Diese Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt wird zunächst das Genre der alternate histories vorgestellt, bevor eine genauere Zuordnung des Romans in eine der jeweiligen Untergruppen des Genres erfolgt. Danach werden die beiden in "The Man in the High Castle" vorkommenden Alternativwelten genauer dargestellt. Es wird der Frage nachgegangen, wie es in den einzelnen Welten überhaupt zu den geschilderten Geschehnissen kommen konnte. An dieser Stelle muss natürlich auch geprüft werden, ob es sich bei den Alternativwelten um realistische Parallelen handelt oder sie eine reine Utopie der Phantasie Dicks darstellen.
Im zweiten Teil liegt der Fokus vor allem auf dem Verhältnis zwischen den Besetzern und den Besetzten der PSA, dem japanischen Territorium an der Westküste Amerikas. Wie treten die jeweiligen Akteure beider Fraktionen zum Vorschein und wie groß ist der Einfluss, den die Japaner auf die Amerikaner ausüben? Wie sieht das Leben an der Westküste Amerikas aus? Wie finden sich die USA, die Kolonisatoren der Welt, in einem Zustand der Unterwürfigkeit zurecht?
Jeder von uns hat sich schon einmal mit dem Gedanken beschäftigt, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt anders verhalten hätte oder ein gewisses Ereignis nicht eingetreten wäre. Auch Philip K. Dick beschäftigt sich in seinem Roman "The Man in the High Castle" unter anderem mit dieser Thematik. Er beschreibt eine Welt, die von den Nazis und Japanern regiert wird. Die vorliegende Ausarbeitung untersucht daher unter anderem, wie unsere Welt hätte aussehen können, wenn sie dem Alternativverlauf der Geschichte Dicks gefolgt wäre.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Genre der Alternativweltgeschichte
3. Historischer Verlauf der Alternativwelt
3.1 Deutsch-japanische Herrschaft - Die Welt in The Man in the High Castle
3.2 Amerikanisch-britischer Kampf - Die Plage der Heuschrecken
3.3 Fiktion oder realistische Alternative?
4. Die Parasiten der PSA und das echte Amerika
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Jeder von uns hat sich schon einmal mit dem Gedanken beschäftigt, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt anders verhalten hätte oder ein gewisses Ereignis nicht eingetreten wäre. Auch Philip K. Dick beschäftigt sich in seinem Roman The Man in the High Castle unter anderem mit dieser Thematik. Er beschreibt eine Welt, die von den Nazis und Japanern regiert wird. Die vorliegende Ausarbeitung untersucht daher unter anderem, wie unsere Welt hätte aussehen können, wenn sie dem Alternativverlauf der Geschichte Dicks gefolgt wäre.
Alles in allem ist diese Arbeit in zwei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt wird zunächst das Genre der alternate histories vorgestellt, bevor eine genauere Zuordnung des Romans in eine der jeweiligen Untergruppen des Genres erfolgt. Danach werden die beiden in The Man in the High Castle vorkommenden Alternativwelten genauer dargestellt. Es wird der Frage nachgegangen, wie es in den einzelnen Welten überhaupt zu den geschilderten Geschehnissen kommen konnte. An dieser Stelle muss natürlich auch geprüft werden, ob es sich bei den Alternativwelten um realistische Parallelen handelt oder sie eine reine Utopie der Phantasie Dicks darstellen.
Im zweiten Teil liegt der Fokus vor allem auf dem Verhältnis zwischen den Besetzern und den Besetzten der PSA, dem japanischen Territorium an der Westküste Amerikas. Wie treten die jeweiligen Akteure beider Fraktionen zum Vorschein und wie groß ist der Einfluss, den die Japaner auf die Amerikaner ausüben? Wie sieht das Leben an der Westküste Amerikas aus? Wie finden sich die USA, die Kolonisatoren der Welt, in einem Zustand der Unterwürfigkeit zurecht?
