Die Darstellung des Ennui in "Le Voyage" aus "Les Fleurs du Mal" von Charles Baudelaire
Zusammenfassung
Das Reisen, besonders die Reisen mit dem Schiff über die Weltmeere sind in der Weltliteratur ein überaus beliebtes Motiv. Auch Charles Baudelaire widmete sich in vielen seiner Werke diesem Thema. 1841, mit 20 Jahren, trat er selbst eine Schiffsreise an. Vor allem getrieben von seinen Eltern, aber vielleicht auch aus eigenen Stücken, als Flucht aus seiner nicht so einfachen Kindheit. Ein Jahr war er auf den Weltmeeren unterwegs und nahm von dort viele Inspirationen für seine Meisterwerke mit. Sein wahrscheinlich größtes ist "Les Fleurs du Mal", welches in 3 Fassungen (von 1857 bis 1868) erschien.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Les Fleurs du Mal
II.1 Kurzer Aufbau der Les Fleurs du Mal
II.2 Interpretation des Gedichtes ‚Le Voyage‘ mit Blick auf den Einzug der grie- chischen Mythologie
II.3 Die besondere Stellung des Gedichtes ‚Le Voyage‘
III Zusammenfassung
I Einleitung
Das Reisen, besonders die Reisen mit dem Schiff über die Weltmeere sind in der Welt- literatur ein überaus beliebtes Motiv. Auch Charles Baudelaire widmete sich in vielen seiner Werke diesem Thema. 1841, mit 20 Jahren, trat er selbst eine Schiffsreise an. Vor allem getrieben von seinen Eltern, aber vielleicht auch aus eigenen Stücken, als Flucht aus seiner nicht so einfachen Kindheit. Ein Jahr war er auf den Weltmeeren unterwegs und nahm von dort viele Inspirationen für seine Meisterwerke mit. Sein wahrscheinlich größtes ist Les Fleurs du Mal, welches in 3 Fassungen (von 1857 bis 1868) erschien. In meiner folgenden Hausarbeit möchte ich über ein ganz besonderes Gedicht im letzten Kapitel („La Mort“) in Les Fleurs du Mal sprechen: ‚Le Voyage‘.
Um den Zusammenhang in dem Werk dazustellen, werde ich anfangs kurz den Aufbau der Les Fleurs du Mal aufzeigen. Im Hauptteil versuche ich die Frage zu beantworten, wie Baudelaire das „Ennui“ in seinem längsten Gedicht des Werkes darstellt. Das und besonders der Einfluss der griechischen Mythologie werden dabei Gegenstand meiner Interpretation sein. Am Ende werde ich auch noch einmal kurz die besondere Stellung des Gedichtes darlegen, um abschließend dann ein Fazit zu formulieren.
II Les Fleurs du Mal
II.1 Kurzer Aufbau der Les Fleurs du Mal
Charles Baudelaire selbst sagte, dass sein Gesamtwerk keine reine Sammlung der Ge- dichte sei, sondern dass es ein Anfang und ein Ende und damit ein Zusammenhang aller Gedichte gäbe.1 Les Fleurs du Mal ist in 6 Teile gegliedert. Im ersten Teil „Spleen et Idéal“ wird der Kontrast zwischen Aufschwung und Absturz dargestellt. Darauffol- gend ist „Tableaux et Parisiens“ ein Versuch des Entgehens in die Welt der Großstadt. Der dritte Teil „Le Vin“ ist ein Ausbruch- und Fluchtversuch in das bessere und künst- liche Paradies. Im fast gleichnamigen vierten Teil „Fleurs du Mal“ wie das Gesamt- werk, zeigt sich die Hingabe des Autors an der Faszination des Zerstörenden. Als Folge dessen, auch wie der Name schon sagt, ist „Révolte“ ein Aufstand, beziehungs-weise ein Entgegenstellen gegen Gott. Letztendlich versucht Baudelaire in dem sechs- ten und damit letzten Teil der Les Fleurs du Mal „La Mort“ einen Ausweg im Tod zu finden.2
II.2 Interpretation des Gedichtes ‚Le Voyage‘ mit Blick auf den Einbezug der griechischen Mythologie
Das Gedicht ist Maxime Du Camp gewidmet, ein ebenfalls Reisen liebender Schrift- steller und Freund von Charles Baudelaire. Er war ein guter Freund Baudelaires und Mitglied der Académie française, dessen sich Baudelaire ebenfalls anfangs anschlie- ßen wollte.3
Der Erzähler spricht in der ersten Strophe einerseits von einem freiheitsliebenden Kind, dass seinem großen Appetit (V.2), dem Reisen, nachgehen will, andererseits von einem Erwachsenen, der die Welt, wie das Kind, riesig auf den Karten empfand (V.3), doch nach eigenen Erfahrungen und Erinnerungen sie in Wirklichkeit nur sehr klein ist (V.4). Schon in der ersten Strophe wird die Sehnsucht nach etwas Anderem, etwas Größerem verdeutlicht. In der zweiten Strophe spricht der Erzähler in der Wir-Form (V.5), er sieht sich also als Teil der Reisenden. Einer, der ebenfalls die Welt entdecken und dem Ennui entfliehen will. Die Reisenden sind nun voller Tatendrang, durstig nach Abenteuern und auf der Suche nach dem Unbegrenzten. In Vers 8 wird in einer Anti- these erzählt, dass sie das Unbegrenzte auf dem begrenzten Meer suchen, was schon das erste Zeichen eines eventuellen Scheiterns aufzeigen kann. In der dritten Strophe werden Gründe der Flucht genannt: die Flucht