In dieser Arbeit soll am Beispiel des Romans "Los Vigilantes" aufgezeigt werden, wie die Sprache als Code verwendet wird. "Los Vigilantes" ist der siebte Roman der chilenischen Autorin Diamela Eltit aus dem Jahr 1994. Es ist der dritte Roman der Autorin, der in die Zeit der "periodo de transición democratica" in Chile fällt, in der weder das Land noch die Literatur die vorangegangen Jahre der Militärdiktatur vollständig hinter sich gelassen haben. Nach dem Militärputsch von 1973 wurden Frauen in den privaten Raum zurückverbannt, der Roman schildert diese "Represión domestica" eines einschränkenden, regelhaften, normativen Systems.
"La literatura ha sido el único espacio de libertad de toda mi vida" bestätigt die Unmöglichkeit der freien, öffentlichen Meinungsäußerung aufgrund von Zensur und politischer Verfolgung. Die Bevölkerung wurde unter Pinochet entpolitisiert und durch den kontinuierlichen Staatsterror in Angst versetzt. Die Autorin nutzt ihre Romane als Instrument und Stimme, um Kritik an den politischen Verhältnissen zu üben. Ihre Werke vermitteln diese Subversion nicht auf augenscheinlich ersichtliche Weise, sondern anhand literarischer Mittel wie Sprache, Raumkonstellationen und Körperbildern, die als politische und soziale Zeichen dienen.
Inhalt
1. Politischer Kontext
1.1 Militärputsch und Diktatur in Chile
1.2 Periodo de transición in Chile: Nachlass einer Diktatur
2. Los Vigilantes (1994) - der Roman als Mittel zum Widerstand
2.1 Einführung in Autorin und Werk
2.2 Verfremdung der Sprache im Roman
2.2.1 Die Figur des Sohnes
2.2.2 Die Briefkorrespondenz der Mutter - Suchen und Finden von persönlicher Identität
2.2.3 Die Figur der Mutter als Allegorie Chiles
3. Conclusio
Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:
1. Politischer Kontext
1.1 Militärputsch und Diktatur in Chile
Am 11. September 1973 kam es in Chile zu einem Militärputsch, in dessen Zuge sich das Militär an die Macht putschte, die demokratisch gewählte Links-Regierung des Präsidenten Salvador Allende stürzte und Chile 17 Jahre lang einer Diktatur unterwarf. Der Präsident starb in den Kämpfen, unter Pinochet wurden Regimegegner verfolgt, gefoltert, ermordet oder verschwanden unter bis heute ungeklärten Umständen.[1]
Salvador Allende gewann 1970 die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der Unidad Popular (Volkseinheit). Allende hatte die Ambition, Demokratie und Sozialismus miteinander zu verbinden. Unter seiner Führung wurden wichtige Wirtschaftszweige in Staatseigentum überführt, diese sozialistische Ausrichtung hat viele Befürworter, traf aber seit Beginn an auch auf erheblichen Widerstand. Zur Regierungszeit Allendes waren die Arbeiter stark, die Gewerkschaften gewannen an Macht. Maßnahmen wir die Agrarreform, die Umverteilung zugunsten der bislang Benachteiligten sowie die Ausweitung des demokratischen Mitspracherechts für Arbeiter, Bauern und Studenten stießen zunehmend auf Widerstand. Chile war polarisiert zwischen den widerstreitenden Kräften im Land, den Besitzenden und der Arbeiterklasse. Die Destabilisierung des Landes und der Widerstand der oppositionellen Gruppen wuchsen aufgrund politscher und ökonomischer Fehlentscheidungen der Regierung. Bei den Parlamentswahlen im März 1973 konnte Allende mit der UP jedoch weiterhin rund 43 Prozent der Stimmen verbuchen, weshalb sich die oppositionellen Kräfte vermehrt auf die gewaltsame Umstürzung des Systems konzentrierten. Im Mai beschloss die Opposition einen Boykott des Parlamentes gegen Allende, in dessen Zuge viele Minister die AllendeRegierung verließen. Im August 1973 rief der nationale Kongress die Allende Regierung als verfassungswidrig aus und rief die bewaffneten Truppen („las Fuerzas Armadas“) auf, auf illegalem Wege in das Regierungsgeschehen einzugreifen. “Nach einem gescheiterten Putschversuch eines Panzerregimes im Juni 1973, stürzte das Militär den Regierungspalast La Moneda am 11. September unter der Führung des Oberbefehlshabers Pinochet.