Die vorliegende Hausarbeit widmet sich, im Rahmen des Seminars "Handlungsfelder der beruflichen Bildung", dem Thema "Alphabetisierung in der Berufsausbildung". Eckardt-Hinz et al stellen fest, dass es ein Handlungsbedarf für die Entwicklung einer individualisierten Didaktik und für die Bereitstellung angepasster Lehrwerke beziehungsweise Lernmaterialien an Berufsschulen besteht. Die Bemühungen für das Problem "Analphabetismus" in unserer Gesellschaft und in den Schulen zu sensibilisieren und entsprechende Handlungsansätze zu entwickeln, stehen noch am Anfang. Insbesondere in der beruflichen Bildung, als auch in Ausbildungsbetrieben hat man das Thema bislang weitgehend nur wenig beachtet.
So können die Arbeitgeber kaum nachvollziehen, was Analphabetismus mit Ausbildung zu tun hat und fühlen sich dementsprechend, trotz des steigenden Fachkräftemangels, nicht für das Lernen grundlegender Lese- und Schreibkompetenzen betroffener Mitarbeiter zuständig. Nach Heisler besteht daher eine der wesentlichen Aufgaben der Zukunft in der Aufklärung und Schulung des Personals in Betrieben und Berufsschulen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Funktionaler Analphabetismus
3. Funktionale Analphabeten in der Berufsausbildung
3.1 Der aktuelle Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
3.2 Entwicklung der Flüchtlingsstatistik in der Berufsausbildung bis
3.3 Alphabetisierung in der Berufsausbildung
3.4 Anforderungen an und Professionalisierung von Lehrenden
4. Projekte und Maßnahmen für Alphabetisierung
4.1 DVV - Rahmencurriculum für die Alphabetisierung und Grundbildung
4.2 ABCplus
4.3 Das APAG-Projekt
4.4 lea.- Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften
5. Lehrmaterialien für Alphabetisierung
5.1 ich-will-deutsch-lernen.de
5.2 Beluga-Lernsoftware
5.3 APAG-Lehr-Lern-Materialien
5.4 lea.- Lernmaterialien
6. Ausblick
7. Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Funktionaler Analphabetismus und fehlerhaftes Schreiben in der deutschen Bevölkerung (18-64 Jahre)
Tabelle 2: Funktionaler Analphabetismus und fehlerhaftes Schreiben nach Abschluss einer beruflichen Bildung
Tabelle 3: Alphabetisierungsmaßnahmen an Berufsschulen
1. Einleitung
„Die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, gilt als ein Merkmal dessen, was als Ausbildungsreife bezeichnet wird. […] Lesen, Schreiben und Rechnen gelten als die wichtigsten Voraussetzungen dafür, erfolgreich eine Berufsausbildung beginnen und absolvieren zu können.“ (Eckardt-Hinz, Hanisch, Heisler & Mannhaupt, 2013, S. 1). Die schriftsprachlichen Anforderungen an Auszubildende und Arbeitnehmer1 sind in der immer mehr technisierten, modernen Gesellschaft kontinuierlich gestiegen, denn viele Arbeitsprozesse sind heutzutage computergestützt, Arbeitsläufe werden automatisiert und Arbeitsschritte müssen schriftlich festgehalten werden. Es wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Jugendliche, die mit einer Berufsausbildung beginnen, ausreichend literalisiert sind. Allerdings gibt es empirische Belege dafür, dass eine nicht unerhebliche Anzahl junger Auszubildenden nur auf einem niedrigen Niveau lesen und schreiben können. Der leo.-Level-One-Studie 2012 zufolge besitzen 6,5 Prozent der Auszubildenden sehr niedrige Lese- und Schreibfähigkeiten, so dass ihnen die Bewältigung schulischer Lernanforderungen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erheblich erschwert sind. Weitere 10 Prozent der Berufsschüler können nur fehlerhaft schreiben und besitzen schlechte bis mangelhafte Lese- und Schreibfähigkeiten. Dies bedeutet, dass bei einer Klassenstärke von ca. 20 Schülern in jeder Berufsschulklasse mindestens zwei und in Berufsvorbereitungsjahr-Klassen möglicherweise noch mehr funktionale Analphabeten (Kapitel 2) sind, so Heisler (2016). Nach ihm stellt die Bewältigung von Lernprozessen für die lernschwachen Berufsschüler eine besondere Herausforderung dar, da sie dabei mit schriftsprachlichen Anweisungen, Aufgabestellungen und Arbeitsblättern, mit Texten, Handreichungen, Fachbüchern etc. arbeiten, in denen es um die Erarbeitung und das Lernen theoretischen Wissens geht. Gerade die im Unterricht verwendeten Lehrmaterialien und Fachtexte sind häufig von Wissenschaftlern und Fachvertretern geschrieben und viel zu anspruchsvoll für die betroffenen Jugendlichen.
