Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema Tabu, als ein ungeschriebenes gesellschaftliches Verbot. Es wird der Frage des Ursprungs, sowie der Funktion, welche Tabus in einer Gesellschaft einnehmen, nachgegangen. Hierbei wird sich vor allem auf Freuds - von der Psychoanalyse inspirierte - Schrift "Totem und Tabu" bezogen. Des Weiteren wird ein Fokus auf den Tabubruch gelegt und dabei die Folgen, die ein solcher Verstoß gegen die soziale Ordnung nach sich zieht, beleuchtet. Außerdem werden Tabubrüche in der Neuzeit untersucht und in verschiedene Kategorien eingeordnet.
Für die Existenz von Tabus, als älteste ungeschriebene Gesetzeskodexe der Menschheit, gibt es unterschiedliche Gründe. In der westlichen Welt gibt es heute nur noch selten Tabus aus Furcht. Die Hauptfunktion von Tabus sind heute noch der Schutz des Einzelnen in seiner Intimsphäre und der Schutz von Gruppen in ihrer besonderen Stellung als Minderheit. Es gibt keine bewusste Tabusetzung. Tabus werden weder ausgesprochen, noch schriftlich festgehalten. Es wird ihnen einfach gehorcht, ohne sie zu hinterfragen. Seine Wirkung hat es jedoch nur solange es nicht enttabuisiert wurde. Sobald man über das Tabuisierte spricht, bzw. es thematisiert, wird seine geheime Macht aufgehoben und man realisiert, dass die Berührung nicht zwangsläufig gemieden werden muss.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Tabu
3. Ursprung des Wortes Tabu
4. Arten von Tabus und Beispiele
5. Funktionen von Tabus
6. Mechanismen
7. Der Tabubruch
a) Neigung zum Tabubruch
b) Folgen eines Tabubruchs
c) Arten von Tabubrüchen der Neuzeit
aa) Das Tabu als Revolte
bb) Tabubrüche aus Kalkül
cc) Tabubruch in der Kunst
dd) Unbewusster Tabubruch
d) Wiedergutmachung des Tabubruchs
8. Schlussbemerkung
Zusammenfassung
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema Tabu, als ein ungeschriebenes gesellschaftliches Verbot. Es wird der Frage des Ursprungs, sowie der Funktion, welche Tabus in einer Gesellschaft einnehmen, nachgegangen. Hierbei wird sich vor allem auf Freuds - von der Psychoanalyse inspirierte - Schrift „Totem und Tabu" bezogen. Des Weiteren wird ein Fokus auf den Tabubruch gelegt und dabei die Folgen, die ein solcher Verstoß gegen die soziale Ordnung nach sich zieht, beleuchtet. Außerdem werden Tabubrüche in der Neuzeit untersucht und in verschiedene Kategorien eingeordnet.
Abstract
This work deals with the subject of taboo, as an unwritten social prohibition. It will discuss the question of the origin, as well as the function, which taboos occupy in a society. The thesis is based on Freud's - by his psychoanalysis inspired - book "Totem and Taboo". A focus is placed on the breach of taboo and the consequences, which result from such a violation of the social order. Furthermore, breaches of taboos in modern times will be analyzed classified into different categories.
