“Auf dem Weg des Lebens – sei es in tobenden Stürmen, im wärmenden Sonnenschein oder mitten im Auge eines Zyklons – hängt es allein vom Willen ab, ob man überlebt oder nicht.”
An das somalische Volk gerichtet, wäre dies der größte Zynismus, den ihm ein in Frieden, Sicherheit und Wohlstand lebender Europäer an den Kopf werfen könnte. Somalier leben tagtäglich wie „im Auge eines Zyklons“, um sie herum die „tobenden
Stürme“ aus Krieg, Vertreibung und Armut und stets die Gefahr hineinzugeraten, wenn sie es nicht schon sind. Wie wenig, könnte man ahnen, würde hier noch vom Willen geändert werden und wie wenig Wille würde hier noch zum Überleben da sein. Doch diese Worte stammen von Waris Dirie, der es gelang, den Problemen und Nöten Somalias zu entfliehen um heute als Model, Frauenrechtsaktivistin und Autorin von „Wüstenblume“ zu leben. Wer sonst könnte treffender an ihre Heimat appellieren?
Das Horn von Afrika galt schon früh als strategisch bedeutsam, weshalb auch 1889 Großbritannien, Italien, Frankreich und Äthiopien die von Somali bewohnte Region unter sich aufteilten. Britisch-Somaliland und die italienische Kolonie einten sich mit der Unabhängigkeit 1960 zum Staat Somalia. Die eingerichtete Parteiendemokratie konnte sich aber gegen das vorherrschende Clansystem nicht etablieren. 1969 putschte General Siad Barre und übernahm mit einem diktatorischen Militärregime die Macht. Fortschritt und Modernisierung setzten ein. Ende 1990 stürzten drei Aufstandsbewegungen den Diktator, wovon eine im Norden das unabhängige Somaliland ausrief, während das restliche Somalia im anhaltenden Bürgerkrieg in diverse Machtbereiche zerfiel. Die Union Islamischer Gerichte konnte 2006 weite Teile Südsomalias kontrollieren und stabilisieren. Doch die offizielle Übergangsregierung entmachtete mithilfe der äthiopischen Armee die Islamisten, konnte die Gebiete aber nicht halten und hinterließ diversen, einander bekämpfenden Milizen die Macht.
Diese Arbeit beleuchtet die aktuelle Menschenrechtssituation seit dem 2006 wieder entbrannten Bürgerkrieg und der damit verbundenen humanitären Katastrophe.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Anerkannt aber zerfallen: Somalia
2.1 Allgemeine Ubersicht
2.2 Soziale Probleme
2.3 Frauen im Gewohnheitsrecht
2.4 Situation von Vertriebenen
3 Aussichtslos und unsicher: Siid- und Zentralsomalia
3.1 Handlungsunfahigkeit der Regierung
3.2 Gefahrlichkeit des Btirgerkriegs
3.3 Radikaler Islamismus
4 Autonom und schwach: Puntland
4.1 Verfassungsrechtlicher Rahmen
4.2 Piraterie vor der Ktiste
5 Abtriinnig und stabil: Somaliland
5.1 Verfassungsrechtlicher Rahmen
5.2 Politik ftir Stabilitat
5.3 Orientierung der Rechtssprechung
6 Fazit
7 Abkiirzungsverzeichnis
8 Literatur- und Quellenverzeichnis
1 Einleitung
"Auf dem Weg des Lebens - sei es in tobenden Sttirmen, im warmenden Sonnenschein oder mitten im Auge eines Zyklons - hangt es allein vom Willen ab, ob man tiberlebt oder nicht. 1
An das somalische Volk gerichtet, ware dies der groBte Zynismus, den ihm ein in Frieden, Sicherheit und Wohlstand lebender Europaer an den Kopf werfen konnte. Somalier leben tagtaglich wie ,im Auge eines Zyklons", um sie herum die ,tobenden Sttirme" aus Krieg, Vertreibung und Armut und stets die Gefahr hineinzugeraten, wenn sie es nicht schon sind. Wie wenig, konnte man ahnen, wtirde hier noch vom Willen geandert werden und wie wenig Wille wtirde hier noch zum Uberleben da sein. Doch diese Worte stammen von Waris Dirie, der es gelang, den Problemen und Noten Somalias zu entfliehen um heute als Model, Frauenrechtsaktivistin und Autorin von ,Wtistenblume" zu leben. Wer sonst konnte treffender an ihre Heimat appellieren?
