Diese Arbeit befasst sich mit der Thematik des Mindesthaltbarkeitsdatums und Möglichkeiten, sogenannten Food Waste zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) garantiert, wie lange der Inhalt einer ungeöffneten Packung keinen Qualitätsverlust erleidet. Wird die Ware länger gelagert, hängt es von äußeren Umständen ab, ob sie weiterhin zu konsumieren ist. Somit ist das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht automatisch ein Wegwerfsignal. Viele Menschen haben jedoch scheinbar verlernt, ihre Sinne zu nutzen, um zu entscheiden, welche Lebensmittel noch zum Verzehr geeignet sind.
In der heutigen Zeit ist angesichts von landwirtschaftlicher Massenproduktion und ständiger Verfügbarkeit von Nahrung der Respekt vor Lebensmitteln und ihrem Wert abhandengekommen. Auch das Bewusstsein, Nahrung für den Winter oder karge Zeiten lagern zu müssen, ist in Zeiten des Supermarkts fast vollständig verloren. Eine Studie für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat 2012 festgestellt, dass jedes achte Lebensmittel - meist noch in Originalverpackung - entsorgt wird. Das bedeutet pro Kopf und Jahr etwa zwei volle Einkaufswagen im Wert von 235 €. Um Lebensmittel herzustellen, werden aber viel Energie und andere Ressourcen verbraucht. Hier ist vor allem die Verschwendung zu kritisieren, da Nahrungsmittel weggeworfen werden, obwohl sie noch gegessen werden könnten.
Inhaltsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemdefinition
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Methodik
2.1 Forschungsleitende Fragen
2.2 Methodische Vorgehensweise
2.2.1 Literaturrecherche
2.2.2 Dokumenten- und Rechtsquellenanalyse
2.2.4 Befragung
2.2.5 Beobachtung
3. Theorie
3.1 Einordnung in die Wissenschaftsgebiete
3.2 Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit
3.3 Rechtswissenschaftliche Aspekte des Mindesthaltbarkeitsdatums
3.4 Beschaffung als betriebswirtschaftliche Aufgabe
3.5 Abfallwirtschaft
4. Empirie
4.1 Erkenntnisse zu Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit
4.2 Erkenntnisse zu rechtlichen Aspekten
4.3 Erkenntnisse zur Beschaffung und zum Einkaufsverhalten
4.4 Erkenntnisse zur Abfallwirtschaft
5. Fazit
5.1 Zusammenfassung
5.2 Diskussion und Fazit
5.3 Ausblick und Forschungsbedarf
6. Quellenverzeichnis
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Dokumentenquellen
6.3 Rechtsquellen
7. Anhang
7.1 Fragebogen zur Onlinebefragung
7.2 Beobachtungsplan und Protokoll der Vor-Ort-Beobachtung
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Leitfragen zu den verschiedenen Teilbereichen
Abbildung 1: Zusammenhang der einzelnen Wissensgebiete
Abbildung 2: Wertschöpfungskette für Lebensmittel
Abbildung 3: Zusammensetzung der Umfragestichprobe (in %)
Abbildung 4: Selbsteinschätzung der Nachhaltigkeit des Einkaufsverhaltens
Abbildung 5: Wichtige Kriterien beim Einkauf von Lebensmitteln
Abbildung 6: Wichtige Gründe, Lebensmittel wegzuwerfen
Abbildung 7: Anfall von Lebensmittelabfällen bei den Konsumenten
Abbildung 8: Häufigkeit von Lebensmittelabfällen nach Altersgruppen (in %)
Abbildung 9: Strategien der Entsorgung und der Resteverwertung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Problemdefinition
In der heutigen Zeit ist angesichts von landwirtschaftlicher Massenproduktion und ständiger Verfügbarkeit von Nahrung der Respekt vor Lebensmitteln und ihrem Wert abhandengekommen. Auch das Bewusstsein, Nahrung für den Winter oder karge Zeiten lagern zu müssen, ist in Zeiten des Supermarkts fast vollständig verloren.1 Eine Studie für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat 2012 festgestellt, dass jedes achte Lebensmittel - meist noch in Originalverpackung - entsorgt wird. Das bedeutet pro Kopf und Jahr etwa zwei volle Einkaufswagen im Wert von 235 €.2 Um Lebensmittel herzustellen, werden aber viel Energie und andere Ressourcen verbraucht. Hier ist vor allem die Verschwendung zu kritisieren, da Nahrungsmittel weggeworfen werden, obwohl sie noch gegessen werden könnten.
