Länder werden durch ihr Wachstum miteinander in der Gegenwart und mit sich selbst in der Vergangenheit verglichen. Wachstum scheint in wirtschaftlichen Analysen eine zentrale Rolle zu spielen. Doch warum wird überhaupt solch ein Fokus auf das Wachstum einer Wirtschaft gelegt? Welche Gründe hat die Politik eigentlich, immer weiter Wachstum anzustreben?
Gerade in Zeiten, in welchen man sich nicht über die Ursachen und Auswirkungen wirtschaftlicher und politischer Akteure aus dem Ausland sicher sein kann, sollte man zumindest einen Überblick über die eigene Situation erlangen. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit eine Aufarbeitung mit dem Thema Wirtschaftswachstum durch die leitende Fragestellung "Welche finalen Gründe lassen sich für den Zeitraum 2016 bis 2017 für das Streben der deutschen Bundesregierung nach fortgesetztem Wirtschaftswachstum identifizieren?" versucht.
Der US- amerikanische Tax Cuts and Jobs Act der im November 2017 vorgestellt wurde, wird von vielen stark in die Kritik genommen. Durch amerikanische Importzölle auf Stahl und Aluminium befürchten viele, dass sich dies in einen regelrechten Handelskrieg ausufern wird. Die Folgen für Politik und Wirtschaft sind noch nicht zu erahnen, aber es wird von einem negativen Bild ausgegangen. Und doch hat die OECD, eine "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" in einem Bericht seine Prognosen für die kommenden Jahre 2018 und 2019 nach oben geschraubt. Besonders im Mittelpunkt stand dabei das Wirtschaftswachstum. Dabei gilt vor allem Deutschland als ein solides Land in Sachen Wirtschaftswachstum. Wenn man solche Berichte durchliest, wird immer wieder die Wichtigkeit und die Stellung des Wirtschaftswachstums klar.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kurzer Forschungsstand
Theoretische Grundlagen
Methodisches Vorgehen
Darstellung der Befunde
Rückbindung der Befunde an den Forschungsstand
Literaturverzeichnis:
Fazit
Einleitung
Der US- amerikanische Tax Cuts and Jobs Act der im November 2017 vorgestellt wurde wird von vielen stark in die Kritik genommen. Durch amerikanische Importzölle auf Stahl und Aluminium befürchten viele, dass sich dies in einen regelrechten Handelskrieg ausufern wird. Die Folgen für Politik und Wirtschaft sind noch nicht zu erahnen, aber es wird von einem negativen Bild ausgegangen. Und doch hat die OECD, eine „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ in einem Bericht seine Prognosen für die kommenden Jahre 2018 und 2019 nach oben geschraubt. Besonders im Mittelpunkt stand dabei das Wirtschaftswachstum. „The world economy will continue to strengthen in 2018 and 2019, with global GDP growth projected to rise to about 4%, from 3.7% in 2017“, (OECD- Bericht 2018: 1). Dabei gilt vor allem Deutschland als ein solides Land in Sachen Wirtschaftswachstum: „Growth is set to remain solid in Germany“ (ebd.: 5). Wenn man solche Berichte durchliest wird immer wieder die Wichtigkeit und die Stellung des Wirtschaftswachstums klar. Länder werden durch ihr Wachstum miteinander in der Gegenwart und mit sich selbst in der Vergangenheit verglichen. Wachstum scheint einer in wirtschaftlichen Analysen eine zentrale Rolle zu spielen. Doch warum wird überhaupt solch ein Fokus auf das Wachstum einer Wirtschaft gelegt? Welche Gründe hat die Politik eigentlich immer weiter Wachstum anzustreben? Gerade in Zeiten, in welchen man sich nicht über die Ursachen und Auswirkungen wirtschaftlicher und politscher Akteure aus dem Ausland sicher sein kein, sollte man zumindest einen Überblick über die eigene Situation erlangen. Aus diesem Grund wird in dieser Seminararbeit eine Aufarbeitung mit dem Thema Wirtschaftswachstum durch die leitende Fragestellung: „Welche finalen Gründe lassen sich für den Zeitraum 2016 bis 2017 für das Streben der deutschen Bundesregierung nach fortgesetztem Wirtschaftswachstum identifizieren?“ versucht.
