Ziel dieser Arbeit ist es, ausgehend von einem Fallbeispiel, die theoretischen wie empirischen Erkenntnisse auf die Praxis zu übertragen. Es soll daher zunächst der theoretische Erkenntnisstand zur Personenwahrnehmung aufgezeigt werden. Grundlagentext ist der Beitrag von Aronson zur sozialen Wahrnehmung. Mit Bezug auf das Fallbeispiel, soll der dafür relevante theoretische Erkenntnisstand beleuchtet werden: theoretische Schlüsselkonzepte sind nonverbales Verhalten, implizite Persönlichkeitstheorien, Kausale Attributionen und Attributionsverzerrungen. Danach wird der Forschungsstand zusammengefasst. Auf die Frage welche Feedbackart verwendet wird und welche Auswirkungen dies auf die Motivation des Schülers haben kann, soll die Untersuchung von Rattan, Good und Dweck herangezogen werden. Theorie und Empirie sollen dabei im abschließenden Kapitel reflektiert werden, um daraus Prinzipien für Lehr-Lernsituationen abzuleiten.
Wer kennt das nicht: Man ist auf einer Party eingeladen und wird einem Freund des Gastgebers vorgestellt. Schon beim Händeschütteln versucht man die Person einzuordnen und sich ein Bild von ihr zu machen. Blitzschnell interpretieren wir Verhalten und entscheiden uns, ob uns die Person sympathisch ist oder nicht. Alle weiteren einfließenden Informationen scheinen wie ausgeblendet: wie hieß der Freund des Gastgebers gleich noch mal? Der Versuch, Menschen einzuordnen übt eine gewisse Faszination auf uns aus. Menschen haben Spaß daran, Motive und Verhalten von fremden Menschen und sogar fiktiven Personen zu beobachten (man denke nur an all die populären Reality-Tv-Shows, wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Berlin Tag und Nacht"). Jeder Mensch hat das Grundbedürfnis, soziale Wahrnehmung zu verstehen und zu antizipieren weil es für unser soziales Überleben notwendig ist. Das Bild, das wir uns von einer Person machen, muss jedoch nicht immer stimmen. Besonders herausfordernd ist daher die Anforderung an Lehrer im schulischen Kontext, Einschätzungen bezüglich der Leistung, aber auch eben bezüglich des Lernverhaltens und der Persönlichkeit möglichst objektiv zu halten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Personenwahrnehmung
2.1 Theoretischer Erkenntnisstand
2.2 Zusammenfassung des Forschungsstandes
2.3 Darstellung einer zentralen Untersuchung
3. Schlussfolgerungen für Lehr-Lernsituationen
3.1 Reflexion der empirischen Ergebnisse vor dem
Hintergrund der theoretischen Annahmen
3.2 Prinzipien für die Gestaltung von L-L-Situationen
3.3 Anwendungsbedingungen der Prinzipien 16
3.4 Illustration der Prinzipien und ihre Anwedungsbedingungen am Fallbeispiel
4. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Wer1 kennt das nicht: man ist auf einer Party eingeladen und wird einem Freund des Gastgebers vorgestellt. Schon beim Händeschütteln versucht man die Person einzuordnen und sich ein Bild von ihr zu machen. Blitzschnell interpretieren wir Verhalten und entscheiden uns, ob uns die Person sympathisch ist oder nicht. Alle weitern einfließenden Informationen scheinen wie ausgeblendet: wie hieß der Freund des Gastgebers gleich noch mal? Der Versuch, Menschen einzuordnen übt eine gewisse Faszination auf uns aus. Menschen haben Spaß daran, Motive und Verhalten von fremden Menschen und sogar fiktiven Personen zu beobachten (man denke nur an all die