In Anlehnung an die These vom „permanenten Ausnahmezustand“ soll sich diese Arbeit mit einer als „Präventivzustand“ zu verstehenden Konstellation auseinandersetzen. Die zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob es heute überhaupt noch eine richtige Grenze zwischen Normal- und Ausnahmezustand gibt oder ob diese mittlerweile fließend ist. Obwohl eine solche Abgrenzung zunächst offensichtlich erscheint, sind bestimmte Handlungen einzelner Staaten ausschlaggebend für die Annahme, dass eine solche Abgrenzung nur bedingt oder gar nicht möglich ist, da sich unter anderem einzelne Merkmale der Zustände in einem anderen Zustand finden lassen.
Denn als das letzte Mittel eines Staates, um sich gegen eine außerordentliche Bedrohung zu behaupten, kann der Ausnahmezustand gesehen werden. Der Ausnahmezustand ist eine Maßnahme, die ein Staat ergreifen kann, um die staatliche Ordnung aufrecht erhalten zu können. Für einen bestimmten Zeitraum kann der Staat oder der Souverän einen solchen Zustand einrichten, es tritt in den meisten Fällen eine sogenannte Notstandsklausel in Kraft, welche eine Verschiebung der Kompetenzen weg von der Legislative hin zur Exekutive bedeutet. Immer häufiger kommt es jedoch vor, dass Staaten den Ausnahmezustand permanent werden lassen, so z.B. in Algerien, Ägypten oder Syrien. Aktuelle Beispiele für einen ausgerufenen Ausnahmezustand sind Frankreich, die Türkei, die USA, die Malediven und Jamaika. Zudem findet man den Ausnahmezustand in vereinzelten Regionen, wie in Genua (Italien).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Normalzustand und Ausnahmezustand - eine theoretische Einführung
2.1 Normalzustand - Normalismus und Normativität
2.2 Ausnahmezustand - Grundlagen und Bestimmungen
3. Die Permanenz der Ausnahme - Giorgio Agambens „Paradigma des Regierens“
4. Die Republik von Weimar - permanenter Ausnahmezustand?!
4.1 Der Artikel 48 in der WRV
4.2 Anwendung des Artikel 48
4.2.1 1919 bis 1924 - Notverordnungen zum Schutz der Demokratie
4.2.2 1930 bis 1933 - Notverordnungen als die Praxis des Regierens
4.3 Die Republik von Weimar: Ausnahmezustand par excellence?!
5. „Das Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit und zur Bekämpfung des Terrorismus“
5.1 Der Ausnahmezustand in der Verfassung
5.2 Ausnahmezustand und Anti-Terror-Gesetz
5.2.1 Der Ausnahmezustand 'nach' dem 14. November 2015
5.2.2 Inhalte des Gesetzes
5.3 Verschärftes Gesetz oder permanenter Ausnahmezustand
6. Abschlussbetrachtung
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Es gibt für diesen Zustand ein anschauliches antikes Symbol, auf das auch Montesquieu hingewiesen hat: die Statue der Freiheit oder die der Gerechtigkeit wird für eine bestimmte Zeit verhüllt“1
Als das letzte Mittel eines Staates, um sich gegen eine außerordentliche Bedrohung zu behaupten, kann der Ausnahmezustand gesehen werden. Der Ausnahmezustand ist eine Maßnahme, die ein Staat ergreifen kann, um die staatliche Ordnung aufrecht erhalten zu können. Für einen bestimmten Zeitraum kann der Staat oder der Souverän2 einen solchen Zustand einrichten, es tritt in den meisten Fällen eine sogenannte Notstandsklausel in Kraft, welche eine Verschiebung der Kompetenzen weg von der Legislative hin zur Exekutive bedeutet. Immer häufiger kommt es jedoch vor, dass Staaten den Ausnahmezustand permanent werden lassen, so z.B. in Algerien, Ägypten oder Syrien.3 Aktuelle Beispiele für einen ausgerufenen Ausnahmezustand sind Frankreich, die Türkei, die USA, die Malediven und Jamaika. Zudem findet man den Ausnahmezustand in vereinzelten Regionen, wie in Genua (Ita- lien).4
