Karl Marx gilt als Klassiker der Soziologie, gerade sein Kernelement der sozialen Ungleichheit war Ausgangspunkt für weitere prominente, soziologische Theorien. Diese Seminararbeit soll Aufschluss darüber geben, inwieweit das Phänomen der sozialen Ungleichheit zentral In Karl Marx' Klassentheorie und im Konzept eines antagonistischen - also von "Klassenkämpfen" geprägten - Gesellschaftssystems ist. Grundlage dafür sind sowohl Teile aus dem "Manifest der kommunistischen Partei" und weiterführende Sekundärliteratur.
Gliederung
1. Einleitung
2. Einführung in den Begriff der Sozialen Ungleichheit
3. Soziale Ungleichheit im kommunistischen Manifest
4. Klassentheorie nach Marx
5. Zur Ausbeutungsthese und Verelendung des Proletariats
6. Klassenkampf und Revolution
7. Kritik an der Marxschen Klassentheorie und Gegenargumente durch die Praxis
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Karl Marx gilt als einer der Väter des Sozialismus, er war ein deutscher Philosoph, Ökonom, Publizist und Journalist. Bedeutend wurde er vor allem durch seine Tätigkeiten als Kritiker am Kapitalismus, der Industrialisierung und Globalisierung. Geboren wurde Karl Marx am 5. Mai 1818 in Trier, sodass er während der Zeit der anbrechenden und sich ausbreitenden industriellen Revolution gelebt hat. Von diesen Eindrücken geprägt entwickelte er einige sehr prominente Theorien, wodurch er bis heute als Klassiker der Soziologie gilt1. Die Welt hat sich zu jener Zeit äußerst drastisch und zudem ausgesprochen schnell gewandelt. Um einige Beispiele zu nennen, gab es zu seiner Geburt noch kein wirkliches Eisenbahnnetz, nur wenige kleine Teststrecken und Betriebsinterne Gleise, von einem umfassenden wirtschaftlichen oder öffentlichen Netz ganz zu schweigen. Zu seinem Tode am Jahr 1883 erstreckte sich das Streckennetz schon über das gesamte deutsche Gebiet mit mehreren Tausend Kilometern Gleisen. Überall entstanden Fabriken und Industrieregionen, um die sich große Städte gebildet haben, die bei seiner Geburt höchstenfalls Dörfer waren. Durch das rasante Wachstum einiger Städte waren diese gänzlich überlastet, eine funktionierende Infrastruktur gab es schlichtweg nicht. Deutschlands Weg zu einer Industrienation war gepflastert von sozialen Schwierigkeiten, wirtschaftlichen Schwankungen z.B. die Weltwirtschaftskrise 1857, Hungersnöten und Elend. Die Arbeitsbedingungen einfacher Lohnarbeiter waren – meist Männer, die ihre Familien auf dem Land zurückließen – miserabel und nicht mit denen der heutigen Zeit in den westlichen modernen Staaten zu vergleichen. Es gab keinerlei soziale Absicherungen, es hieß schlichtweg „arbeiten oder hungern“. Kinderarbeit wurde gesondert ausgenutzt, aufgrund ihrer kleinen Körper wurden sie in vielen Arbeitsbereichen gewinnbringend und unter höchsten Gefahren eingesetzt. Diese Umstände hat Karl Marx beobachten können, deswegen ist es wichtig diese Hintergründe bei der Auseinandersetzung mit seinen Theorien zu berücksichtigen. Der Ausbreitung des kapitalistischen Systems waren schier keine Grenzen gesetzt, im Gegenteil wurde von politischer Seite der Weg noch geebnet. Gewerkschaften und sonstige Arbeiterzusammenschlüsse existierten noch nicht oder standen erst am Anfang ihrer Gründung. Auch wenn die Schriften und Werke von Karl Marx und solche die in Zusammenarbeit mit Friedrich Engels entstanden sind, während der Industrialisierung noch wenig Resonanz von den Arbeitern erfahren haben, sollten die Theorien von Karl Marx historisch noch weitreichende Folgen haben. Die Rede ist von kommunistischen Diktaturen und Schreckensherrschaften, die teilweise bis heute noch Bestand haben. Verantwortlich sollte man Karl Marx trotz dessen nicht machen, diese Gräueltaten sind erst nach seinem Tode verübt worden. Auch wenn seine Theorien, Analysen und Begriffe in der späteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung scharf kritisiert worden sind, bleiben sie trotz alledem ein bedeutender Bezugspunkt der Soziologie (Brock 2007: 74).
