Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit der Thematik, welche Faktoren und Einflüsse auf das Erinnerungsvermögen einwirken. Dies wird anhand verschiedener Forschungen und Theorien aus dem Bereich der Gedächtnisforschung dargelegt. Abschließend erfolgt eine Darstellung des Polizeibeamten als Zeuge vor Gericht unter dem Einfluss einer falschen oder nicht vorhandenen Erinnerung.
Manipulierte und verfälschte Erinnerungen sind für die meisten Menschen eine beängstigende Vorstellung. Erst recht wenn man davon ausgeht, dass der Mensch als Individuum die Summe seiner Erinnerungen ist. Ein Fundament auf dem alles aufbaut und dabei hilft den persönlichen Lebensweg zu verstehen. Stellt man sich nun vor, dass menschliche Erinnerungen von Grunde auf falsch sind und das eigene Gehirn einen in die Irre führt, auf welcher Basis könnte dann beispielsweise die Justiz anhand von Zeugenaussagen Urteile fällen?
Polizisten, Anwälte und Richter sind sich dessen bewusst, dass Zeugenaussagen fehlerhaft sein können. Über deren Ausmaß an Fehlerhaftigkeit vermögen diese aber keine Einschätzung abgeben zu können. Gedächtnisforscher gehen davon aus, dass falsche Erinnerungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Die Rechtspsychologin Julia Shaw zeigte in einer ihrer Studien auf, dass Menschen sogar Straftaten gestehen, die sie niemals begangen haben. Dabei brachte sie die Probanden dazu, sich ein vorgestelltes Ereignis im Gedächtnis als Erinnerung abzuspeichern. Mit dem tatsächlichen Leben der Probanden hatte das Ereignis allerdings nichts zu tun. Ihre Erinnerungen stützen sich lediglich auf vorher suggerierte Aussagen der Eltern und nicht auf ihre eigenen tatsächlichen Erlebnisse. Das Ergebnis, 70 Prozent der Probanden waren sich am Ende der Versuchsreihe sicher die Straftat begangen zu haben.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bildung einer Erinnerung
3 Fehler in der Erinnerung
3.1 Die Fuzzy-Trace-Theorie
3.2 Ich Assoziiere, Also Erinnere ich mich
3.3 Verbale Überschattung
3.4 Erinnerung als Teil einer sozialen Landschaft
3.4.1 Erinnerungskonformität innerhalb einer Zeugenaussage
3.5 Der Einfluss einer Gruppe
4 Der Polizeibeamte als Zeuge
5 Fazit
6 Abkürzungsverzeichnis
7 Literaturverzeichnis
8 Internetquellenverzeichnis
1 Einleitung
Manipulierte und verfälschte Erinnerungen sind für die meisten Menschen eine beängstigende Vorstellung. Erstrecht wenn man davon ausgeht, dass der Mensch als Individuum die Summe seiner Erinnerungen ist. Ein Fundament auf dem alles aufbaut und dabei hilft den persönlichen Lebensweg zu verstehen. Stellt man sich nun vor, dass menschliche Erinnerungen von Grunde auf falsch sind und das eigene Gehirn einen in die Irre führt, auf welcher Basis könnte dann beispielsweise die Justiz anhand von Zeugenaussagen Urteile fällen? Polizisten, Anwälte und Richter sind sich dessen bewusst, dass Zeugenaussagen fehlerhaft sein können. Über deren Ausmaß an Fehlerhaftigkeit vermögen diese aber keine Einschätzung abgeben zu können. Gedächtnisforscher gehen davon aus, dass falsche Erinnerungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Die Rechtspsychologin Julia Shaw zeigte in einer ihrer Studien auf, dass Menschen sogar Straftaten gestehen, die sie niemals begangen haben. Dabei brachte sie die Probanden dazu, sich ein vorgestelltes Ereignis im Gedächtnis als Erinnerung abzuspeichern. Mit dem tatsächlichen Leben der Probanden hatte das Ereignis allerdings nichts zu tun. Ihre Erinnerungen stützen sich lediglich auf vorher suggerierte Aussagen der Eltern und nicht auf ihre eigenen tatsächlichen Erlebnisse. Das Ergebnis, 70 Prozent der Probanden waren sich am Ende der Versuchsreihe sicher die Straftat begangen zu haben.1
Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit der Thematik, welche Faktoren und Einflüsse auf das Erinnerungsvermögen einwirken. Dies wird anhand verschiedener Forschungen und Theorien aus dem Bereich der Gedächtnisforschung dargelegt. Abschließend erfolgt eine Darstellung des Polizeibeamten als Zeuge vor Gericht unter dem Einfluss einer falschen oder nicht vorhandenen Erinnerung.