Die Folgen davon können Demotivation, Überforderung, das Scheitern in Abschlussprüfungen und schließlich auch Ausbildungsabbrüche sein. Auch wenn sie das Problem erkennen, sind Lehrkräfte überwiegend ratlos, wie sie damit umgehen sollen. Viele von ihnen verstehen sich zudem eher als Vertreter ihres Fachs und sehen sich nicht in der Verantwortung, Förderangebote zur Vermittlung der Schriftsprache zu unterbreiten. Vielmehr werden ausreichende schriftsprachliche Kompetenzen als Voraussetzung dafür gesehen, überhaupt eine Ausbildung beginnen zu können, das heißt als Teil von „Ausbildungsreife“. Ihre Vermittlung wird damit zur Aufgabe der allgemeinbildenden Schulen oder von beruflichen Förderangeboten erklärt. (Heisler 2016)
Eckardt-Hinz et al (2013) stellen fest, dass es ein Handlungsbedarf für die Entwicklung einer individualisierten Didaktik und für die Bereitstellung angepasster Lehrwerke bzw. Lernmaterialien an Berufsschulen besteht. Die Bemühungen für das Problem „Analphabetismus“ in unserer Gesellschaft und in den Schulen zu sensibilisieren und entsprechende Handlungsansätze zu entwickeln, stehen noch am Anfang. Insbesondere in der beruflichen Bildung, als auch in Ausbildungsbetrieben hat man das Thema bislang weitgehend nur wenig beachtet. So können die Arbeitgeber kaum nachvollziehen, was Analphabetismus mit Ausbildung zu tun hat und fühlen sich dementsprechend, trotz des steigenden Fachkräftemangels, nicht für das Lernen grundlegender Lese- und Schreibkompetenzen betroffener Mitarbeiter zuständig. Nach Heisler (2016) besteht daher eine der wesentlichen Aufgaben der Zukunft in der Aufklärung und Schulung des Personals in Betrieben und Berufsschulen.
Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende Hausarbeit, im Rahmen des Seminars „Handlungsfelder der beruflichen Bildung“, dem Thema „Alphabetisierung2 in der Berufsausbildung“. Durch die neuzugewanderten jungen Menschen in den letzten Jahren (Kapitel 3.2) ist die Zusammensetzung der Berufsschulklassen heterogener denn je geworden. Aus der eigenen Unterrichtserfahrung an einem Berufskolleg in NRW als Vertretungslehrerin kennt die Verfasserin die Lehr- und Lernsituationen an einem Berufskolleg. Sprachlich sehr heterogene Lerngruppen können das Lehr- und Lernklima maßgeblich beeinflussen: In einer internationalen ausbildungsvorbereitenden Klasse mit 17 Teilnehmern lernten überwiegend junge, erwachsene Flüchtlinge mit nur elementaren Deutschkenntnissen (Niveaustufe A1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen), drei Flüchtlinge mit dem Deutschzertifikat der Niveaustufe A2 und zwei Analphabeten ohne jegliche Deutschkenntnisse. In einer Übergangsklasse mit Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnisse waren fünf Lernende ohne Migrationshintergrund (drei mit Realschulabschlüssen und zwei ohne Schulabschluss), ein Asylsuchender, der seit acht Monaten in Deutschland lebte und elementare Deutschkenntnisse besaß (A1-A2) und eine weitere Asylsuchende, die zwar in ihrer Muttersprache literalisiert war und seit zwei Jahren in Deutschland lebte, aber auf Deutsch weder sprechen noch schreiben konnte. Die Teilnehmer kamen einmal in der Woche in das Berufskolleg und lernten Deutsch (Bewerbungstraining, Kommunikation und Rechtschreibung). Die o.g. Beispiele spiegeln eine mittlerweile typische Situation an Berufskollegs wider. Als angehender Berufsschullehrer sollte man über die besondere Situation in Berufskollegs informiert und entsprechend vorbereitet werden. Die Herausforderungen, die den unerfahrenen Lehrenden gestellt werden sind auch ohne diese Sprachheterogenität schon sehr groß. Es stellt sich die Frage, wie die Lernenden, die unterschiedlicher kaum sein können, gemeinsam vernünftig Deutsch lernen können, so dass alle Teilnehmer mit passenden Unterrichtsstoffen versorgt werden können. Beim Austausch mit den Kollegen stellte sich heraus, dass es fast in jeder Regelklasse ein oder zwei Schüler gibt, die den Altersgenossen ein Paar Schritte nachhinken, weil ihnen grundlegende Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen. Wie ist das möglich, dass Menschen mit geringer Literalität eine Berufsausbildung anfangen können? Wie erkennt man den funktionalen Analphabetismus? Welche Diagnoseinstrumente gibt es? Und wie kann ihnen individuell und professionell geholfen werden, damit die Gefahr des Abbruchs der Ausbildung abgewendet ist und sie einen erfolgreichen Beginn bzw. Abschluss ihrer Ausbildung erzielen können? Welche Schülergruppe benötigt Alphabetisierungsmaßnahmen? Wie ist die aktuelle Forschungslage im Bereich der Alphabetisierung in der beruflichen Bildung? Welche Qualifizierungsmaßnahmen werden Lehrkräften für die Alphabetisierung angeboten? Welche Lehrwerke werden benutzt?