Kurzer Forschungsstand
In diesem Kapitel wird ein kurzer Forschungsstand des Themengebiets gegeben. Angesichts des Seminarrahmens erhebt dieser aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wirtschaftswachstum ist ein erheblicher Faktor, nach welchem sich die Wirtschaft eines Landes bemessen lassen kann. Deshalb ist die Frage nach den eigentlichen Gründen für Wirtschaftswachstum keine Unbedeutende. Die Motoren des Wirtschaftswachstums können auf Technologie, Ressourcen, und Institutionen (beziehungsweise stellvertretend für Institutionen ist der Staat als oberste Institution) zusammengefasst werden. Besonders die Rolle des Staates ist unter Ökonomen umstritten. Einige halten ihn für ein Hindernis, der „die unsichtbare Hand“1 behindert. Jedoch bleibt immer im Raum stehen, dass ohne den Staat keine Hand zustande kommen würde. Diese Ökonomen fordern deshalb einen Staat, der sich nur um die Zusicherung von Rechten und der Aufrechterhaltung der Ordnung kümmert, jedoch nicht in die Wirtschaft eingreifen darf. Auf der anderen Seite sind die, die dem Staat eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft geben. Institutionsökonomen sehen die Vorteile der niedrigen Transaktionskosten und Keynesianer sehen im Staat eine Kraft, welche korrigierend wirkt und soziale Ungerechtigkeit durch Umverteilung beseitigt (vgl. Vries 2011).
Bevor in dieser Arbeit die Gründe für Wirtschaftswachstum aufgeführt werden, wird ein kurzer stichpunktartiger historischer Kontext über die Rolle des Staates und die damit einhergehende Stellung von Wirtschaftswachstum vorangestellt. Dabei beziehe ich mich auf das Kapitel „Wirtschaftswachstum“, geschrieben von Peer Vries aus dem Buch „Wirtschaft und Gesellschaft“ (vgl. Vries 2011): Im Mittelalter war es die Rolle des Staates sich gegen Chaos und Anarchie durchzusetzen, um der Bevölkerung überhaupt Wachstumspotenziale zu bieten. Nachdem sich die ersten größeren territorialen Staaten gebildet haben, kamen auch wirtschaftspolitische Maßnahmen, die unter dem Begriff des Merkantilismus zusammengefasst werden, auf. Merkantilisten glauben nicht an ein unbegrenztes Wachstum im Inland, weshalb nur durch Gewinnung von Ressourcen wie Bodenschätze (speziell Edelmetalle) aus dem Ausland und der damit verbundene Handelsbilanzüberschuss, die Position des Staates in der Welt aufrechterhalten werden könne. Darauffolgend kam langsam das laissez- faire der klassischen Volkswirtschaftslehre auf und damit eine Rolle des Staates, die zumindest in der Theorie, wohl aber nie wirklich in der Praxis von einem nichteingreifenden Staat ausgeht. Das ein Staat nicht eingreifen sollte, war dennoch für viele nicht-demokratische Regime in Europa und den kommunistischen Staaten zur Zeit der Industrialisierung noch immer undenkbar, welche eine Stärkung des Staates als oberstes Ziel ansahen. Nach der großen Depression 1930 änderte sich das Bild in Europa. In der heutigen Zeit in Europa herrscht eine Vorstellung über den Staat als aktive Rolle im kapitalistischen System und zwar nicht nur in Zeiten der Krise. Von einer endgültigen Positionierung des Staates im Wirtschaftssystem kann man aber nicht sprechen. Die Debatten halten an, wie die der 1980er und 90er Jahre über den (Neo-) Liberalismus.
