Die nachfolgende Untersuchung soll nun neben einer Inhaltsangabe des Films und einer Darstellung filmspezifischer Werte des Drehbuchautors Wilders im Kontext des Films "Sunset Boulevard“ die musikalische Ideologie Waxmans am Film "Sunset Boulevard" fokussieren.
„Sunset Boulevard“ ist ein Film des Drehbuchautors und Regisseurs Billy Wilder, der in Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren Charles Brackett und D. M. Marshman, Jr. in Hollywood produziert und im Jahre 1950 veröffentlicht wurde. Sunset Boulevard wurde nominiert in der Oscar- Kategorie "Bester Film", William Holden in der Kategorie "Bester Schauspieler", Gloria Swanson in der Kategorie "Beste Schauspielerin" und Billy Wilder in der Kategorie "Bester Regisseur". Außerdem gewann Wilder zwei Academy Awards in der Kategorie "Beste Erzählung"und "Bestes Drehbuch" . "Sunset Boulevard" überzeugt nicht nur durch seine filmische Inszenierung. Ein Oscar erhielt der Filmkomponist Franz Waxman in der Kategorie "Beste Filmmusik“. Waxman gilt wohl als einer der musikalischen Ausnahmetalente, welcher aufgrund seiner jüdischen Abstammung das nationalsozialistische Deutschland frühzeitig verlassen musste, nach Amerika auswanderte und dort Filmmusik-Geschichte schrieb. Waxman gilt als Spezialist in seinem musikalischen Schaffen. Waxman stellte sein Talent zurecht in vielen Filmen unter Beweis. So gilt er als einziger Komponist der Filmmusik-Geschichte Hollywoods, der in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Oscar für die „Beste Filmmusik“ erhielt. Dies hat den Autor dazu bewegt, Waxmans und Wilders Arbeit am Film und der Musik zu "Sunset Boulevard"nicht nur rein objektiv zu analysieren, sondern vielmehr eine Analyse der Musik und des Films vor dem Hintergrund der Ideologien Waxmans und Wilders hervorzuheben.
Nach einer kurzen Inhaltsangabe des Films widmet sich diese Arbeit deshalb ausführlich den Ideologien der beiden Künstler, um besonders auch für die Musikanalyse des Films eine bessere Ausgangsbasis zu schaffen. Abschließend werden die Ergebnisse dann nochmals zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Inhaltsangabe zu „Sunset Boulevard“ (Boulevard der Dämmerung)
3. Filmanalyse zu „Sunset Boulevard“ im Kontext der Ideologie Billy Wilders
4. Das Leben, der musikalische Werdegang und die Ideologie Franz Waxmans
5 Musikanalyse zu „Sunset Boulevard“ im Kontext der Ideologie Waxmans
6. Fazit
7 Literaturverzeichnis
8 Filmverzeichnis
1. Vorwort
„Sunset Boulevard“ ist ein Film des Drehbuchautors und Regisseurs Billy Wilder, der in Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren Charles Brackett und D. M. Marshman, Jr. in Hollywood produziert und im Jahre 1950 veröffentlicht wurde. Brackett und Wilder kollaborierten bereits seit dem Jahr 1938 und schufen Meisterwerke wie „Bluebird's Eighth Wife, Ninotchka oder Ball of Fire, wobei „Sunset Boulevard“ als das bedeutendste Werk ihrer Zusammenarbeit gilt (Meyers, 1999, S. viii f.). Sunset Boulevard wurde nominiert in der OscarKategorie „Bester Film“, William Holden in der Kategorie „Bester Schauspieler“, Gloria Swanson in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ und Billy Wilder in der Kategorie „Bester Regisseur“. Außerdem gewann Wilder zwei Academy Awards in der Kategorie „Beste Erzählung“ und „Bestes Drehbuch“ (Meyers, 1999, S. xvi). „Sunset Boulevard“ überzeugt nicht nur durch seine filmische Inszenierung. Ein Oscar erhielt der Filmkomponist Franz Waxman in der Kategorie „Beste Filmmusik“ (Lucchesi, 2016, S. 111). Waxman gilt wohl als