Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den Fragen "Was ist der Grund für diese deutliche juristische Disparität zwischen den beiden deutschen Staaten?" und "Hatten ostdeutsche Frauen womöglich einen größeren Anteil an nationalsozialistischen Verbrechen als Westdeutsche?" auseinander.
Nach langer Zeit, in welcher Frauen, die während der NS-Zeit zu Täterinnen wurden, nicht beziehungsweise nur wenig Beachtung in der Geschichtswissenschaft fanden, rückt dieses Thema seit den 1990er Jahren immer weiter in den Vordergrund vieler wissenschaftlicher Arbeiten. Bei näherer Recherche zu diesem Bereich der Geschlechtergeschichte fiel mir eine Statistik auf, aus welcher klar wurde, dass in Gerichtsprozessen der DDR ein deutlich höherer Prozentsatz an Frauen angeklagt und auch verurteilt wurde, als in der BRD.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1.1. Das Frauenkonzentrationslager als Ausbildungs- und Arbeitsplatz
1.2. Die Rolle des veralteten gesellschaftlichen Geschlechterbildes bei Urteilen
1.3. Propaganda und Außenwirkung der DDR
2. Fallbeispiele
2.1. Beispiel BRD: Johanna Altvater (später Zelle)
2.2. Beispiel DDR: Erna Petri
3. Schlussbemerkung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Einleitung
Nach langer Zeit, in welcher Frauen, die während der NS-Zeit zu Täterinnen wurden, nicht bzw. nur wenig Beachtung in der Geschichtswissenschaft fanden, rückt dieses Thema seit den 1990er Jahren immer weiter in den Vordergrund vieler wissenschaftlicher Arbeiten. Bei näherer Recherche zu diesem Bereich der Geschlechtergeschichte fiel mir eine Statistik auf, aus welcher klar wurde, dass in Gerichtprozessen der DDR ein deutlich höherer Prozentsatz an Frauen angeklagt und auch verurteilt wurde, als in der BRD.1
Doch was ist der Grund für diese deutliche juristische Disparität zwischen beiden deutschen Staaten? Hatten ostdeutsche Frauen womöglich einen größeren Anteil am Nationalsozialismus als westdeutsche? Diese Frage versuche ich anhand der drei möglichen Gründe Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, des veralteten Geschlechtsbildes und der Propaganda innerhalb der DDR zu klären. Anschließend sollen zwei Fallbeispiele zur Justiz in der DDR und der BRD diese Vermutungen überprüfen, bevor ich zu einem endgültigen Fazit kommen werde. Zeitlich fokussiert sich diese Arbeit hauptsächlich auf die späten 40er bis Anfang der 80er Jahre, da in dieser Zeit die unterschiedliche Entwicklung der Strafverfolgung besonders deutlich wird und die meisten Prozesse stattfanden.
Die Berichte zur Verfolgung von weiblichen NS-Straftäterinnen in der Nachkriegsgeschichte und Statistiken zu Unterschieden der beiden deutschen Staaten gibt es mittlerweile vielfach. Nach einer klaren, fachlich gut begründeten Diagnose zu den Ursachen der Unterschiede sucht man allerdings lange. Häufig wird lediglich auf die Rolle der Frau eingegangen, welche entweder als Opfer der damaligen Verhältnisse oder als das genaue Gegenteil dargestellt wird. Dabei ist der unterschiedliche Umgang mit weiblichen Straftätern nur eine Ursache eines Komplexen Systems, woraus eine so deutliche Differenz entstehen konnte. Es sind viele Ansätze, aber leider noch wenige komplexe analytische Ausarbeitungen zu diesem Thema auffindbar.
Diese spannenden Fragen werde ich im Folgenden versuchen strukturierter und klarer, unter Einbezug mehrerer Aspekte, aufzuklären.
1.1. Das Frauenkonzentrationslager als Ausbildungs- und Arbeitsplatz
Das größte Frauen-Konzentrationslager des Deutschen Reiches war das KZ Ravensbrück, welches 1939 errichtet wurde. Es diente bis zum 1. September 1945 als Ausbildungsstätte und auch als Arbeitsplatz von mehreren tausend Aufseherinnen.2 Alleine in den Jahren 1944/45 waren etwa 3500 weibliche Aufseherinnen in Ravensbrück beschäftigt.3
Doch nicht nur diese, sondern auch Krankenschwestern und Ärztinnen machten sich mit ihrer dortigen Arbeit schuldig. Sie wurden durch Menschenversuche oder Euthanasie zu Massenmörderinnen, denn sie mussten für die „Rassenhygiene“ sorgen, indem Kranke, Behinderte oder andere „Risiken für das arische Blut“ von ihnen auf unterschiedlichste Weisen getötet wurden. Üblich waren, neben Menschenversuchen, eine tödliche Morphiumdosis oder Nahrungsverweigerung sowie auch Säureninjektionen.4
Die sowjetischen Alliierten und auch die spätere Regierung der DDR verurteilten die Arbeit der Aufseherinnen in Ravensbrück besonders aufgrund der Lagergröße und der Tatsache, dass dieser Ort als Ausbildungsstätte diente. Zügig wurden darum möglichst viele Aufseherinnen angeklagt. Doch Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre waren auch in der DDR die Urteile erstaunlich mild. Dies lässt sich vermutlich damit erklären, dass keine offiziellen Dokumente über sie gefunden und somit lediglich Zeugenaussagen als Beweise gewertet werden konnten. Da viele Opfer Ausländerinnen waren bzw. bereits ausgewandert oder gestorben, war es schwer Zeugen zu finden. Die Aussagen der Zeugen wurden auch meist als „nicht ausreichend“ bewertet.