Die vorliegende Arbeit befasst sich deshalb mit der Thematik des Mindesthaltbarkeitsdatums und Möglichkeiten, sogenannten Food Waste zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) garantiert, wie lange der Inhalt einer ungeöffneten Packung keinen Qualitätsverlust erleidet. Wird die Ware länger gelagert, hängt es von äußeren Umständen ab, ob sie weiterhin zu konsumieren ist. Somit ist das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht automatisch ein Wegwerfsignal. Viele Menschen haben jedoch scheinbar verlernt, ihre Sinne zu nutzen, um zu entscheiden, welche Lebensmittel noch zum Verzehr geeignet sind.3
1.2 Zielsetzung
Bei der Frage, wie respektvoll Menschen mit Lebensmitteln umgehen, wird immer wieder die Meinung vertreten, Nahrung habe für viele Menschen keine besondere Bedeutung mehr und es fehle an Wissen, wie Nahrungsmittel produziert und verarbeitet werden.4 Um dies zu überprüfen, setzt diese Arbeit bei einer Analyse der Verbraucherstrategien beim Einkauf und bei der Verwendung von Lebensmitteln an. Mithilfe einer Onlinebefragung und einer Vor-Ort-Beobachtung will sie insbesondere herausfinden, inwiefern den Konsumenten Möglichkeiten einer nachhaltigen Ressourcenschonung bewusst sind und wie sie diese umsetzen. Wie wird das MHD in der Praxis wahrgenommen und angewendet oder spielt es nur eine untergeordnete Rolle? Um Erkenntnisse für die Praxis ableiten zu können, ist es gleichzeitig nötig, nach dem theoretischen Sachstand und vor allem nach dem Handlungsbedarf in verschiedenen Fachbereichen zu fragen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum verknüpft dabei insbesondere Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliche und unternehmensethische Frage, lebensmittelrechtliche Aspekte, Probleme der Beschaffung als Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre sowie Grundfragen der Abfallwirtschaft.
1.3 Aufbau der Arbeit
Um Antworten zu erhalten, geht die Arbeit in drei Schritten vor. In Kapitel 2 werden zunächst die verwendeten Methoden der Primär- und Sekundäranalyse erläutert. Sowohl der theoretische Teil (Kapitel 3) als auch der empirische Teil (Kapitel 4) orientieren sich dann an forschungsleitenden Fragen, die sich aus der Fragestellung dieser Arbeit für die vier genannten Wissensbereiche ergeben (vgl. Tabelle 1). Zunächst werden entsprechende theoretische Grundlagen erarbeitet, um diese dann mit der alltäglichen Praxis der Konsumenten und Unternehmen in Bezug zu setzen. Im Mittelpunkt steht die Auswertung der Onlinebefragung unter 435 Konsumenten, die durch die Erkenntnisse der Vor-Ort-Beobachtung in Supermärkten ergänzt und mit anderen Forschungsergebnissen verglichen wird. Welches Bild sich daraus ableiten lässt, diskutiert das Fazit.