[2] Nach dem 11. September 1973 war Chile ein anderes Land. Die Gewerkschaften wurden zerschlagen, jeder Widerstand verfolgt und auf brutale Weise zum Verstummen gebracht. Tausende Anhänger der UP wurden ermordet. Chile befand sich in einem Klima der Angst und vollkommenen Repression, der Privatisierung und dem Neoliberalismus wurden der Weg geebnet und resultierten in einer Wirtschaftskrise. Die starke Arbeiterbewegung gehörte der Vergangenheit an, die Arbeitskräfte mussten zu Billiglöhnen arbeiten.[3]
1.2 Periodo de transición in Chile: Nachlass einer Diktatur
1990 begann die Zeit der Post-Diktatur. Pinochet hatte 1988 zunächst ein entscheidendes Plebiszit verloren, in der die Chilenen darüber abstimmten, ob Pinochet weitere acht Jahre im Amt bleiben sollte. Bei den anschließenden Wahlen der Regierungsbildung im Dezember desselbigen Jahres unterlag er der Concertación de Partidos por la Democracia ,einem Bündnis aus Sozialisten und Christdemokraten. Die Militärdiktatur unter Pinochets Herrschaft hat Chile nachhaltig verändert, die Folgen dieser sieben Jahre, der Menschenrechtsverbrechen in Form von Gefangenschaft, Folter, Hinrichtungen, das Verschwinden von Oppositionellen und der im Land herrschende Terror sowie Angst haben in der Bevölkerung tiefgreifende Spuren hinterlassen. Auch wenn die Militärdiktatur 1990 ihr Ende fand, stellte der Übergang von einer gewaltsamen, blutigen Diktatur zur Demokratie das Land vor eine große Herausforderung, denn das offizielle Ende der Pinochet-Ära bedeutete nicht eine Beseitigung der an ihr beteiligten Individuen und autoritären Strukturen des öffentlichen und privaten Lebens.4
Das Erbe der Diktatur lebt trotz ihres Scheiterns fort: das Wirtschaftsmodell des Neoliberalismus wird als alternativlos hingenommen und fortgeführt, die neue Regierungsgewalt stützt sich auf die Verfassung von 1980, die Armee behält ihre Vetomacht hinsichtlich der Gesetzgebung. Pinochets Grundsätze sollten noch lange Zeit nach seinem Regime bestimmend bleiben und dem Aufbruch in die Staatsform der Demokratie klare Grenzen setzen. Die Pinochet-Diktatur hatte nach der Niederlage im Plebiszit die sogenannten „leyes de amarre“5 („Knebelgesetze“), um die geschaffenen Privilegien bestimmter Gruppen der Bevölkerung auch unter demokratischer Führung aufrechtzuerhalten. So bedurfte es für die Ernennung der obersten Befehlshaber der einzelnen Streitkräfte durch den Präsidenten das Einverständnis der Befehlshaber, die von Pinochet während der Diktatur ernannt worden waren. Der tatsächliche Handlungsspielraum der neuen Regierung war demnach begrenzt. Die Transición zur Demokratie wurde mit den alten Machthabern ausgehandelt, das Vorhaben wurde von den Militärs kontrolliert. Pinochet behielt als ehemaliger Diktator noch weitere acht Jahre die Position des Oberbefehlshabers der Armee inne und war nach wie vor imstande, politischen Einfluss ausüben. Die „leyes de amarre“ 6 ermöglichten ihm entscheidendes Mitspracherecht bei der Besetzung des Obersten Gerichtshofes und Verfassungsgerichts. Die Verbündeten der Diktatur konnten aufgrund ihres Vetorechts in die Demokratie eingreifen und Verfassungsänderungen, Reformen und Gesetzesinitiativen blockieren. Diese fortbestehende Einflussnahme des alten Regimes der Militärjunta resultierte in einer konfliktscheuen, arrangierten Konsenspolitik, der sogenannten „democracia de los acuerdos“[7].