Im Laufe der 50er Jahre nahm die Härte der verhängten Strafen allerdings stark zu. Dies lässt sich auf Propagandaversuche der DDR beziehen. Die DDR beauftragte die Staatssicherheit mit der gezielten Suche nach ehemaligem SS-Personal im KZ Ravensbrück, welche erst Anfang der 80er Jahre eingestellt wurde. Unter dem Druck der stundenlangen Verhöre und Erpressungen seitens der Staatssicherheit gaben viele Täterinnen ihre Verbrechen zu oder belasteten andere. Diejenigen Aufseherinnen, welche ab Mitte der 50er bis 60er Jahre verurteilt wurden, bekamen alle eine lebenslange Haftstrafe und sogar eine Todesstrafe wurde auferlegt.5
Die Vielzahl an Konzentrationslagern im Osten Deutschlands und den besetzten Gebieten im Osten ist ein Grund für die vermehrte Anklage gegen Frauen in der DDR gegenüber der BRD. Die vielen Konzentrationslager im besetzten Osten lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch begründen, dass die NS-Regierung versuchte diese möglichst gut vor der deutschen Bevölkerung zu verschleiern. Grade die Vernichtungslager waren ausschließlich im Osten zu finden.6 Aber Insbesondere das KZ Ravensbrück, wo überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt wurden, wie auch die explizite Suche nach SS-Personal, durch die Staatssicherheit spielen eine wichtige Rolle bei diesem Grund für den Unterschied der Verfolgung und Bestrafung von weiblichen NS-Straftäterinnen in West- und Ostdeutschland.
1.2. Die Rolle des veralteten gesellschaftlichen Geschlechterbildes bei Urteilen
Lange Zeit galten Frauen in der NS-Zeit nur als Opfer von Unterdrückung, Verfolgung, Zwang und einem traditionellen weiblichen Rollenbild. In Frauen sah die Bevölkerung die sanfte, liebe Mutter und Ehefrau, welche nicht zu Gewaltverbrechen in der Lage gewesen sein könne. Sie wurden nicht als Gefahr für die Nachkriegsgesellschaft angesehen und somit auch in BRD und DDR anfangs juristisch nicht konsequent verfolgt. Eine Ausnahme hiervon bildeten für die damalige Gesellschaft die sogenannten „SS-Bestien“.7
Diesen wurden männliche Züge in Aussehen und Persönlichkeit unterstellt, denn straffällige Frauen widersprachen dem traditionellen Bild von Weiblichkeit. Daraus entstand in der breiten Bevölkerung eine Art Zweiteilung von weiblichen Geschlechtscharakteren. Zum Einen die liebevolle, vorbildliche Mutter, welche ihrem Mann und der Familie bedingungslos zur Seite steht und zum Anderen die bereits erwähnten, kalten, skrupellosen „Bestien“, welche ohne große Gefühle anderen Menschen schaden konnten, wie es in dieser Zeit nur Männern zugeschrieben wurde.8 Männlichen Sadisten wurden wohl eine Art der Durchsetzungskraft unterstellt, welche ihnen vor Häftlingen Respekt verschaffte, wohingegen diese Eigenschaft bei Frauen in der Gesellschaft und auch vor Gericht stark verurteilt und gefürchtet worden dürfte.
Mit diesem Bruch bezüglich der traditionellen Rolle gingen DDR und BRD in unterschiedlicher Weise um. Die BRD verband des Öfteren das Verhalten und Aussehen der Angeklagten mit Schuldfähigkeit.9 Wer dort nicht dem weiblichen Ideal entsprach wurde in die bereits genannte Kategorie „SS-Bestie“ eingeordnet und meist härter bestraft. Frauen, welche ihre Taten damit rechtfertigten, dass sie Berufe und Straftaten ausübten, weil sie nur für ihre Familie sorgen wollten, konnten hingegen oft auf Verständnis des Gerichts hoffen.