2. Methodik
2.1 Forschungsleitende Fragen
Die vorliegende Arbeit lässt sich der empirischen Wissenschaftsforschung zuordnen und will durch ausgewählte Forschungsmethoden Erkenntnisse über die soziale Wirklichkeit gewinnen.5 Die eigene Befragung und Beobachtung ermöglichen es, das theoretische Wissen kritisch zu überprüfen, bedürfen aber gleichzeitig theoretischer Grundlagen, um die Informationen strukturieren und interpretieren zu können. Wie Tabelle 1 zeigt, kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, da die Arbeit bewusst einen Mixed-Method-Ansatz verfolgt, der Primär- und Sekundäranalysen kombiniert, um das Thema aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten und dadurch die Validität der Ergebnisse zu erhöhen.6 Die relevanten Methoden der Sekundäranalyse (Literaturrecherche, Rechtsquellen- und Dokumentenanalyse) sowie der Primäranalyse (Beobachtung und Befragung) werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Tabelle 1 : Leitfragen zu den verschiedenen Teilbereichen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
2.2 Methodische Vorgehensweise
2.2.1 Literaturrecherche
Der theoretische Teil dieser Arbeit beruht auf einem intensiven Literaturstudium. Hauptquellen waren verschiedene Aufsätze und Monografien, aber auch Internetseiten. Primär erfolgte die Recherche in Bibliotheken und Datenbanken, sekundär auch online, wobei Wert auf Zitierwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Identifizierbarkeit gelegt wurde.7 Dabei wurden für die Wissensgebiete theoretische Grundlagen erarbeitet, um den Umgang mit Lebensmittelabfällen beurteilen zu können.
2.2.2 Dokumenten- und Rechtsquellenanalyse
Die Dokumentenanalyse ist eine Methode, um durch Sammeln und Untersuchen schon vorhandener Dokumente wie Akten, Websites oder Sitzungsprotokollen empirische Daten zu erhalten. Diese werden qualitativ oder quantitativ erhoben, ausgewertet und interpretiert.8 Entsprechende Dokumente ließen sich ähnlich wie bei der Literaturrecherche ermitteln. Besonders erwähnt seien hier die Langzeitstudie von Kranert et al. im Auftrag des BMEL und eine Umfrage der Verbraucherzentrale NRW e. V. (VZ NRW), die für eine Sekundärdatenanalyse genutzt wurden.9
Aufgrund der strengen gesetzlichen Auflagen in Deutschland findet sich Material auch in Gerichtsentscheidungen und anderen Rechtsdokumenten. Hier wird die Rechtsquellenanalyse relevant, die durch Subsumtion Rechtsnormen auf konkrete Sachverhalte anwendet.10 Im engeren Sinne beinhaltet sie Obersatz, Untersatz und Conclusio. Der Obersatz gibt die Rechtsnorm an, während der Untersatz den Sachverhalt wiedergibt. In der Conclusio wird über den Sachverhalt geurteilt.11 Hier gilt es die Lebensmittelhygiene-Verordnung (LMHV), die Lebensmittelkennzeichnungs-Verordnung (LMKV), die seit Dezember 2014 geltende EU-Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) sowie das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) zu berücksichtigen.12
2.2.4 Befragung
Bei der Befragung als Methode der empirischen Sozialforschung ist grundsätzlich zwischen schriftlicher und mündlicher Befragung zu unterscheiden. Gleichzeitig gibt es verschiedene Formen der Standardisierung, die wie etwa halbstrukturierte Interviews oder Fragebögen unterschiedliche Arten der quantitativen oder qualitativen Auswertung erlauben. Nur durch eine methodisch solide Befragung kann der Grad der realisierten Maßnahmenorientierung ermittelt und optimiert werden.13 Im Rahmen dieser Arbeit wurde über das Portal www.umfrageonline.de ein Fragebogen erstellt, wobei Interessenten über Social-Media-Kanäle auf die Befragung aufmerksam gemacht wurden und zwischen dem 8. und 12. Dezember 2016 eigenständig und anonym teilnehmen konnten.
Der Fragebogen ist im Anhang abgedruckt. Er wurde in einer teilstandardisierten Form konzipiert, um zumindest punktuell Möglichkeiten zur eigenen Meinungsbildung zu schaffen. Dabei wurden eine offene und zwölf geschlossene Fragen gestellt.14 Teilweise kamen auch eindimensionale Messverfahren zum Einsatz, die es über Skalen erlauben, Zufriedenheitsgrade messbar zu machen.15 Der Fragebogen erfragte Verhaltensweisen und Erfahrungen in Bezug auf das Einkaufsverhalten und den Umgang mit Lebensmittelresten. Zudem beantworteten die Befragten einige Fragen zur sozioökonomischen Verortung. Solche Social-Media-Umfragen sind inzwischen üblich, auch wenn aufgrund der Nutzerstruktur Probleme bei der Repräsentativität entstehen („Coverage“-Problem).16 So ergibt die Zahl von 435 Teilnehmern, von denen 395 den Fragebogen komplett ausfüllten, zwar eine große Stichprobe, dass allerdings nur 37 (8,5 %) älter als 35 Jahre waren, schränkt die Verallgemeinerbarkeit ein.
