Im Folgenden soll ein Grundriss der Gemeinsamkeiten kulturpsychologischer Ansätze entworfen werden, um so zu einem allgemeinen theoretischen Fundament der Kulturpsychologie zu gelangen. Zudem soll die Kulturpsychologie als eigenständige Disziplin der Psychologie erläutert und ihr Verständnis des Begriffs ‚Kultur‘ dargelegt werden.
Auch wenn der Begriff der ‚Kulturpsychologie‘ ein großes Spektrum an theoretischen Ansätzen und methodischen Vorgehensweisen zusammenfasst, lassen sich doch einige gemeinsame Leitgedanken, finden, welche die Theorien und Methoden der Kulturpsychologie prägen (Straub & Chakkarath, 2010). Im zweiten und dritten Teil wird je ein bedeutender Vertreter der Kulturpsychologie mit seinem theoretischer Ansatz zum Verständnis und Betreiben von Kulturpsychologie vorgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlegende Prinzipien der Kulturpsychologie und ihr Verständnis des Begriffs ‚Kultur‘
1.1 Darstellung Wilhelm Salbers morphologischer Theorie und seinem Konzept von Gestalt und Verwandlung
1.2 Ernst E. Boesch als Kulturpsychologe und der Ansatz der symbolischen Handlungstheorie
1. Grundlegende Prinzipien der Kulturpsychologie und ihr Verständnis des Begriffs ‚Kultur‘
Im Folgenden soll ein Grundriss der Gemeinsamkeiten kulturpsychologischer Ansätze entworfen werden, um so zu einem allgemeinen theoretischen Fundament der Kulturpsychologie zu gelangen. Zudem soll die Kulturpsychologie als eigenständige Disziplin der Psychologie erläutert und ihr Verständnis des Begriffs ‚Kultur‘ dargelegt werden.
Auch wenn der Begriff der ‚Kulturpsychologie‘ ein großes Spektrum an theoretischen Ansätzen und methodischen Vorgehensweisen zusammenfasst, lassen sich doch einige gemeinsame Leitgedanken, finden, welche die Theorien und Methoden der Kulturpsychologie prägen (Straub Chakkarath, 2010). Im zweiten und dritten Teil wird je ein bedeutender Vertreter der Kulturpsychologie mit seinem theoretischer Ansatz zum Verständnis und Betreiben von Kulturpsychologie vorgestellt werden.
Die Kulturpsychologie befasst sich mit allen Gegenständen, welche die psychologische Forschung bereithält. Kulturpsychologisch zu forschen meint die Wirklichkeit kulturpsychologisch zu betrachten. So betreibt sie eine autonome Psychologie für die gesamte psychologische Wirklichkeit (Straub Chakkarath, 2010). Dies ist eine erste Bedingung, welche alle kulturpsychologischen Ansätze teilen. Sie stellt also keine Untergruppe dar, welche sich nur mit der ‚Kultur‘, wie man sie im allgemeinen Sprachgebrauch oft versteht, auseinandersetzt.
Der Begriff der ‚Kultur‘ in Kulturpsychologie muss also weitaus mehr umfassen, als nur beispielsweise die ‚Esskultur‘ eines bestimmten Landes zu erforschen; dies soll nun weiter erläutert werden.
Alle Phänomene des Seelischen sieht die Kulturpsychologie als Ergebnis eines bestimmten Kultivierungsprozesses. Dabei kann man nicht mehr nur von nationalen Kulturen ausgehen, sondern muss den Begriff Kultur erweitern.
Es könnten Schlaf-, Ess-, Lern oder auch Wohnkulturen in unterschiedlicher Größe und mit einer variablen Anzahl an Personen sein, in denen das Erleben und Verhalten der Menschen geprägt wird. Gleichzeitig sind es die Menschen selbst, welche Kulturen schaffen und verändern.
Zugehörigkeiten zu mehreren bis vielen Kulturen, das Verlassen bestimmter und Beitreten in neue oder andere Kulturen ist für die Kulturpsychologie in der modernen Gesellschaft überaus wahrscheinlich (Straub Chakkarath, 2010).