aus der verhassten Heimat (V.9), vor einem unverheilten Kindheitstrauma und das Unzufriedensein in einer Ehe oder Lieb- schaft. In Vers 12 wird Kirke erwähnt. Kirke kommt im 10. Gesang von Odyssee vor, wo sie seine Gefährten mit Hilfe eines Parfums in Schweine verwandelt. Odyssee geht darauf hin zu Kirke - geschützt vom Moly-Kraut, das die Kräfte der Hexe außer Kraft setzt – um seine Gefährten zu befreien. Als die Hexe merkt, dass ihre Kräfte nicht wirken, verwandelt sie die Schweine zurück und Odysseus und seine Kumpanen ver-weilen noch ein Jahr auf der Insel. Zum Abschied sorgt Kirke für einen günstig ste- henden Wind und gibt ihnen noch Tipps mit auf den Weg, wie sie den Sirenen auf ihrer Route entkommen können4. Es ist demzufolge das Parfum der Kirke, vor dem die Reisenden fliehen. Um nun nicht genauso in „bêtes“ (V.13) – in dumme Schweine, die kein Interesse am Reisen und an Neuem haben und damit das Verlangen aus dem Ennui herauszukommen komplett verloren haben – verwandelt zu werden, wollen und müssen sie fliehen. In der fünften Strophe stellt der Erzähler fest, dass nur die die wahren Reisenden sind, die ohne Ziel reisen und ein unbeschwertes Herz haben (V.17f). Dies beschreibt also, dass der Weg als Ziel dargestellt wird.
Zwei weitere Vergleiche werde mit „ballons“ (V.18) und „nues“ (V.21) dargestellt. Auf der einen Seite ist eine Reise wie ein Ballon: Sie funktionieren nur mit Luft, so wie die Segel des Schiffes nur mit Wind funktionieren; sie wissen nicht wo die Reise hingeht und sie bergen immer viele Risiken. Doch genau diese Risiken sind es, was es so interessant macht und was - sowohl den Reisenden, als auch uns - dabei hilft, aus dem Ennui zu flüchten. Ähnlich unbeständig wie die Ballons sind die Wolken. Die Wolken stellen die Wünsche der Reisenden dar: Sie verändern sich ständig, sind unsi- cher, weit und groß. Noch empfinden die Reisenden große Vorfreude und Lust, denn es ist die Neugier nach Neuem was sie treibt (V.27). In der neunten Strophe wird noch einmal unterstrichen, dass es kein genaues Ziel auf der Reise gibt (V.29) und dass die Hoffnung, dem Ennui zu entgehen, noch nicht aufgegeben ist (V.31). Vers 33 ist be- reits ein weiterer Hinweis auf das Scheitern der Suche. Er sagt, dass die Seele ein Drei- Mast (trois-mâts5 ) ist, auf der Suche nach Ikarien. Als Ikarus und sein Vater Dädalus als Strafe (sie gaben dem Theseus Hinweise zur Verwendung des Ariadnefadens) auf eine Insel verbannt wurden, erfand der Vater Flügel, um zu fliehen. Da aber Ikarus übermütig wurde, stürzte er ab und starb. Dädalus vergrub seinen Sohn auf der Insel und nannte sie als Andenken Ikarien.6 Sie ist demzufolge eine mythische Insel, die als Grab dient. Wenn die Seele der Reisenden folglich auf der Suche nach Ikarien ist, sind sie sozusagen auf der Suche nach dem Grab und damit auch nach dem Tod. Hier ist demnach die erste Andeutung zu finden, dass das erlösende Ziel der Flucht aus dem Ennui der Tod ist. In Vers 34f wurde ein Land entdeckt, auf dem sie sich Liebe, Ruhm und Glück erhoffen. Doch recht schnell wird die Ernüchterung klar, dass es nur ein Riff ist und damit weiterhin ihre Aussicht die Hölle ist (V.36). Weiter vom Schicksal geleitet, entdecken sie immer wieder ihr Eldorado7, sozusagen ihr Traumland. Ihre Vorstellungskraft lässt sie nachts Orgien feiern, wobei sie aber jeden Morgen feststel- len müssen, dass es doch wieder nur ein Traum war, sie immer noch nicht ihrem Ennui entkommen sind und weitersuchen müssen. In der elften Strophe mit dem Wort „amoureux“ (V.41) bezieht sich der Erzähler auf die erste Strophe. Anfangs waren sie noch verliebt in die Vorstellung zu reisen, mittlerweile sind sie in jedes Eldorado ver- liebt, welches ihnen begegnet. Man erkennt folglich eine Entwicklung, auch wenn sie vielleicht nicht von Vorteil ist, da ein Eldorado nicht existiert. Trotzdem haben die Reisenden eine Hoffnung dem Ennui so entkommen zu können. In der restlichen Stro- phe stellt sich der Erzähler die Frage, ob man den betrunkenen Seemann, der sich nur durch falsche Bilder Hoffnung macht, gefesselt in das Meer werfen soll, um ihn wieder zu Verstand zu bringen. Hierbei wird deutlich, dass es immer schwerer wird dem En- nui zu entfliehen um somit Befriedigung und Ruhe zu finden. Um die Bettler und Elendsviertel, ein Synonym für die gescheiterten Suchen, zu überdecken, flüchten sie sich nun gedanklich nach Capua. Dies ist eine wunderschöne italienische Stadt, die den Reisenden als Flucht genügen würde. Doch auch Capua gilt hier wieder nur als ein Eldorado und somit als unerreichbar.