einer der musikalischen Ausnahmetalente, welcher aufgrund seiner jüdischen Abstammung das nationalsozialistische Deutschland frühzeitig verlassen musste, nach Amerika auswanderte und dort Filmmusik-Geschichte schrieb. Waxman gilt als Spezialist in seinem musikalischen Schaffen. Waxman stellte sein Talent zurecht in vielen Filmen unter Beweis. So gilt er als einziger Komponist der Filmmusik-Geschichte Hollywoods, der in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Oscar für die „Beste Filmmusik“ erhielt (Lucchesi, 2016, S. 111). Dies hat mich dazu bewegt Waxmans und Wilders Arbeit am Film und der Musik zu „Sunset Boulevard“ nicht nur rein objektiv zu analysieren, sondern vielmehr eine Analyse der Musik und des Films vor dem Hintergrund der Ideologien Waxmans und Wilders hervorzuheben. Die nachfolgende Untersuchung soll nun neben einer Inhaltsangabe des Films und einer Darstellung filmspezifischer Werte des Drehbuchautors Wilders im Kontext des Films „Sunset Boulevard“ die musikalische Ideologie Waxmans am Film „Sunset Boulevard“ fokussieren. Aufgrund dessen, dass die Ideologie der Schaffenden den Ausgangspunkt meiner Untersuchung darstellen wird, werden vorrangig Aspekte herausgearbeitet, welche die ideologischen Werte der Künstler bestärken und begründen. Als Hauptliteratur für die Filmanalyse werde ich Neil Sinyard und Adrian Turners Beitrag „BILLY WILDERS FILME“ verwenden, da dieses Werk ein mehrtägiges Interview mit Billy Wilder aus dem Jahr 1979 beinhaltet. Für die Filmmusikanalyse wird der Artikel Believe in Strong Themes'. Franz Waxman: Ein Filmkomponist Hollywoods“ des Autors Joachim Lucchesi herangezogen, da der Artikel eine hohe Anzahl an Originalkommentaren und Aussagen des Komponisten beinhaltet.
2. Inhaltsangabe zu „Sunset Boulevard“ (Boulevard der Dämmerung)
Am Anfang des Filmes wird der Hauptdarsteller Joe Gillis (William Holden) gezeigt, dessen Leichnam im Pool eines prunkvollen Anwesens auf dem Sunset Boulevard (Straße in Los Angeles, Kalifornien) schwimmt. Ein altbekannter Star soll in den Mord involviert gewesen sein. Daher eilen um fünf Uhr morgens Pressemitglieder und Einsatzkräfte der Polizei zum Anwesen der einst bekannten Stummfilm Ikone Norma Desmond. Im weiteren Verlauf dieser Filmsequenz richtet nun der tote Hauptdarsteller Joe Gillis als Off-Sprecher wirkend sein Wort an den Rezipienten. Joe betont, dass er selbst bevor die Klatschpresse ein verzerrtes Bild der Geschehnisse bezüglich seines Todes veröffentlicht auf den wahren Fakten und Geschehnisse basierend, seine Geschichte erzählt wird, welche mehrere Monate zuvor beginnt (Regents of the University of California, 1999, S. 9). Während Joe wieder einmal in seinem kleinen Apartment an einem neuen Drehbuch schreibt, suchen ihn eines Tages zwei Personen eines Inkassobüros (Lary J. Blake; Charles Dayton) auf. Diese wollen Joes Auto abholen, da er mehrere Ratenzahlungen vernachlässigt hat. Nachdem sich Joe mit einer Notlüge (er behauptet er hätte sein Auto einem Freund geliehen) aus der Situation retten kann, fährt er zu den Paramount Picture Studios, um dem Produzenten Sheldrake (Fred Clark) sein neues Skript vorzulegen. Der Produzent lässt seine Sekretärin Betty Schaefer (Nancy Olson) das Skript lesen, welche das Drehbuch abwertend kritisiert. Nach dem Misserfolg telefoniert Joe mit weiteren Firmen und Personen, sowie seinem Manager, welche wie Sheldrake kein großes Interesse an Joes Skript zeigen. Während der Rückfahrt Richtung Hollywood Stadt hadert Joe an seinem Vorhaben Drehbuchautor in Hollywood