Das Forschungsgebiet Ausnahmezustände ist aus staatsrechtlicher, politikwissenschaftlicher und historischer Perspektive, aber auch aus der Perspektive der praktischen Politik ein sehr interessantes Forschungsgebiet. Wer sich mit dem Thema Ausnahmezustand beschäftigt, kommt an dem viel zitierten Satz: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“5 von Carl Schmitt nicht herum, er bindet den Ausnahmezustand fest in die Machtarithmetik moderner Staaten ein. Schmitt war der erste Theoretiker, der sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzte und Abhandlungen dazu schrieb. Auf der Arbeit Schmitts beruhen die meisten weiteren Untersuchungen die im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden sind, zu den bekannteren Untersuchungen gehören die des Schweden Herbert Tingsten, die der Deutschen Heinrich Triepel und Carl Friedrich sowie des US-Amerikaners Clinton L. Rossiter. Die letzte große Kritik an den theoretischen Ansätzen vollzog der italienische Philosoph Giorgio Agamben 2004 in seinem Werk „Homo sacer“. Er ergänzte hier auch einige Thesen, um die Annahmen Schmitts auf die heutigen westlichen Demokratien anwenden zu können. Grundsätzlich sind die Arbeiten zum Thema, trotz seiner Aktualität, eher selten. Bekanntere Arbeiten lieferten Peter Blomeyer oder auch Matthias Lemke. Lemke lieferte in seiner Dissertation 2017 auch umfassende aktuelle Fallstudien zum Thema.
In Anlehnung an die These vom „permanenten Ausnahmezustand“ soll sich diese Arbeit mit einer als „Präventivzustand“ zu verstehenden Konstellation auseinandersetzen. Die zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob es heute überhaupt noch eine richtige Grenze zwischen Normal- und Ausnahmezustand gibt oder ob diese mittlerweile fließend ist. Obwohl eine solche Abgrenzung zunächst offensichtlich erscheint, sind bestimmte Handlungen einzelner Staaten ausschlaggebend für die Annahme, dass eine solche Abgrenzung nur bedingt oder gar nicht möglich ist, da sich unter anderem einzelne Merkmale der Zustände in einem anderen Zustand finden lassen.
Zunächst soll ein kurzer Überblick über die theoretischen Grundlagen von Normal- und Ausnahmezustand erfolgen. Anschließend soll der „permanente Ausnahmezustand“ nach Giorgio Agamben dargestellt werden, diese Unterscheidung muss hier gemacht werden um eine Grundlage für die anschließenden Analysen zu schaffen. Darauf aufbauend sollen zwei Fallstudien erfolgen: Zum einen soll der Paragraph 48 der Weimarer Reichsverfassung analysiert werden und zum anderen soll die neue französischen Anti-Terror-Gesetzgebung analysiert werden. Der Grund für die Wahl dieser beiden Fälle findet sich darin, dass bisher wenig über das neue Anti-Terror-Gesetz geschrieben wurde und das sich zwischen beiden ein langer Zeitraum befindet, welcher zu einem evtl. anderen Verständnis des Begriffes führen könnte. Den Abschluss soll eine Zusammenfassung der Ergebnisse und eine Antwort auf die gestellte Frage geben.
2. Normalzustand und Ausnahmezustand - eine theoretische Einführung
„Dass sich vom Rand aus, von der Ausnahme her betrachtet, der Normalzustand besonders klar erkennen lässt, ist auch meine These [,..]“6, schreibt Raul Zelik in seinem Roman „Der bewaffnete Freund“. Er suggeriert damit, dass in der theoretischen Konstruktion der Ausnahmezustand in einem offensichtlichen Gegensatz zum Normalzustand steht. Diese These lässt sich bei genauerem Hinsehen jedoch in Teilen widerlegen, da die Abgrenzungskriterien nicht einheitlich definiert sind und zudem kulturelle Probleme bei der Definition auftreten können. Trotz dieser Probleme, soll zunächst versucht werden die Begriffe Normal- und Ausnahmezustand zu erklären.
2.1 Normalzustand - Normalismus und Normativität
Um zeigen zu können, was eine Ausnahme ist, sollte zunächst aufgezeigt werden, von was eine Ausnahme gemacht wird. Eine offensichtliche These lieferte Jürgen Link in einer seiner Studien. In dieser stellt er die These auf, dass „Normal ist, was normalerweise (d.h. mehrheitlich-durchschnittlich) für normal gehalten wird.“7 Um nun genauer auf das einzugehen, was normal ist, sollen zwei Modelle vorgestellt werden: Normalismus und Normativität.