Um über die Gründe für Wirtschaftswachstum reden zu können, muss man zuerst über Wirtschaftswachstum und wie es ermittelt wird sprechen: Zur Ermittlung des realen Wirtschaftswachstums verwenden die meisten Staaten das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das BIP des Jahres 1 wird mit dem BIP des Vorjahres 0 verglichen und daraus das Wirtschaftswachstum vom Zeitraum 0 bis 1 berechnet. Der Vergleich zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren kann viel Aufschluss über Ereignisse und deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Gesamtlage eines Landes geben. Allerdings sehen viele Wirtschaftswissenschaftler wie Carl Christian von Weizsäcker ein Problem, wenn es um größere Zeiträume, als nur ein paar Jahre geht. Die Ausrechnung des BIP basiert zum Teil darauf, dass er die Warenwerte bestimmt. Waren die jedoch zum Zeitpunkt 0 noch gar nicht auf dem Markt waren können nicht in die Berechnung einfließen, müssen aber in die Berechnung zum Zeitpunkt 1, in der sie sehr wohl auf dem Markt sind miteinberechnet werden. Die Berechnung des Wirtschaftswachstums wird also bei zunehmenden zeitlichen Abständen immer ungenauer. Das führt gerade dann zu Schwierigkeiten, wenn es um langfristig verfolgte Prinzipien in der Wirtschaftspolitik kommt. Zum Beispiel die ökologische Nachhaltigkeit, welche über einen langen Zeitraum verfolgt und ins BIP durch neue ökologisch verträglichere Waren miteinbezogen werden muss (vgl. von Weizsäcker 2015). Es gibt bereits Debatten in der Wirtschaft, ob man deshalb nicht von einem quantitativen zu einem qualitativen Wirtschaftswachstum wechseln sollte, um das Problem der Nachhaltigkeit von der Wirtschaft lösen zu lassen. Damit würde auch ein Wirtschaftsstilwechsel einhergehen, der von intensiver Verbrauch natürlicher Ressourcen zu einem abgestimmten Verbrauch dieser Ressourcen übergeht, bei gleichbleibender Qualität der Güter. Es gibt aber auch andere Wege. Weizsäcker zum Beispiel hat eine Theorie aufgestellt, welche Grundlage zur alternativen Fortschrittsmessung sein könnte. Da die säkulare (materiell- messbare) Wirtschaftsrate des BIP ein „Phantom“ ist, braucht es einen neuen Weg, um den Fortschritt festmachen zu können. In dieser Theorie wird die „Qualität oder Performance einer Gesellschaft“ gemessen. Diese wird daran gemessen, wie gut „die Bedürfnisse der Bürger“ erfüllt werden und kann langfristig oder kurzfristig mit anderen Jahren ohne weiteres verglichen werden (vgl. ebd.).
Im weiteren Verlauf werden die genauen Gründe ausgebreitet. Die gängigsten Gründe, die sich in der Literatur zu Wirtschaftswachstum zu finden sind hat Joachim Radkau zusammengefasst: Zuerst gibt die sozialpolitische Argumentation. Diese beschreibt, dass das Stück des Kuchens, welches die Armen bekommen gleichzeitig mit steigender Kuchengröße größer wird. In anderen Worten, dass eine bessere Wirtschaft für alle von Vorteil ist. Aus diesem Grund soll, die Wirtschaft verbessert werden, sprich Wirtschaftswachstum. Auch aus psychologischen Gründen „brauche die Wirtschaft [...] die Hoffnung auf Wachstum“ (Radkau 2010: 43). Radkau argumentiert, dass das wirtschaftliche Leben so unsicher ist, dass Unternehmer „ohne eine klare Aussicht“ auf Wachstum nicht mehr investieren. Die Bundesregierung würde genau diese Taktik anwenden, wenn sie für eine Inflationsrate einplant. In keynesianischer Tradition ist auch die Umweltprämie der Bundesregierung für die Verschrottung von Autos. Dabei sollen den Unternehmern eine Aussicht auf Wachstum geboten werden. Auch die Gründe der fortschreitenden Technologie für Wirtschaftswachstum wird von Radkau veranschaulicht. Technologie setzt kontinuierlich Arbeitskräfte frei, weshalb Wachstum notwendig sei, um die Arbeitslosigkeit unter Kontrolle zu halten, beziehungsweise eine Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Als letzten Grund sieht Radkau den Konkurrenzkampf. In der Unternehmenswelt ist eine Erhaltung des Status quos nicht möglich, denn „wenn sich ein wirtschaftliches Subjekt mit seinem Status quo bescheide, werde es ihm nicht gelingen, selbst diesen Status quo zu halten, da die Konkurrenz den Bescheidenen an die Wand dränge“. Wirtschaftswachstum ist also notwendig für die Aufrechterhaltung des Status quo (vgl. ebd.: 44).