Kulturen bleiben trotz aller offen geteilten Übereinkünfte stets subjektiv erfahrbare Konstrukte, welche durch ihre Vielzahl und die dadurch entstehende Unterschiedlichkeit bestehen. Straub und Chakkarath (2010) postulieren, dass man erst in einer gewissen Abgrenzung oder Entfernung die Praktiken, Geschichten und Regeln einer Kultur vollständig wahrnehmen kann.
So umfasst der Kulturbegriff in der Kulturpsychologie alle Phänomene des menschlichen Erlebens und Verhaltens, des Denkens, Fühlens und Wollens, da jedes Phänomen als Ergebnis eines bestimmten Kultivierungsprozesses betrachtet wird, also etwas künstlich Gemachtes, Veränderbares und nicht Naturgegebenes ist. Kultur ist also nicht nur ein festes System, welches Bedeutungs- und Orientierungsrahmen schafft, sondern sich auch in stetigem Wandel befindet.
(Der Begriff ‚natürlich‘ bildet das Gegenstück zum Begriff ,kultürlich‘, wobei man als überzeugter Kulturpsychologe den oft gebrauchten Begriff ‚natürlich‘ sparsamer und statt ihm öfter die Beschreibung ‚kultürlich‘ verwenden müsste (Freichels, 1995).)
Letzte Punkte können unter einer zweiten wichtigen Annahme der Kulturpsychologie zusammengefasst werden, der Wechselbeziehung zwischen Kultur und Psyche.
Ein berühmter Vertreter der Kulturpsychologie, Ernst E. Boesch erläuterte dies anschaulich mit folgenden Worten: „(…)culture not only induces and controls action, but is also continuously transformed by it; therefore, culture is as much a process as a structure“ (1991, S. 29).
Um ein Beispiel zu geben, an welchem diese Wechselbeziehung deutlich werden soll: Eine weiße Flagge zu hissen, kann in vielen kulturellen Kreisen sofort identifiziert und mit einer entsprechenden Bedeutung versehen werden.
Demjenigen ohne das Wissen um jenes kulturell geprägte Zeichen wird die Flagge lediglich als weißer Stoff erscheinen. Zugleich hat diese weiße Flagge nicht seit Urbeginn an als ein Symbol des Friedens gegolten, sonder wurde erst zu einem gemacht und somit kultiviert.
Kulturen und kulturell geprägte Handlungen, Erlebensformen, Objekte, oder Zeichen erfüllen Funktionen für diejenigen, die um die Systeme wissen und bieten ihnen Halt durch Orientierung. So erscheint das ‚Kultur‘ in Kulturpsychologie als der Ursprung, welcher das Erleben und Verhalten formt und diesem Sinn verleiht (Straub Chakkarath, 2010).
Kulturpsychologen gehen also von einer abhängigen Beziehung von Kultur und den psychischen Phänomenen aus. Psychisches lässt sich demnach auch nicht isoliert von dem Umfeld, in dem es sich zeigt, untersuchen. Stattdessen bedingen kulturelle Lebensformen seelische Prozesse und umgekehrt, wie etwa Hygiene-, Kommunikations- oder auch Religionskulturen.
Das Wissen um Kultiviertes, respektive um eine Kultur kann u.a. verbal benannt, in Symbolen ausgedrückt, nur implizit bekannt oder auch an bestimmte materielle Dinge geknüpft sein (Straub Chakkarath, 2010).
Das letzte allgemein geteilte Prinzip der kulturpsychologischen Ansätze ergibt sich aus dem Verhältnis von Kultur und Psyche. Durch die sinnverleihenden Funktionen kultureller, sich wandelnder Lebensformen kann das Erleben und Verhalten des Menschen lediglich spezifisch erschlossen werden. Statt der Suche nach universalen Gesetzmäßigkeiten und Ursache-Wirkungsbeziehungen im Sinne der Naturwissenschaften findet hier die Rekonstruktion jeweiliger Sinn- und Bedeutungszusammenhänge ihren Platz.