Über den Normalismus kann grundsätzlich gesagt werden, dass er abhängig von gesellschaftlichen Einflüssen ist und somit zwischen Generationen, Kulturen oder sogar sozialen Schichten variieren kann. Weiter kann der Normalismus als eine, wie Jürgen Link es beschreibt, intrinsische Seinsweise beschrieben werden, welche sich durch Verdatung und Statistik kennzeichnet.8 Durch diese Prozesse legen sich die Gesellschaften offen und geben einen Mittelwert aus, dieser spiegelt dann die Normalität wider. Als Normalität gilt somit das durchschnittliche Verhalten der Bevölkerung. Um die Frage zu konkretisieren, muss der Normalismus weiter zerlegt werden, in seine Hauptspielarten: Flexibler Normalismus und Protonormalismus.9 10 11
Der Protonormalismus entspricht auf der konzeptionellen Ebene dem Konzept von Carl Schmitt:
„Wenn etwa Carl Schmitt von Normalität sprach, dann meinte er damit ein enges, stark normativ geregeltes Normalspektrum mit rigiden Normalitätsgrenzen und einem ausgedehnten Spektrum von Anormalitäten [,..]
Das beste Beispiel für eine solche Art des Normalismus findet sich im Nationalsozialismus, diese Form führt zu einer starken Überwachung seiner „Grenzen und Grauzonen“. Diese Annahme basiert darauf, dass Vertreter Sicherheit und Ordnung einer sehr engen Definition unterziehen und schon kleinste Verletzungen zu einer massiven Instabilität der Ordnung führen können.
„Entsprechend den engen und starren Normalitätsgrenzen, die ja als Grenzen gegen den 'Feind' definiert waren, herrschte ein gebündeltes, 'fasci-siertes' Regime der Feindbilder [,..]
Wie bereits kurz angemerkt, zeigt sich noch einmal, wie eng die Normalitätsgrenzen für die Anhänger dieser Spielart des Normalismus sind. Als ein gutes Beispiel sind hier Dissidenten anzuführen, diese können zu Staatsfeinden und Hochverrätern stilisiert werden.
Die heute vorherrschende Spielart der Normalismus, ist der flexible Norma- lismus, dieser hat im Gegensatz zum Protonormalismus „weichere“ Grenzen. Er entstand, da in vielen Gesellschaftsbereichen ein stringentes Handeln nicht möglich ist. Man versucht, in dieser Spielart ein möglichst großes Spektrum als normal zu begreifen und nur einen reduzierten Grenzbereich als anormal zu kennzeichnen. Als Beispiele für diese Strategie dienen der offene Vollzug oder die Integration von Behinderten, es sind Strategien, die eine möglichst große Gruppe einschließen und nur eine kleine Gruppe außen vor lässt. Jedoch nutzt der flexible Normalismus auch Elemente des Protonormalismus, wenn es beispielsweise um die Festlegung von staatstragenden Elementen geht.
Im Gegensatz zum sogenannten Normalismus steht die Normativität, grundlegend legt sie fest, wie etwas sein soll. Ihre Werte jedoch wirken als handlungsanleitende Möglichkeiten und somit normalisierend. Als Normativität wird etwas verstanden, was ständig neu produziert wird bzw. einem ständigen Wandel unterzogen ist und somit in eine florierende, wilde Struktur besitzt.12 Grundsätzlich unterscheidet man eine Norm in drei große Bereiche: Norm als Werteordnung, Norm als ethische Werte und Maßstäbe und Norm als rechtliche Vorschrift. Normen sind für eine Gesellschaft nicht nur in der Rechtssprechung relevant, sondern auch für die Alltagskoordination von Individuen. Sie begründen gewisse Rahmen, sind unterschiedlich ausgeprägt und sorgen für ein Spannungsverhältnis zum Individuum. Ferner sind sie für eine Gesellschaft unerlässlich, da sie den Querschnitt wiedergeben und für eine homogene, relativ stabile Gesellschaftsordnung sorgen sollen. Darüber hinaus können unter normativen Handeln auch Handlungen fallen, die dafür sorgen sollen, dass etwas gesellschaftlich akzeptabel gemacht wird, es also quasi normalisiert wird. Dies kann z.B. die wiederholte Beschreibung von besonderen Situationen oder ähnlichen sein, welche dann auf die Gesellschaft übertragen werden können um diese als solche zu etablieren.
