Wie gestaltete sich in dieser Anfangszeit das Verhältnis zwischen dem bereits etablierten Hörfunk und dem neuen Medium Fernsehen? War dieses Verhältnis von Zusammenarbeit oder Konkurrenzdenken geprägt? Diesen Fragen soll sich die folgende Arbeit widmen.Obgleich es das Fernsehen in Deutschland bereits seit den 1930er Jahren gab, entwickelte es sich erst in den 1950er Jahren zum Massenmedium. 1952 wurde der offizielle Sendebetrieb seit dem zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen, seit 1954 versorgte der Bayerische Rundfunk das ARD-Gemeinschaftsprogramm mit regelmäßigen Beiträgen. In anderen Ländern wie der USA und Großbritannien war das Fernsehen zu dieser Zeit schon wesentlich verbreiteter. Außerdem war bis zu dieser Zeit der Hörfunk – neben den Zeitungen – das Hauptmedium der breiten Bevölkerung.
Man möchte vermuten, dass es eine Konkurrenz zwischen Hörfunk und Fernsehen gab, weil Rezipienten nicht beide Medien gleichzeitig konsumieren können. Diese These soll hier auf den Prüfstand gestellt werden. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich von der zweiten Hälfte der Ministerpräsidenten-Amtszeit Hans Erhards bis einschließlich der zweiten Amtszeit Wilhelm Hoegners, das heißt beim BR das Ende der Intendanten-Amtszeit Rudolf von Scholtz' bis zum Anfang der Amtszeit Franz Stadelmayers, also etwa von 1953 bis 1958, das heißt etwa die Vorlaufzeit des Starts des BR-Fernsehens bis zum Start des zweiten vollen Hörfunkprogramms.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Thema und Ziel der Arbeit
1.2 Quellenlage
1.3 Forschungsstand und Methodik
2. Analyse des Verhältnisses zwischen Hörfunk und Fernsehen Anfang der 50er
Jahre
2.1 Die Sicht des Fernsehausschusses auf den Hörfunk
2.2 Die Sicht des Hörfunkausschusses auf das Fernsehen
2.3 Die Entwicklung der Programmpläne und Geschäftsberichte
2.3.1 Die Programmpläne
2.3.1 Die Geschäftsberichte
3. Schluss
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Thema und Ziel der Arbeit
Obgleich es das Fernsehen in Deutschland bereits seit den 1930er Jahren gab, entwickelte es sich erst in den 1950er Jahren zum Massenmedium. 1952 wurde der offizielle Sendebetrieb seit dem zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen, seit 1954 versorgte der Bayerische Rundfunk das ARD-Gemeinschaftsprogramm mit regelmäßigen Beiträgen. In anderen Ländern wie der USA und Großbritannien war das Fernsehen zu dieser Zeit schon wesentlich verbreiteter. Außerdem war bis zu dieser Zeit der Hörfunk – neben den Zeitungen – das Hauptmedium der breiten Bevölkerung. Wie gestaltete sich in dieser Anfangszeit das Verhältnis zwischen dem bereits etablierten Hörfunk und dem neuen Medium Fernsehen?; War dieses Verhältnis von Zusammenarbeit oder Konkurrenzdenken geprägt? Diesen Fragen soll sich die folgende Arbeit widmen. Man möchte vermuten, dass es eine Konkurrenz gab, weil Rezipienten nicht beide Medien gleichzeitig konsumieren können. Diese These soll hier auf den Prüfstand gestellt werden. Der untersuchte Zeitraum erstreckt sich von der zweiten Hälfte der Ministerpräsidenten-Amtszeit Hans Erhards bis einschließlich der zweiten Amtszeit Wilhelm Hoegners, d.h. beim BR das Ende der Intendanten-Amtszeit Rudolf von Scholtz' bis zum Anfang der Amtszeit Franz Stadelmayers, also etwa von 1953 bis 1958, d.h. etwa die Vorlaufzeit des Starts des BR-Fernsehens bis zum Start des zweiten vollen Hörfunkprogramms.