Irmi Seidl und Angelika Zahrnt sehen die Gründe für die Fixierung am Wirtschaftswachstum in Strukturzwängen und in der Finanzkrise von 2007. Durch die hohen staatlichen Kosten der Rettungsschirme und anderer staatlicher Stützungsmaßnahmen, sei zwar das Finanz- und Wirtschaftssystem stabilisiert worden, viele Staaten aber nun in einer Schuldenkrise stecken. Nach Ansicht von Seidl und Zahrnt ist es nun das Ziel in „Politik, Expertenkreisen und Wirtschaftspresse“ Wirtschaftswachstum zu steigern um die Probleme der „dreifachen Krise“ zu lösen. Die Krise unterteilt sich in drei Aspekte (man könnte auch behaupten, es handelt sich um drei zusammenhängende Krisen): Finanzen, Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte. Die Autorinnen geben auch zu erkennen, dass die Meinungen, welche Haushaltspolitik das Wirtschaftswachstum stärkt, auseinandergehen. Die grundlegendste Uneinigkeit besteht darin, ob der Staat sich noch mehr verschulden solle, um Impulse für Nachfrage und Investition zu schaffen oder ob der Staat seine Schulden abbauen soll, damit private Unternehmen Vertrauen schöpfen können, was sie zu mehr Konsum und zu mehr Investition anregen soll (vgl. Seidl 2010a: 179ff.).
Wie oben bereits erwähnt sehen Seidl und Zahrnt nicht nur die Finanzkrise, sondern auch Sach- und Strukturzwänge als Gründe für ein Festhalten am Wirtschaftswachstum. Die Kreditwürdigkeit eines Landes und damit die Konditionen der Kreditaufnahme hängen von dem Indikator Wirtschaftswachstum ab. Neben dieser makroökonomischen Struktur, welche Wirtschaftswachstum als wichtiges Ziel einer Wirtschaftsnation festlegt gibt es auch noch andere strukturelle Gründe für Wirtschaftswachstum. Viele Länder befinden sich seit Jahren in einer Schuldenspirale. Um die Schuldzinsen zu bedienen, müssen neue Kredite aufgenommen werden. Nur Wirtschaftswachstum hält die Hoffnung wach, irgendwann aus diesem Teufelskreis zu entkommen. Ein weiterer Punkt ist die in der Vergangenheit eingesetzte Strategie das Wirtschaftswachstum zu steigern, um die Krisen und Schocks besser abfangen zu können. Ein weiteres Problem, das sich durch Wirtschaftswachstum zumindest provisorisch lösen lässt, ist der demografische Wandel. Die Staatskasse braucht zur Versorgung einer immer älter werdenden Gesellschaft immer mehr Geld und Wirtschaftswachstum würde für mehr Möglichkeiten in der Staatskasse sorgen. Der letzte Grund, den die beiden Autorinnen anbringen, ist der des ungebrochenen Wachstumsglauben. Durch falsche Wachstumsprognosen und darauf ausgerichteten Haushaltsplänen „hinken die Einnahmen den Ausgaben hinterher“, sodass auch im nächsten Jahr wieder auf Wirtschaftswachstum gesetzt werden muss, um die Verschuldungen wieder auszugleichen (vgl. Seidl 2010a: 182f.).