Normalität ist aber weder das eine noch das andere, Normalität setzt sich aus Komponenten des Normalismus und der Normativität zusammen. Gesehen werden kann die Normalität auf allen Ebenen jeder Gesellschaft, diese sind Wirtschaft, Politik, Soziales und massenmediale Kultur, jedoch kann eine einzelne Instabilität zu einem Versagen des gesamten Systems führen. Ferner ist Normalität auch mehr als eine konstruierte soziale Wirklichkeit, sie kann als eine „[...] historisch spezifische, von der westlichen Moderne nicht ablösbare Emergenz seit dem 18. Jahrhundert [...]“13 gesehen werden. Normalität kann also als eine Herrschaftsform gesehen werden, welche Normativität mit dem flexiblen, aber auch dem Protonormalismus verbindet. Auf Basis dieser Verbindung findet die Normalität einen allgemeinen Konsens, den die Individuen akzeptieren und bearbeiten können. Bezogen auf den Ausnahmezustand können auch hier Rückschlüsse gezogen werden. Durch die Gestaltungsmöglichkeiten der Individuen kann festgelegt werden, wie er definiert wird, ab wann er gelten kann und welche Folgen auftreten können, wenn er ausgerufen wird.
2.2 Ausnahmezustand - Grundlagen und Bestimmungen
„Meine Meinung ist, daß Republiken, die in äußerster Gefahr nicht zur diktatorischen oder einer ähnlichen Gewalt Zuflucht nehmen, bei schweren Erschütterungen zugrunde gehen werden.“14
Grundsätzlich gilt: „Der Ausnahmezustand ist das letzte Mittel eines Staates, um seine Rechtsordnung, seine Sicherheit und letztlich seinen Bestand gegen massive Angriffe zu verteidigen“15. Als ultima Ratio handelt sich das Ausrufen des Ausnahmezustandes um eine Maßnahme auf Zeit, um in Zeiten eines Notstands die staatliche Ordnung zu gewährleisten. Keinesfalls gerechtfertigt ist die Verhängung des Ausnahmezustandes auf Dauer, wie es in einigen Ländern der Fall16 gewesen ist, da es nur eine vorübergehende Maßnahme ist, um einer extremen, zeitlich begrenzten Gefahrenlage entgegenzuwirken.
Der Begriff des Ausnahmezustandes wird oft in Anlehnung an das römische Recht, als „Diktatur“ bezeichnet und zeigt eine paradoxe Struktur:
„Die Diktatur ist in ihrem innersten Wesen selber eine Verfassungsanomalie. Es ist die eigentümliche Dialektik der Einrichtung, dass sie das, was sie schützen soll, eben um es zu schützen, angreifen 'muss', folglich auch - im Rahmen des Diktaturzwecks - angreifen darf.“17
Der eigentliche Schutzgegenstand, die Demokratie, wird angegriffen und aufgehoben, um sie zu beschützen. Die Sondermaßnahmen, die durch den Ausnahmezustand in Anspruch genommen werden, können nämlich in vielen Fällen dazu dienen, die Demokratie zu zerstören. Ferner ist der Ausnahmezustand als ein asymmetrischer Zustand zu kennzeichnen, der Recht und Unrecht verwebt und die rechtliche mit der politischen Ebene verbindet. Zudem kann ein Ausnahmezustand die grundlegenden Handlungsrahmen der Politik erweitern und ein Neu-Schreiben von Normen ermöglichen. Er kann also als Modus zur Erweiterung und Veränderung rechtlicher und gesellschaftlicher Normen und Werte bezeichnet werden.18