geworden zu sein und spielt mit dem Gedanken den Traum Hollywood zu beenden, in sein ursprüngliches Leben nach Ohio zurückzukehren und seinem „thirty-five-dollara week“ (Regents of the University of California, 1999, S. 21) Beruf erneut anzutreten. Während er nun in Gedanken vertieft auf den Straßen Los Angeles fährt, entdecken ihn die Inkassoangestellten in seinem Auto sitzend und es beginnt eine Verfolgungsjagd. Joe kann vor den Inkassoangestellten flüchten, indem er auf dem Sunset Boulevard in die Einfahrt eines großen Anwesens abbiegt. Aufgrund einer Reifenpanne stellt er sein Auto in der Garage des Anwesens ab und versucht den Hausbesitzer ausfindig zu machen. Joe beschreibt die Villa als eines der Häuser, welche „crazy movie people built in the crazy twenties“ (Regents of the University of California, 1999, S. 23) und als ein verwahrlostes Haus, das einen unglücklichen Eindruck hinterließe. Bald findet Joe heraus, dass das Anwesen von der fünfzigjährigen Stummfilm Ikone Norma Desmond (Gloria Swanson) und ihrem Diener Max von Meyerling (Erich von Strohheim) bewohnt wird. Beide halten Joe fälschlicherweise für den erwarteten Leichenbestatter, der einen Sarg für Normas verstorbenen Schimpansen bringen sollte. Letztendlich klärt Joe den Irrtum auf und gibt sich als Drehbuchautor zu erkennen. Norma bietet dem mittellosen Joe einen Job an, den er aufgrund einer hohen Gage nicht ausschlagen kann. Joe wird mit der Aufgabe betraut Normas Filmskript „Die Geschichte der Salome“ zu überarbeiten. Norma will dabei selbst in der Rolle der Salome die Hauptrolle übernehmen. Außerdem soll das Drehbuch unter der Leitung ihres Freundes dem Produzenten Cecille B. De Mille (Cecille B. De Mille) verfilmt werden. Weil Norma das Skript unter keinen Umständen aus der Hand geben will, wird Joe für eine Nacht in einer kleinen heruntergekommenen Wohnung über der Garage einquartiert (Regents of the University of California, 1999, S. 23ff.). Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass Norma bereits sämtliche Schulden von Joe bezahlt hat und Max all sein Hab und Gut aus dessen Appartement auf das Anwesen hat bringen lassen. Nach einem Streitgespräch zwischen Norma und Joe wird deutlich, dass Joe aufgrund seiner finanziellen Misere nur eine Option hat, nämlich auf dem Anwesen der Stummfilm Ikone weiterhin zu wohnen und das Skript zu überarbeiten (Regents of the University of California, 1999, S. 38ff.). Im weiteren Verlauf des Films stellt sich heraus, dass Max nicht nur Normas Diener ist, sondern einst auch ihr Liebhaber und Produzent war. Max vergöttert Norma und will den Schein von nie endendem Ruhm aufrechterhalten. Daher fingiert er Verehrer-Briefe von Fans, die schon lange nicht mehr existieren. Der Butler unterstützt so die, wie sich im Verlauf des Films herausstellt, gelebte Illusion Normas immer noch ein begehrter Filmstars zu sein. Diese Wahnvorstellung der Schauspielerin wird unterstützt durch Selbstportraits, welche sich in jedem Zimmer des Hauses befinden. Außerdem gibt es oftmals Bridge Abende mit ihren alten Stummfilm Kollegen und einmal in der Woche einen Kinoabend. Aus Gründen der Selbstinszenierung werden stets Filme gezeigt, die Norma als Hauptdarstellerin führen. Während des intensiven Zusammenlebens verliebt sich Norma in Joe. Norma verdeutlicht ihre Zuneigung zu Joe während einer Silvesterfeier. Allein für Joe lässt Norma eine kleine Musikerbesetzung spielen und fordert Joe zum Tanz auf. Joe ist gänzlich von der Situation überfordert, flüchtet aus dem Haus und besucht