Zentraler Drehpunkt in Karl Marx Theorien der Klassen ist die ungleiche Verteilung von Ressourcen, aus diesem Grund soll in dieser Hausarbeit ein Einblick in dessen Thesen mit Fokus auf dem Phänomen der sozialen Ungleichheit gegeben werden. Es stellt sich die Frage, welche Strukturen der sozialen Ungleichheit sich in der Marxschen Klassentheorie über das Gesellschaftssystem des Kapitalismus zur Zeit der Industrialisierung finden. Interessant sind dabei die prognostizierte Entwicklung und die vermutete Konsequenz, die sich nach Marx Meinung aus den vorherrschenden Zuständen ergibt. Im ersten Teil wird der Begriff der sozialen Ungleichheit im Allgemeinen beschrieben; die Debatte über eine faire Verteilung ist gerade momentan wieder tagesaktuell, sodass eine theoretische Auseinandersetzung mit diesem Thema eine hohe Relevanz erfährt. Im darauffolgenden Kapitel soll das „Manifest der kommunistischen Partei“ auf direkte Inhalte mit Bezug zur sozialen Ungleichheit analysiert werden. Im Hauptteil schließlich wird ein Blick auf die Klassentheorie über dem Manifest anhand von Sekundärliteratur gegeben; der Fokus liegt hier auf dem Klassenkampf, daraus resultierende Konflikte, der Ausbeutungsthese und der anschließenden Revolution und Umwälzung von Privateigentum. Als Abschluss sollen noch einige Kritikpunkte, die sich in der Auseinandersetzung mit der Lektüre ergeben haben, genannt werden.
2. Einführung in den Begriff der Sozialen Ungleichheit
Das Phänomen der sozialen Ungleichheit ist seit jeher Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie durchzieht beinahe alle historischen Epochen von den Sklaven und freien Bürger der Antike über Lehnsherren und Vasallen in Feudalgesellschaften bis hin zum komplexen Gesellschaftssystem der heutigen Zeit, z.B. Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, Chancenungleichheiten in Abhängigkeit zu ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlechterunterschiede. In dem Moment indem ein Mensch bessergestellt ist als ein anderer - aufgrund unterschiedlichen Verfügungsrahmen über Ressourcen welcher Natur auch immer – lassen sich Formen sozialer Ungleichheit beobachten (Hradil 2010: 212f). Auf welche Weise Personengruppen klassifiziert werden, welche Ausmaße und Strukturen diese Klassifikation annimmt und welche „Hierarchien und Verhältnisse der Unter- und Überordnung“ (Vester 2009: 124) entstehen, sind beispielhafte Themengebiete mit denen sich die Soziale Ungleichheitsforschung befasst. Schließlich lassen sich zwei Formen von Ungleichheit identifizieren, die der Chancengleichheit und der Verteilungsungleichheit.
Nach Nicole Burzan (2005: 7) sei soziale Ungleichheit zu verstehen als „die ungleiche Verteilung von Lebenschancen“ je nach Abhängigkeit der zeitlichen Periode und des vorherrschenden Gesellschaftssystems und zudem der theoretischen Perspektive. Sie ist demnach eine „gesellschaftliche Konstruktion“, da die soziale Ungleichheit eng verknüpft ist mit den jeweiligen als relevant erachteten Ressourcen, die nötig zur gesellschaftlichen Teilhabe sind. Die Form dieser Ressourcen kann durchaus variieren und physisch sowie ideeller Natur sein. Als Konsequenz dieser ungleichen Verteilung von Teilhabemöglichkeiten bilden sich strukturell unterscheidbare Segmente innerhalb der Gesellschaft.