Die Autorinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt haben zudem noch Argumente gegen eine Fortsetzung vom Paradigma des Wirtschaftswachstums formuliert. Eines dieser Argumente lautet, dass sich Wirtschaftswachstum nicht als ein universaler Problemlöser herausgestellt. Der Annahme, dass Wirtschaftswachstum eine Zunahme des Wohlstands, des Wohlergehens, der Zufriedenheit und des Glücks mit sich bringt stimmen die Autorinnen bis zu einem gewissen Grad zwar zu, sie sagen aber auch aus, dass ab einer gewissen Schwelle kaum noch oder gar keine Verbesserungen der Lebensqualität mit sich bringt, was auch zahlreiche Studien zeigen. Auch konnte das Wirtschaftswachstum die Arbeitslosenzahlen nicht nach unten drücken, da der technische Fortschritt Arbeit schneller effizient und damit Arbeitsplätze frei macht, als das sich durch Wirtschaftswachstum neue Arbeitsplätze bilden. Auch der soziale Ausgleich ist durch die immer größer werdenden Ungleichheiten, trotz Wirtschaftswachstums gescheitert. Ein Abbau der Staatsschulden ist auch nicht durch das Wirtschaftswachstum entstanden und die beiden Autorinnen bezeichnen eine Erwartung an die Möglichkeit, dass dies noch geschehen wird als „illusorisch“. Ein weiteres Argument lautet: „Wirtschaftswachstum verursacht ökologische Probleme und verhindert ihre Lösung“. Eine von vielen Politikern und Ökonomen erhoffte Entkopplung des BIP von zunehmenden Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen sehen die Autorinnen als bewiesen unrealistisch an. Eine neue Art des Wachstums (der Green Growth2 ) gilt nun als Hoffnungsträger, um die ökologischen Probleme des Wirtschaftswachstums in Grenzen zu halten. Für Seidl und Zahrnt sollte deshalb das Bauen auf Wirtschaftswachstum in Politik und Ökonomie aufhören und sich einer Postwachstumsgesellschaft hingeben. Einen Übergang zu dieser stellen die Autorinnen bereits fest, durch Sättigungstendenzen, einer möglichen Unabhängigkeit des wachstumsbasierten Systems von staatlichen Impulsen, und eine absehbare Stagnation und Abnahme des Volumens wirtschaftlicher Tätigkeit durch den demografischen Wandel (vgl. Seidl 2010b: 30ff.).
Neben Seidl und Zahrnt haben sich auch noch andere Autoren gegen das politische Ziel des fortgesetzten Wirtschaftswachstums und das BIP ausgesprochen. Die Kritik am BIP teilen Thomas Gambke und Thomas Potthoff. Diese haben sogar die These, dass die Fixierung auf das Wachstum des BIP eine der Ursachen ist für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen des industriellen Zeitalters, aufgestellt. Dabei begründen sie, dass „Nicht die Bedürfnisse der Menschen, nicht die Realwirtschaft oder die Ausrichtung an Werten“ im Vordergrund stehen, sondern „das Streben nach schneller Einkommens- und Vermögenssteigerung“ (Gambke 2012: 101). Deshalb fordern sie einen Rückpositionierung des Gemeinwohls als Mittelpunkt wirtschaftlicher Handlungen (vgl. Gambke 2012: 100ff.). Stefanie Vogelsang kritisiert am momentanen Wachstumsmodell der Bundesregierung, dass es nicht umweltverträglich, ressourcenschonend und nachhaltig ist. Aus diesem Grund fordert sie eine „neue Innovationskultur“, die den technischen Fortschritt nachhaltig fördert (vgl. Vogelsang 2012: 96f.).
