Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Neurowissenschaft im Kontext Schule. Was genau passiert in unserem Gehirn, wenn wir lernen? Was machen die Nervenzellen? Die neurowissenschaftliche Forschung (Hirnforschung) beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dieser Frage, wie Lernen und Erinnern im Zusammenhang mit dem Gedächtnis und dem Gehirn stehen. Vielmehr ist es das Ziel, diese Erkenntnisse auf den schulischen Kontext zu transferieren, da der Lehr-Lern-Begriff im Hessischen Kultusministerium fest verankert ist – sowohl Lernende als auch Lehrende sollen ein optimales Lernklima aufbauen und gemeinsam am Wissens- und Kompetenzaufbau arbeiten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Aufbau des Nervensystems
2.1 Neuronen
2.2 Gliazellen
3. Wie lernen wir?
3.1 Gedächtniseinteilung
4. Neurowissenschaft im Kontext Schule
5. Bietet die Neurowissenschaft neue Denkansätze?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Internetquellen
1. Einleitung
Unzweifelhaft ist die Grundlage menschlichen Lernens das Gehirn. Menschen können viel besser als jedes andere Lebewesen ihr Gehirn auf die Umwelt anpassen – die Neuroplastizität. Diese Anpassungsleistung ist desgleichen die Grundlage für einen Lernprozess, indem eine Kongruenz zwischen inneren Fähigkeiten und äußeren Anforderungen gebildet wird. Diesen Vorgang nennt man Lernen.
Aus lernpsychologischer Sicht hingegen wird Lernen als einen Vorgang der stabilen Veränderung des Verhaltens, Denkens oder Fühlens auf Grund von Erfahrungen aus der Umwelt angesehen. In beiden Definitionen spielen Reize aus der Umwelt eine wichtige Rolle, denn diese leiten jedes Individuum an, sich mit Herausforderungen auseinanderzusetzen und anzupassen, um mit den Gegebenheiten des Lebens und der Umwelt agieren zu können. Lernen ist somit ein aktiver Prozess, denn wenn wir Informationen länger abspeichern wollen, müssen auch unsere Nervenzellen aktiv werden.1
Was genau passiert jedoch in unserem Gehirn, wenn wir Lernen? Was machen die Nervenzellen? Die neurowissenschaftliche Forschung (Hirnforschung) beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dieser Frage, wie Lernen und Erinnern im Zusammenhang mit dem Gedächtnis und dem Gehirn stehen. Viel mehr ist es das Ziel, diese Erkenntnisse auf den schulischen Kontext zu transferieren, da der Lehr-Lern-Begriff im Hessischen Kultusministerium fest verankert ist - sowohl Lernende als auch Lehrende sollen ein optimales Lernklima aufbauen und gemeinsam am Wissens- und Kompetenzaufbau arbeiten.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird die Funktionsweise der Nervenzellen dargestellt. Im zweiten Teil ist es notwendig, das Gedächtnis und deren Unterteilung in Verbindung mit Lernen zu betrachten, um im darauf folgenden Teil ein Resümee ziehen zu können, wie Lehrerinnen und Lehrer die Erkenntnisse der Hirn- und Gedächtnisforschung in der Schule nutzen können, um den Kindern ein optimales Lernklima und vorrangig einen Unterricht mit aktivierender Lernumgebung zu schaffen, sodass die Kinder Wissen und Vorstellungen (spielerisch) erlernen können. Denn diese Erkenntnisse werden den Schülerinnen und Schülern2 längerfristig von Vorteil sein als stumpfsinniges emotionsloses Auswendiglernen (Vgl. zu Winter’sche Grunderfahrungen im Mathematikunterricht). Im abschließenden Teil wird ein Vergleich zu bekannten pädagogischen Theorien ergänzt, um final sagen zu können, ob die Hirn- und Gedächtnisforschung einen neuen Aspekt im Bereich Schulpädagogik liefern kann.