populären Realy-Tv-Shows, wie Deutschland sucht den Superstar oder Berlin Tag und Nacht) (Aronson, 2008). Jeder Mensch hat das Grundbedürfnis, soziale Wahrnehmung zu verstehen und zu antizipieren weil es für unser soziales Überleben notwendig ist (Heider, 1958; Kelley, 1967; zit. in Aronson, 2008). Die soziale Wahrnehmungsforschung beschäftigt sich mit der: „Erforschung der Prozesse, mit denen man Eindrücke von anderen Menschen gewinnt und daraus Schlüsse zieht. Eine wichtige Informationsquelle ist dabei ihr nicht-verbales Verhalten, wie etwa ihr Gesichtsausdruck, ihr Körperbewegung und ihr Tonfall.“ (Aronson, 2008; S. 91) Das Bild, was wir uns von einer Person machen, muss jedoch nicht immer stimmen. Besonders herausfordern ist daher die Anforderung an Lehrer im schulischen Kontext, Einschätzungen bezüglich der Leistung aber auch eben bezüglich des Lernverhaltens und der Persönlichkeit möglichst objektiv zu halten. Schüler stehen bisweilen unter direkter Beobachtung, wenn sie, wie hier im Bild unten gezeigt, vor der Klasse eine Präsentation halten müssen. Wie jeder Mensch, sind auch Lehrer nicht davor gefeit, voreiligen Trugschlüssen zu unterliegen. Die Diskrepanz, die zwischen der Lehrerwahrnehmung und der realen Situation entstehen kann, mag dem einen oder anderen noch aus der Schulzeit in Erinnerung sein. An folgendem real beobachteten Fallbeispiel soll diese Situation beleuchtet werden:
Zu Beginn des Schuljahres sollen die Schüler der 5. Klasse im Fach Englisch eine kurze Präsentation über sich selbst halten. Jakob steht vor der Klasse und scheint sehr unsicher. Er hatte der Lehrerin vor der Präsentation mitgeteilt, dass er sich nicht gut vorbereiten konnte, weil er krank war. In seinem Gesicht meint die Lehrerin eine Mischung aus Angst und Schuldgefühl wahrzunehmen. Sie gibt ihm am Ende der Stunde das Feedback, dass sie verstehen könne, dass er nicht so gut vorbereitet gewesen sei, dass aber die Inhalte hätten sitzen müssen. Sie könne verstehen, dass manche Schüler schriftliche vor mündlichen Aufgaben bevorzugen würden. Das nächste Mal würde sie auch eine schriftliche Hausaufgabe akzeptieren.
Ziel dieser Arbeit ist es, ausgehend von diesem Fallbeispiel, die theoretischen wie empirischen Erkenntnisse auf die Praxis zu übertragen. Im Kapitel 2 soll daher zunächst der theoretische Erkenntnisstand zur Personenwahrnehmung aufgezeigt werden. Grundlagentext ist der Beitrag von Aronson (2008) zur sozialen Wahrnehmung. Mit Bezug auf das Fallbeispiel, soll der dafür relevante theoretische Erkenntnisstand beleuchtet werden: theoretische Schlüsselkonzepte sind nonverbales Verhalten, implizite Persönlichkeitstheorien, Kausale Attributionen und Attributionsverzerrungen. In Kap 2.2 wird dann der Forschungsstand zusammengefasst. Auf die Frage welche Feedbackart verwendet wird und welche Auswirkungen dies auf die Motivation des Schülers haben kann, soll die Untersuchung von Rattan, Good und Dweck. (2012) herangezogen werden (vgl . Kap. 2.3). Theorie und Empirie sollen dabei im abschließenden Kapitel (Kap. 3) reflektiert werden, um daraus Prinzipien für Lehr-Lernsituationen abzuleiten. Eine direkte Anwendung der Theorie auf die Praxis ist an bestimme Anwendungsbedingungen gebunden. Im Kapitel 3.4 sollen daher Prinzipien und Anwendungsbedingungen an Hand des Fallbeispiels diskutiert werden.
