den 1920er Jahren.[16] Die zusätzliche „Wahabisierung“ der saudischen Innenpolitik 1979 geschah kurz nach der islamischen Revolution im Iran und dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Die Unterstützung der sog. Mujahideen-Miliz auf dem afghanischen Lande ggü. der sowjetischen Besatzung in den Städten erfolgte finanziell vor allem durch die USA, doch ein erheblicher Teil der finanziellen Unterstützung floß verdeckt als „Spenden“ aus Saudi-Arabien (rund $ 4 Mrd.) via dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Beide Länder wollten so einer potenziellen Einflussnahme des revolutionären Iran in Afghanistan verhindern, während ihr gemeinsamer Verbündeter von Washington aus die sowjetische Besatzung zu beenden versuchte. Einer der Mujahideen war der saudische Staatsbürger Osama bin Laden, der in den 1990er Jahren seine Unterstützung in Afghanistan kanalisierte, um weltweit gegen die USA zu mobilisieren. Sowjets.[17]
Ein weiteres Beispiel für die Auseinandersetzung der Saudis mit dem Terrorismus ist das Drängen der Fundamentalisten gegenüber dem Königshaus, die amerikanischen Truppen zum Abzug aus saudischem Territorium zu bringen. Der Anschlag auf die Kohbar Towers 1996, die als Kommandobasis für die Errichtung einer Flugverbotszone in Südirak diente und der amerikanischen Truppen gegolten war, hatte besonders außenpolitische Implikationen zur Folge. Nachdem die US-Regierung ursprünglich die vom Iran unterstützte Hisbollah dafür verantwortlich gemacht hatte, gab der damals amtierende Verteidigungsminister Perry später der saudischen Hisbollah und der Terrororganisation al-Qaida die Verantwortung. [18] Der Nutznießer dieses Anschlags war in der Tat al-Qaida gewesen, da sich auf Druck der Terrororganisation sowie anderer radikal-sunnitischer Organisationen die saudische Königsfamilie dazu veranlasst sah, einen Abzug der US-Truppen mit Washington zu vereinbaren.[19]
[...]
[1] TALIAFERRO, Jeffrey W.; WISHART, Robert W.: Neoclassical Realism. Domestic Opportunities for Great Power Intervention, in: STERLING-FOLKER, Jennifer: Making Sense of International Relations Theory. Second Edition:.48-49.
[2] Ebd., 50.
[3] Ebd,. 50.
[4] FAWCETT, Louise (Hg.): International Relations of the Middle East. Fourth Edition: 9.
[5] QASEM, Islam Y.: Oil and security policies. Saudi Arabia, 1950-2012: 29.
[6] LIPPMAN, Thomas W.: The United States and Saudi Arabia, in: LESCH, David W.; HAAS, Mark L. (Hrsg., 2018): The Middle East and the United States. History, Politics, and Ideologies: 290-291.
[7] Zitiert nach LIPPMAN: 292.
[8] SICK, Gary: The United States in the Persian Gulf, in: LESCH; HAAS (2018): 238-239-
[9] SICK: 242.
[10] SICK: 244-245.
[11] SICK: 245-249; HINNEBUSCH, Raymond, EHTESHAMI, Anoushiravan: Foreign Policy making in the Middle East: Complex Realism, in: FAWCETT (Hg.): 248-249.
[12] LUCIANI, Giacomo: Oil and Political Economy in the International Relations of the Middle East, in: FAWCETT, Louise (Hg., 2016): International Relations of the Middle East, Fourth Edition: 111.
[13] U.S. ENERGY INFORMATION ADMINISTRATION: How much petroleum does the United States import and export?.
[14] Von 4 Mio. Barrel pro Woche kurz vor Obamas Amtseintritt auf über 12 Mio. Barrel pro Woche im März 2019. Siehe U.S. EIA: 4-Week Avg U.S: Field Production of Crude Oil, Stand 22.03.2019.
[15] Für Daten siehe THE OBSERVATORY OF ECONOMIC COMPLEXITY: Where does Saudi-Arabia export to? (2017); zur strategischen Lage der Straße von Hormuz siehe REUTERS: Strait of Hormuz: the world's most important oil artery, 05.07.2018;
[16] SONS, Sebastian: Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter, 25-36, insb. 32-33.
[17] COUNCIL ON FOREIGN RELATIONS: Saudi Arabia and the Future of Afghanistan, 10.12.2008.
[18] STERN, Jessica; MODI, Amit: Producing terror: organizational dynamics of survival, in: BIERSTEKER, Thomas J.; ECKERT, Sue E. (Hrsg.): Countering the Financing of Terrorism: 33.
[19] UPI: Perry: U.S. eyed Iran attack after bombing, 06.06.2007.