Oftmals scheiterten Versuche grundlegender Reformen an der chilenischen Verfassung. Die Verfassung von 1980, die auf den neoliberalen Grundsätzen der Militärjunta beruht, ist in abgewandelter Form immer noch gültig. Das Militär wird in der Verfassung als „Wächter der Verfassung“ angesehen.[8] Die Annahme der von der Militärjunta veranlassten Verfassung durch die Kräfte der Transition bedeutete die Einwilligung in eine Fortsetzung der autoritär - neoliberalen Politik, der patriarchalischen Strukturen, dem Androzentrismus und der Negation der Frau als eigenständiges Individuum. Die Militärjunta setzte somit ihre Politik auch in der Transition fort, in dem sie diese in Verfassungsrang hob.[9]
Dennoch war auch in Widerstand aus der Schreckensherrschaft der Diktatur erwachsen. Motoren dieses Widerstandes waren soziales Bewegungen, Frauenbewegungen („Democracia en el pals y demoracia en la casa“[10] ) und die Literatur.[11]
2. Los Vigilantes (1994) - der Roman als Mittel zum Widerstand
2.1 Einführung in Autorin und Werk
Los Vigilantes ist der siebte Roman der chilenischen Autorin Diamela Eltit aus dem Jahr 1994. Es ist der dritte Roman der Autorin, der in die Zeit der „periodo de transición democratica“ in Chile fällt, in der weder das Land noch die Literatur die vorangegangen Jahre der Militärdiktatur vollständig hinter sich gelassen haben. Nach dem Militärputsch von 1973 wurden Frauen in den privaten Raum zurückverbannt, der Roman schildert diese „Represión domestica“ eines einschränkenden, regelhaften, normativen Systems.[12] „La literatura ha sido el unico espacio de libertad de toda mi vida“[13] bestätigt die Unmöglichkeit der freien, öffentlichen Meinungsäußerung aufgrund von Zensur und politischer Verfolgung. Die Bevölkerung wurde unter Pinochet entpolitisiert und durch den kontinuierlichen Staatsterror in Angst versetzt. Die Autorin nutzt ihre Romane als Instrument und Stimme, um Kritik an den politischen Verhältnissen zu üben. Ihre Werke vermitteln diese Subversion nicht auf augenscheinlich ersichtliche Weise, sondern anhand literarischer Mittel wie Sprache, Raumkonstellationen und Körperbildern, die als politische und soziale Zeichen dienen.
La década de 1980 fue particularmente complicado para los intelectuales chilenos, que debieron recurrir a diversas estrategias para difundir sus obras en un ambiente cultural donde regia la censura. En este contexto, las publicaciones de mujeres fueron un gran aparte, ya que generaron innovadores espacios de reflexión sobre temas politicos contingentes y otros tópicos de interés, como la sexualidad, el autoritarismo, lo doméstico, las pohticas de lo cotidiano y la famosa identidad de género. En esta nueva generación de escritoras se encontraba Eltit, quien no sólo articuló un novedoso proyecto de escritura - una propuesta teórica, estética, social y politica desde un nuevo espacio de lectura [...][14]
Der Roman besteht aus drei Kapiteln, deren Überschriften Baam, Amanece und Brr bereits die Verfremdung der Sprache als poetische und kritische Funktion andeuten. Der Roman erzählt die Geschichte des Zusammenlebens einer Mutter und ihres Sohnes zur Zeit der häuslichen Unterdrückung in Chile, der begrenzte Innenraum des Hauses ist der Nukleus des Romans, in dem Mutter und Sohn permanent zusammen sind und einer konstanten Überwachung des Vaters ausgesetzt sind, der - ohne selbst körperlich im Roman aufzutauchen - von einer zentralen Machtposition ein Überwachungs-und Kontrollsystem in Form einer Briefkorrespondenz über die Familie ausübt.[15]
2.2 Verfremdung der Sprache im Roman
2.2.1 Die Figur des Sohnes
Diamela Eltit kreiert ein ästhetisches Universum um die Sprache der Romanfiguren und nimmt so Stellung zur Unterdrückung der Frauen im politischen Systems in Chile. Die Monologe des Sohnes eröffnen und schließen den Roman. Die Sprache desselbigen gleicht einem Code, den es zu entschlüsseln gilt. Die gewählte Erzählzeit des Romans ist das Präsens, wodurch die Autorin die Nähe des Romans zur gelebten Realität in Chile betont. Der begrenzte Innenraum des Hauses zeigt neben dem konstanten Zusammenlebens von Mutter und Sohn auf engstem Raum auch die fehlende Kommunikation zwischen den beiden Figuren. Das Haus ist als geschlossener Innenraum zu verstehen, in dem Mutter und Sohn eingesperrt sind und überwacht werden. So beschreibt der Sohn seine Lebenssituation folgendermaßen: „La incomprensibile pequenez de la casa se supone en mi mente"16.