Theoretische Grundlagen
In der Politikwissenschaft gibt es Begründungen von Vorgehensweisen, Denkschulen, Theorien und Weltansichten. Dabei wird aber kaum auf die Frage nach dem genauen Wert von Gründen und wie diese entstehen eingegangen. Doch gerade bei der Untersuchung über die finalen Gründe der Bundesregierung weiterhin nach Wirtschaftswachstum zu streben, ist eine Untersuchung dieser Frage wichtig. In den folgenden Abschnitten soll die Forschungsfrage erklärt, finale Gründe definiert und deren Relevanz elaboriert werden.
Diese Arbeit behandelt die Forschungsfrage: „Welche finalen Gründe lassen sich für den Zeitraum 2016 bis 2017 für das Streben der deutschen Bundesregierung nach fortgesetztem Wirtschaftswachstum identifizieren?“. Der kurze Zeitraum von zwei Jahren, lässt sich durch das Datenmaterial begründen, so wurde stark mit den Jahreswirtschaftsberichten der Bundesregierung aus den Jahren 2016 und 2017 gearbeitet. Hier muss aber eingeworfen werden, dass im Rahmen des Seminars keine Datensättigung erreicht worden ist. Jedoch wurden auch noch weitere Quellen und Begründungen herangezogen, welche ihren Ursprung nicht direkt in diesen Jahren haben, aber dennoch auf diese Auswirkungen hatten. Durch diese zeitnahe Analyse der beiden Berichte wurde besonders auf das Kriterium der Aktualität geachtet. Da der Jahreswirtschaftsbericht 2018 erst am 31.01.18 veröffentlicht worden ist und damit zeitlich zu knapp erschienen ist, ist er kein Teil dieser Arbeit.
Unter Streben nach fortgesetztem Wirtschaftswachstum wird hier der Wille der Bundesregierung und der einzelnen politischen Akteure verstanden, die das seit Jahrzehnten verwendete Modell eines jährlichen Wirtschaftswachstums, auch entgegen der Kritiken der Gegner dieses Modells, weiterverwenden wollen. Wirtschaftswachstum ist dabei eines der Schlüsselbegriffe. Wirtschaftswachstum wird durch eine Berechnung mit der Steigerung des Bruttoinlandprodukts festgestellt. Bei keiner Steigerung oder einer negativen Entwicklung des Bruttoinlandprodukts im Vergleich zum Vorjahr wird von einem negativen Wirtschaftswachstum oder Negativwachstum gesprochen. Dies war zum Beispiel 2009 aufgrund der Finanzkrise der Fall. Ansonsten ist seit Jahren das Ziel Wirtschaftswachstum mit Erfolg angestrebt worden. 2016 hatte Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 1,944% und hat damit ein höheres Wachstum als Frankreich mit 1,188% und dem Vereinigten Königreich mit 1,794% (Weltbank 2018). Deutschland führt in Sachen Wirtschaftswachstum in Europa. Gerade dass Deutschland Wirtschaftswachstum mit solchem Engagement verfolgt mit welchem andere europäische Länder nicht mithalten können oder vielleicht wollen, machen die deutschen Gründe für Wirtschaftswachstum interessant.