1. Einleitung
Jede Gesellschaft hat ihre individuelle Art von Verhaltenskodexen, welche ein friedliches Miteinander ihrer Bürger gewährleisten sollen. Ein großer Teil dieser Verhaltensregeln ist in Form von Gesetzen festgehalten (Ver- und Gebote). Daneben gibt es aber auch Verhaltensmuster, die die Gesellschaft dem Einzelnen abverlangt, ohne, dass sie förmlich festgehalten werden. Diese Umgangsformen, Regeln und Bräuche werden durch Vorleben von Generation zu Generation oder aber durch Erziehung, also unmittelbarem Einwirken auf Kinder tradiert, z.B. das Anbieten des Sitzplatzes an Alte und Gebrechliche in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies alles geschieht, um die Komplexität der menschlichen Beziehungen weiter zu regulieren und Konflikte möglichst zu vermeiden. Der Mensch sucht seit jeher nach Orientierung in solchen Richtlinien, um inneren Halt und einen Sinn für das Leben zu finden.1
Innerhalb der ungeschriebenen Verhaltensrichtlinien gibt es einen Bereich, in dem Dinge und Themen verortet sind, die sich jenseits der Grenze des erlaubten Handelns, Redens und Denkens befinden. Das ist der Bereich, der als Tabu definiert wird und mit dem sich die Wissenschaft spätestens seit Sigmund Freuds (1856 - 1939) Arbeit "Totem und Tabu” von 1912/ 1913 beschäftigt und um die es in dieser Arbeit gehen wird.
Freuds Theorien basierten auf Studien über die Naturvölker (insbesondere den mela- nesischen, polynesischen und afrikanischen2 ). Er versuchte dieses Wissen mit Hilfe seiner neuen Erkenntnisse in der Psychoanalyse auf die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf die psychiatrischen Symptome, wie die Zwangsneurose zu übertragen.3 Er definierte den Begriff Tabu wie folgt.:
„Es handelt sich (...) um eine Reihe von Einschränkungen, denen sich (...) primitive^) Völker unterwerfen; dies und jenes ist verboten, sie wissen nicht warum, es fällt ihnen auch nicht ein danach zu fragen, sondern sie unterwerfen sich ihnen wie selbstverständlich und überzeugt, daß eine Übertretung sich von selbst auf die härteste Weise strafen wird."4
Es stellt sich die Frage, was diese ungeschriebenen Regeln ausmacht, woher sie kommen und wer sie festlegt, sowie warum es sie überhaupt (heute noch) in dieser Art und Weise gibt und wie sie sich wandeln können. Die Arbeit wird im Folgenden versuchen diese Fragen zu beantworten und sich dabei vor allem mit den Tabubrüchen und dem Umgang damit in der heutigen Zeit beschäftigen.
2. Das Tabu
Ein Tabu ist laut Duden zum einen - völkerkundlich - ein "Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen” und andererseits - bildungssprachlich ein "ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun”5.
3. Ursprung des Wortes Tabu
Etymologisch hat sich das heutige Wort Tabu aus dem polynesischen Sprachraum entwickelt. Es ist überliefert, dass der Seereisende James Cook von seiner Forschungsreise 1777 den Begriff tapu im Rahmen einer Schilderung des Verhaltens der Inselbewohner von Tonga zurück nach England brachte.6 "In Europa traf dieser Begriff auf eine Wortschatzlücke und verbreitete sich schnell”7 in viele Sprachen. Bei den Naturvölkern Polynesiens wurde der Begriff im Zusammenhang mit einem angepassten (vorsichtigen) Verhalten gegenüber geweihten bzw. unberührbaren Menschen und Gegenständen benutzt.8 Ein Tapu zeichnete eine Person als etwas Außergewöhnliches aus.9
4 Arten von Tabus und Beispiele
Tabus reichen von Gesprächsthemen- bis hin zu Handlungsverboten. Man unterscheidet zwischen Handlungs- („das macht man nicht"), Kommunikations- („darüber spricht man nicht bzw. nur in einer bestimmten Art und Weise"), Sprach- („das sagt man nicht") und Abbildungstabus („das wird nicht abgebildet bzw. zeigt man nicht"),10 sowie Sichttabus („das schaut man sich nicht an bzw. nicht hin"). Die unterschiedlichen Arten von Tabus sollen an den nachfolgenden Beispielen verdeutlicht werden.
- Sexualität: Es ist schwierig offen über Sex und Sexualität zu sprechen. Es gilt als obszön, wenn jemand freimütig und unverblümt darüber spricht. Es handelt sich um ein typisches Kommunikationstabu.