2 Bildung einer Erinnerung
„Wie genau wir eine Erfahrung oder einen Gedanken im Gehirn speichern können, war stets eine faszinierende Frage, vor allem seit man erstmals in Erwägung gezogen hat, dass es so etwas wie einen Geist oder eine Seele vielleicht nicht gibt.“2 Dank der modernen Technik, etwa bildgebender Verfahren für das Gehirn wie fMRT (funktionelle Magnetresonanztomografie) und Elektroenzephalografie (EEG), ist man nun in der Lage aktive Gehirne zu untersuchen, während sie die Welt wahrnehmen. Menschliche Gehirne sind für eine Welt der Unsicherheit und der schnellen Entscheidungsfindung geschaffen und dadurch unglaublich formbar und anpassungsfähig Diese Anpassungsfähigkeit bezeichnet man als neuronale Plastizität, anhand derer man überhaupt Erinnerungen haben kann.3 Wird eine Erinnerung aufgezeichnet, ist dies letztlich ein Akt der Herstellung und Veränderung von Verbindungen zwischen bereits vorhandenen Gehirnzellen und kein Akt, der das Erzeugen neuer Zellen bezeichnet.4
„Die Zellen in unserem Gehirn, die Neuronen, verbinden sich miteinander zu sinnvollen Netzwerken, und diese Netzwerke verändern sich unter der Einwirkung neuer Erfahrungen. […] Sooft wir eine Erfahrung machen, können wir potenziell eine Erinnerung daran bilden, eine Erinnerung, die im Gehirn als Neuronennetzwerk existiert. Das kann eine semantische Erinnerung sein, wie etwa, dass Barack Obama im Jahr 2015 Präsident der Vereinigten Staaten war. Es kann eine autobiografische Erinnerung sein, wie dass Sie zu einer Ausstellung nach London gefahren sind. Es kann auch eine Erinnerung an einen Prozess der Entscheidungsfindung sein: beispielsweise, wie Sie ein Kreuzworträtsel gelöst haben. Damit irgendeine Erfahrung in Form einer Erinnerung hängen bleibt, muss sie eine physische Repräsentation in Ihrem Gehirn erzeugen.“5
3 Fehler in der Erinnerung
Jeder Mensch hat das Phänomen der sogenannten Erinnerungslücke bereits in seinem Leben erfahren. Sei es bewusst oder unbewusst. Doch was ist, wenn der Mensch das Potential zu noch weitaus gravierenderen Erinnerungslücken hat. Wenn man in die Gedächtnisforschung einsteigt, sieht man in welch erstaunlicher Weise das Gedächtnis eines Menschen in die Irre geführt werden kann. In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Forschungsergebnisse und Theorien thematisiert, die unteranderem aufzeigen wie Erinnerungen manipuliert und verfälscht werden können.