2. Das Genre der Alternativweltgeschichte
„Was wäre, wenn...?“ Mit dieser hypothetischen, aber hochinteressanten Frage beschäftigen sich nicht nur viele Historiker, sondern auch eine Vielzahl an Literaturen und Filmen. Gerade im Hinblick auf die Genreeinordnung werden solche Werke oftmals als science fiction bezeichnet. Jedoch ist eine solche Klassifizierung noch zu ungenau und wird dem Stellenwert dieser Arbeiten nicht gerecht. Während im deutschsprachigen Raum oft die Begriffe parahistorischer Roman oder Alternativweltgeschichte fallen, wird im englischsprachigen Milieu die leicht irreführende Bezeichnung alternate history verwendet, die im Vergleich zum eigentlich korrekten Ausdruck alternative history bevorzugt wird.
Alternate histories handeln von einem kontrafaktischen Geschichtsverlauf, welcher meistens durch Veränderung eines entscheidenden historischen Geschehens oder der Biographie einer bedeutenden Persönlichkeit entsteht. Ihre Geschichten spielen in einer alternativen Gegenwart, nicht in der Vergangenheit.1 Sie entstanden zunächst als eine Unterform des Science-Fiction-Romans, wobei sie erst im 18. Jahrhundert nach der Trennung von Roman und Historiographie an Eigenständigkeit gewannen. Etwa seit einem halben Jahrhundert wird alternate history auch außerhalb der science fiction veröffentlicht.2
Alternativweltgeschichten können nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn die Veränderung der geschichtlichen Ereignisse vom Rezipienten erkannt wird. Daher ist es weniger verwunderlich, dass sie an einen bestimmten Kulturraum gebunden sind oder, wie in den meisten Fällen, ein überschaubares Maß an Geschichtswissen voraussetzen, wodurch sie sich als Unterhaltungsliteratur für die breite Masse eignen. Lediglich Texte, die sich thematisch mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen, sind aufgrund eines stark verbreiteten Grundwissens über die Geschehnisse nicht von dieser Einschränkung betroffen.
Grundsätzlich können alternate histories in zwei Gruppen unterteilt werden. Zum einen sind hier die affirmativen alternate histories zu nennen, welche durch „Projektion einer (meist) dystopischen Gegenwelt, die dem realen Verlauf der Geschichte implizit utopische Züge verleiht, etablierte historische Narrative wie beispielsweise dasjenige vom amerikanischen Exzeptionalismus“3 stabilisieren. Die andere Gruppe bilden die Texte der revisionistischen alternate histories. Diese stabilisieren im Gegensatz zu den affirmativen alternate histories keine akzeptierten Narrative, sondern stellen diese ganz allgemein in Frage. Dies gelingt, indem impliziert wird, dass ihre alternativen, dystopischen Geschichtsverläufe die reale, wirklich geschehene Historie angemessener widerspiegeln. Charakteristisch ist die vorzufindende Narrationsstrategie, die das Geschehen entchronologisiert und fragmentisiert.4 Eine weitere Besonderheit dieser Texte stellen die oft enthaltenen Binnenerzählungen dar. Hierbei werden in den Geschichten meist selbst nochmals alternate histories von Figuren gelesen, welche dadurch die eigentliche Fiktion der Romane an sich verdeutlichen.