Der Ausnahmezustand darf in keinem Fall als etwas spezifisch modernes interpretiert werden, sondern muss als etwas historisch gewordenes und verschiedenste politische Ordnungen durchziehendes Instrument verstanden werden.19 Wie bereits angesprochen, findet man den Begriff im römischen Recht, aber beispielsweise auch in der spätscholastischen Theologie des Thomas von Aquin, darüber hinaus beispielsweise auch bei Machiavelli, Bodin, Hobbes oder Locke. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Theorie zum Ausnahmezustand im öffentlichen Recht, da er in der jeweiligen Epoche immer anders interpretiert wurde und als „Diktatur“ bezeichnet wurde. Der eigentliche Begriff des Ausnahmezustandes findet sich nach Cornelia Rauh im 19. Jahrhundert zunächst in der Psychopathologie, auch hier befasst er sich mit Abweichungen von der Norm.20 Während sich in der Medizin bereits der Begriff Ausnahmezustand etablierte, sprach die Politik vom Belagerungszustand. Dieser Begriff wurde erst um 1914 abgelöst, denn Ausnahmezustand galt als angemessenerer und modernerer Begriff. „Er umschloss (wie de facto der Belagerungszustand) gleichermaßen Aspekte der militärischen, der polizeilichen und der 'politischen' Sicherheit“21. Es muss angemerkt werden, dass hier nicht zwingend die Staats- und Rechtsordnung gemeint war, sondern auch die grundsätzlichen Veränderungen der persönlichen Lebens- und Erfahrungswelt, der Begriff Ausnahmezustand entwickelte sich zu einem „Modewort“.22
Die modernen Untersuchungen zum Ausnahmezustand beginnen mit Carl Schmitt, welcher zunächst beauftragt wurde, einen Bericht über das BelagerungszustandsGesetz zu verfassen und zu begründen warum es verlängert werden solle. In seinem Kommentar wünschte er sich zwar keine Ausweitung der Diktaturgewalt, stellt jedoch fest, dass es vor dem Militarismus keine Rettung gäbe. Weiter stellte er fest, dass man in Deutschland keinen liberalen Verfassungsstaat vorfand, sondern einen exekutiven Verwaltungsstaat.23 Durch seine Arbeiten grenzte er erstmals das semantische Feld des Ausnahmezustands ein.24 In seinen beiden Schriften „Die Diktatur“ von 1921 und „Politische Theologie“ von 1922 führte Schmitt zum ersten Mal eine erste monographische theoretische Auseinandersetzung mit dem Ausnahmezustand durch. Für Schmitt erschöpft sich Recht nicht im Gesetz, die Anwendung des Rechts wird für die Dauer des Ausnahmezustands suspendiert, das Gesetzt bleibt jedoch in Kraft. Auf Basis dieser Annahme ergab sich somit für Schmitt eine unreduzierbare Differenz zwischen Staat und Recht. Es kann zudem zu keiner Anarchie kommen, da nach Schmitts Verständnis immer noch eine juristische Ordnung bestehe, er wollte eine Verbindung zwischen Ausnahmezustand und Rechtsordnung herstellen. In Schmitts Theorie sind zwei Begriffe zentral: Die „pouvoir constituant“ (konstituierende Gewalt) und die „pouvoir constitué“ (konstituierte Gewalt) bzw. eine Unterscheidung zwischen Norm und Entscheidung. Verknüpft sind diese Begriffe mit dem Souverän. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“25. Der Souverän ist eine komplexe Figur, er ist zwar in der Rechtsnorm verankert, steht aber nach Schmitt über dieser und muss sich trotzdem an ihre Grundsätze halten. Nach Schmitt unterscheidet man in Bezug auf den Ausnahmezustand in zwei Kategorien, Kommissarische- und Souveräne Diktatur:
Die Kommissarische Diktatur ist von rechtlichen Schranken befreit, aber an den Diktaturzweck gebunden. Sie soll die (zur Zeit) suspendierte Verfassung verteidigen und wiederherstellen. Diese Regelung wird als die typisch Rechtsstaatliche Regelung angesehen, da Voraussetzungen und Tatbestände zunächst beschrieben werden müssen.