eine Party seines Freundes Artie Green (Jack Webb). Hier trifft Joe erneut auf Betty Schaefer, die mit Artie seinem Freund verlobt ist. Noch mitten in der Silvesternacht packt Joe den Entschluss Norma zu verlassen, doch während des Telefonats mit Max erfährt er, dass Norma seinetwegen einen Suizidversuch unternommen hätte. Daher kehrt Joe notgedrungen auf das Anwesen zurück und lässt sich widerwillig auf eine Beziehung mit der Filmdiva ein. Nach Fertigstellung des Drehbuches besucht Norma die Paramount Studios und trifft dort auf den Produzenten Cecille B. De Mille. Dieser scheint sichtlich irritiert, da er Norma nicht erwartet hat. Ohne vor Norma ein Wort zu verlieren stellt sich dabei heraus, dass Paramount nicht wegen Norma, sondern lediglich wegen ihres Wagens, der für Dreharbeiten benötigt worden wäre, angerufen worden sei. Diese Tatsache wird aber von Max und Cecille verschleiert, sodass Norma weiterhin glaubt, dass bald die Dreharbeit zu ihrem Film beginne. Im weiteren Verlauf des Films wendet sich Joe ohne, dass Norma davon Kenntnis besitzt einer geheimen Zusammenarbeit mit Betty Schaefer, die selbst Autorin werden will, zu. Nachts schleicht er sich heimlich nach draußen, um mit Betty an einem neuen Manuskript zu arbeiten. Norma ist sichtlich gekränkt, denn bevor sie Joe nachspioniert, erkennt sie mehr und mehr, dass Joe weniger Interesse an ihr zeigt. Norma führt darauf hin sämtliche Verjüngungskuren durch. Während Norma nun eines Tages von Eifersucht geprägt Joes persönliche Gegenstände durchwühlt, stößt sie auf das Manuskript „An untitled love story“ und den Namen Betty Schaefer. Kurzerhand beginnt Norma Betty telefonisch zu belästigen. Joe bemerkt dies und lädt Betty auf das Anwesen des Stummfilmstars ein, um seine missliche Lage aufzuklären. An dieser Stelle des Films wird deutlich, dass sich Betty und Joe ineinander verliebt haben. Nachdem Joe alle Fakten offenlegt und seine Beziehung mit Norma Desmond eingesteht, bittet Betty Joe mit ihr zusammen wegzugehen. Joe verneint dieses Vorhaben und fordert Betty auf ihren Verlobten Artie zu heiraten. Nach dem Streitgespräch und als Betty das Anwesen verlassen hat, fasst Joe den festen Entschluss, Norma endgültig zu verlassen und zu seinem alten Job zurückzukehren. Norma ist bestürzt und droht Joe zu erschießen. Joe kommentiert dieses Vorhaben als womöglich eine ihrer besten Inszenierungen und verlässt das Haus. Norma rennt Joe hinterher und erschießt ihn, woraufhin er in den Pool stürzt und stirbt. Am nächsten Tag wird die Ausgangssequenz des Filmes erneut gezeigt. Polizei, Journalisten, das Fernsehen und anderen Personen betreten das Anwesen Norma Desmonds, um den ominösen Mordfall zu dokumentieren. Die Polizei befragt Norma zu den Geschehnissen des vorherigen Abends. Sie scheintjedoch gedanklich abwesend zu sein. Erst als sie eine Stimme rufen hört, dass die Kameras aufnahmebereit seien, reagiert Norma. An diesem Punkt ist sie sichtlich der Überzeugung die Dreharbeiten zu ihrem Film „Die Geschichte der Salome“ hätten begonnen. Im Scheinwerferlicht stehend, schreitet sie die Treppe ihres Anwesens hinunter und wird dabei von Kameras gefilmt (Regents of the University of California, 1999, S. 42ff.) In der Illusion lebend, dass gerade eine Szene ihres Drehbuches verfilmt werden würde, verwechselt sie Max von Meyerling mit Cecille B. Demille und betont: „All right. Mr. DeMille. I'm ready for my closeup“ (Regents of the University of California, 1999, S. 126). Abschließend sie beendet ihre “Szene” und den Film mit einem Monolog.