Eine andere Perspektive soll folgend dargestellt werden. Personen nehmen im Beziehungsgefüge der Gesamtgesellschaft Positionen ein; an diese sind - nach Talcott Parsons - sowohl Rollen sprich ein Bündel an Erwartungen geknüpft als auch Opportunitäten – die Summe aller Teilhabemöglichkeiten und Bedingungen, die sich für diesen Positionsinhaber ergeben. So führen hierarchisch unterschiedliche Positionen zu verschiedenen Bedingungen des Lebens und der Handlungen – „soziale Ungleichheit bezeichnet […] bestimmte vorteilhafte und nachhaltige Lebensbindungen von Menschen, die ihnen aufgrund ihrer Positionen in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen zukommen“ (Hradil 2010: 212). Soziale Ungleichheit bezeichnet hier also die zwischen Gruppierungen variierende Verteilung von Ressourcen, welche als gesellschaftlich wertvoll angesehen werden, z.B. Bildung, Einkommen, ökonomische oder kulturelle Güter, wobei die Verteilung dieser auf Basis von Positionen im Beziehungsgefüge vorgenommen wird.
Eine Idee, an die im späteren Verlauf auch Marx oder andere Vertreter der Klassentheorie anknüpfen, entspringt schon bei Rousseau, für den die Genese von Ungleichheit im Besitz liegt. (Burzan 2005: 9). Anzumerken sei hier, dass mit „sozialer Ungleichheit“ nicht per se soziale Ungerechtigkeit gemeint ist, sondern die objektive Betrachtung von ungleicher Verteilung ohne normative Wertung. Diese Betrachtungsweise ist keineswegs selbstverständlich; historisch unterlag sie zumindest einem Wandel und auch im modernen bzw. aktuellen politischen Kontext sorgen Ungleichheitsanalysen stets für Kontroversen und öffentliche Diskussionen - zudem dient ihre Benutzung scheinbar hervorragend für machtpolitische Zwecke. Eine besonders treffende Definition zur sozialen Ungleichheit findet sich bei Hradil: „‘Soziale Ungleichheit‘ liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den ‚wertvollen Güter‘ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten.“ (Hradil 2001: 30)
Ein Aspekt, den man bei Klassenmodellen wie dem von Marx beachten sollte, ist das bei diesen die Gesellschaftssegmente vertikal angeordnet werden. Bevölkerungsgruppen lassen sich hier i.d.R. eindeutig hierarchisch zwischen anderen verordnen, anhand von klassischen vertikalen Dimensionen der Ungleichheit wie Einkommen, dem sozio-ökonomischen Status oder im späteren Verlauf der Ungleichheitsforschung auch Bildung (Vester 2009: 122f). Eine Berücksichtigung von sogenannten horizontalen Ungleichheitsdimensionen wie Geschlecht, Alter, Religion oder ethnischer bzw. regionaler Herkunft findet erst bei den Milieu- und Lebensstilmodellen oder den Sinus-Milieus Bedeutung. Bei Marx hingegen lässt sich die Klassifikation bei hierarchisch geordneten Gesellschaftssystemen klar auf eine Dimension eingrenzen – die der ökonomischen Verhältnisse, also der Besitz von Produktionsmitteln und die daraus resultierende Macht, die manchen Bevölkerungsgruppen innewohnt und anderen wiederum verwehrt bleibt. Gerade diese Unterscheidung, die Differenz zwischen denen, die über Produktionsmittel verfügen und jenen die über keine verfügen, beschreibt den zentralen Angelpunkt der Gesellschaftsanalyse nach Marx. Ein Vorteil der sich bei Klassenmodellen ergibt, „besteht darin, soziale Ungleichheit nicht nur zu beschreiben, sondern zu erklären. Klassentheorien entwickeln […] aus der ökonomischen Lage typische Interessenskonflikte, welche Struktur und Entwicklung von Gesellschaften erklären.“ (Weyand 2014: 77)
3. Soziale Ungleichheit im kommunistischen Manifest
In diesem Kapitel soll nun ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte „Das Manifest der kommunistischen Partei“ auf Elemente von sozialer Ungleichheit hin analysiert werden bzw. darauf wie Karl Marx selbst die strukturellen Zustände während der Industrialisierung darlegt. Dieses Schriftstück ist eines der ersten politischen Programmschriften, welches von Karl Marx (und Friedrich Engels) im Jahr 1848 für den Londoner „Bund der Kommunisten“ verfasst wurde – obwohl man sich bei der Verfasserschaft nicht ganz einig ist; in der Literatur finden sich Verweise, dass Marx alleine an diesem Werk gearbeitet hat (Stammen 2009: 7). Aus diesem Grund wird fortan bei Zitaten und verweisen nur Marx als Verfasser bzw. Referenz genannt. In dieser Programmschrift wurden zum ersten Mal die Grundthesen der Klassentheorie in besonders stichhaltiger Form dargelegt und besonders naheliegend die Ideen des Klassenkampfes dargestellt – anders als in „Das Kapital“, in welchem der Fokus eher auf der „Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ liegt (Dahrendorf 1999/2012: 63). Das Manifest diente als Grundlage für viele Arbeiterbewegungen und -parteien und genießt sowohl historisch als auch international hohe Relevanz auch über politische Fragestellungen hinaus.