3.1 Die Fuzzy-Trace-Theorie
Eine Theorie mit deren Hilfe sich erklären lässt warum wir inkorrekte Erinnerungen bilden, ist die Fuzzy-Trace-Theorie (fuzzy heißt unscharf, verschwommen, aber auch flauschig, A.d.Ü.). Diese Theorie insistiert, dass es bei der Erinnerung um zwei Dinge geht. Zum einen um eine Spur des Wesentlichen oder des Bedeutungskerns einer Erfahrung, der sogenannten gist trace. Zum anderen um eine wortwörtliche Spur, die eine Erinnerung an spezifische Einzelheiten ist, die sogenannte verbatim trace. Die meisten Erinnerungen beinhalten beide Komponenten.6 Nach den Gedächtnisforschern Charles Brainerd und Valerie Reyna von der University of Arizona lässt diese Theorie eine Vielzahl von Erinnerungstäuschungen erklären, die sich grundlegend in vier aufeinanderfolgenden Hauptprinzipien zusammenfassen lässt.7 Prinzip eins, die parallele Verarbeitung und Speicherung. Menschen encodieren eine wortwörtliche und eine den Bedeutungskern erfassende Spur gleichzeitig und speichern diese als dissoziierte Repräsentation. In Prinzip zwei erfolgt ein getrennter Abruf dieser unterschiedlichen Erinnerungsspuren. Hierbei kann eine Art der Erinnerungsspur von einer Erinnerung stärker sein als die Andere. Diese Problematik führt im dritten Prinzip zu einer Fehleranfälligkeit. Der getrennte bzw. unabhängige Abruf der beiden Arten von Erinnerungsspuren ist einer Vielzahl von potenziellen Erinnerungsfehlern ausgesetzt. „Die grundsätzlich unscharfe Natur von Erinnerungsfragmenten zur Bedeutung einer Sache erlaubt, dass Gefühle der Vertrautheit mit einem bestimmten Ereignis die Erfindung von wörtlichen Details verursachen.“8 Abschließend beschreibt Prinzip vier, dass die Verarbeitung von wortwörtlichen als auch die von Bedeutung erfassenden Spuren lebhafte Erinnerungen erzeugen. Wortwörtliche Spuren lassen Personen Einzelheiten und spezifische Kontexte noch einmal erleben. Als allgemeinere Erinnerung wird hingegen das Abrufen von Spuren des Wesentlichen angesehen welches eher ein Gefühl der Vertrautheit assoziiert, dass etwas geschehen ist, aber nicht im genauen erinnert werden kann. Die Fuzzy-Trace-Theorie bietet somit einen Erklärungsrahmen das Erinnerungstäuschungen möglich sind, da unsere Erinnerung in einer Vielzahl von Fragmenten gespeichert werden, welche auf eine Weise neu kombiniert werden können und diese dem tatsächlichen Geschehen gar nicht entsprechen.9
3.2 Ich Assoziiere, Also Erinnere ich mich
Bereits die frühesten Philosophen gingen dem Lernen und somit dem menschlichen Erinnern auf den Grund. In diesem Zusammenhang wurde die Assoziation des Menschen als Kerneigenschaft des Geistes angesehen. Die sogenannten Assoziationsgesetze basierten auf einem Konzept Platons und wurden im Jahr 300 v. Chr. von Aristoteles festgesetzt. Das erste Gesetz, das der Ähnlichkeit besagt, dass das Erleben oder Erinnern eines Objektes eine Erinnerung an Dinge erzeugt, die diesem Objekt ähnlich sind.10