Schon zu Beginn des Romans lässt der Sohn die Leser wissen, dass er nicht spricht: „Mi cuerpo habla, mi boca esta adormilada"17. Die körperliche Rebellion des Sohnes ist ein Instrument des Widerstandes, das sich durch den gesamten Roman zieht.
Si mama me ve con la boca abierta intenta tirarme la lengua para afuera. Quiere arrancarme la lengua para que no hable.Hable. Cuando yo hable mama temblara porque yo le adivino los pensamientos18
Der Sohn hat keinen Namen, sein Alter kann nicht genau definiert werden. Die Figur des Sohnes ist facettenreich, rätselhaft und auf den ersten Blick schwer zu fassen. Die Körperlichkeit von Mutter und Sohn spielen im Roman eine bedeutende Rolle, der Körper wird als soziales und politisches Zeichen genutzt. Der Innenraum des Hauses wird in Relation zu den Körpern konfiguriert. Der Sohn widmet sich undurchschaubaren körperlichen Spielen, die seiner Mutter fremd sind und die sie nicht versteht. Der Sohn ist immer in Bewegung, spielt herum, kreiert neue Räume im begrenzten Raum, fällt hin, steht auf und steht dabei unter Beobachtung seiner passiv wirkenden Mutter.19 Die Bewegung und körperlichen Spiele des Sohnes können als Befreiungsakt aus dem politischen System und der häuslichen Unterdrückung interpretiert werden. Er hat einen Weg gefunden, aus dem Zirkel der Überwachung auszubrechen. Indem er sich eigene Räume, seine eigene Sprache und eigene Spiele erschafft, entzieht er sich den einengenden Räumen und Zwängen des Systems, das ihn umgibt.
Die Spiele des Jungen scheinen auf den ersten Blick ein bloßer Zeitvertreib zu sein, um sich zu beschäftigen, während seine Mutter ihre gesamte Zeit auf die Beantwortung der Briefe an den Vater aufwendet: „Mama me da la espalda para meterse en esas paginas de mentira"20.
[...]
1 Barros, Robert: Personalization and Institutional Constraints: Pinochet, the Military Junta, and the 1980 Constitution, Latin American Politics and Society, 43, (1), S.5.
[2] Overbeck, Peter: Erinnerungen an Chile, Edition Nautilus, Hamburg 2008, S.225.
[3] Barton, R. Jonathan: State Continuismo andPinochetismo: The Keys to the Chilean Transition, Bulletin of Latin American Research’, 2002, 21 (3), S.358.
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13530766.html [21.01.2017].
[5] http://radio.uchile.cl/2015/09/10/leyes-de-amarre-los-beneficios-para-la-concertacion-a-42-anos-del- golpe/ [21.01.2017].
[6] ebd.
[7] http://www.academia.edu/1747413/De_la_democracia_de_los_acuerdos_a_la_democracia_participat iva._Reflexiones_acerca_del_proceso_y_de_los_desaf%C3%ADos_de_la_democracia_chilena_1990- 2012 [21.01.2017].
[8] vgl. Moke, Markus: En Campana. Wahlkampf in Chile zwischen Modernität und Tradition, LIT, 2003, S. 124.
[9] http://www.academia.edu/1747413/De_la_democracia_de_los_acuerdos_a_la_democracia_participat iva._Reflexiones_acerca_del_proceso_y_de_los_desaf%C3%ADos_de_la_democracia_chilena_1990- 2012 [21.01.2017].
[10] http://www.goethe.de/wis/bib/prj/hmb/the/149/es3701562.htm [21.01.2017].
11 ebd.
[12] Garretón, Manuel, Garretón Roberto: demoracia incompleta en Chile: La realidad tras los rankings internacionales, Revista de Ciencia Politica (vol. 30/Nr. 1), 2010, S. 121-122.
[13] http://www.latercera.com/noticia/diamela-eltit-escritora-chilena-la-literatura-ha-sido-el-unico- espacio-de-libertad-de-toda-mi-vida/ [21.01.2017].
[14] http://www.memoriachilena.cl/602/w3-article-3353.html [21.01.2017].
[15] Eltit, Diamela: Los Vigilantes, Editorial Sudamericana, Santiago-Chile 1999, S.70-71.
16 ebd.,S.9.
17 ebd.
18 ebd.,S.15.
19 ebd.,S.11-14.
20 ebd.S.12.