2. Personenwahrnehmung
2.1 Theoretischer Erkenntnisstand
Um die Prozesse zu verstehen, die sich hinter dem geschilderten Fallbeispiel (vgl. Kap. 1) verbergen, gilt es sowohl die theoretischen Konstrukte zur nonverbaler Kommunikation, impliziter Persönlichkeitstheorie und der damit verbundenen internalen und externalen Attribution, als auch die Korrespondenzverzerrung näher zu betrachten. Der theoretische Erkenntnisstand und einige illustrative Studien dazu, sollen diesem Abschnitt erläutert werden.
Im Fallbeispiel spielt die Wahrnehmung des Gesichtsausdrucks für die Einschätzung eine wichtige Rolle. Nicht nur Worte sondern auch nonverbales Verhalten, wie eben der Gesichtsausdruck, aber auch die Körperhaltung und -bewegung, der Tonfall der Stimme oder insgesamt die Attraktivität der Person, sagen uns etwas über den Menschen aus. Aronson (2008) schlägt folgende Definition vor: „Nonverbale Kommunikation bezeichnet das absichtliche oder unabsichtliche Kommunizieren ohne Worte. [...]“ (Henley 1977; Knapp & Hall 2006, zit. in Aronson, 2008; S. 92) Alltäglichen Kommunikation kommt so entweder ganz ohne Worte aus, oder sie wird durch nonverbale Signale unterstützt. Doch warum kann auch die nonverbale Kommunikation für uns so aufschlussreich sein? Was ermöglicht es uns, Gesichtsausdrücke zu interpretieren und als Informationsquelle zu nutzen? Wenn Verständigung auch auf nonverbaler Ebene möglich ist, dann erfolgt sie Dank der Spiegelneuronen in unserem Gehirn. Sie erlauben es uns in andere hineinzufühlen und ihre Gestik und Mimik zu interpretieren und zu dekodieren. Die Forschung zeigt, dass die Aktivierung der Spiegelneuronen menschliche Verständigung möglich macht. „Diese Neuronen reagieren, wenn wir eine Handlung ausführen und wenn wir jemand anders dieselbe Handlung ausführen sehen“(Gallese et al., 1996; zit. in Aronson, 2008; S. 92) Nonverbale Signale haben eine kommunikative Funktion, da sie den Ausdruck von Emotionen, von Haltungen oder der Persönlichkeit unterstützen können. Die Hauptformen emotionalen Ausdrucks „Wut, Freude, Überraschung, Furcht, Abscheu und Trauer.“ sind universal und interkulturell erkennbar (Aronson 2008; S. 94). Die Forschung untersucht normalerweise jede nonverbale Kommunikationsform einzeln. Im Alltag aber benutzt der Mensch oft mehrer nonverbale Signale gleichzeitig. Schwierig wird es dann, wenn sich kommunikative Information widerspricht: das ist der Fall von Sarkasmus, wo oft die Stimme etwas sagt, der Tonfall aber etwas anderes (Aronson, 2008). Bereits Darwin hatte postuliert, dass alle Menschen dazu fähig seien, Gesichtsausdrücke zu enkodieren und zu dekodieren. Darüber hinaus stellte er die Hypothese auf, dass nonverbale Kommunikation kulturübergreifend und typisch für die Spezies Menschen sei. Diese These sollte sich mit der Pionierstudie von Paul Ekman und Walter Friesen (1971) bestätigen. Die Autoren führten eine Studie mit den Fore, einem präzivilisatorischen Stamm in Neuguinea, durch. Sie lasen ihnen kurze emotionale Geschichten vor und ließen danach Fotos mit den entsprechenden Gesichtsausdrücken zuordnen (Aronson 2008). Das Ergebnis war, dass die Hauptformen menschlichen Gesichtsausdrucks gleich gut erkannt wurden, wie von den Probanden in den Vereinigten Staaten. Die Dekodierung von Gesichtsausdrücken ist demnach nicht kulturell geprägt, sondern von Geburt an angeboren (Biehl et al., 1997; Ekman, 1993, 1994; Ekman et al., 1987; Elfenbein & Ambady, 2002; Haidt & Keltner, 1999; Izard, 1994, zit. in Aronson, 2008; S. 95).