2. Funktionaler Analphabetismus
„Funktionaler Analphabetismus wird definiert als Lese- und Schreibfähigkeit auf den Alpha-Levels 1-33. Dies bedeutet, dass man durchaus begrenzt lesen und schreiben kann, aber eben eher langsam, mühsam und vielleicht auch ungern“ (Grotlüschen & Riekmann, 2012 S. 111). Das Alphabund (2013) definiert das gleiche Phänomen wie folgt:
Funktionaler Analphabetismus gilt dann als gegeben, wenn die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen niedriger sind als diejenigen, die minimal erforderlich sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden, um den jeweiligen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. Dies bedeutet, dass die Fähigkeiten von funktionalen Analphabeten insbesondere im sinnverstehenden Lesen und die Fähigkeit sich schriftlich ausdrücken zu können nicht ausreichen, um schriftsprachliche Anforderungen des täglichen Lebens und einfachster Erwerbstätigkeit bewältigen zu können.
Nach den Ergebnissen der leo.-Level-One-Studie (Grotlüschen & Riekmann, 2011) gelten in Deutschland kumuliert mehr als 14 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren, d.h. 7,5 Millionen Menschen, als funktionale Analphabeten (Tabelle 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Funktionaler Analphabetismus und fehlerhaftes Schreiben in der deutschen Bevölkerung (18-64 Jahre)
(Quelle: Grotlüschen & Riekmann, 2011, S. 4)
Betroffene Personen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, aber keine zusammenhängenden bzw. kürzeren Texte (Lage auf Alpha-Level 1-3). Sie sind nicht in der Lage, beispielsweise schriftliche Arbeitsanweisungen bei einfachen Beschäftigungen zu erfassen und dies erschwert ihnen eine angemessene Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Darüber hinaus beherrschen 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, d.h. 13,3 Millionen Menschen, die Rechtschreibung nicht hinreichend (Lage auf Alpha-Level 44 ). Die Betroffenen lesen bzw. schreiben auf der Satz- bzw. Textebene auch gebräuchliche Wörter fehlerhaft. Somit haben fast 40% der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland Probleme beim Lesen und Schreiben. Nur 56 Prozent der Betroffenen haben eine berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen (Tabelle 2). 6,5 Prozent der funktionalen Analphabeten, d.h. 490.000 Personen, befinden sich in Ausbildung.
Von den funktionalen Analphabeten sprechen 4,4 Millionen Deutsch als Muttersprache und 3,1 Millionen haben eine andere Sprache als Erstsprache gelernt. Allerdings nahmen an der Studie nur Personen teil, die die deutsche Sprache mündlich so weit beherrschen, dass sie einer Befragung und einem Kompetenztest folgen können. „Würde man auch Zugewanderte ohne mündliche Deutschkenntnisse hinzuziehen und innerhalb dieser Gruppe proportional oder auch überproportional viele funktionale Analphabet/inn/en vorfinden, müssten diese Personen der Zahl von 7,5 Millionen noch einmal hinzugezählt werden“ (Grotlüschen & Riekmann 2012).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Funktionaler Analphabetismus und fehlerhaftes Schreiben nach Abschluss einer beruflichen Bildung
(Quelle: Grotlüschen & Riekmann, 2012, S. 32)
Auf Grund der Erkenntnisse der leo.-Level-One-Studie wurde 2012 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Mitarbeit mit der Kultusministerkonferenz eine Nationale Strategie für Alphabetisierung ausgerufen. 2016 wurde diese in eine nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung5 Erwachsener überführt. Die offizielle Zusammenfassung der Ergebnisse der AlphaDekade-Konferenz 2018 lautet: Das übergeordnete Ziel der AlphaDekade-Konferenz liegt in der gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten. Die Schriftsprache sollte dabei beispielsweise in den Grundbildungsbereichen Politik, Gesundheit, Finanzen und Medien vermittelt werden. Das große Potenzial der digitalen Medien (z.B. Ermöglichung individueller Lehr- und Lernprozesse, Motivation zum Lernen und zur Kommunikation durch zeitliche und räumliche Unabhängigkeit) soll für die Alphabetisierung und Grundbildung benutzt werden. Die digitale Infrastruktur von Weiterbildungseinrichtungen soll weiter verbessert und das Lehrpersonal in Bezug auf ihr Wissen, ihr Können und ihre Einstellungen qualifiziert werden. Bestehende und zu entwickelnde Qualifizierungsangebote sollten durch die Forschung evaluiert und begleitet werden, um sie daraufhin großflächig in der Praxis zu implementieren. Zur besseren Vernetzung und Mitarbeit der Bereiche wie Schule, Übergangssystem und Berufsbildung müssen Bund und Länder enger zusammenarbeiten (BMBF, 2018).