3. Filmanalyse zu „Sunset Boulevard“ im Kontext der Ideologie Billy Wilders
„Ich mache alles: Ich mache Komödien, ich mache ernste Filme, [...] ich mache Filme über das heutige Amerika, [...]. Ich mache immer das, was mich so reizt im Moment. (Rasner & Wulf, 1980, S. 23) „Ich habe so etwas wie eine Philosophie; mag sein, daß sie zynisch ist, aber ich muß aufrichtig wiedergeben, was ich fühle“ (Sinyard & Turner nach Higham & Greenberg, 1980, S. 57f.) Aber ich hoffe natürlich, daß ein Thema, das mich im Moment reizt, [...] was ich selbst gerne sehen möchte, auch Millionen andere Menschen gerne sehen möchten. [...] Ich möchte, daß sie sich unterhalten, daß sie lachen oder auch etwas nachdenklich werden“ (Rasner & Wulf, 1980, S. 23). Für mich muß alles eine Logik haben, [...] der Zuschauer [muss] immer wissen, von wessen Standpunkt der Film ausgeht. Der Zuschauer muß die Handlung immer mit den Augen eines Charakters sehen (Rasner & Wulf, 1980, S. 39). Manchmal bin ich in heiterer Stimmung, [...] dann hätte ich es gerne wieder dramatisch oder ich bin, wie mir meine besten Freunde nachsagen, zynisch und liefere ein Skript wie Sunset Boulevard. Kann schon sein, daß dieser Film zynisch ist, aber für mich ist er Hollywood“ (Sinyard & Turner nach Wilder, 1980, S. 58).
Die einleitenden Aspekte, die Wilder selbst in Bezug auf sein Filmschaffen gegenüber den Autoren Rasner und Wulf im Jahr 1979 und Anderen äußerte, konstruiert ein klares Bild der filmspezifischen Ideologie Wilders. Mit „Sunset Boulevard“, das als ein Meisterwerk Wilders gilt, unterstreicht er seine künstlerische Haltung, indem er „die groteske Rücksichtslosigkeit der modernen Welt [in Sunset Boulevard: Filmbranche Hollywoods] bloßzulegen [versucht], [...] [und] kontroverse Stoffe [aufgreift]“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 60). Dieses Vorhaben, das Wilder pflegt, bewegte Kritiker dazu, „einige seiner [Billy Wilder] Filme als 'geschmacklos' abzustempeln“ (Sinyard & Turner, 1980, S.60). Beispielsweise wendete sich der Filmproduzent und Leiter der M.G.M. (Metro-Goldwyn-Mayer) Filmstudios Louis B. Mayer nach einer Vorstellung des Films „Sunset Boulevard“ in aller Öffentlichkeit an Billy Wilder und spottete: „You bastard, you have disgraced the industry [Filmbranche Hollywood] that made and fet you“ (Dickstein, 1988, S. 176). Die Aussage Mayers festigt die Tatsache, dass Wilder in seinem Film „Sunset Boulevard“ Kritik an der Filmindustrie Hollywoods ausüben wollte. Nicht zuletzt wird diese Position von Heckner (2000) unterstützt, indem sie betont, dass der Film u.a. „die zeitliche Bedingtheit von Hollywoods Starökonomie“ (Heckner, 2000, S. 10) thematisiert und kritisiert. Allgemeinbeschreibend kann Wilders filmspezifische Intention auf zwei große Themenblöcke reduziert werden. Einerseits auf „Klaustrophobie (Gefühl der Ausweglosigkeit, Hollywood als Monster, das seine eigenen Geschöpfe verschlingt) und [andererseits] auf dem [sic!] Konflikt zwischen Illusion und Wirklichkeit“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 324). Wilder scheint dieser Thematik, durch den Gebrauch stiltypischer Merkmale des Filmgenres „film noir“ gerecht werden zu wollen. Dies