- Tod: Menschen im Augenblick des Sterbens zu fotografieren oder zu filmen ist nicht nur in den Medien tabu, sondern ebenso im privaten Bereich. Es handelt sich um ein Abbildungstabu.
- Finanzielle Verhältnisse: „Über Geld spricht man nicht". In der westlichen Welt gilt es als unhöflich, Menschen nach ihrem Einkommen und ihrer finanziellen Lage zu fragen. Es ist eine Art Sprachtabu offen über die monetären Verhältnisse zu sprechen.
- Der Kuss auf den Mund einer Frau oder eines Mannes, die bzw. der nicht die bzw. der eigene Partner(in) ist, gilt als (Handlungs-) Tabu und ist gesellschaftlich nicht akzeptiert.
5. Funktionen von Tabus
Freuds Erkenntnisstand nach zielte die Tabusetzung vor allem auf Folgendes ab:
a) „den Schutz bedeutsamer Personen wie Häuptlinge, Priester und Gegenstände u.dgl. gegen mögliche Schädigung;
b) die Sicherung der Schwachen - Frauen, Kinder und gewöhnlicher Menschen im allgemeinen - gegen das mächtige Mana (die magische Kraft) der Priester und Häuptlinge;
c) den Schutz gegen Gefahren, die mit der Berührung von Leichen, mit dem Genuß gewisser Speisen usw. verbunden sind;
d) die Versicherung gegen die Störung wichtiger Lebensakte wie Geburt, Männerweihe, Heirat, sexuelle Tätigkeiten;
e) den Schutz menschlicher Wesen gegen die Macht oder den Zorn von Göttern und Dämonen;
f) die Behütung Ungeborener und kleiner Kinder gegen die mannigfachen Gefahren, die ihnen infolge ihrer besonderen sympathetischen Abhängigkeit von ihren Eltern drohen, wenn diese z.B. gewisse Dinge tun oder Speisen zu sich nehmen, deren Genuß den Kindern besondere Eigenschaften übertragen könnte.”11
In der neueren Forschung entspricht die Tabuisierung dem „Aufstellen von (u.a. verbalen) Verbotsschildern"12. Tabus regulieren das soziale Handeln und stecken positive, sowie negative Extreme ab, bieten Orientierungsmuster und Verhaltensschemata.13
Der Mensch hat Angst vor der Sinnlosigkeit seines Lebens, sowie der „grenzenlosen Handlungsvielfalt"14. Er benötigt deshalb Regeln, durch welche ihm sein Handeln sinnvoll und richtig erscheint.15 Gesellschaftlich akzeptierte Regeln entlasten den Einzelnen von der Menge an möglichen Handlungen16 und reduzieren die Komplexität seines Seins.17 Erst die Regeln ermöglichen dem „Menschen ein sinnhaftes und rational gesteuertes Leben vor dem Hintergrund der Kontingenz"18 des menschlichen Lebens.19
Tabus können das soziale Handeln von Gruppen kanalisieren,20 indem sie die Frage nach dem letzten Grund für konkrete Handlungsvollzüge verbieten und diese als hinzunehmende Tatsache darstellen. Dadurch stabilisieren sie individuelle, wie auch kollektive Existenzen21 und potentiell auch Machtgefüge. Nach M. Foucault (1926 -1984) hat derjenige die Macht, der über den Inhalt des öffentlichen Diskurses bestimmen kann.22 Das Tabu stellt in seinen Augen eine solche Möglichkeit, den Diskurs zu bestimmen, dar. Je mehr Menschen sich an die Tabuisierung halten und dadurch ein Thema ausgrenzen, desto mehr Einfluss hat das Tabu.