„Das moderne Konzept der Aktivierung durch Assoziation ist eine Erweiterung der ursprünglichen Aussagen von Aristoteles […] und beinhaltet die Vorstellung, dass es eine erhöhte Aktivität bei bestimmten Erinnerungen gibt, wenn andere, begrifflich ähnliche Gedanken oder Erfahrungen verarbeitet werden. […] Man geht davon aus, dass Individuen eine Reihe von häufig benutzten Wörtern und Ideen haben. Jeden individuellen Gedanken oder Begriff im Gehirn kann man als Netzknoten bezeichnen; miteinander verbundene Netzknoten erzeugen dann komplexe Ideen. Man nimmt an, dass Netzknoten mit ähnlicher Bedeutung stärker miteinander verbunden sind: der Knoten »Polizist« etwa sehr fest mit dem Knoten »Gesetz« und nur ganz schwach mit dem Knoten »Tisch«. Wenn wir einen Knoten aktivieren, kann man sich das so vorstellen, dass die Energie, die wir ihm schicken, sich von dieser ursprünglichen Quelle her weiter ausbreitet und dann automatisch andere verwandte Knoten aktiviert. Wenn wir also als ersten Knoten »Polizist« aktivieren, wird die Energie von dort aus automatisch zu anderen eng assoziierten Knoten wie »Gesetz« weiterlaufen.“11
Die Bildung einer falschen Erinnerung durch Assoziation kann an zwei Zeitpunkten erfolgen. Beim Encodieren und beim Abrufen. Nennt beispielsweise ein Forscher die Begriffe Gesetz, Mann und Uniform, könnte der Begriff Polizist durch Assoziation durch einen Versuchsteilnehmer encodiert werden, ohne dass dieser Begriff jemals ausgesprochen wurde. Beim Abrufen des Ereignisses kann der Fehler darin liegen, dass beim Versuch sich zu erinnern, der Versuchsperson wieder einfallen wird, dass die Begriffe Gesetz und Uniform genannt wurden und das Gefühl der Vertrautheit mit dem Begriff Polizist in Verbindung steht. Obwohl der Begriff des Polizisten nie genannt wurde, kann Assoziation diesen fälschlicherweise in die Erinnerung einschließen. „Das heißt, wenn Assoziationen zwischen Erinnerungen oder Begriffen verstärkt oder geschwächt werden können, kann das auch die Wahrscheinlichkeit von Irrtümern und Täuschungen des Gedächtnisses beeinflussen.“12
3.3 Verbale Überschattung
Nach der Rechtspsychologin Julia Shaw werden Erinnerungen an emotionsbesetzte Ereignisse nicht nur durch äußerliche Quellen, sondern auch durch innere Einflüsse verzerrt. Dies geschieht indem eine Information die ursprünglich visuell oder auch über andere Sinne encodiert war, in eine verbale Information übertragen wird. Wenn Sinneseindrücke in Worte umgewandelt werden, geht dieser Prozess allerdings nicht fehlerfrei vonstatten. Jedes Mal, wenn Sinneseindrücke wie beispielsweise Bilder oder Töne verbalisiert werden, gehen Informationen verloren. Die Menge der Details, die mittels Sprache kommuniziert werden kann, ist begrenzt. Daher müssen Abstriche gemacht werden und die Information wird vereinfacht wiedergegeben.13 Dieser Prozess wird verbale Überschattung (verbal overshadowing) genannt und wurde durch den Psychologen Jonathan Schooler geprägt. Dieser forscht an der University of Pittsburgh und veröffentlichte seine ersten Studien über verbale Überschattung im Jahre 1990.14 Die Versprachlichung nonverbaler Eindrücke, so Schooler, führt nicht nur zum Verlust von Feinheiten, sondern auch zur Erzeugung konkurrierender Erinnerungen.15
„Eine Erinnerung an die Zeit, zu der wir ein Erlebnis beschrieben haben, und eine an die Zeit, zu der wir das Erlebnis tatsächlich hatten. Die Erinnerung an die Versprachlichung scheint die Oberhand über unser ursprüngliches Erinnerungsfragment zu gewinnen. Weil uns die verbalisierte Erinnerung als eine bessere Darstellung dessen erscheint, was geschehen ist. Wenn wir zum Beispiel jemanden aus einer Reihe von Fotos identifizieren sollen, wird es schwierig, an unseren verbalen Beschreibungen vorbeizukommen. Kurz gesagt können unsere Erinnerungen also durch unsere eigenen, verfehlten Versuche, sie zu verbessern, nachteilig manipuliert werden.“16