1.2 Quellenlage
Seit Anfang 2017 gibt es drei Ausschüsse des Rundfunkrats: den Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen, den Ausschuss für Grundsatzfragen und Medienpolitik und den Programmausschuss. Zuvor war dieser Programmausschuss aus drei Ausschüssen zusammengesetzt, nämlich dem Hörfunkausschuss (HA), dem Fernsehausschuss (FA) und der Projektgruppe Telemedien. Für diese Arbeit sollen vor allem die Protokolle des Fernseh- und des Hörfunkausschusses untersucht werden. Es handelt sich dabei um Verlaufsprotokolle der jeweiligen Sitzungen, die Anfang der 50er Jahre unregelmäßig etwa alle zwei bis vier Wochen stattfanden. Aus diesen Protokollen lassen sich gut Meinungen und Standpunkte der jeweiligen Anwesenden rekonstruieren.
Des Weiteren gibt es die sogenannten „Halbjahresprogramme“, d.h. die halbjährlich erscheinenden Programmpläne. Diese wurden nicht immer eins zu eins umgesetzt, jedoch lassen sich hier Schwerpunkte und grobe Entwicklungen erkennen.1 Während die Programmpläne im Vorhinein erscheinen, werden im Nachhinein die Geschäftsberichte veröffentlicht. Aus ihnen lassen sich Zahlen herauslesen, wie Zuschauerzahlen, Betriebsausgaben, prozentuale Verteilung von bestimmten Programmen, Personalentwicklung etc. Diese Mischung aus öffentlichen (Programmpläne und Geschäftsberichte) und nicht öffenltichen Quellen (Protokolle) soll die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Hörfunk und Fernsehen Anfang der 50er Jahre erleichtern. Zu beachten ist, dass es sich hier ausschließlich um Quellen handelt, die vom BR selbst stammen. Eine umfassende Analyse weiterer Quellen – wie beispielsweise Behördenkommunikation, Zeitungsartikel etc. – wäre für dieses Thema sicherlich gewinnbringend, kann jedoch aufgrund des Umfangs dieser Arbeit nicht geleistet werden.2
1.3 Forschungsstand und Methodik
Die Mediengeschichte hat sich lange Zeit stark auf Institutionen fokussiert. Erst seit den 1980er Jahren kamen verstärkt auch einzelne Akteure ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wie einzelne Intendanten, Korrespondenten etc.3 Und in jüngster Zeit wurde erkannt, dass Medien selbst nicht nur – dem Namen nach – Vermittler sind, sondern selbst auch gestaltende Akteure.4 Es gab bisher manche Untersuchungen zu dem Beginn des Fernsehens.5 Außerdem finden sich Andeutungen, dass im Hörfunk auf das Programm des Fernsehens reagiert wurde.6 So seien beispielsweise die Hauptnachrichten und die Chronik des Tages im Hörfunk vorverlegt worden, damit die Haupt-Informationen vor Beginn der ;"Abendschau" und ;"Tagesschau" im Fernsehen bereits beendet seien.7 Jedoch gibt es noch keine Untersuchung darüber, wie sich Fernsehen und Hörfunk gegenseitig wahrgenommen haben und ob ihr Verhältnis vielleicht sogar eine Konkurrenzsituation war. Im Folgenden soll zunächst anhand der Protokolle aus dem BR-Archiv die Sicht des Fernseh-Ausschusses auf den Hörfunk und anschließend die Sicht des Hörfunks auf das Fernsehen untersucht werden. Abschließend sollen die Halbjahresprogramme und Geschäftsberichte auf mögliche Konkurrenz oder Zusammenarbeit hin analysiert werden.