Auch jugendlicher Leichtsinn oder der niedere Rang in der Befehlskette wurden als Gründe für mildere Urteile genannt. Frauen durften keine Führungspositionen in der SS einnehmen und waren ausschließlich Männern unterstellt. Diese Nachsicht galt auch bei den früheren Urteilen der DDR.10 Doch gerade aufgrund ihres niederen Status der SS-Riege waren Straftaten von Aufseherinnen vermeidbar. Eingenommene Machtpositionen oder Härte zu beweisen waren wohl zum größten Teil ganz persönliche Entscheidungen.
Denkbar ist vielleicht, dass SS-Frauen besonders skrupellos und hart gegenüber Gefangenen waren, um sich in einem männlich dominierten Feld besonders unter Beweis zu stellen. Eine Zeugin im Majdanek-Prozess behauptete, die weiblichen Aufseherinnen seien die größten Bestien gewesen.11
Dadurch, dass man in der traditionell konservativen DDR besonders hohe moralische Anforderungen an Frauen hatte, wirkten begangene Straftaten in den Medien besonders grausam. Aufgrund der extremeren Wirkung auf die Öffentlichkeit und das männlich geprägte Gericht sowie auch im Zuge der späteren Propaganda sollten diese Frauen besonders streng bestraft werden. Die DDR wandelte die anfänglich milde Strafverfolgung in eine vergleichsweise extreme Bestrafung in Form von lebenslänglichen Haftstrafen um.12
Im Falle von Denunziation13 durch Frauen ist der Unterschied zwischen Ost und West besonders auffällig. In der BRD als „Weiberstreitigkeiten“ oder von Männern beeinflusst abgetan14, verfolgte die DDR dieses Vergehen besonders strikt. Die DDR stellte 184 dieser Fälle vor Gericht, wobei knapp 80% der daraufhin Angeklagten für schuldig befunden wurden. In Westdeutschland hingegen waren es nur 22 Verfahren und etwa 60% für schuldig befundene Täterinnen.15
Einer der Gründe hierfür ist vermutlich, dass wohl fast ausschließlich Juden, NS-Gegner oder Widerstandskämpfer an die Justiz verraten wurden. Diese Personen sah der Osten als „seine Leute“ an, weshalb gegen sie begangene Straftaten genauer verfolgt wurden. In der BRD befand man den Verrat von Mitbürgern dem vorherrschenden Zeitgeist geschuldet. Dieser forderte Gegnern der NS-Idee zu schaden.
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1 Claudia Kuretsidis-Haider: Täterinnen vor Gericht, S.187-210. In: Marita Kraus (Hg.): Sie waren dabei. Band 8. Göttingen: 2008, hier: S.189-193.
2 Simone Erpel: Im Gefolge der SS. Aufseherinnen des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, S. 166-186. In: Marita Kraus (Hg.): Sie waren dabei. Band 8. Göttingen: 2008, hier: S.171.
3 Wendy Lower: Hitlers Helferinnen. Deutsche Frauen im Holocaust, Frankfurt a.M.: 2016, S.157-187, hier S. 185
4 ebd. hier S.15
5 Insa Eschebach: Gespaltene Frauenbilder, S.95-116. In: Ulrike Weckel, Edgar Wolfrum (Hg.): Bestien und Befehlsempfänger. Göttingen: 2003, hier: S. 97.
6 https://www.deutschlandfunk.de/namen-tausender-ss-maenner-veroeffentlicht-polens-antwort.2852.de.html?dram:article_id=377690
7 Marita Krauss: Rechte Frauen, S.7-16. In: Marita Krauss (Hg): Sie waren dabei. Band 8. Göttingen: 2008, hier: S.8.
8 Insa Eschebach: Gespaltene Frauenbilder, S.95-116. In: Ulrike Wecker, Edgar Wolfrum (Hg.): Bestien und Befehlsempfänger. Göttingen: 2003, hier: S.98-99.
9 Wendy Lower: Hitlers Helferinnen. Deutsche Frauen im Holocaust, Frankfurt a.M.: 2016, S.216.
10 Insa Eschebach: Gespaltene Frauenbilder, S.95-116. In: Ulrike Wecker, Edgar Wolfrum (Hg.): Bestien und Befehlsempfänger. Göttingen: 2003, hier: S.98-99.
11 Martha Schad: „Die Nazis haben mir meine Jugend genommen“, S.165-236. In: Ulrike Leutheusser (Hg.): Hitler und die Frauen. 2. Aufl., Stuttgart München: 2001, hier: S.219.
12 ebd.5
13 Verrat von begangenen Straftaten, Feinden des NS-Regimes
14 Claudia Kuretsidis-Haider: Täterinnen vor Gericht, S.187-210. In: Marita Kraus (Hg.): Sie waren dabei. Band 8. Göttingen: 2008, hier: S.199.
15 ebd. S.197f.