3.4 Erinnerung als Teil einer sozialen Landschaft
Die Online-Welt bietet Zugang zu einem unbegrenzten Informationsfluss und ein Forum, Erlebnisse und Empfindungen anderen Menschen weltweit mitzuteilen. Besonders bei potenziell wichtigen Ereignissen neigt der Mensch dazu, dies der digitalen Welt mitzuteilen, was wiederum zu einer umfangreichen und unabhängigen Dokumentation bedeutender historischer Ereignisse führt. Die Möglichkeit Einschätzungen von Situationen mittels digitaler Welt bestätigen zu lassen ist enorm, kann aber zu einer Erinnerungskonformität (memory conformity) führen. Dies geschieht, wenn eigene Denkweisen und Erinnerungen zu einer vermischten Version der Berichte werden, welche gehört oder gesehen wurden. In diesem Fall ist eine Unterscheidung unmöglich was eine einzelne Person tatsächlich beobachtet hat oder ob es sich nur um eine vermischte Version handelt.17 Der Forscher Brian Clark ist der Auffassung das dieser Effekte auftritt, da aufgrund des Internets und der sozialen Medien „die Unterscheidung zwischen öffentlicher Erinnerung und privater Erinnerung […] sich soweit verwischt hat, dass sie praktisch ausradiert wurde.“18
3.4.1 Erinnerungskonformität innerhalb einer Zeugenaussage
Das Phänomen der Erinnerungskonformität wurde in unterschiedlichen Forschungen untersucht. Mit Blick auf Zeugenaussagen untersuchten Gabbert, Memon und Allan von der Universität Aberdeen den Umstand, wie sich Augenzeugen gegenseitig beeinflussen können.19 Dies wurde getestet, indem sich zwei Gruppen von Versuchspersonen getrennt ein Video eines Ereignisses ansahen. Was die jeweiligen Gruppen nicht wussten, es gab zwei unterschiedliche Versionen des Videos welches aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen wurde. Folglich gab es für die Probanden zwei unterschiedliche Sätze von Informationen zu diesem Ereignis. Ein Satz von Informationen die nur von Gruppe A beobachtet werden konnte und ein Satz von Informationen der wiederum nur von Gruppe B wahrgenommen wurde. Anschließend wurde die Hälfte der Versuchspersonen aufgefordert sich in Teams mit der jeweiligen anderen Gruppe zusammenzufinden und einen Fragebogen auszufüllen. Nach einer 45-minütigen Pause wurden die Versuchspersonen einzeln darüber befragt was geschehen war. Das Ergebnis: 71 Prozent der Probanden, die im Austausch mit ihrem Teamkollegen arbeiteten, gaben Details über das Geschehen wieder die sie durch ihren Teamkollegen erfahren hatten. 60 Prozent derer, die eine begangene Straftat aus ihrer Perspektive gar nicht hätten sehen können, gaben bei der Befragung an, die Straftat hat stattgefunden. Innerhalb der gemeinsamen Zeugenschaft wurden durchschnittlich 21 Einzelheiten beigesteuert, welche die Versuchspersonen nur vom anderen Zeugen kannten. Der Erinnerungsbericht der gemeinsamen Zeugen wurde, im Gegensatz zu den Versuchspersonen die den Fragebogen alleine ausfüllten, in erhöhtem Maße an Details ausgeschmückt die sie gar nicht selbst wahrgenommen hatten. Diese Forschung zeigt auf, dass jede Informationsquelle, auch die nachträgliche Information an ein Geschehen, das Potential hat die Erinnerung auch im Nachhinein zu verfälschen.20
3.5 Der Einfluss einer Gruppe