Direkt im ersten Teil lässt sich ein Satz entdecken, der ikonisch für die Theorie von Marx und später dem Marxismus scheint: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ (Marx 1848/2009: 66) Historisch betrachtet sind alle Gesellschaftszusammenhänge, die von sozialen Ungleichheitsformen geprägt sind, gezeichnet von Kampf, Konflikten und Revolutionen, die dazu führten Verhältnisse umzuwälzen. Wie genau diese Klassenkämpfe aussehen, wird im nächsten Kapitel ausführlicher berichtet. Weiter schreibt Marx, dass die Ungleichheitsbedingungen sich bei einem Wandel aber nie aufgelöst haben; sie haben einfach nur ihre Ausprägung geändert und neue Akteure wurden begünstigt: „Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.“ (Marx 1848/2009: 67) Das setzte sich so lange fort bis zu den Verhältnissen zu Zeiten der industriellen Revolution, in der die Bourgeoisie – als Besitzer der Produktionsmittel – strukturell und systematisch über mehr Möglichkeiten der Ressourcenaneignung verfügten. Als Faktoren sieht Marx u.a. die Erschließung neuer Märkte und Regionen im Sinn der Globalisierung sowie die zunehmende Verdrängung von kleineren Betrieben. Produktionsprozesse wurden nicht mehr nur in einem Betrieb durchgeführt, in der sich die Arbeit geteilt wurde, vielmehr teilten sich verschiedene Unternehmen Produktionsschritte untereinander auf. Die steigende Technisierung und Maschinisierung tat ihren Rest, sodass die Anzahl von Manufakturen sank. Mit Manufakturen sind Produktionsstätte gemeint, die zwar schon auf dem System der Arbeitsteilung und simplen Maschinen beruhten, aber deren Charakteristikum die Herstellung in Handarbeit war.
Die entstandene Klasse der Bourgeoisie sieht er als das „Produkt eines langen Entwicklungsganges, einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise […].“ (Marx 1848/2009: 68) Das politische System betrachtet er als Verwalter oder Wegbereiter, welches der Klasse der Bourgeoisie für ihre Profitorientierung die nötigen Weichen legte. Weiter beschreibt er, welche Wirkung die Rolle der Bourgeoisie auf das Verhältnis zwischen den Menschen hatte:
Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. [..] Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst [..]. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. (Marx 1848: 68)
Er kritisiert also wie die Abhängigkeitsverhältnisse, die im Feudalsystem oder im Mittelalter noch auf Traditionen oder auf religiösen Bedingungen beruhten, oder anders ausgedrückt sich auf dem Mythos der Tradition bezogen (Dahrendorf 1957: 3) bzw. sich auf einer determinierenden Gesellschaftsordnung gründeten, sich gewandelt haben in Beziehungen, die rein auf dem Medium Geld basierten. Die Ausbeutung von Bevölkerungsgruppen, welche vorher geherrscht hat, wurde in der Regel gerechtfertigt durch eine Gottgegebene oder übernatürliche Grundordnung. Im Kapitalismus hingegen ergab sich der Zustand einer Rangordnung rein daraus, wer mehr Besitz in seinem Privateigentum hatte. Der Besitz und die Produktionsmittel verteilten sich zudem innerhalb der Gesellschaft bis die Bourgeoisie „die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert“ (Marx 1848/2009: 70) hatte.
