Die Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende. Eine ethische Betrachtung aus Sicht des Utilitarismus
Zusammenfassung
geschaffen werden. Die Organspende wird mit Hilfe des Transplantationsgesetzes erläutert, sowie medizinische Voraussetzungen und Bedingungen zur Spende erklärt. Hierbei spielt vor allem das Hirntodkriterium die entscheidende
Rolle. Des Weiteren muss auch die zurzeit geltende politische Regelung des Zustimmungsmodells in Deutschland betrachtet werden, um anschließend die Möglichkeit der Widerspruchslösung näher auszuführen.
Die gesellschaftliche Aufklärung und vorhandene Ängste haben ebenfalls eine große Bedeutung für die Organspendenbereitschaft. Im Zusammenhang mit der ethischen Sicht auf die Widerspruchslösung wird eine utilitaristische Betrachtung durchgeführt. Zu erwähnen ist außerdem, dass in dieser Arbeit ausschließlich Bezugnahme auf postmortale Organspenden genommen wird, dass heißt die Entnahme von Organen, die einem Menschen nach dessen Todesfeststellung entnommen wurden. Bei der Lebendorganspende könnten andere ethische Fragen und Aufarbeitungen des Themas relevant sein.
"Organspende – Die Entscheidung zählt!", so lautet die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), gefördert wird diese durch die Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der erkrankten Menschen, die ihre Hoffnung auf ein gespendetes Organ setzen, steigt immer weiter an. Durch das Zustimmungsmodell sollen immer mehr Menschen zu einer Entscheidung für die Organspende bewegt werden. In Deutschland ist die Spendenbereitschaft aber lange noch nicht so hoch, dass die Spenden den Bedarf an Organen decken könnten.
In neuen Debatten wird deshalb über das Modell der Widerspruchslösung diskutiert, welches die allgemeine Spendenbereitschaft voraussetzen würde. Eine Person muss dann der Spende zu Lebzeiten widersprochen haben, da ansonsten von der Freiwilligkeit zur Spende ausgegangen wird. Doch ist die Widerspruchslösung auch eine ethisch vertretbare Lösung und ist es überhaupt gesichert, dass dadurch mehr Spenden generiert werden können?
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das ethische Problem
3 Die gesetzliche Regelung zur Organisation der Organspende
4 Das Hirntodkriterium als Lösung der Medizin
5 Die politischen Modelle
5.1 Die Entscheidungslösung
5.2 Die Widerspruchslösung
6 Gesellschaftliche Aufklärung und Angst
7 Ethische Überlegungen zur Widerspruchslösung
7.1 Utilitaristische Betrachtung
7.2 Die Alternative
8 Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“, so lautet die Kampagne der Bundes- zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), gefördert wird diese durch die Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der erkrankten Menschen, die ihre Hoff- nung auf ein gespendetes Organ setzen, steigt immer weiter an. Durch das Zu- stimmungsmodell sollen immer mehr Menschen zu einer Entscheidung für die Organspende bewegt werden. In Deutschland ist die Spendenbereitschaft aber lange noch nicht so hoch, dass die Spenden den Bedarf an Organen decken könnten. In neuen Debatten wird deshalb über das Modell der Widerspruchslö- sung diskutiert, welches die allgemeine Spendenbereitschaft voraussetzen würde. Eine Person muss dann der Spende zu Lebzeiten widersprochen haben, da ansonsten von der Freiwilligkeit zur Spende ausgegangen wird. Doch ist die Widerspruchslösung auch eine ethisch vertretbare Lösung und ist es überhaupt gesichert, dass dadurch mehr Spenden generiert werden können? Diese Arbeit beschäftigt sich deshalb mit der Auseinandersetzung einer ethischen Betrach- tung zur Widerspruchslösung. Durch aktuelle Fakten und Zahlen soll zunächst ein Überblick über die derzeitige Situation und Problematik der Organspende geschaffen werden. Die Organspende wird mit Hilfe des Transplantationsgeset- zes erläutert, sowie medizinische Voraussetzungen und Bedingungen zur Spende erklärt. Hierbei spielt vor allem das Hirntodkriterium die entscheidende Rolle. Des Weiteren muss auch die zurzeit geltende politische Regelung des Zustimmungsmodells in Deutschland betrachtet werden, um anschließend die Möglichkeit der Widerspruchslösung näher auszuführen. Die gesellschaftliche Aufklärung und vorhandene Ängste haben ebenfalls eine große Bedeutung für die Organspendenbereitschaft. Im Zusammenhang mit der ethischen Sicht auf die Widerspruchslösung wird eine utilitaristische Betrachtung durchgeführt. Zu erwähnen ist außerdem, dass in dieser Arbeit ausschließlich Bezugnahme auf postmortale Organspenden genommen wird, dass heißt die Entnahme von Or- ganen, die einem Menschen nach dessen Todesfeststellung entnommen wur- den. Bei der Lebendorganspende könnten andere ethische Fragen und Aufar- beitungen des Themas relevant sein.