Als Gründe werden im alltäglichen Verständnis als das verstanden, was eine Handlung auslöst. Dennoch lässt sich die Alltagsdefinition etwas breiter ausfächern. Dabei sind Gründe: Die Handlungsentscheidungen, die mechanischen oder sozialen Ursachen, oder das Etwas, welches beim logische Zurückkehren an den Reaktionsursprung vorzufinden ist. In der Metaphysik werden Gründe auf „ein tieferes, umfassenderes Verstehen einer Überzeugung“ (Koritensky 2018: 143) bezogen. Damit sind Gründe etwas Individuelles, durch den Menschen erzeugt und geleitet. Dabei können Gründe auf zwei Weisen als wertvoll erachtet werden: „Wenn traditionelle Überzeugungssysteme über Religion und Natur eine Krise durchlaufen, geraten die Begründungen immer mehr in die Funktion, die Zustimmung zu sichern. Ihr Wert bemisst sich dann an dem Maß, in dem durch die Gründe Unsicherheiten überwunden werden [...] [oder, T.S.] aus der Entdeckung neuer Erkenntnisse“ (ebd.: 143). In dieser Arbeit wird der Wert der finalen Gründe ähnlich ausgelegt. Dabei sollen finale Gründe an Wert gewinnen, wenn sie über die Unsicherheit der zugrunde liegenden Wahrheit hinweghelfen oder wenn sie neue Erkenntnisse als Ursprung von Handlungsentscheidungen liefern. Die finalen Gründe werden damit als der Ursprung von Handlungsentscheidungen definiert. Dabei muss klargestellt werden, dass eine Handlungsentscheidung mehrere Ursprünge haben kann und ein Ursprung mehrere Handlungsentscheidungen nach sich ziehen kann. Damit wird auch der Fokus dieser Arbeit im Zusammenhang mit den finalen Gründen klar. Gründe werden nicht im Zusammenhang sozialer Konstruktion von Wissen und Wirklichkeit (vgl.Theorien von Berger/Luckmann) betrachtet oder durch institutionale Systeme begründet, sondern basieren allein auf den Denkprozessen, welche menschlichen Handelns vorausgehen.
Methodisches Vorgehen
Das methodische Vorgehen meiner Arbeit richtet sich nach der Methodologie der Grounded Theory. Diese wird zuerst näher ausgebreitet und wird gleichzeitig auf die praktische Anwendung dieser Arbeit übertragen.
Die Grounded Theory wurde in den 1960er Jahren von den beiden Soziologen Anselm L. Strauss und Barney G. Glaser in ihrem Buch „Discovery of Grounded Theory“ (1967) zum ersten Mal dargelegt. In der Grounded- Theory- Methodologie wird das Ziel dieser von Anselm Strauss als die Entdeckung einer Theorie beschrieben, welche nur auf Grundlage von Daten entsteht (vgl. Glaser/ Strauss 2005: 11). Es soll in der Theoriegenerierung nicht auf bereits vorhandene Theorien zurückgegriffen werden, sondern die Theorie soll aus den gesammelten Daten hervorgebracht werden. Allerdings haben die beiden Autoren in den 1970er Jahren ihre gemeinsame Position verlassen und haben jeweils eigene Entwicklungen an der Grounded Theory vorgenommen. Diese Aufteilung in zwei Varianten ist für Strübing erklärbar, da die beiden Autoren „recht unterschiedliche wissenschafts- und erkenntnistheoretische Positionen einnehmen. Während Strauss von der pragmatistisch vorgeprägten interaktionistischen Sozialtheorie kommt und diese wesentlich weiterentwickelt hat, ist Glaser ein Schüler der positivistisch-funktionalistisch geprägten Columbia School“ (Strübing: 2002). In dieser Arbeit wird die Version der Grounded Theory nach A. Strauss verwendet. Nach Strauss gibt es nur drei Kriterien einer Methode, damit sie sich Grounded Theory nennen darf. Als erste wird die „Art des Kodierens“ (Legewie 2004) genannt. Kodieren beschreibt dabei „den Prozess der Entwicklung von Konzepten in Auseinandersetzung mit dem empirischen Material“ (Strübing 2014). Es gibt drei verschiedene Formen des Kodierens, welche innerhalb des Forschungsprozesses keine feste Reihenfolge