3. Funktionale Analphabeten in der Berufsausbildung
In diesem Abschnitt wird die aktuelle Situation der Alphabetisierung in der Berufsausbildung näher dargestellt: Was zeichnet den aktuellen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt aus? Welche Entwicklungen sind in Bezug auf die funktionalen Analphabeten im Berufsbildungsbereich in näherer Zukunft zu erwarten? In wie weit bzw. auf welcher Art und Weise werden Alphabetisierungsmaßnahmen an Berufskollegs angeboten? Gibt es dafür speziell ausgebildetes Lehrpersonal an Berufskollegs?
3.1 Der aktuelle Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
Der aktuelle Ausbildungsmarkt ist von Gegensätzen geprägt: Einerseits haben Ausbildungsbetriebe wachsende Bedarfe an qualifizierten Arbeitskräften, da viele erfahrene Mitarbeiter aus der Baby-Boomer-Generation ab 2020 in Rente gehen werden. Andererseits werden viele junge Menschen ohne bzw. mit nur gering qualifiziertem Schulabschluss selektiert und bekommen keinen Ausbildungsplatz. Einerseits haben Betriebe v.a. im Bereich Gastronomie und Handwerk Besetzungsprobleme ihrer Ausbildungsstellen (2016 waren insgesamt 15.500 Betriebe betroffen), andererseits bestehen größere Nachfragen als verfügbare Angebote in den von den Jugendlichen beliebten Ausbildungsberufen im Marketing- und Medienbereich. Ab 2025 werden Engpässe bei den nicht akademischen Pflege- und Gesundheitsberufen, aber auch im Bereich der Bau- und Metallberufe bzw. in technischen Berufen erwartet, die durch das Bevölkerungswachstum alleine nicht zu kompensieren sind. Nahezu 80% der Betriebe bieten mittlerweile lernschwächeren Jugendlichen eine Ausbildung an, so dass rund drei von vier Hauptschulabsolventen eine duale Ausbildung machen. Auch Bewerber ohne Schulabschluss sowie Flüchtlinge bekommen Chancen. So bilden derzeit 14 Prozent der IHK-Unternehmen knapp 20.000 junge Flüchtlinge aus. Immer mehr Auszubildende benötigen Unterstützung für einen erfolgreichen Berufsabschluss und 41 Prozent der Ausbildungsbetriebe bieten ihren Azubis Nachhilfe. Betriebe bemängeln häufig fehlende Leistungsbereitschaft bzw. Motivation, mangelnde Disziplin, fehlende Belastbarkeit und unangemessene Umgangsformen sowie schlechte Mathematik- und Deutschkenntnisse Jugendlicher. Die Politik ist daher gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen in den allgemeinbildenden Schulen für eine bessere Ausbildungsfähigkeit zu gestalten und damit bessere Startchancen für das Engagement von Unternehmen und Berufsschulen zu schaffen (DIHK, 2018; Granato, 2017, S. 118).