Bei der Souveränen Diktatur handelt es sich um eine Diktatur, die nicht an die suspendierte Verfassung gebunden ist und ihrerseits versucht, eine neue von ihr präferierte Ordnung zu etablieren. Das beste Beispiel für diese Art der Diktatur ist die des Nationalsozialismus, welche sich auf die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ gründete. 26
Auf Basis der Theorien von Carl Schmitt entstanden im Verlauf des 20. Jahrhunderts einige weitere Studien zum Thema. Zuletzt war es Giorgio Agamben, der mit seinem „Homo sacer Projekt“ eine großangelegte Auseinandersetzung mit dem Thema schuf. Er erweiterte das Themengebiet um den sogenannten „permanenten Ausnahmezustand“. Dieser gilt laut Agamben als normale Technik des Regierens.27 Diese Form des Ausnahmezustandes soll im folgenden betrachtet werden, da dieser als Grundlage für die Beispiele dienen soll.
[...]
1 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin 1950, S. 67.
2 So formuliert es Carl Schmitt in seiner Politischen Theologie, Vgl. Carl Schmitt, Politische Theologie, 1922, S.13.
3 Vgl. Rüdiger Voigt, Ausnahmezustand. Wird die Statue der Freiheit nur kurzzeitig verhüllt oder wird sie auf Dauer zerstört?, in: Ders.(Hg.), Ausnahmezustand. Carl Schmitts Lehre von der kommissarischen Diktatur, Baden-Baden 2013, S. 9-10.
4 Vgl. Ausnahmezustand: Alle Nachrichten und Informationen der FAZ, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://www.faz.net/aktuell/politik/thema/ausnahmezustand-p2 (Stand 12.09.2018).
5 Schmitt, PTh, S. 13.
6 Raul Zelik, Der bewaffnete Freund. Roman. 1. Aufl., München 2007 - S. 20.
7 Jürgen Link, Lässt sich der Notstand „normalisieren“? Normalismustheoretische Überlegungen. In Susanne Spindler und Iris Tonks (Hrsg.): AusnahmeZustände. Krise und Zukunft der Demokratie., Münster 20071, S. 21.
8 Anna-Lena Dießelmann, Ausnahmezustand im Sicherheits- und Krisendiskurs. Eine Diskurstheoretische Studie mit Fallbeispielen (Reihe Sprach- und Kommunikationswissenschaften, Band 4), Siegen 2015, S. 55.
9 Siehe hierzu ausführlicher Jürgen Link, Wird die Krise jetzt normalisiert? Über Krise und Normalität, in: kultuRRevolution 57 (2009).
10 Link, Notstand, S. 19.
11 Ebd., S. 19.
12 Vgl. Dießelmann, Ausnahmezustand, S. 63.
13 Jürgen Link, Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Wiesbaden 20092, S. 39.
14 Niccolo Machiavelli, Discorsi, in: Ders., Politische Schriften, Frankfurt am Main 1990, S. 185.
15 Voigt, Ausnahmezustand, S. 9.
16 In Algerien galt der Ausnahmezustand für etwa 19 Jahre oder auch in Ägypten gab es für etwa 30 Jahre einen Ausnahmezustand.
17 Heinrich Triepel, Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs im Verfassungsstreite zwischen Preußen und dem Reiche - Ein Schlusswort, in: Deutsche Juristen-Zeitung Heft 24 (1932), Sp. 1501-1508.
18 Vgl. Dießelmann, Ausnahmezustand, S. 66.
19 Vgl. Matthias Lemke, Demokratie im Ausnahmezustand. Wie Regierungen ihre Macht ausweiten, Frankfurt/New York 2017, S. 53.
20 Vgl. Cornelia Rauh, Ausnahmezustände und die Transformation des Politischen, in: Cornelia Rauh, Dirk Schumann (Hg.), Ausnahmezustände, Göttingen 2015, S. 10.
21 Ebd., S. 13.
22 Vgl. Ebd., S. 13.; Hans Boldt, Rechtsstaat und Ausnahmezustand. Eine Studie über den Belagerungszustand als Ausnahmezustand des bürgerlichen Rechtsstaates im 19. Jahrhundert, Berlin 1967, S. 375.
23 Vgl. Voigt, Ausnahmezustand, S. 10.
24 Vgl. Rauh, Ausnahmezustände, S. 16.
25 Schmitt, PTh, S. 13.
26 Vgl. Lemke, Ausnahmezustand, S. 94-100; Dießelmann, Ausnahmezustand, S. 66-70.
27 Vgl. Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt am Main 2004, S. 9.