Ein populärer Vertreter dieser Gruppe ist Philip K. Dicks The Man in the High Castle. Auch hier gibt es innerhalb der Erzählung eine Alternativweltgeschichte. In Die Plage der Heuschrecken wird vom Sieg der USA erzählt, die neben der Verbuchung von Erfolgen bei der Armutsbekämpfung in der Dritten Welt auch die Rassentrennung im eigenen Land überwunden haben.5 Tatsächlich stellt diese „utopia within the dystopia“6 eine heftige Kritik am wahren Verhalten der USA nach Ende des Zweiten Weltkriegs dar und deutet dadurch an, was wirklich hätte getan werden müssen. In Dicks Erzählung wird der Genozid der Nazis an den Völkern der Dritten Welt Metapher für die versäumte Unterstützung Afrikas durch die USA. „Das 'progressive narrative' des amerikanischen Exzeptionalismus wird so als eine ideologische Verzerrung und unangemessene Interpretation der realen Vorkommnisse entlarvt und durch ein selbstkritisches Narrativ ersetzt.“7
3. Historischer Verlauf der Alternativwelt
Nachdem im vorherigen Kapitel Philip K. Dicks Roman The Man in the High Castle bereits knapp in das Genre der revisionistischen alternate histories eingeordnet wurde, geht es nun darum, die eigentliche Geschichte darzustellen. Da im Roman, wie bereits erwähnt, zwei Alternativweltgeschichten zu finden sind, werden diese beiden separat voneinander betrachtet. Zunächst wird aufgezeigt, welchen historischen Verlauf die Alternativwelt der eigentlichen Geschichte im Gegensatz zur realen Historie genommen hat und inwieweit diese beiden voneinander abweichen. Dadurch wird zumindest der Versuch unternommen, den Alternativweltverlauf auf seine Plausibilität zu prüfen und ein Urteil darüber zu fällen, wie wahrscheinlich dieser hätte sein können. Daraufhin wird die zweite Alternativwelt untersucht. Hierbei handelt es sich um das Buch Die Plage der Heuschrecken, welches innerhalb Dicks Romans zum Vorschein tritt, indem es von verschiedenen Charakteren gelesen sowie diskutiert wird. Auch hier erfolgt eine Analyse des Alternativweltverlaufs anhand der bereits erwähnten Fragestellungen.
3.1 Deutsch-japanische Herrschaft - Die Welt in The Man in the High Castle
Die Geschichte in The Man in the High Castle startet im Amerika von 1962. Das nationalsozialistische Deutschland sowie Japan haben den Krieg gewonnen und Nordamerika untereinander aufgeteilt. Während der Sektor entlang der Westküste Amerikas, genannt PSA, unter japanischer Herrschaft steht, erstreckt sich das Großdeutsche Reich entlang der Ostküste bis weit ins Innere des ursprünglich amerikanischen Territoriums. Getrennt sind beide Zonen durch einen neutralen Bereich, in welchem weder die Japaner noch die Nazis regieren. Jedoch herrschen die Deutschen nicht nur über weite Teile Amerikas, sondern sind zudem noch Alleinherrscher in fast ganz Europa.8
Diese Vorherrschaft zeigt sich auch in diversen Bereichen der Wissenschaft sowie der Wirtschaft. Einerseits haben die Nazis bereits jetzt viele Bereiche des Weltraums mithilfe ihrer fortgeschrittenen Technologie erkundet bzw. besiedelt, Interkontinentalraketen auf den Markt gebracht oder das Mittelmeer trocken gelegen, um es als Kulturland nutzen zu können.9 Andererseits haben deutsche Konzerne wirtschaftliche Monopolstellungen inne, mit denen selbst die Japaner nicht konkurrieren können.10 Dieser Übermacht ist es auch zu verdanken, dass sich Amerika nach dem Krieg in wirtschaftlicher Hinsicht schnell wieder erholen konnte.11 In gesellschaftlicher Hinsicht haben die Siegermächte nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Klassensystem durchgesetzt. Die Anhänger der herrschenden Kulturen gelten als höhergestellte Menschen. Semiten werden nach wie vor verfolgt, die schwarze Bevölkerung versklavt.12 Während die Juden bis auf wenige Ausnahmen, die sich durch Operationen und Namensänderungen tarnen konnten, ausgelöscht sind, streben die Nazis eine „Endlösung des Afrikaproblems“13 an, was bisher jedoch noch nicht von Erfolg gekrönt ist.