2. Analyse des Verhältnisses zwischen Hörfunk und Fernsehen Anfang der 50er Jahre
2.1 Die Sicht des Fernsehausschusses auf den Hörfunk
Die Bildungsarbeit der Alliierten sollte im Deutschland der Nachkriegszeit vor allem die sogenannte ;„Reeducation“; gewährleisten, d.h. dass die Bildung der breiten Bevölkerung, die durch Krieg und Nationalsozialismus vernachlässigt worden war, an oberster Stelle der Medieninhalte stehen sollte. Als das Fernsehen in den 50er Jahren zum Massenmedium wurde, verstand man auch dieses zuerst als ein Instrument der Bildung. Beispielsweise sagte Professor Held in der ersten Sitzung des Fernsehausschusses, „das Fernsehen [sei] eine bildungsmässige [sic] Aktion ersten Ranges“.8 Und in der 17. Sitzung bringt es Clemens Münster, ab 1954 der erste Fernsehdirektor des BR, folgendermaßen auf den Punkt: „Ziel des bayerischen Fernsehens sei, Wertvolles dosiert und präpariert, mit menschlicher Substanz durchsetzt, darzubieten, sodaß [sic] es auch vom größeren Publikum geschluckt werde.“9 Diesen Auffassungen vom Zweck des Fernsehens wurde laut Protokoll auch nicht widersprochen. Bereits diese Tatsache könnte gegen die anfangs genannte These, dass das Fernsehen für den Hörfunk eine Konkurrenz darstellte, sprechen. Denn ein weiteres Medium zur Bildung der Bevölkerung wurde wahrscheinlich eher als Mitstreiter für ein gemeinsames Ziel angesehen als als Konkurrent.
Darüber hinaus waren Hörfunk und Fernsehen nicht unabhängig voneinander. Vielmehr war der Hörfunk der „Geldgeber“ des Fernsehens und saß deshalb am längeren Hebel.10 Allein schon aus finanziellen Gründen gab es deshalb eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Medien: „Mit den Redaktionen des Hörfunks soll ein enger Kontakt bestehen. Die entsprechenden Abteilungen des Hörfunks werden über die Pläne des Fernsehfunks unterrichtet. Sie sollen Vorschläge und Anregungen vermitteln. Auf diese Weise wird eine Kostenersprarnis und eine Potenzierung der publizistischen Wirkung angestregbt. Auch die gesamte Programmplanung soll später gemeinsam sein für Hörfunk und Bildfunk.“11 Um die Mitarbeiter jedoch nicht doppelt zu belasten, solle sich diese Kooperation auf „Planung und Kontrolle“ beschränken.12 Des Weiteren erhoffte man sich durch diese Zusammenarbeit „wertvolle neue Anregungen“ für den Hörfunk.13
Bei der Durchsicht der Protokolle eröffnen sich jedoch jenseits des Rundfunks zwei andere Spannungsbereiche, wo das Fernsehen als Konkurrent auftritt, nämlich Film und Theater. Bereits in der ersten Sitzung des Fernsehausschusses war man sich einig, dass Deutschland beim Film den Anschluss verpasst habe und jetzt wenigstens beim Fernsehen von Anfang an mit dabei sein solle.14 Deshalb entsandte man auch ein Team in die großen Städte Europas (v.a. nach London), um den jeweiligen Entwicklungsstand des Fernsehens dort zu sehen und Eindrücke zu sammeln.15 Dieses Team berichtete, dass der ;„Krieg zwischen Fernsehen und Film“ in England vom Fernsehen gewonnen werde.16 Da hier in Deutschland die Filmindustrie weniger ausgeprägt war, erhoffte man sich eine „gesunde Konkurrenz zum Film“, während der Hörfunk in diesem Zusammenhang gar keine Erwähnung fand.17 Bezüglich des Theaters befürchteten manche FA-Mitglieder, dass dieses durch das Fernsehen untergehen könne. Dabei wurde besonders die ;„Schemenhaftigkeit“; des Fernsehens als problematisch angesehen.18 Andere wiederum sahen kaum Konkurrenz zum Theater, da es eine andere Zielgruppe habe und es außerdem nur zwei Stunden pro Tag Fernsehprogramm gab.
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1 Beispielsweise lässt sich dies anhand der Gliederungspunkte erarbeiten. Denn im Verlauf der 50er bis 80er Jahre nehmen z.B. bayernbezogene Gliederungspunkte stark zu, was auf eine zunehmende Wichtigkeit des bayerischen Programms schließen lässt.