verdeutlicht ein direkter Vergleich verschiedener Ebenen des Films mit den Kriterien eines „film noir“ nach Sellmann (2001, S. 47f.). Vor diesem Hintergrund bewerten Sinyard und Turner exemplarisch betrachtet die szenische Inszenierung (Handlung, Setting & Bildsprache) der Eingangssequenz als „film noir“ charakteristisch1. Außerdem stellt der Hauptcharakter Norma Desmond im Einklang mit ihrer Handlungsmotivik gegenüber dem „von Anfang an zum Untergang verdammten Helden [Joe Gillis]“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 332) den dem „film noir“ entlehnten Charakter der „femme fatale“ (Sellmann, 2001, S. 48) dar. In ihrer Rolle als „femme fatale“ verkörpert sie zudem im Kontext ihres Daseins die von Wilder postulierte Kritik an Hollywood. Norma ist von der Filmwelt Hollywoods gebrandmarkt ohne dies bewusst wahrzunehmen. Einst als Stummfilm Ikone gefeiert, lebt Norma in der durch ihren Butler inszenierten Traumwelt die Illusion von nie endendem Ruhm. Wilder unterstreicht dazu den Charakter durch ein narzisstisches, sadistisches und psychotisches Verhalten, das Norma durchgehend zum Ausdruck bringt (Sinyard & Turner, 1980, S. 324ff.). Außerdem gestaltet er die Villa Normas al „ein Mausoleum vergangener Triumphe, überall hängen und stehen Bilder, die sie selbst [...] in jungen Jahren zeigen. Das Haus ist [...] ein Sinnbild ihres Wesens - üppig, altersschwach“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 333). Am Ende des Filmes krönt Wilder die, womöglich durch das „Monster Hollywood“ erzeugte Psychose Normas. Einerseits ermordet Norma den Mann (Joe), der sie verlassen will und so ihre Illusion gefährden würde und andererseits zeigt die letzte Filmszene, dass Norma nicht mehr zwischen Illusion (Norma denkt, sie inszeniert die Rolle der Salome und der Treppenabgang ihres Hauses stellt die Szenerie dar) und Wirklichkeit (Norma wird von dem Kamerateam der Nachrichtenagentur bzgl. eines Beitrages im Mordfall Joe gefilmt) unterscheiden kann (Sinyard & Turner, 1980, S. 333ff.). Stilprägend für den noir-Helden wird er zu Beginn des Filmes seiner Umwelt entfremdet (Sellmann, 2001, S. 47) und betritt die düstere noir-Welt der „femme fatale“. Dies geschieht an der Stelle des Films, als er in die Einfahrt zu Desmonds Villa abbiegt, sich im Gespräch mit Norma als teuren Ghostwriter anzubieten weis, lediglich an das Geld denkt, das er verdienen könnte, ohne die Konsequenzen seiner Einwilligung zu hinterfragen dem Auftrag Normas zustimmt und vorerst negierend aber letztlich dauerhaft auf Normas Anwesen einquartiert wird (Sinyard & Turner, 1980, S.325). Im weiteren Verlauf des Films wird Joe zunehmend durch Normas Verhalten und dem Leben in ihrer Welt bestimmt. Nach Sinyard und Turner (1980) nutzt Wilder für dessen Filme charakteristische Methoden, um dies zu verdeutlichen. Beispielsweise lässt Norma Joe ausschließlich Kleidungsstücke tragen, die sie ihm gekauft hat „und die ihn in ihrer Extravaganz aus dem Kreis seiner Freunde ausschließen“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 326). Die Sequenz des Films, welche Joe endgültig von der normalen Welt abschneidet, ereignet sich in Bezug auf den Suizidversuch Normas in der