Im dritten Teil fordert der Erzähler die Reisenden auf, uns (sprich dem Erzähler und uns, den Lesern) all ihre Erfahrungen und Erinnerungen zu teilen (V.51) und uns zu erzählen, wie man aus dem Gefängnis des Ennui entkommen kann (V.54). Zum Schluss, der ersten einversigen Strophe des Gedichtes, fragt der Erzähler nach dem, was die Reisenden gesehen und damit zu berichten haben (V.57). Auffällig in diesem kurzen dritten Teil des Gedichtes ist der Wechsel der Erzählperspektive. Anfangs war der Erzähler noch Teil der Reisenden (Bsp.: Vers 5 und 7), doch ab jetzt ist er eine Art Interviewer und befragt sie. Er steht ihnen also gegenüber.
Dies wird im vierten Teil von ‚Le voyage‘ direkt durch das erste Wort „nous“ (V.58), eingeführt durch die Anführungszeichen, erkannt. Die wörtliche Rede ist nun eine Art Bericht für den Erzählenden und den Lesern. Auf die Fragen des Erzählers, was die Reisenden erlebt haben, antworten sie nur enttäuscht, da sie trotz der vielen abenteu- erreichen Erlebnisse immer noch gelangweilt sind (V.59f). Selbst das schönste Meer, die reichsten Städte und dessen Sonnenuntergang (V.61f), was heißes Begehren ver- ursacht, wird von der Sehnsucht noch mehr überschattet. Auch hier wird wieder deut- lich, dass die Reisenden nie genug bekommen und mit nichts zufrieden sind. Das macht es nur schwerer das Ennui zu überwinden, da die Ansprüche immer höher zu werden scheinen. Dass das Vergnügen eine enorm wichtige Rolle spielt, zeigt sich in der 19. Strophe (V.69ff): Nur ein Baum genährt von „plaisir“ wächst so in die Höhe, dass alle Wünsche erfüllt werden können. Somit stellen sie das Vergnügen dem Was- ser die gleiche überlebenswichtige Bedeutung entgegen. In Vers 74 stehen die Zypres- sen als Synonym für den Tod. Die Reisenden stellen sich hier die Frage, ob der Baum, genährt vom Vergnügen, robuster ist als der Tod8, beziehungsweise ob diese Freude mehr bringt als der Tod. Eine wirkliche Antwort können sich die Reisenden nicht da- rauf geben. Sie erklären nur, dass sie einige Skizzen für ihr Album „gepflückt“ haben (V.75) für ihre Kumpanen, die ihr Glück immer noch im Weiten suchen (V.76). In den letzten beiden Strophen des vierten Teils stellen sich die Reisenden jede Menge Dinge vor, beziehungsweise Versuchungen dar, die sie nur ruinieren würden (Bsp.: Juwelen, Paläste, etc.). Die letzte Strophe hat unüblicherweise nur 3 Verse. Dies könnte darauf zurückgeführt werden, dass die Reisenden einerseits noch nicht fertig sind mit ihren Erzählungen und andererseits immer noch unbefriedigt sind und noch nicht ihr Ziel erreicht haben.
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1 Charles Baudelaire, Correspondance, S. 196
2 Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik, S. 39
3 Christel Meier-Staubach, Autorschaft: Ikonen-Stile-Institutionen, S. 37
4 Homer, Odyssee, S. 269 ff.
5 trois-mâts: „Navire á voiles á troi mâts“ Alain Rey, Dictionnaire culturel de la langue française, S. 1607
6 Otto Höfer, Ikarus 1, S. 114-117
7 Eldorado: „Pays chimériques où on peut s´enrichir facilement et où la vie est très agréable“ Collec- tif, Le petit Larousse, S. 373
8 Mario Richter, Baudelaire. Lecture intégrale, S. 1618