2. Aufbau des Nervensystems
Das Nervensystem ist das schnellste Informationen übertragende System im menschlichen Körper. Es dauert lediglich Bruchteile von Sekunden, bis ein Reiz von der Peripherie, den Sinnesorganen, bis ins Gehirn transportiert, dort verarbeitet und eine Reaktion ausgelöst wird.3 Das Zusammenspiel von mehr als 100 Milliarden Nervenzellen ermöglicht erst ein engmaschiges Netz von Verbindungen im Körper.4 Das Nervensystem hat zwei zelluläre Hauptbestandteile, die Neuronen und die Gliazellen. Der genaue biologische Aufbau des Nervensystems wird in dieser Arbeit nicht betrachtet. Viel mehr ist interessant, welche Funktionen die beiden Hauptbestandteile des Nervensystems besitzen.
2.1 Neuronen (oder auch Nervenzelle genannt)
Neuronen befinden sich im ganzen Körper und können unterschiedlichste Formen annehmen. Sie können lang oder kurz, dick oder dünn, verzweigt oder unverzweigt verlaufen.5 Sie unterscheiden sich somit in ihrer Größe und Gestalt, haben alle jedoch diese vier morphologisch definierten Bereiche: Die Dendriten (Input-Bereich), der Zellkörper (auch Soma genannt), der für den Stoffwechsel verantwortlich ist und die DNA der Zelle enthält, das Axon (zur Signalweiterleitung) und die synaptischen Endigungen (Outputzone).6
Die Funktion der Dendriten (in Form von Baumkronen/ Verästelung) ist die Aufnahme von Signalen oder Reizen an den Rezeptoren und die Umwandlung in eine elektrische Antwort. Diese Signale können sowohl erregend als auch hemmend sein. Je nach Zustand nennt man dies Depolarisation oder Hyperpolarisation, wenn das Potenzial des Signals eher Richtung Null oder weiter entfernt liegt (das elektrische Ruhepotenzial hat die Stärke von -70 mV). Falls der Reiz weitergeleitet wird, nennt man dies Aktionspotential. Das Aktionspotenzial wird auch als Sprache des Gehirns bezeichnet, da sich damit Nervenzellen aktivieren.7 Da mehrere Signale zum Teil sehr schnell verarbeitet werden, werden diese am Axonhügel (letzter Bereich bevor das Signal weitergeleitet wird) aufsummiert und durch das Axon, welche eine Verbindung von einem Neuron zu einem anderen ist, geleitet. Die präsynaptische Endigung des Axons ist verbunden mit einem Rezeptor an einem anderen Neuron und durch verschiedene Vorgänge wird das Signal an dieses andere Neuron weitergeleitet. Diese Stelle zwischen Axon und einem weiteren Neuron nennt man Synapse. Es dient der Kommunikation zwischen den einzelnen Neuronen. Jedoch berühren sich Neuronen nie, sie sind durch den synaptischen Spalt getrennt. Dort werden die sogenannten Botenstoffe von einem Neuron zum anderen übertragen.8 Die Erregung eines Neurons im Gehirn ist kein isolierter Vorgang, vielmehr eine Ansammlung von Erregungen, die unser Verhalten steuern. So bilden Nervenzellen ganze Faserstränge, die zur Weiterleitung des Reizes in das Zielgebiet dienen. 9
2.2 Gliazellen
Als zweiten Zelltyp im Nervensystem des Menschen gibt es die Gliazellen. Im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) sind mehr Gliazellen als Neuronen vorhanden. Diese Zellen unterteilt man auch in mehrere Gruppen, je nach Größe, Aussehen und wo sie im Körper arbeiten. Genannt werden sie Oligodendrozyten (Gehirn und Rückenmark), Schwann-Zellen, Astrozyten und die Mikroglia-Zellen.10
Bis vor einigen Jahren dachte man, dass Gliazellen nur Stütz- und Ernährungsfunktionen für Nervenzellen hätten. Nun stellt sich heraus, dass ohne Gliazellen keine Kommunikation der Nervenzellen vorhanden sei.11 Im Folgenden werden die Gliazellen und deren Funktionen aufgezählt, so dass die Wichtigkeit für die Informationsverarbeitung klar wird.