2 Das ethische Problem
Bei einer postmortalen Organspende werden den SpenderInnen nach festge- stelltem Tod und unter dessen Einwilligung Organe entnommen und zur Trans- plantation zur Verfügung gestellt. In der Bundesrepublik Deutschland ist es möglich Herz, Lunge, Niere, Leber, Pankreas und Dünndarm zu spenden (Rae- del 2019, S.11). Laut Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantati- on warteten im Jahr 2018 in Deutschland fast 10.000 Menschen auf ein Spen- derorgan (DSO 2019, S.68). 2018 gab es an die 1000 OrganspenderInnen, de- nen in der Regel bis zu drei Organe postmortal entnommen wurden (ebd.). Es wurden also insgesamt circa 3000 Organe gespendet, die schwerkranken Men- schen bei gelungener Transplantation zu weiterem Leben verhelfen konnten. Im Vergleich zum Vorjahr handelte es sich um eine Steigerung von 20% gespen- deter Organe. Im Jahr 2017 erreichte der Spendenstand aber auch sein nied- rigstes Niveau seit 20 Jahren (ebd.). Täglich sterben statistisch gesehen laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation drei Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan, weil kein passendes Organ rechtzeitig für sie verfügbar ist (ebd.). Diese Zahlen und Fakten zeigen das bestehende Ungleichgewicht von SpenderIn zu EmpfängerIn. Die Politik stellt sich deshalb aktuell die Frage, wie das Ungleichgewicht am besten und schnellsten behoben werden kann, damit mehr Menschenleben gerettet werden können. Die Möglichkeit einer Ver- änderung des politischen Modells der Zustimmungsregelung hin zu einer Wi- derspruchslösung wird diskutiert.
Im folgenden Kapitel soll zunächst einmal der Ablauf einer Organspende hin- sichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland näher erläutert werden. Das Transplantationsgesetz bildet für den Ablauf, von der Entnahme des Organs bis zur Einsetzung in die EmpfängerIn, die dafür gel- tende Richtlinie.
3 Die gesetzliche Regelung zur Organisation der Organspende
In Deutschland ist die Organspende im Transplantationsgesetz (TPG) seit De- zember 1997 festgelegt (Bundesgesundheitsministerium 2019). Im Gesetz wer- den die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen gere- gelt (ebd.). Dabei kann es sich um Spenden zu Lebzeiten oder um postmortale Spenden handeln. Bevor bei einer postmortalen Organspende ein Organ mögli- cher SpenderInnen transplantiert werden kann muss eine irreversible Hirnschä- digung, der sogenannte Hirntod, von zwei unabhängigen Ärzten festgestellt worden sein (ebd.). Des Weiteren sollte gemäß §3 des Transplantationsgeset- zes eine Einwilligung seitens der SpenderInnen vorliegen. Dies kann in Form eines Organspendeausweises oder innerhalb einer Patientenverfügung festge- legt worden sein (§3 TPG). Liegt keine Zustimmung aber auch kein Wider- spruch vor, obliegt die Entscheidung für eine Organspende unter bestimmten Voraussetzungen den Angehörigen der Person (§4 TPG). Im Gesetz sind au- ßerdem die Trennung der Bereiche Organspende, Organvermittlung und Or- gantransplantation festgeschrieben (Bundesgesundheitsministerium 2019). Die Organspende wird von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ge- regelt und die Organvermittlung von der Stiftung Eurotransplant (ET) (ebd.). Die DSO bildet gemäß §11 TPG die Koordinierungsstelle des Spendenablaufs. Sie benachrichtigt die Vermittlungsstelle Eurotransplant über mögliche SpenderIn- nen und führt den Organtransport sowie die Übergabe der Organe an die Transplantationszentren durch (§11 TPG). Die Stiftung Eurotransplant bildet als Verbund mit anderen europäischen Ländern ein möglichst weites Netz, um die Chancen auf ein passendes Organ für wartende EmpfängerInnen zu erhöhen (§12 TPG). Eurotransplant vermittelt geeignete Organe dann an EmpfängerIn- nen, die auf einer Warteliste stehen. Die