3.2 Entwicklung der Flüchtlingsstatistik in der Berufsausbildung bis 2020
Im Zeitraum von 2014 bis 2016 kamen rund 1,55 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Drei von vier Asylbewerbern waren 2016 jünger als 30 Jahre und 44 Prozent zwischen 16 und 30 Jahre alt. Nach der annahmebasierten Modellrechnung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), geht man davon aus, dass sich die Zahl der geflüchteten Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz nachfragen, im Jahr 2017 zwischen 15.000 und 31.500 Personen, 2018 zwischen 18.500 und 33.700 und 2019 zwischen 17.900 und 41.500 liegen würde. Die auf drei Jahre kumulierte Zahl der ausbildungsnachfragenden Geflüchteten erreicht 2019 bzw. 2020 ihren Höhepunkt und liegt je nach Variante 2019 zwischen 56.000 und 100.000 Personen und 2020 zwischen 52.700 und 102.000 Personen. Dieser kumulierten Anzahl sind sowohl Geflüchtete, die einen Ausbildungsvertrag erhalten werden, als auch Personen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen werden und sich aber weiter für eine Berufsausbildung interessieren würden, eingeschlossen (Granato, 2017, S. 18 und S. 23; Winnige, Maier & Steeg, 2017, S. 71). Auch wenn diese Zahlen als ungefähre Größe zu betrachten sind und Aufschluss über die Entwicklung des Ausbildungsmarktes in Bezug auf neuzuwanderte Jugendliche geben sollen, wird hieraus ersichtlich, vor welch großen Herausforderungen das deutsche Berufsbildungssystem steht.
Rund ein Fünftel bis ein Drittel der erwachsenen Geflüchteten, die im Herkunftsland keine oder maximal eine Grundschule besucht haben, müssen erst einmal die deutsche Sprache samt der lateinischen Schriftsprache erlernen. Zudem sollten ihnen schulische und berufliche Grundkenntnisse vermittelt werden, bevor andere Regelinstrumente von Berufsorientierung und Ausbildungsvorbereitung ansetzen können. Knapp über die Hälfte der Geflüchteten ohne schulischen Abschluss aus dem Herkunftsland streben in Deutschland einen Schulabschluss und über 60 Prozent einen beruflichen Abschluss an. Bildungsangebote u.a. an beruflichen Schulen, die hier eine wichtige Aufgabe übernommen haben, sollen entsprechend finanziell unterstützt und mit Lehrpersonal ausgestattet werden (Esser, Granato & Neises, 2017, S. 127).
3.3 Alphabetisierung in der Berufsausbildung
Das Projekt PROFESS beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. führte 2009/10 eine Arbeitsmarktstudie durch, um eine Prognose zu den Chancen auf Beschäftigungsmöglichkeiten der Master-Absolventen des Aufbaustudiums mit dem Abschluss „Master of Arts Alphabetisierung und Grundbildung“ an der Pädagogischen Hochschule Weingarten zu erstellen (Willige, 2011). Die Tabelle 3 gibt in Anlehnung an die Ergebnisse dieser Studie einen kurzen Überblick über die Alphabetisierungsmaßnahmen an Berufsschulen.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit das generische Maskulinum benutzt. Selbstverständlich sind dabei Frauen eingeschlossen.
2 „Alphabetisierung für funktionale Analphabeten stellt ein pädagogisches Handlungsfeld dar, in dem Lese- und Schreibfähigkeiten vermittelt werden, die ausreichen, um schriftsprachliche und rechnerische Anforderungen des täglichen Lebens und in einfachen Arbeitstätigkeiten zu erfüllen.“ (Klein, Reutter & Schwarz, 2016)
3 Alpha-Level 1-2 (a 1 bis a 2) bedeutet, dass betroffene Personen zwar einzelne Wörter lesend verstehen bzw. schreiben können, nicht jedoch ganze Sätze. Zudem müssen sie auch gebräuchliche Wörter Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen. Alpha-Level 3 (a3) bedeutet, dass betroffene Personen zwar einzelne Sätze lesen und schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende – auch kürzere - Texte (Grotlüschen & Riekmann 2011).
4 Alpha-Level 4 (a 4) bedeutet, dass betroffene Personen auf Satz- und Textebene auch bei gebräuchlichen Wörtern langsam und/oder fehlerhaft lesen und schreiben. Die Rechtschreibung, wie sie bis zum Ende der Grundschule unterrichtet wird, beherrschen sie nicht hinreichend (Grotlüschen & Riekmann 2011).
5 „Der Begriff der Grundbildung soll Kompetenzen in den Grunddimensionen kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe bezeichnen, darunter: Rechenfähigkeit (Numeracy), Grundfähigkeiten im IT-Bereich, Gesundheitsbildung, Finanzielle Grundbildung, Soziale Grundkompetenzen. Grundbildung orientiert sich somit an der Anwendungspraxis von Schriftsprachlichkeit im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag, wobei die Vermittlung von Alltagskompetenzen immer auch in der Verbesserung sinnverstehenden Lesens und Schreibens mündet.“ (Kultusministerkonferenz, 2016)