Astrozyten helfen bei der Entwicklung des Nervensystems und wirken beim Wachstum der Neuronen sowie deren Verästelung. Gliazellen verhelfen den Nervenzellen zu einer gewissen Festigkeit und schützen somit vor einer mechanischen Deformation. Astrozyten dienen dem Abtransport von verstorbenen Nervenzellen (Vergiftung, Verletzung). Das elektrische Potenzial, welches zur Kommunikation dient, kann durch Gliazellen aufrecht erhalten werden, indem diese ein optimales Verhältnis der Umstände aufbringen. Astrozyten können die Effektivität der Synapsen beeinflussen. Die Axone sind von dem Myelin, ein Produkt der Gliazellen, umgeben, welches die Informationsleitung beschleunigt (verbessert die Fortbewegung des Aktionspotenzials). Astrozyten helfen bei der Blut-Hirn-Schranke mit (Abschirmung von Giftstoffen im Blut).12
3. Wie lernen wir?
Nachdem nun die Funktion der Nervenzelle vorgestellt wurde, ist nun deren Auswirkung auf das Lernen zu untersuchen. Die Nervenzelle verarbeitet Informationen und gibt diese weiter an andere. Gerade diese Verbindungen zwischen den Neuronen, die sich zu ganzen Netzten entwickeln, bilden unser Lernen. Im Alter von drei Jahren haben sich unsere Netze zu einer maximalen Population entwickelt, sodass unser Gehirn nicht mehr für weitere Reize offen ist. Danach nimmt es wieder ab, was symbolisiert, dass wir bereits erlernte Bahnen bevorzugen.13 Lernen erweist sich als komplexer Prozess im menschlichen Gehirn. Sogenannte Neuronenverbände werden plastisch (Axon) miteinander vernetzt. Ein Lernerfolg hingegen kann durch die Generierung und Modulation dieser Neuronenverbände in Verbindung gebracht werden. Durch ein Wiederholen der gleichen Inhalte werden diese Neuronenverbände gestärkt. Je stärker das Netz ist, desto schneller suggeriert uns das Gehirn den Inhalt, auch wenn nur ein Teil des Netzes aktiviert ist. 14 Donald Hebb hat bereits in den 1940er Jahren neuronale Teilnetze erforscht („neuronale Assemblys“).15 Am Beispiel Hund ist das recht schnell erklärt. 16 Anfänglich sehen wir den Hund und fangen an den Hund nach Charakteristika in ein neuronales Netz zu integrieren (Neuronales Netz: Tier). Je öfter wir Hunde sehen oder hören, wird dieses Netz weiter gepflegt und gestärkt, sodass irgendwann nur noch das Sehen eines Hundekopfes dazu ausreicht, dieses Netz zu aktivieren und wir wissen, dass es sich um einen Hund handelt.
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1 Vgl. zu Brand, Markowitsch 2006, S.22.
2 Im Folgenden wird SuS synonym verwendet.
3 Persönliches Gespräch mit Dr. Verena Senn (Max-Planck-Institut) am 13.09.2018.
4 Vgl. zu Schandry 2011, S.46. Vgl. zu Beyen 2008, S.75.
5 Vgl. zu Pritzel/Brand/Markowitsch 2003, S.37.
6 Vgl. zu Brand/Markowitsch 2006, S.24. Vgl. zu Pritzel/Brand/Markowitsch 2003, S.38.
7 Vgl. zu Beyen 2008, S.74.
8 Vgl. zu Ebd., S.75.
9 Vgl. zu Brand, Markowitsch 2006, S.26. Weitere Informationen zu der Informationsverarbeitung im Nervensystem bietet Schandry 2011, S.61-82.
10 Vgl. zu Schandry 2011, S.56.
11 Vgl. zu Brand, Markowitsch 2006, S.24.
12 Vgl. zu Schandry 2011, S.56. (Siehe Übersicht)
13 Vgl. zu Rüdell 2010, S.9.
14 Vgl. zu Pritzel/Brand/Markowitsch 2003, S.83.
15 Vgl. zu Schandry 2011, S.478.
16 Vgl. zu Scheich 2004, S.106. Schleich beschreibt den Lernerfolg mit Hilfe eines Apfels, um dessen kategoriale Einordnung in einem menschlichen Gehirn (Kindesalter) zu beschreiben.