Die Forschung hat sich lange Zeit mit den emotionalen Grundformen beschäftigt. Andere Emotionen sind jedoch zunehmend ins Forschungsinteresse gerückt. Aronson schreibt: „Andere Emotionen, wie etwas Schuldgefühl, Scham, Peinlichkeit und Stolz treten später in der individuellen menschlichen Entwicklung und traten vermutlich auch später in der Evolution auf. Diese letzten Emotionen sind stark an die soziale Interaktion gebunden“ (Aronson, 2008; S. 95) Die Forschung fand auch heraus, dass diese ebenso leicht dekodierbar sind wie die emotionalen Grundformen. Die Emotion Verachtung scheint ähnlich wie die sechs Grundausdrücke universal zu sein (Matsumoto & Ekmann, 2004, zit. in Aronson 2008). Nicht immer können Menschen, wie die Lehrerin, die Jakobs Gesichtsaudruck beobachtet, so genau dekodieren. Das Gegenteil ist der Fall, denn oft ist die Dekodierung ungenau. Aronson führt dafür drei Gründe auf: Affektmischung, die Unterdrückung von Emotionen und kulturell spezifische Darstellungsregeln. Affektmischung meint die Kombination von zwei Emotionen im Gesichtsaudruck, wenn man etwas gleichzeitig empfindet. Die Unterdrückung hingegen wird dann von Menschen eingesetzt, wenn sie nicht in ihr inneres blicken lassen wollen. Studien hierzu fanden heraus, dass die Unterdrückung negativer Emotionen die kognitive Erinnerungsleistung signifikant vermindert. In einer Studie wurden die Hälfte der Versuchsteilnehmer beim Anblick von verstörenden Bildern mit Verletzten aufgefordert, ihre negativen Emotionen nicht zu zeigen. Diese hatten am Ende der Untersuchung, im Verglich zur Versuchsgruppe, die ihre negativen Gefühle zeigen durfte, einen deutlich höheren Bluthochdruck und konnten sich schlechter an die Informationen erinnern die sie zu jedem Bild geliefert bekamen (Richards & Gross, 1999; zit. in Aronson, 2008). Der dritte Grund für die ungenaue Dekodierung von Gesichtsausdrücken sind die unterschiedlichen kulturbedingten Kanäle nonverbaler Kommunikation. Jede Kultur vermittelt von Generation zu Generation Werte und Normen bezüglich der Angemessenheit von nonverbalen Signalen. Die Divergenzen sind besonders groß, wenn man die westlichen Länder mit den asiatischen Ländern vergleicht. So ist es für Frauen in Japan nicht schicklich ungehemmt zu lachen, während das für Frauen in den westlichen Ländern keine kulturelle Hemmnis darstellt. Auch Augenkontakt oder die Distanz zwischen zwei Menschen variiert zwischen den Ländern (Aronson, 2008). Es scheint zudem einen Geschlechtsunterschied zu geben: Die Forschung legt nahe, dass Frauen tendenziell besser darin sind, nonverbale Signale zu interpretieren‒ Männer scheinen jedoch Lügen und Täuschungen besser zu entdecken (Aronson, 2008). Um zu untersuchen wie genau Menschen mehrkanalige Kommunikation dekodieren, führten Dane Archer und Robin Akert eine Studie mit einem Social-Interpretations-Task-Videoband durch. Die Forscher zeigten den Probenden reales Videomaterial mit echten Personen (keinen Schauspielern), und stellten anschließend unter anderem Fragen bezüglich der Beziehung der Personen zueinander. Es zeigte sich, dass einige Menschen besonders gut darin waren nonverbale Signale zu interpretieren. „Beispielsweise erwiesen sich extravertierte Menschen bei einer SIT-ähnlichen Aufgabe als bessere Dekodierer nonverbaler Signale als Introvertierte.“(Akert & Panter, 1986; Lieberman & Rosenthal, 2001, zit. in Aronson, 2008; S. 100)