Das Horn von Afrika galt schon frtih als strategisch bedeutsam, weshalb auch 1889 GroBbritannien, Italien, Frankreich und Athiopien die von Somali bewohnte Region unter sich aufteilten. Britisch-Somaliland und die italienische Kolonie einten sich mit der Unabhangigkeit 1960 zum Staat Somalia. Die eingerichtete Parteiendemokratie konnte sich aber gegen das vorherrschende Clansystem nicht etablieren. 1969 putschte General Siad Barre und tibernahm mit einem diktatorischen Militarregime die Macht. Fortschritt und Modernisierung setzten ein. Ende 1990 sttirzten drei Aufstandsbewegungen den Diktator, wovon eine im Norden das unabhangige Somaliland ausrief, wahrend das restliche Somalia im anhaltenden Btirgerkrieg in diverse Machtbereiche zerfiel. Die Union Islamischer Gerichte konnte 2006 weite Teile Stidsomalias kontrollieren und stabilisieren. Doch die offizielle Ubergangsregierung entmachtete mithilfe der athiopischen Armee die Islamisten, konnte die Gebiete aber nicht halten und hinterlieB diversen, einander bekampfenden Milizen die Macht.2
Diese Arbeit beleuchtet die aktuelle Menschenrechtssituation seit dem 2006 wieder entbrannten Btirgerkrieg und der damit verbundenen humanitaren Katastrophe.
2 Anerkannt aber zerfallen: Somalia
2.1 Allgemeine Ubersicht
Somalia hat circa acht Millionen Einwohner, die zu 95% der Ethnie der Somali mit der gleichnamigen Sprache und zu 99% den sunnitischen Muslimen zugeordnet werden. Die fast homogene Bevolkerung erlebt dennoch durch politische, traditionelle, konfessionelle, personliche und okonomische Fronten Staatszerfall und Btirgerkrieg. In den anhaltenden Kampfen in Stid- und Zentralsomalia begingen alle Parteien massive MenschenrechtsverstoBe. Eine machtlose Ubergangsregierung (TFG) begtinstigt die Piraterie, erschwert humanitare Hilfe und ermoglicht keinen staatlichen Schutz von Menschenrechten. Somalia liegt deshalb hinsichtlich politischer Rechte und Freiheiten der Btirger in der schlechtesten Kategorie 7 der Freedom House-Untersuchungen. Neben dem Btirgerkrieg selbst bergen landesweit die katastrophale Versorgung der Vertriebenen und die sozialen Probleme des kaum entwickelten Landes Beeintrachtigungen der Menschenrechte.3
Als positiver Kontrast wird haufig das abtrtinnige Somaliland aufgeftihrt. Daher wird die Rechtssituation dort differenziert analysiert.
2.2 Soziale Probleme
Die Bevolkerung hat mit vielen sozialen Problemen zu kampfen, die der somalische Staat aufgrund fehlender Strukturen gegenwartig nicht bewaltigen kann.