Konformität kann Leben retten. Wenn eine Gruppe von Menschen rennt, dann wissen diese im Gegensatz zu Anderen unbeteiligten vielleicht, dass es beispielsweise brennt und die Unbeteiligten laufen intuitiv mit und entfernen sich von der Gefahrenstelle. Doch im Bereich der Erinnerungen können soziale Einflüsse zum Problem werden, wenn nachträglich Fehlinformationen innerhalb dieser Gruppe verbreitet werden, sodass falsche Details in Erinnerungen einzelner eingeflochten werden, welche sich schwer herauslösen lassen. Im Jahr 1956 führte der Psychologe Solomon Asch Studien durch, die erstmals Konformität von Informationen zeigten. Das Ergebnis dieser Studien war, dass Menschen erstaunlich häufig bereit sind eine offenkundig falsche Antwort zu geben, wenn diese mit anderen Gruppenmitgliedern übereinstimmt. Im Nachgang wurden die Versuchspersonen befragt, warum diese sich konform verhalten hatten. Die meisten der Versuchspersonen hatten nicht auffallen wollen. Dennoch gab es manche die glaubten, die Gruppe hätte die Antwort besser gewusst als sie selbst. Solch soziale Einflüsse lassen sich als normativ oder informativ klassifizieren.21
„Normative Einflüsse sind die Einflüsse von Gruppen auf ihre Mitglieder – sie wirken in Situationen, in denen wir nicht auffallen wollen, gleichgültig, ob wir glauben, die Gruppe habe recht oder nicht. Informative soziale Einflüsse werden ebenfalls von Gruppen ausgeübt, aber sie erfordern sie nicht unbedingt. Sie wirken bei Gelegenheiten, bei denen wir glauben, jemand anderes sei besser informiert als wir, und daher seine Information übernehmen.“22
In diesem Zusammenhang wurde der Begriff Groupiness geprägt welcher letztlich zum Ausdruck bringt, wie stark eine Gruppe zusammenhängt und ihre Mitglieder zur Konformität neigen. Infolgedessen neigt man dazu Gruppen in sogenannte Ingroups (Eigengruppen), Gruppen in denen man sich als zugehörig betrachtet, und Outgroups (Fremdgruppen) einzuteilen. Nach den Forschungen von Dan Ariely, Professor für Psychologie und Verhaltensökonomie, geht man mit hoher Wahrscheinlichkeit Äußerungen der Eigengruppe konform, als dies der Fall mit Angehörigen der Fremdgruppe ist. Letztlich identifiziere man sich eher mit der Eigengruppe, wobei die Fremdgruppe eher eines Rivalen gleichkommt von dem man sich abheben wolle.23 Um negative Effekte dieser Einflussfaktoren im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen zu vermeiden sind sich Forscher einig, Zeugen in Polizeiermittlungen getrennt voneinander zu befragen. Denn eine Übereinstimmung von Zeugenberichten sei nicht unbedingt ein Hinweis auf Richtigkeit, sondern eher ein Hinweis auf Konformität und Zughörigkeit der jeweiligen Gruppe.24
[...]
1 Vgl. Shaw, www.spiegel.de, 2019
2 Shaw, Julia, 2018, S. 77.
3 Vgl.Shaw, Julia, 2018, S. 77.
4 ebd.
5 Shaw, Julia, 2018, S. 77f.
6 Shaw, Julia, 2018, S. 99.
7 ebd.
8 Shaw, Julia, 2018, S. 220.
9 Vgl.Shaw, Julia, 2018, S. 100.
10 Vgl. Winkens, Fischer, philou.rwth-aachen.de, 2019.
11 Shaw, Julia, 2018, S. 94f.
12 Shaw, Julia, 2018, S. 96.
13 Vgl.Shaw, Julia, 2018, S. 200.
14 Shaw, Julia, 2018, S. 77.
15 Vgl. Schooler, Jonathan et al., 1990.
16 Shaw, Julia, 2018, S. 202.
17 Vgl.Shaw, Julia, 2018, S. 221.
18 Brian Clark, 2013, S. 19ff.
19 Shaw, Julia, 2018, S. 224.
20 ebd.
21 Asch, Solomon, 1956, S. 1 ff.
22 Shaw, Julia, 2018., S. 226
23 Vgl. Ariely, Dan et al., 2008, S.633 ff.
24 Vgl.Shaw, Julia, 2018, S. 220.