Organvermittlung sowie Führung der Wartelisten wird unter Berücksichtigung der Richtlinien der Bundesärztekammer veranlasst (ebd). Die Verteilung der Spenderorgane folgt dabei vier Prinzipien (Raedel 2019, S.16). Das wichtigste Kriterium ist zunächst der Erfolg, also die Passgenauigkeit von SpenderIn zu EmpfängerIn (ebd.). Des Weiteren spielt die Dringlichkeit und die abgeleistete Zeit auf der Warteliste eine Rolle (ebd.). Als letztes wird auf die nationale Organaustauschbilanz geschaut, da zwischen den beteiligten Staaten enorme Unterschiede in der Bilanz von OrganspenderIn zu OrganempfängerIn bestehen (ebd.). Die Organaustauschbilanz besagt, dass in einem Land ungefähr so viele Organe an EmpfängerInnen gehen, wie auch von SpenderInnen in dem Land zur Verfügung gestellt wurden. Die Unterschiede hängen mit verschiedenen Faktoren, wie der politischen Modelle zur Umset- zung einer Organspende oder der Aufklärung innerhalb der Bevölkerung zu- sammen. Auf die Themen wird in dieser Arbeit im Weiteren noch genauer ein- gegangen. Da die Zahl der Personen, die auf ein Organ warten, dauerhaft hö- her ist wurde sich von den beteiligten Staaten auf eine nichtkommerzielle Or- ganvermittlung verständigt (Raedel 2019, S.17). Eine Organspende wird dem- nach nicht vergütet und das Vermögen der EmpfängerInnen spielt ebenfalls keine Rolle (ebd.). Eine Organentnahme darf außerdem laut Gesetz nur in ent- sprechenden Entnahmekrankenhäusern und eine Organübertragung nur in da- für vorgesehenen Transplantationszentren erfolgen (§ 12 TPG). Im nachfolgen- den Abschnitt soll nun die Voraussetzung für eine Organspende aus Sicht der Medizin erläutert werden und warum dafür das Hirntodkriterium und die Organ- entnahme vom Menschen, die derzeit einzige Lösung darstellt.
4 Das Hirntodkriterium als Lösung der Medizin
Bevor eine Organspende erfolgen kann, muss aus medizinischer Sicht der Hirn- tod der möglichen SpenderInnen festgestellt worden sein. Früher galt der Herz- und Atemstillstand als Tod des Menschen (Brust 2013, S.20). Die Medizin han- delt nach dem Grundsatz Leben zu retten und befindet sich in einem stetigen Prozess. So ist es ihr gelungen, den Sterbevorgang eines Menschen durch Maschinen an bestimmten Stellen zu unterbrechen (Jörns 1993, S.12 f.). Es besteht die Möglichkeit, den Menschen künstlich zu beatmen und die Herztätig- keit weiter aufrecht zu erhalten (Brust 2013, S.20f.). Menschen können so nach einiger Zeit wieder genesen. Wenn das Gehirn jedoch aufgrund eines Blut- oder Sauerstoffmangels einen zu großen Schaden erlitten hat, können Gehirnfunkti- onen unwiederbringlich verloren gehen (ebd.). Den totalen irreversiblen Ausfall der gesamten Hirnfunktionen von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm bezeich- net man dann als sogenannten Hirntod. Mit dem Hirntod würde ohne eine künstliche Beatmung der Herzstillstand folgen, da die Fähigkeit zu atmen mit fehlender Hirnfunktion erlischt (ebd.). Seit 1968 wurde der Hirntod deshalb als geltendes Todeskriterium anerkannt und für die Organspende vorausgesetzt (Brust 2013, S.17). Es wird davon ausgegangen, dass ohne funktionsfähiges Gehirn der Mensch als körperlich geistige Einheit gar nicht mehr existiere, die- sem also durch eine Organentnahme kein Leid mehr zugefügt werden kann (Brust 2013, S.22). Das damalige Ischämie-Problem, dass Spenderorgane teil- weise durch die Unterversorgung mit Blut und Sauerstoff nicht lebendfrisch wa- ren, wurde durch das Hirntodkriterium so lösbar und die Organentnahme aus Verstorbenen rechtlich sicher für die Medizin (Brust 2013, S.17). Die Feststel- lung des Hirntods folgt dabei nach einem festgelegten Verfahren der Bundes- ärztekammer (Raedel 2019, S.11 f.). Übliche Verfahren, die wie bereits erwähnt von zwei unabhängigen Ärzten durchgeführt werden, sind