Somalier haben mit einer Lebenserwartung von 49,63 Jahren durchschnittlich etwa 30 Jahre weniger zu leben als deutsche Staatsbtirger. Ein weiterer extremer Unterschied zeigt sich bei der Kindersterblichkeit, denn den ftinf toten deutschen Kindern pro 1000 Lebendgeburten stehen bis zu 196 somalische gegentiber. Das Auswartige Amt spricht zudem von einer der hochsten Mtittersterblichkeitsraten und Medicines Sans Frontiers schatzt, dass landesweit 200.000 Kinder unter 5 Jahren unterernahrt sind. Die Grtinde sind vielfaltig: Zum ersten besteht ein hohes Risiko, an Infektionskrankheiten wie Denguefieber, Malaria, Hepatitis oder Typhus zu erkranken. Zum zweiten verschlimmert verschmutztes Trinkwasser die gesundheitlichen Probleme. Zum dritten lost eine schlechte Nahrungsmittelversorgung, entstehend durch schrumpfende landeseigene Ertrage und folglich steigende Lebensmittelpreise, oftmals Hungersnote aus. Uberweidung, Desertifikation und Dtirreperioden treffen ein Land, dessen Landwirtschaft 65% des BIP ausmacht, besonders hart. In Kriegsregionen wie Mogadischu ist medizinisches Personal tiberfordert, wenn nach Kampfen verletzte Zivilisten stoBweise eingeliefert werden. Krankentragen und Krankenwagen existieren nicht. Versorgung und Unterbringung sind katastrophal: ,They were laid on tables and the lino floor, soaked in their own blood and vomit."4
42% der Bevolkerung benotigen aufgrund der genannten Grtinde humanitare Hilfe - in absoluten Zahlen sind es 3,8 Mio. Bedtirftige.5
Ein weiteres Problem ist eine Alphabetisierung von gerade einmal 37,8%. Zugang zur Schulbildung haben nur 13% der Jungen und 7% der Madchen. Auch in Somaliland sind Madchen schlechter gebildet, denn nur 36% der Grundschulganger sind weiblich.6
Somalia liegt im weltweiten BIP-Vergleich auf Platz 155 von 226. Das Pro-Kopf- Einkommen ist selbst im afrikanischen Vergleich niedrig, wahrend die Lebenshaltungskosten hoch sind. Armut und Arbeitslosigkeit sind weit verbreitete Probleme, denen nicht einmal genauere Zahlen zu Grunde liegen. Die Verstadterung, meist durch mittellos gewordene Viehztichter, betragt jahrlich 4,2%.7
Die dargestellten sozialen Probleme verdeutlichen, dass erheblichen Teilen der somalischen Bevolkerung grundlegende, in der AEMR festgehaltene, Rechte auf eine Gesundheits- und Nahrungsversorgung, auf Bildung, Gleichberechtigung, soziale Sicherheit und Arbeit nur eingeschrankt oder gar nicht gewahrleistet werden konnen (Art.25+26+2+22+23 AEMR).8
2.3 Frauen im Gewohnheitsrecht
Im somalischen Gewohnheitsrecht wird Frauen eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Sie sind nicht erbberechtigt, werden zwangsverheiratet und politisch von Mannern vertreten. Das Hauptproblem stellt die weibliche Genitalversttimmelung (FGM) dar. FGM wurde weltweit von der eingangs erwahnten Somali Waris Dirie problematisiert. 99% der Madchen und Frauen sind in ihrem Heimatland beschnitten. Die schlimmste Form, die Infibulation, ist gerade am Horn von Afrika weit verbreitet. FGM wird gesellschaftlich als Vorraussetzung einer Hochzeit gesehen, welche ftir die okonomische Versorgung der Frau traditionell notwendig ist. Der Eingriff erfolgt meistens im Kindesalter, ohne Betaubung und extrem unhygienisch. Es folgen sowohl physische als auch psychische Verletzungen, nicht selten Unfruchtbarkeit und Tod.9
Auswanderer schicken ihre Tochter ins relativ friedliche Somaliland, um sie dort, ohne rechtliche Konsequenzen ftirchten zu mtissen, beschneiden zu lassen. Obwohl sich dort schon Frauenrechtsorganisationen formieren konnten, zeigt die Regierung wenig Interesse im Kampf gegen FGM. Einen Lichtblick bietet lediglich die Erklarung 34 somalischer Gemeinden im Oktober und Dezember 2009, FGM zu verbannen.10
Das Gewohnheitsrecht leugnet die Gleichberechtigung unabhangig vom Geschlecht, die EheschlieBung unter freier Willensentscheidung und das Recht der Frauen zur Partizipation an offentlichen Angelegenheiten (Art.2, Art.16 Abs.2, Art.21 AEMR). FGM zahlt zu grausamen Behandlungen die verboten sind, da sie die Menschenwtirde und das Recht auf Gesundheit verletzen (Art.5+1, Art.25 Abs.1 AEMR). FGM bei Kindern bedeutet zudem eine Verletzung der Rechte auf Schutz vor Misshandlung durch die Eltern und auf Aufklarung (Art.19+24+13+17 CRC). Aufgrund dieser Verletzungen der rechtlich bindenden AEMR und CRC ertibrigt sich eine Untersuchung der von Somalia nicht unterzeichneten CEDAW.11
2.4 Situation von Vertriebenen