aufweisen können. Dennoch muss immer mit offenem Kodieren angefangen werden. Für offenes Kodieren ist „intensive Interpretationsarbeit an kleinteilig proportionierten Datensegmenten charakteristisch: Satz für Satz, Zeile für Zeile, Wort für Wort“ (Breuer 2018: 296). Dieses Vorgehen wird in dieser Arbeit in den analytischen Sequenzmemos, welche im Anhang dieser Arbeit beigelegt sind, durchgeführt. Die Aufgabe des axialen Kodierens „besteht darin, das fokussierte Konzept in seiner theoretischen Textur genauer differenzierter auszuloten und auszuarbeiten“ (Breuer 2018: 280). Dies geschieht in den Kategorienmemos, welche die Sequenzmemos fokussieren, Kategorien gebildet werden und diese durch weitere Sequenzen überprüft werden. Besonders fruchtbare Hypothesen werden als Schlüsselkategorien bezeichnet. Im selektiven Kodieren werden diese durch ihre Bezüge zu anderen Kategorien und Subkategorien systematisch ausgearbeitet (vgl. Strübing 2014: 21). Neben der Art des Kodierens wird das theoretische Sampling von Anselm benannt (vgl. Legewie 2004). Beim theoretischen Sampling wird die Datenerhebung durch bereits erhobene Daten angepasst. Durch dieses Vorgehen lassen sich bereits erstellte Hypothesen überprüfen und womit es den Forschungsprozess vorantriebt. Dabei ist „Theoretisches Sampling ist ein in mehrfacher Hinsicht Qualität sicherndes und kontrollierendes Verfahren: Es fördert einerseits die konzeptionelle Dichte der entstehenden Theorie [.] [und, T.S.] zugleich auch die Reichweite der Theorie“ (Strübing 2014: 32). In dieser Arbeit wurde weniger Wert auf diesen Teil gelegt, da durch den begrenzten Rahmen des Seminars nur eine kleine Auswahl an Daten überhaupt ausgewertet werden konnte. Durch bereits eine große Datenmenge durch die beiden Jahresberichte aufgekommen sind, sind nur wenige weitere Daten hinzugekommen. Die Datenauswahl der beiden Jahresberichte folgte, aufgrund des Aktualitätsanspruches und des zur Forschungsfrage passenden beinhalteten Themenkomplexe der Wirtschaft und der Politik. Neben theoretischen Sampling und des Kodierens werden die Vergleiche, die zwischen Kontext und Phänomen gezogen werden von Strauss hervorgehoben (vgl. Legewie 2004).
Die Einteilung der Kategorienmemos folgt dem Vorbild von Ulrich Roos (vgl. Roos 2013). Die Eigenschaften des Kodierbaum mit ersten Unmittelbarkeitsgrad liegen in der K100er- Kategorie. Durch einen zweiten Abstraktionsgrad, welcher im Kodierbaum die K200er- Kategorie besetzt, werden abduktive Schlüsse aus den Hypothesen der K100er- Kategorie gezogen, und somit nicht mehr unmittelbar aus dem Datenmaterial entstehen. Im Kodierbaum wird zudem die K300er- Kategorie für die Schlüsselkategorien belegt. Da aber im Rahmen der Forschungsarbeit keine Schlüsselkategorien gefunden werden konnten, wird die K300er- Kategorie freigelassen.
Darstellung der Befunde
In Anbetracht der Weiterverfolgung der Bundesregierung des Ziels eines fortgesetzten Wirtschaftswachstums, drängt sich die Frage nach den Gründen immer weiter auf. In den nachfolgenden Absätzen soll daher ein Überblick über die möglichen Gründe gegeben werden, welche im Rahmen des Seminars erarbeitet wurden.
[...]
1 Ein Begriff der auf den Denker und Ökonom Adam Smith zurückgeht. Dabei handelt es sich um eine Veranschaulichung der selbstregulativen Kräfte des Marktes.
2 Green Growth beschreibt ein Wachstumskonzept, dass Ökologie und Ökonomie positiv miteinander verbindet, ohne das radikale soziale oder politische Veränderungen durchgemacht werden müssen. Dabei wird sich dem Limit des Planeten/ der Umwelt unterworfen, aber nicht so, dass ökonomischer und ökologischer Erfolg grundsätzlich unvereinbar sind (vgl. Fiorino 2018).