Nach der Geschichte der Entstehung der bourgeoisen Klasse stellt Marx nun die Klasse vor, die als Gegenpol zur Kapitalistenklasse diente, die Gruppe der Arbeiter. Die auch als Proletarier bezeichnete Klasse setzte sich vor allem aus einfachen Lohnarbeitern zusammen, im nächsten Kapitel soll auf ihre Situation noch genauer eingegangen werden. Ein erster Einblick in ihr Verhältnis zur Arbeit, dem Leben am Existenzminimum und der Abhängigkeit vom Unternehmer:
„[…], die Klasse der modernen Arbeiter, die nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt. Diese Arbeiter, die sich stückweis verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.“ (Marx 1848: 70)
Für den einfachen Arbeiter war zudem nicht mehr relevant, ob er versiert in einem Handwerk ist; im Gegenteil war seine einzige Funktion, die ihm auferlegte Tätigkeit im durchgetakteten Produktionsprozess zu erledigen. Sein Lohn reichte gerade nur, um alltägliche Konsumkosten zu decken; obendrein nahm der Umfang der erwarteten Arbeitsergebnisse weiter zu. Der Arbeiter, der vielleicht einst ein Handwerk erlernt hatte oder sonst ein Potenzial besaß, welches er unter anderen Umständen hätte einbringen können, verlor immer mehr Autonomie und persönlichen Charakter; sie wurden zu „gemeinen Industriesoldaten unter die Aufsicht einer vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren gestellt.“ (Marx 1848/2009: 73) Interessant ist im folgenden Absatz die Sicht auf Geschlechterunterschiede:
„Geschlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse. Es gibt nur noch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Geschlecht verschiedene Kosten machen.“ (Marx 1848:73)
Demnach traten Differenzen zwischen Geschlechtern, die in vorherigen Epochen und in anderen gesellschaftlichen Wertesystemen noch eine Rolle spielten, während der Industrialisierung in den Hintergrund. Einzig allein der physische Körper, der eine durchstrukturierte Abfolge von Produktionsschritten ausführte, blieb übrig. Der Mensch wurde schließlich gänzlich auf seine Fähigkeit zur Arbeit reduziert, oder wie Marx schreibt, er wurde zum „Arbeitsinstrument“, das durch seine Arbeit je unterschiedlich wertige ökonomische Erzeugnisse einbrachte.
4. Klassentheorie nach Marx
Die Klassentheorie nach Marx ist bis heute fundamental und richtungsweisend für viele andere danach entstandenen Theorie über Strukturen innerhalb der Gesellschaft (Burzan 2005: 14). Für ihn durchzieht die gesamte Historie der Menschheit eine prägende Entwicklung der Klassenkämpfe. Sie beschreibt ständige von Konkurrenz beeinflusste Beziehungen zwischen zwei Bevölkerungsgruppen, diejenigen die Macht besitzen und jene die ihr Leben in Abhängigkeit zu ersteren bestreiten müssen und demzufolge machtlos sind. Diese sozialen Gruppen vertreten jeweils die sogenannten Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, welche von Marx als Klassen beschrieben werden (Dahrendorf 1999/2012: 58). So ist die eine Gruppe bestrebt die herrschenden Produktionsverhältnisse weiter in ihrer aktuellen Konstellation bestehen zu lassen, während die andere versucht die für sie ungünstigen Strukturen zu verändern. Es bildet sich schließlich nach Marx die Gruppe der Bourgeoisie, welche über Produktionsmittel verfügt und die der Proletarier, die selbst keine Produktionsmittel besitzt, sondern nur die eigene Arbeitskraft, die im Produktionsprozess verwertet wird. Je nach Phase des Klassenkampfes - historisch betrachtet - zeigt sich eine spezifische Interdependenz beider Gruppen zueinander. So sei die Geschichte der Menschheit als eine Aufeinanderfolge von verschiedenen Klassengesellschaften zu verstehen, die sich durch den fortdauernden Kampf zwischen den dichotomen Klassen der Gesellschaft auszeichnet.
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1 Um einen generellen Einstieg in die Thematik zu erhalten, ließ ich mich von dem Podcast „Eine Stunde History - Deutschlandfunk Nova“: Folge „Karl Marx“ und der Zeitschrift Geo Epoche „Die industrielle Revolution“ inspirieren. Hiervon sind einige Elemente auf indirekte Weise in meine Einleitung geflossen.