unter anderem Fest- stellung der Bewusstlosigkeit, der Atemstillstand und fünf Reflexprüfungen, da es hirntoten Menschen an Reflexen fehlt (ebd.). Dabei handelt es sich um un- terschiedliche Tests körperlicher Reaktionen, wie der Prüfung des Pupillenrefle- xes oder dem Würge- und Hustenreflex. Deuten alle Prüfungen auf fehlende Hirnfunktionen hin, stellen die Ärzte den klinischen Hirntod der zu behandeln-den Person fest (Raedel 2019, S.13). Handelt es sich bei den Personen um mögliche OrganspenderInnen müssen die medizinischen Maßnahmen der künstlichen Beatmung solange weiter aufrechterhalten werden, bis die Organ- entnahme erfolgen kann (ebd.). Es wird davon ausgegangen, dass mit dem Hirntod nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Schmerzempfinden erlo- schen ist. Dennoch kann es während einer Organentnahme zu einem Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz kommen, die laut medizinischer Überzeu- gung aber keine Indizien für ein Schmerzempfinden darstellen, sondern ledig- lich durch letzte Reflexe im Rückenmark zustande kämen (Raedel 2019, S.15). Laut dem deutschen Ethikrat können potenzielle SpenderInnen die Einwilligung zur Spende unter den Vorbehalt stellen, dass die Organentnahme unter Voll- narkose durchgeführt werden soll (Raedel 2019, S.16). Dies muss lediglich von der betroffenen Person im Vorfeld schriftlich festgehalten worden sein (ebd.). Das Hirntodkriterium steht überdies immer wieder in der Kritik. Da eine kriti- schere Auffassung davon ausgeht, dass der Gesamtorganismus und nicht das Gehirn im Zentrum steht (Brust 2013, S.23). Kritiker bemängeln, dass der Hirn- ausfall nur eine Station auf dem Weg des Sterbens ist (ebd.). Solange der Or- ganismus aber noch Anzeichen des Lebens zeigt, sei der Mensch am Leben. Es geht also um verschiedene Vorstellungen vom Lebendig sein (Raedel 2019, S.25). Das Hirntodkriterium soll aber als ein medizinisches Kriterium zur Todes- feststellung genutzt und nicht als Todesdefinition festgelegt werden (Raedel 2019, S.31). Das Verständnis von Leben und Tod ist mit medizinischen Mitteln nicht feststellbar, dazu bedarf es einer Hinzuziehung des Todesverständnisses, was beispielsweise durch unterschiedliche Religionen ganz verschieden ge- prägt sein kann (ebd.). Um einen Ausweg für die Knappheit von Organen zu finden, beschäftigt sich die Medizin seit langem auch mit der Möglichkeit von Xeno-transplantationen, die Übertragung von Tierorganen auf den Menschen (Ach et al. 2000, S.161). Die Abstoßungsreaktion der menschlichen Immunab- wehr gilt dabei als größtes zu überwindendes und noch nicht gelöstes Problem (ebd.). Bislang gelingt es nicht, die Immunabwehr mit Medikamenten weit ge- nug zu unterdrücken, so dass tierische Organspenden vom menschlichen Kör- per meist nach kurzer Zeit abgestoßen werden (drze). Außerdem müssten in dem Zusammenhang tierethische Fragen geklärt werden, inwieweit Tiere über- haupt für derart menschliche Zwecke als „Ersatzteillager“ bereitgehalten oder gezüchtet werden dürfen (Ach et al. 2000, S.163). Eine andere Alternative zur Organgewinnung könnte in Zukunft auch die Herstellung von künstlichen Orga- nen oder die Erzeugung von Organen aus Stammzellen darstellen (drze). Alle alternativen Möglichkeiten befinden sich aber noch in der Entwicklungsphase und sind zumeist ethisch noch sehr umstritten, so dass Organtransplantationen von Mensch zu Mensch die bisherige Lösung der Medizin bleiben (ebd).
Die Politik bietet verschiedene Modelle, um die Organspende zu regeln. Im fol- genden Kapitel wird das deutsche Modell der Entscheidungslösung vorgestellt, um anschließend die aufkommende Debatte der Einführung einer Wider- spruchslösung als neues Zustimmungsmodell für Deutschland zu erläutern.
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