Das Bild, was wir uns von anderen Menschen machen ergibt sich jedoch nicht nur aus den Informationen, die wir über die nonverbalen Signale erhalten, sondern auch über kognitive Prozesse, wie z.B. der sogenannten impliziten Persönlichkeitstheorie. Vorhandene Wissensstrukturen werden abgerufen, die es uns erlauben, kognitive Vereinfachungen oder Abkürzungen in unserer Wahrnehmung vorzunehmen. Mit impliziten Persönlichkeitstheorien können sehr schnell vermeintliche Gründe für ein bestimmtes Verhalten gefunden werden, die wiederum für die schnelle Bildung eines ersten Eindrucks verantwortlich sind. Der komplexe Prozess, mit dem Vermutungen über den Charakter oder die Motive eines Menschen gemacht werden, wird von der Attributionstheorie untersucht (Aronson, 2008). Besonders einflussreich im Gebiet der sozialen Wahrnehmungsforschung ist Fritz Heider (1958), der als „Vater der Attributionstheorie“ gilt (Aronson, 2008). Aronson (2008) schreibt: „Seiner Ansicht nach verhalten sich Menschen als Amateurwissenschaftler, die das Verhalten anderer Menschen zu verstehen versuchen, indem sie Informationen zusammenfügen, bis sie zu einer vernünftigen Erklärung oder Ursache gelangen.“(Aronson, 2008; S. 104) Ursachenerklärungen oder Zuschreibungen erfolgen dabei entweder internal oder external. Bei der internalen Attribution wird das Verhalten einer beobachteten Person ihr selber zugeschrieben, also ihrer Stimmung, Persönlichkeit oder Charakter. Bei der externalen Attribution hingegen, wird das beobachtete Verhalten auf die Situation zurückgeführt. Je nachdem welche Attributionsart vorgenommen wird, kann die Einschätzung einer Person negativ oder positiv ausfallen. Heider (1958) stellte in Untersuchungen fest, dass Menschen die internale Attribution vor der externalen bevorzugen (Aronson, 2008) und dass „[...] wir dazu neigen, die Ursachen des Verhaltens eines Menschen in diesem Menschen selbst zu suchen. Unsere Wahrnehmung ist auf Menschen fixiert ‒ sie sind es, die uns auffallen ‒ und die Situation (die externale Erklärung), die oft schwierig zu erkennen und beschreiben ist, wird leicht übersehen.“ (Bargh, 1994; Fletcher et al., 1990; Gilbert 1998b; Jones, 1979, 1990; Jones & Davis, 1965; Miller, 1998; zit. in Aronson, 2008; S.105) Die meisten Menschen unterliegen also der Tendenz, menschliches Verhalten auf die Persönlichkeit zurückzuführen und nicht auf die Situation, in der das Verhalten stattfindet. Dis wird auch als Korrespondenzverzerrung oder correspondence bias bezeichnet. Diese Theorie beschreibt die Annahme, dass Verhalten mit Persönlichkeit korrespondieren (Aronson, 2008) und wurde vielfach empirisch belegt (Gawronski, 2003; Jones, 1979, 1990; Miller et al., 1990; Miller et al., 1981; Vonk, 1999; zit. in Aronson, 2008). So führten zum Beispiel Edward Jones und Victor Harrin (1967) eine Studie durch, in der Studenten ein Essaythema vorgelegt bekamen und einschätzen sollten, wie sehr das geschriebene die Einstellung des Autors widerspiegelt. Selbst bei der offensichtlichen Information, dass der Autor das Thema nicht frei wählen durfte, nahmen die Probanden an, dass der Inhalt des Essays mit der Einstellung des Autors übereinstimmen würde. Dies ist ein Beleg dafür, wie sehr Menschen dazu tendieren internale Attributionen vorzunehmen und externale Faktoren zu unterschätzen, selbst