Die Methoden der Kulturpsychologie können demnach nur qualitativer, rekonstruierender oder interpretativer Art sein (Straub Chakkarath, 2010).
Auch fordert eine kulturpsychologische Forschung, dass die gewählten Methoden sich auf den interessierenden Forschungsgegenstand einrichten, um diesen mit all seinen Besonderheiten angemessen zu untersuchen (Salber, 1987). So soll des Weiteren auch verhindert werden, dass bestimmte Gegenstände aufgrund ihrer Eigenarten, welche nicht zu den bestehenden Verfahren passen, von der Forschung ausgeschlossen werden (Straub Chakkarath, 2010).
1.1 Darstellung Wilhelm Salbers morphologischer Theorie und seinem Konzept von Gestalt und Verwandlung
Wilhelm Salber (*1928, †2016), ein deutscher Philosoph und Psychologe entwickelte im 20. Jahrhundert an der Universität zu Köln die morphologische Psychologie. Obwohl die morphologische Psychologie einen eigenständigen Ansatz darstellt, baut sie auf verschiedenen Ideen aus Goethes Morphologie, der Tiefenpsychologie Freuds und der Kultur- und Gestaltpsychologie auf (Salber, 2009). Die morphologische Psychologie soll nun in ihren Grundzügen- und annahmen dargestellt werden, um dann auf das theoretische Konzept von Gestalt und Verwandlung eingehen zu können.
Als ein qualitativer Ansatz legt die morphologische Psychologie ihr Erkenntnisinteresse auf den Vorgang, die Bedingungen und Muster des seelischen Geschehens, um die Funktion und Bedeutung des Untersuchten rekonstruieren zu können. Sie verspricht eine neue und ungewohnte Betrachtung des Seelenlebens und ist dabei vielfältig einsetzbar, unter anderem in der Marktforschung, der Psychotherapie, aber auch in der Unternehmensberatung (Salber, 2009).
Die morphologische Psychologie versteht sich in ihrem Tun als eine sehr lebendige und alltagsnahe Psychologie. Dabei muss die allgemeine Vorstellung vom ‚Alltag‘ erweitert werden, um die Beschreibung ‚Alltagspsychologie‘ für die morphologische Psychologie begreifen zu können. Mit Alltag ist nicht lediglich die Zeit gemeint, in der man sich gerade nicht im Urlaub, auf Reisen oder in sonstigen besonderen Umständen wiederfindet, sondern noch weitaus mehr.
Der Alltag ist das, was man jeden Tag erlebt oder noch nie erlebt hat, was man meint zu mögen oder zu verabscheuen. Der ‚Alltag‘ ist eine lange Autobahnfahrt, ein sekundenlanges Auftragen von Parfüm, das Putzen des Klos, das Trinken eines Sekts oder das Schauen eines ‚langweiligen‘ Films. Dieser ‚Alltag‘ ist es, von dem aus alles Fragen und Tun dieser Psychologie beginnt, mit welchem gearbeitet wird und auf welchen ihre Erkenntnisse sich zuletzt richten (Salber, 1985).
Diese Herangehensweise an den Gegenstand der Psychologie mag eine gänzlich andere sein, als welche weithin bekannt ist.
In der verbreiteten Form der Psychologie wird Seelisches vom Alltag getrennt und isoliert unter einem Stichwort wie ‚Emotion’ oder ‚Gedächtnis’ betrachtet.
Die morphologische Psychologie geht jedoch von einer untrennbaren Beziehung zwischen Seelischem und der Wirklichkeit aus. Ohne die Wirklichkeit, also den Alltag, würde das Seelische nicht existieren. Somit sieht sie nicht lediglich eine Wechselwirkung zwischen Seelischem und der Wirklichkeit, wie Descartes sie annahm. Sie erkennt in der Beziehung zwischen Seelischem und Wirklichkeit einen übergreifenden Wirkungszusammenhang mit einer gegenseitigen Konstitution und nimmt an, dass Seelisches durch das Leben im Alltag auf verschiedene Arten wirkt und sich ausdrückt. Aufgrund dessen ist die wissenschaftliche Untersuchung des Seelischen nur vom und mit dem Alltag her sinnvoll möglich (Salber, 2009).