Silvesternacht. Gegen seinen Entschluss, Norma endgültig zu verlassen, kehrt Joe von Mitleid und Schuldgefühlen geprägt, in das, wie Sinyard und Turner es beschreiben Gefängnis zurück und stimmt der festen Beziehung mit Norma zu. Im weiteren Verlauf des Films zeichnen sich aufgrund der eintretenden Dreiecksbeziehung Betty-Joe-Norma Spuren eines faustischen Motivs ab, das Wilder oftmals in seinen Filmen einsetzt (Sinyard & Turner, 1980. S. 328). Joe verkauft seine Selbstachtung [an Norma]" (Sinyard & Turner, 1980, S. 329) und deren „weltliche Gaben und widersteht der Anziehung eines braven Madchens [Betty Schaefer], das seine Seele zu retten versucht" (Sinyard & Turner, 1980, S. 329). Vor dem Hintergrund der Intention des Regisseurs die Ausweglosigkeit und Hollywood als Monster zu thematisieren, stellen Sinyard und Trunerfest: „Was Joe in dem Film widerfahrt, lasst sich als eine Reihe fehlgeschlagener Fluchtplane interpretieren. Zuerst geht er nach Hollywood [...] am Ende des Filmes [will er] raus aus Hollywood, [...] urn zu seinem alten Job zuruckzukehren, als ervon Norma niedergeschossen wird" (Sinyard & Turner, 1980, S. 324). Im Gesamtbild betrachtet folgt der Film trotz allem nicht ausschliefilich den Konventionen (Zynismus) eines klassischen „film noir". Sinyard und Turner widerlegen dies am Beispiel der Charakterentwicklung von Joe Gillis mit folgenden Worten: „Ein Wilder-Held verkommt niemals. Ein Zyniker wiirde es nicht zulassen, daR> in der menschlichen Natur sich etwas zum Besseren wendet. Die Moglichkeit der Umkehr, das Heranreifen des Helden zu einer menschlicheren Haltung ist eine fundamentale Bedingung der Wilderschen Welt. [...] Die Helden geben ihre materielle Sicherheit auf, wenn personliche, moralische Prinzipien es erfordern" (Sinyard & Turner, 1980, S. 58f.). Des Weiteren sind nach Sellmann (2001, S. 48) im Kontext der narrativen Mittel eines „film Noir" „voice-over" Narrationen und Ruckblenden stilfuhrend. Doch kann dies im Film „Sunset Boulevard" nicht als den noir-Stil unterstreichendes Mittel bewertet werden, sondern lediglich als Mittel zum Zweck. Dies verdeutlicht ein Kommentar Wilders: „voice-over-narration mache ich manchmal [...] Es gibt Dinge, die sind nur sehr schwer zu zeigen, Informationen, die der Zuschauer braucht, urn die Geschichte zu verstehen. Oder es wiirde zu lange dauern, sie zu zeigen. Da kann man dann in zwei, drei Satzen eines Erzahlers eben soviel unterbringen wie in fiinfzehn Minuten Film" (Rasner & Wulf, 1980, S. 35). Aufierdem betont Wilder bezuglich des Einsatzes von Ruckblenden: „durch die Riickblendentechnik kann man [...] das Interesse des Zuschauers wecken" (Rasner & Wulf, 1980, S. 35). Nach Wilder beginnen die meisten Filme eher undramatisch und unspektakular. Daher legt er gerne wie beispielsweise in „Sunset Boulevard" den Anfang der Geschichte weiter nach hinten und beginnt mit einer dramatischeren Szene gegen Mitte Oder Ende des Films (Rasner & Wulf, 1980, S. 35). Nun zum letzten Aspekt, denn ich heranziehen werden, urn Wilders Ideologie in Verbindung mit seinem Werk „Sunset Boulevard" zum Ausdruck bringen zu konnen. Am Ende des Statements Wilders zu Beginn des Kapitels betont er