2007 schatzte Amnesty International, dass 600.000 Menschen allein aus Mogadischu gefltichtet sind. Weitere 20.000 wurden durch den Grenzstreit zwischen Somaliland und Puntland vertrieben. In Stid- und Zentralsomalia gelten 1,2 Mio., landesweit 1,6 Mio. als Binnenvertriebene. Angehorige von Minderheiten sind besonders betroffen.12
Den Problemen konnen die meisten nicht entfliehen. In den Fltichtlingslagern gibt es oft kein Wasser, keine sanitaren Anlagen, medizinische Versorgung oder internationale Hilfe. Gewalttaten, insbesondere Vergewaltigungen und Pltinderungen, sind verbreitet. Beispielsweise leben die Fltichtlinge aus Mogadischu an der StraBe Richtung Afgoye, wo Nahrungsmittel knapp sind und Trinkwasser nur sehr teuer verkauft wird. Teilweise trinken die Menschen aus Fltissen, die durch schlechte Hygiene verschmutzt sind. Deshalb mtissen im Benadir Krankenhaus Mogadischus, das keinerlei Betten hat, 700 Kinder, zum Teil unter 5 Jahren, wegen Cholera und Durchfall behandelt werden.13
Hunderttausende fltichteten zudem in die Nachbarlander und in die stabile Region Somaliland, die allerdings auch keine Grundversorgung sicherstellen konnte. 2007 kamen mehr als 1400 Fltichtlinge auf der Seereise in den Jemen um. Kenia schloss im selben Jahr die Grenze und wies Asylsuchende ab. AuBerdem soll es die schwierige Lebenssituation im Fltichtlingslager Dabaab ausnutzen, um Soldaten zu rekrutieren.14
Den 1,6 Mio. Binnenvertrieben werden daher die Rechte auf Leben und Sicherheit, auf einen Lebensstandard, worunter der Erhalt von Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung fallt, auf das Eigentum und auf eine soziale Ordnung verletzt oder versagt (Art.3+25+17+28 AEMR). Vor allem vertriebenen Kindern kann der somalische Staat im beispielhaft aufgeftihrten Krankenhaus keine angemessene Gesundheitsversorgung bieten, um deren Uberleben und Entwicklung zu sichern (Art.24+6 CRC).15
[...]
1 Dirie, Waris 2007: S.5
2 vgl. Hofmeier, Rolf / Mehler, Andreas (Hrsg.) 2005: S.266 ff. vgl. http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/country_profiles/1072592.stm
3 vgl. Heinrich-Boll-Stiftung (Hrsg.) 2008: S.11 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=478&year=2009
4 vgl. http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=77768 vgl. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/deutschland?destination=node%2F2904%3Fpage%3D2 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/HumanitaereHilfe/Somalia.html vgl. http://www.msf.ch/index.php?id=1070&L=1 vgl. http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/africa/article1706367.ece ebenda
5 vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/HumanitaereHilfe/Somalia.html vgl. http://www.msf.ch/index.php?id=1070&L=1
6 vgl. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html vgl. http://www.waris-dirie-foundation.com/de/weihnachtswunder.../ vgl. http://www.somalilandgov.com/cprofile.htm
7 vgl. Bundeszentrale ftir politische Bildung (Hrsg.) 2009: S.55 f. vgl. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html vgl. http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/country_profiles/3794847.stm vgl. http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4372189.stm
8 vgl. Bundeszentrale ftir politische Bildung (Hrsg.) 2005: S.403 f.
9 vgl. http://derstandard.at/2971797 vgl. http://www.waris-dirie-foundation.com/de/was-ist-fgm/ vgl. http://www.waris-dirie-foundation.com/de/was-ist-fgm/daten-und-fakten/ vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7834600.html vgl. Terre des Femmes (Hrsg.) 2003: S.28, S.40, S.43
10 vgl. http://www.waris-dirie-foundation.com/de/weihnachtswunder.../ vgl. http://www.afrol.com/articles/25884
11 vgl.http://treaties.un.org/.../
12 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2008/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.reliefweb.int/rwarchive/rwb.nsf/db900sid/LRON-788J8B?OpenDocument vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/HumanitaereHilfe/Somalia.html
13 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2008/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/africa/article1706367.ece
14 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2008/somalia?destination=node%2F3014 vgl. http://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/somalia?destination=node%2F3014 gl. http://www.garoweonline.com/artman2/publish/Somalia_27/Youth_lured_to_fight_in_Somalia.shtml
15 vgl. Bundeszentrale ftir politische Bildung (Hrsg.) 2005: S.407 f.