wenn der Einfluss der Situation auf das Verhalten bekannt und offensichtlich ist (Aronson, 2008). In diesem Zusammenhang sei auch auf eine andere interessante Studie hingewiesen. Shelley Taylor und Susan Fiske (1975) untersuchten die Rolle der perzeptuellen Salienz. In ihrer Untersuchung, sollten Probanden zwei Darsteller bei einer Unterhaltung beobachten und einschätzen, wer die dominantere Rolle in der Gesprächsführung eingenommen hatte. Es stelle sich heraus, dass Probanden den Darsteller die meiste Bedeutung im Gespräch zumaßen, den sie auch am besten sehen konnten. Die visuelle Salienz hatte also einen größeren Einfluss auf den Attributionsprozess, als die reale umgebende Situation. Aronson (2008) schreibt: „Wenn man Attributionen vornimmt, benutzt man das, worauf man sich konzentriert, als Anfangspunkt. [...]“ und „[D]as Problem dabei ist, dass man seine Beurteilungen oft nicht weit genug anpasst.“ (Aronson, 2008; S. 110) Aronson (2008) beschreibt dieses Phänomen mit dem Zwei-Schritte-Attributionsprozess: der erste Schritt ist die internale Attribution, die „schnell und spontan erfolgt“‒ der zweite Schritt hingen ist mit einer bestimmten kognitiven Leistung verbunden und erfordert eine Überprüfung der bereits getroffenen Einschätzung. „Wenn wir abgelenkt oder beschäftigt sind, überspringen wie oft sogar den zweiten Schritt und nehmen eine extrem internale Attribution vor.“ (Gilbert & Hixon, 1991; Gilbert & Osborne, 1989; Gilbert et al. 1988; zit. in Aronson, 2008; S. 111)
2.2 Zusammenfassung des Forschungsstandes
Die soziale Wahrnehmungsforschung beschäftigt sich unter anderem wie gut wir nonverbale Signale dekodieren und interpretieren können. Es wurde empirisch belegt, dass die sechs Grundausdrücke interkulturell verstanden werden und dass auch andere Emotionszustände, wie Scham, Stolz, Verachtung und Angst leicht dekodierbar sind. Manche Menschen scheinen ein besonderes Talent dafür zu haben, sich in andere hineinversetzen zu können. Auf der kognitiven Ebene bedienen wir uns einer Anzahl an Prozessen, die es uns erlauben, menschliches Verhalten einzuordnen und Gründe dafür zu finden. Durch implizite Persönlichkeitstheorien, aber auch bereits durch bloße Vermutungen über Gefühle oder Charakter, fügen wir Informationen zu einem Bild zusammen. Menschen scheinen darauf geeicht zu sein, ihre soziale Umgebung verstehen zu wollen und Voraussagen darüber zu treffen. Beobachten wir einen Menschen, versuchen wir deshalb plausible Gründe dafür zu finden, warum dieser Mensch gerade so handelt. Entweder werden dann internale Attributionen oder externale Attributionen vorgenommen. Dabei können Korrespondenzverzerrungen auftreten. Die Forschung legt nahe, dass wir tendenziell dazu neigen situationale Faktoren weniger einzuberechnen als personengebundene Informationen. Menschen neigen also eher dazu Verhalten internal zu attribuiren, also auf die Persönlichkeit zurückzuführen, als external zu attribuiren, also die Situation für ein Verhalten verantwortlich zu machen (Aronson, 2008). Oft wird dabei darauf verzichtet den ersten Eindruck zu revidieren. Bei sehr geringer Reflexion, können sogar extreme internale Attributionen vorgenommen werden.
[...]
1 Ist in dieser Arbeit etwa von Schülern oder Lehrern die Rede, so geschieht das aus Gründen der besseren Lesbarkeit. Die weibliche Form der Wörter ist dabei immer mitgemeint.