Es stellt sich nun die Frage, wie es Deutschland und Japan gemeinsam schaffen konnten, den Zweiten Weltkrieg für sich zu entscheiden. Grund hierfür sind vor allem die politischen Geschehnisse vor Beginn des Krieges. In der Alternativweltgeschichte in The Man in the High Castle regiert Franklin D. Roosevelt die USA, Winston Churchill Großbritannien und Adolf Hitler Deutschland. Churchill ahnt nichts vom deutschen Vormarsch und bereitet sein Land deshalb nicht für den Notfall vor. Roosevelt steht dem Naziregime zwar kritisch gegenüber, wird aber kurz vor seiner Wiederwahl 1936 von Joe Zangara ermordet.14 Auf Roosevelt folgen Garner, der es ebenso wie Churchill versäumt, sein Land auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten, und weitere vier Jahre später Bri- cker, wodurch die USA fast ein Jahrzehnt keine starke und strukturierte Führung vorzuweisen haben.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs startet Deutschland Blitzkriege auf Frankreich, Polen sowie Großbritannien und vernichtet dadurch bereits große Teile des europäischen Widerstandes.15 Während die Briten in Europa mit den Nazis kämpfen, greifen die Japaner 1941 die amerikanische Flotte am Hauptstützpunkt in Pearl Harbor an, welche unvorbereitet vom Schlag der Japaner getroffen wird und den größten Teil seiner Armada verliert. Aufgrund eines zwischen Deutschland und Japan geschlossenen Vertrags eilen die Nazis den japanischen Verbündeten beim Gegenangriff der Amerikaner zu Hilfe und besiegen somit gemeinsam fast alle Truppen der Vereinigten Staaten.16 Deshalb gelingt es den Japanern, die Philippinen und Australien ohne große Gegenwehr zu erobern. In Europa rücken die Nazis weiter in den Osten vor und besetzen neben Malta zudem den aus ressourcentechnischer Sicht wichtigen Nahen Osten. In Indien gelingt es ihnen, sich mit den von Australien kommenden japanischen Truppen zu vereinen und nach Russland zu marschieren.17
Auch Churchill kann dies nicht verhindern. Die englischen Radarstationen wurden bereits von der Luftwaffe unter Leitung Hermann Görings zerstört, die britische Truppen in Kairo von Erwin Rommel besiegt und General Wavells letzte Panzeroffensive 1943 in Afrika durch italienische Verbündete Deutschlands geschlagen.18 Durch die Grausamkeiten in der Schlacht von London und seinen verzweifelten sowie letztendlich gescheiterten Versuch, durch Brandbombenangriffe auf Essen und Hamburg doch noch die Wende zu erlangen19, verliert Churchill den letzten noch vorhandenen politischen Rückhalt im eigenen Land und wird abgewählt. Durch die anhaltenden Niederlagen und die destruktive politische Führung der Alliierten sind diese so sehr geschwächt, dass sie 1947 zur Kapitulation gezwungen sind, was zum Sieg der Achsenmächte führt.20
[...]
1 Vgl. Butter, Michael: Zwischen Affirmation und Revision populärer Geschichtsbilder: Das Genre der alternate history, in: History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, hrsg. von Barbara Korte und Sylvia Paletschek. Bielefeld (2009), S. 65f.
2 Vgl. Duncan, Andy: Alternate History, in: The Cambridge Companion to science fiction, hrsg. von Edward Jones und Farah Mendlesohn. Cambridge (2003): Cambridge University Press, S. 211.
3 Butter (2009), S. 68.
4 Vgl. Nünning, Ansgar: Vom historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion, Band I: Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans. Trier (1995): WVT, S. 272.
5 Die Textgrundlage bildet die 2014 erschienene Ausgabe des Fischer Verlags. Zitate aus dieser Ausgabe werden im Folgenden im laufenden Text durch Nennung der Sigle HC und der Seitenzahl belegt (hier vgl. HC 167).
6 Alkon, Paul: Alternate History and Postmodern Temporality, in: Time, Literature and the Arts: Essays in Honor of Samuel L. Macey, hrsg. von Thomas R. Cleary. Victoria (1994): University of Victoria Press, S. 74.
7 Butter (2009): S. 76.
8 Vgl. HC 17.
9 Vgl. HC 30.
10 Vgl. HC 25.
11 Vgl. HC 40.
12 Vgl. HC 28.
13 HC 30.
14 Vgl. HC 73
15 Vgl. HC 73.
16 Vgl. HC 74.
17 Vgl. HC 75.
18 Vgl. HC 85ff.
19 Vgl. HC 87ff.
20 Vgl. HC 13.