Deutlich sichtbar wird die Verflechtung von Macht und Tabu, wenn man den Umgang der katholischen Kirche mit Sexualität in den letzten 100 Jahren betrachtet. Dass sich die Medien seit einigen Jahren mit der Homosexualität von Priestern, den zahlreichen eheähnlichen Beziehungen von katholischen Priestern mit Frauen, sowie den Vorwürfen von Pädophilie befassten, stellt für diese einen absoluten Tabubruch dar. Dieser führte im Ergebnis auch zu einem deutlichen Ansehens- und damit auch Machtverlust der Institution Kirche, welche lange Zeit eine Richtschnur für ethisch richtiges Verhalten darstellte. Hat man die Perspektive der Kirche im Fokus, kann man feststellen: Die Doktrin des Zölibats darf nicht angegriffen werden, es ist tabu. Allerdings haben "in der offenen Gesellschaft (...) obrigkeitliche Tabugebote keine und rechtlicher Tabuschutz kaum mehr Chancen"23.
Für die Existenz von Tabus, als älteste ungeschriebene Gesetzeskodexe der Mensch- heit,24 gibt es unterschiedliche Gründe: „Sie können durch Furcht {taboo of fear), durch Feinfühligkeit (taboo of delicacy) und durch Anstand (taboo of propriety) bedingt sein"25. In der westlichen Welt gibt es heute nur noch selten Tabus aus Furcht.26 Die Hauptfunktion von Tabus sind heute noch der Schutz des Einzelnen in seiner Intimsphäre und der von Gruppen in ihrer besonderen Stellung als Minderheit.
[...]
1 Vgl. Depenheuer, O. in: Depenheuer, 2003, S. 15.
2 Vgl. Freud, 1920, S. 8.
3 Vgl. Freud, 1920, S. 16.
4 Freud, 1920, S. 29.
5 http://www.duden.de/rechtschreibung/Tabu.
6 Vgl. Stagl, J. in: Endruweit/ Trommsdorff, 2002, S. 592; Schröder, PDF, S. 2.
7 Bühring, Ärzteblatt.
8 Vgl. Freud, 1920, S. 13; Reimann, H., in: Staatslexikon, 1989, S. 421.
9 Vgl. Stagl, J. in: Endruweit/ Trommsdorff, 2002, S. 592.
10 Vgl. Zwittnig, 2008, S. 18; Stagl, J. in: Endruweit/ Trommsdorff, 2002, S. 592.
11 Freud, 1920, S. 27 (Freud zitiert hier selber aus dem Artikel »taboo « der Encyclopaedia Britannica, Northcote W. Thomas, 11. Aufl., 1911).
12 Schröder, 1997, S. 2: Zitat von Balle, Christel: Tabus in der Sprache. Frankfurt am Main et al. 1990, S. 183).
13 Vgl. Schröder, PDF, S. 1 : Zitat nach Betz, Werner: Tabu - Wörter und Wandel. In: Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Band 23. Mannheim et al. 1978, S. 146.
14 Depenheuer, O., in: Depenheuer, 2003, S. 14.
15 Vgl. Depenheuer, O. in: Depenheuer, 2003, S. 14.
16 Vgl. Hillmann, 2007, S. 882.
17 Vgl. Depenheuer, O. in: Depenheuer, 2003, S. 15.
18 Depenheuer, O., in: Depenheuer, 2003, S. 15.
19 Man denke hier an Niklas Luhmanns Ausführungen zum Kulturbegriff und dessen Belastung durch den „Geburtsfehler der Kontingenz“ (vgl. Luhmann, 1999, S. 48).
20 Vgl. Hillmann, 2007, S. 882.
21 Vgl. Depenheuer, O. in: Recht und Tabu, 1. Aufl, 2003, Wiesbaden S. 17.
22 Vgl. Foucault, 2003, S. 10 ff.
23 Depenheuer, O. in: Depenheuer, 2003, S. 17.
24 Vgl. Freud, 1920, S. 26.
25 Schröder, PDF, S. 2.
26 Vgl. Schröder, PDF, S. 2.