bezuglich des Films „Sunset Boulevard": „fur mich ist er Hollywood" (Sinyard & Turner nach Wilder , 1980, S. 58) Wilder stellt dies im Film unweigerlich dadurch zum Ausdruck, dass er „wirkliche Hollywoodschauspieler und -regisseure Seite an Seite mit fiktiven Figuren zeigt, die vom Film besessen sind, [...] [wodurch] die Grenze zwischen dem Faktischen und dem Phantastischen zusehends [verwischt]" (Sinyard & Turner, S. 323). Sinyard und Turner verdeutlichen diesen extremen Realitatsbezug an den Charakteren Joe Gillis und Norma Desmond. „Joe Gillis, der Drehbuchautor, der verzweifelt seine Chance zum Durchbruch sucht, wird von William Holden gespielt, der vorher, bis er durch Sunset Boulevard Beruhmtheit erlangte, bei Paramount ein Vertragsschauspieler mit kleinen Rollen als Liebhaber in unbedeutenden Filmen gewesen war. Norma Desmond wird von Gloria Swanson gespielt, die selbst ein legendarer Star der Stummfilmzeit war, deren Popularitat mit dem beginnenden Tonfilm ziemlich zuruckgegangen war und die nun in Sunset Boulevard ihr dramatisches Comeback hat" (Sinyard & Turner, 1980, S. 322). Der eindeutige Realitatsbezug den Wilder zum Ausdruck bringen wollte, verstarkt er in der Filmszene, wenn sich Norma mit ihren Freunden zum Bridge spielen trifft. Die Freunde Normas sind allesamt ehemalige Arbeitskollegen, die in der realen Welt einst Stummfilmstars waren und dessen Erfolg mit dem Beginn des Tonfilms endete. Zu nennen sei „H.B. Warner, der in DeMilles The King Kong (1927) den Christus spielte, Anna Q. Nilsson, die in Regeneration (1916), dem ersten Film von Raoul Walsh, die Hauptrolle hatte, und Buster Keaton, der hier eines der wenigen von ihm auf der Leinwand gesprochenen Worte sagt: 'Passe'!" (Sinyard & Turner, 1980, S. 323). Weitere Zusammenhange die, die fiktive Welt zunehmend mit der realen Welt verschmelzen lassen eroffnet sich dem Rezipienten wahrend des Kinoabends im Hause Desmonds. „Der Film, den sie [Norma] und Joe sich ansehen, ist nicht blofi ein frei erfundener Norma Desmond-Film, es ist Queen Kelly mit Gloria Swanson in der Hauptrolle, 1928 von Erich von Stroheim [Butler Max] inszeniert" (Sinyard & Turner, 1980, S. 322). Ein hier nun als letzten Aspekt genannten Zusammenhang zwischen Fiktion und Realitat wird durch den Gastauftritt des Produzenten Cecille B. DeMilles ersichtlich. Im Film besucht Norma, wahrend den Dreharbeiten zum Film „Samson and Delilah", welcherzu dieser Zeit tatsachlich bei Paramount produziert wurde auf Demille. „DeMille verhalf Gloria Swanson 1919 mit Don't Change Your Husband zum Durchbruch, und hier begriiftt er Norma Desmond mit 'Hallo, Kiiken', gerade so wie er Gloria Swanson stets genannt hatte" (Sinyard & Turner, 1980, S. 323).
[...]
1 Sinyard und Turner schreiben bzgl. der szenischen Inszenierung des Films: „Sunset Boulevard fängt wie ein Gangsterfilm an [...] Polizeirennen im Morgengrauen, zwei bedrohliche Männer von einer Finanzierungsgesellschaft, eine Verfolgungsjagd im Auto. [...] Dies verbindet Sunset Boulevard unweigerlich mit dem film noir“ (Sinyard & Turner, 1980, S. 332). Außerdem werden stiltypisch für einen „film noir“ viele Filmszenen in Interieurs gespielt (Sellmann, 2001, S. 47f.).