2 Es soll jedoch stets darauf verwiesen werden, wenn sich Probleme eröffnen, die noch untersuchenswert sind.
3 Beispielsweise trat die Person Walter v. Cube in den Mittelpunkt (s. z.B. Cube, Walter v.: Tondokumente, Filmdokumente und Manuskripte im Bayerischen Rundfunk 1947-1984, hrsg. v. der Historischen Kommission des Bayerischen Rundfunks, München 1992).
4 Eine gute Zusammefassung dieser Forschungsentwicklung bietet Daniel, Ute u.a. (Hrsg.): Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln 2010.
5 Als ein Beispiel sei zu nennen Bleicher, Joan Kristin: Institutionsgeschichte des bundesrepublikanischen Fernsehens, in: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens, München 1993 (=Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland, Bd.1), S. 67-134.
6 Vgl. Hamm, Margot/Hasselbring, Bettina/Henker, Michael (Hrsg.): Der Ton – Das Bild. Die Bayern und ihr Rundfunk 1924 – 1949 – 1999, Begleitbuch zur Ausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte und des Bayerischen Rundfunks, München/Nürnberg 1999, S. 74.
7 Vgl. ebd. Währenddessen kamen dann leichte Musik und Themen von allgemeinem Interesse.
8 BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.1, 1. Sitzung des Fernsehausschusses, 27.01.1953, S. 4. Genau dieser Bildungszweck führte mitunter jedoch auch zu Kritik, wie sie z.B. Faltermeier in der 17. Sitzung des FA äußert: „[D]ie Bildungsabsicht des bayerischen Fernsehens [tritt] etwas zu deutlich zutage“ (BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.17, 03.12.1954, S.1).
9 BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.17, 03.12.1954, S. 9. Zitiert wurde aus dem Protokoll, sodass auch innerhalb des direkten Zitats indirekte Rede vorzufinden ist. Aus dem Zitat geht auch hervor, dass sich der Rundfunk selbst nicht nur als Vermittler, sondern sehr wohl damals schon als Akteur verstanden hat. Sonst hätte er sich die Fähigkeit der Bildung nicht zugestanden.
10 Vgl. BR, Historisches Archiv, GR/5003.2.11, 31. Sitzung des FA, 19.12.1955, S. 7. Hier verteidigt Münster das Aufzeichnungsverfahren, da es „technische Zufälligkeiten“ ausschlösse und somit den „Geldgeber“ Hörfunk nicht unnötig belaste.
11 BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.4, 4. Sitzung des FA, 24.03.1953, S.4, Clemens Münster.
12 Vgl. ebd., Zitat ebd.
13 Vgl. ebd., Zitat ebd. Münster erhoffte sich z.B., dass das Fernsehen positiven Einfluss auf den Hörfunk haben könnte, weil es mehr Live-Sendungen ausstrahlt und auch öfter auf ein starres Manuskript verzichtet (vgl. ebd.).
14 BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.1, 1. Sitzung des FA, 27.01.1953, S. 3.
15 Das Team berichtete in der zweiten Sitzung des FA von seiner Reise (vgl. BR, Historisches Archiv,GR/5003.1.2, 2. Sitzung des FA, 16.02.1953). Es war vor allem vom BBC beeindruckt, u.a. weildieser eine sehr gute Technik und eine klar definierte Zielgruppe (lower middleclass) habe (S. 2). Füreine Analyse der bayerischen Eigenart des bayerischen Fernsehens wäre hier v.a. auch das abschließende Urteil des Teams interessant. Denn man geht fest davon aus, die bezüglich desFernsehens fortgeschrittenen Länder in Deutschland nicht kopieren zu können. Denn Deutschland seiviel weniger national geprägt und man könne in Deutschland „nur bei stark regionaler Ausprägung“Erfolg haben (Vgl. S. 6, Zitat ebd.).
16 Vgl. ebd., S. 3 (Zitat ebd.).
17 Vgl. BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.1, 1. Sitzung des FA, 27.01.1953, S. 4, Professor Held (Zitatebd.).
18 Vgl. BR, Historisches Archiv, GR/5003.1.1, 1. Sitzung des FA, 27.01.1953.