Es wird daher auch gänzlich auf starre Theorien oder Einteilungen des Seelischen in verschiedene universale Funktionsbereiche verzichtet.
So legt die morphologische Psychologie den Fokus zuerst auf diese ‚alltäglichen‘ Dinge und alle dabei in Erscheinung tretenden Phänomene, wie z.B. des Schokolade Essens, des Benutzens eines bestimmten Duschgels oder des Kaufs von speziellen Marken in Form von ausführlichen Beschreibungen. Hier sollen methodisch und geleitet durch psychologische Fragestellungen die Zusammenhänge des Erlebens und Verhaltens im Umgang mit dem Gegenstand beschrieben werden. Die Methoden der morphologischen Psychologie führen über verschiedene beschreibende Analysen des Materials, um schließlich zu einem dem Gegenstand angemessenen Ergebnis zu kommen. Diese finale Beschreibung des Gegenstandes soll Antwort auf die Frage geben, was das Seelische von diesem Objekt, dieser Marke oder auch diesem Verhalten hat.
Mit dem letzten Bild einer gelungenen tiefenpsychoplogisch-kulturpsychologisch-morphologischen Analyse sollten Phänomene, selbst die anfangs paradox oder unwichtig erscheinenden erklärt werden können.
So kann sowohl der Zusammenhang (Konstitutionsverhältnis) zwischen Seelischem und der Wirklichkeit als auch der Zusammenhang der Phänomene eines Gegenstandes gewahrt und verstanden werden, um die Funktion des jeweiligen ‚Seelenlebens‘ ganzheitlich rekonstruieren zu können.
Die Zerstörung der Zusammenhänge, sprich die Teilung und Isolierung von ‚Einzelfaktoren‘ würde es unmöglich machen, den Sinn des seelischen Vorgangs nachvollziehen zu können.
Die Angemessenheit dieser Forschung wird durch die spezifische Analyse des empirischen Materials unter Berücksichtigung der kulturpsychologischen und tiefenpsychologischen Wirksamkeiten gewahrt.
Die morphologische Psychologie fasst das Seelische, respektive menschliches Erleben und Verhalten zum einen kulturpsychologisch auf, indem das, was untersucht wird, als etwas Künstliches, Verändertes und weiterhin durch verschiedenste Kultivierungsprozesse Veränderbares aufgefasst wird. Dies mündet in drei Grundannahmen über die Art des Seelischen und dessen Untersuchung:
Wahrung der Zusammenhänge (in zweierlei Weise, siehe vorherige Seite), Beachtung der ‚ Gemachtheit ‘ (Kultiviertes) und daraus folgend der Veränderbarkeit (Schulte, 2018b).
Des Weiteren bezieht die morphologische Psychologie unbewusste Wirksamkeiten des Seelischen (tiefenpsychologisch) in den Forschungsverlauf mit ein, um ein umfassendes Bild des Untersuchten zu erhalten.
Diese neue und unbekannte Perspektive auf den Gegenstand der Psychologie erfordert bei aller Unterschiedlichkeit zu vielen anderen trotzdem eine Grundeinheit, mit welcher man arbeiten kann und welche die Komplexität des Gegenstandes weit genug reduziert, ohne jedoch dabei die Zusammenhänge zu zerstören.
Aufgrund ihrer eigenen theoretischen Auffassung und daraus folgenden Herangehensweise bedarf sie einer anderen als der weit verbreiteten Grundeinheit ‚Mensch‘. An Stelle dessen befindet sich ein anderes Konstrukt: Die sogenannten Gestalten.
Wie bereits erläutert, richtet die morphologische Psychologie ihr Erkenntnisinteresse auf das, was im Alltag geschieht, um hier seelische Prozesse aufzuzeigen und in ihrer Funktion nachvollziehen zu können.
Dabei ist der Kontext des untersuchten Gegenstandes, sein Alltagszusammenhang unerlässlich, um den Sinn, nach welchem sich die seelischen Prozesse gestalten, verstehen zu können.
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