2.2.5 Beobachtung
Beim Beobachten geht es um eine aufmerksame und zielgerichtete Wahrnehmung von Vorgängen oder Objekten, wozu gegebenenfalls technische Hilfsmittel (Foto- oder Videokamera) zur Hilfe genommen werden.17 Im Gegensatz zu Messungen, die auf Quantitäten zielen, handelt es sich um eine qualitative Erfassung. Um systematisch und objektiv zu sein, wird ein Beobachtungsplan erstellt, der festlegt, was von wem wann beobachtet wird, und die Beobachtungen werden protokollieren.18 Für die vorliegende Arbeit wurde in Supermärkten über eine gewisse Zeit beobachtet, wie Kunden und Unternehmen mit Lebensmitteln verfahren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist bzw. bald abläuft. Diese Beobachtung soll einerseits die Ergebnisse der Befragung ergänzen, andererseits den Handel als Akteur stärker einbeziehen. Beobachtungsplan und Protokoll befinden sich im Anhang.
3. Theorie
3.1 Einordnung in die Wissenschaftsgebiete
Das Thema Mindesthaltbarkeit stellt eine Schnittmenge aus verschiedenen Wissensbereichen dar (vgl. Abbildung 1). Ökologie Umwelt und Nachhaltigkeit spielen dabei nicht nur für die Verbraucher eine entscheidende Rolle, sondern sind auch Teil der Unternehmensethik von Erzeugern, Verarbeitern und Supermärkten. Die rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen erlaubt es erst, den Umgang mit dem MHD normativ zu beurteilen. Der betriebswirtschaftliche Fachbereich der Beschaffung hilft zu verstehen, wie die Lebensmittel zu den Konsumenten gelangen und welche Kriterien jene bei der Kaufentscheidung zugrunde legen können. Die Abfallwirtschaft bestimmt schließlich die Entsorgung von Lebensmitteln.
Abbildung 1 : Zusammenhang der einzelnen Wissensgebiete
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
3.2 Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit
Food Waste ist ein Problem, welches das nachhaltige Bewusstsein von Unternehmen und Verbrauchern gleichermaßen betrifft. Nachhaltigkeit ist heute ein wichtiges politisches Ziel, um nachfolgenden Generationen die Lebensgrundlage zu bewahren, das ökonomische, ökologische und soziale Aspekte umfasst.19 Bei Food Waste greifen diese Dimensionen ineinander. Die entsorgten Lebensmittel sind produziert, verarbeitet, verpackt, transportiert und gelagert worden, das heißt, sie haben Kosten verursacht und Ressourcen verbraucht, denen bei einer Entsorgung kein Ertrag gegenübersteht. Nahrungsmittel, die im Abfall landen, richten auch darüber hinaus Umweltschäden, etwa durch unnötige Verpackungen oder unnötige Transporte. Vor allem aber werden noch verzehrbare Lebensmittel entsorgt, die Bedürftigen hätten zugutekommen können.
Hier reicht es nicht aus, das Umweltbewusstsein in dem Sinne zu stärken, dass die Menschen Nachhaltigkeit als persönliches Ziel und gesellschaftlichen Wert anerkennen.20 Zwar lässt sich politisch Druck auf Unternehmen ausüben, Nachhaltigkeit ist jedoch längst als eigenständiges ökonomisches Ziel erkannt worden. Ein wichtiger Begriff ist hier „Corporate Social Responsibility” (CSR).21 Dabei soll Nachhaltigkeit fest in der Geschäftsstrategie, also in der Corporate Governance, verankert werden.22 Da sich die Kunden zunehmend umweltbewusster verhalten, müssen Unternehmen Wege finden, markt-, umwelt- und sozialorientiert zu operieren und die eigene Performance am Leitbild der „Corporate Sutainability“ auszurichten.23 Im Fokus stehen Compliance, Reporting und Campaigning. Compliance soll anhand definierter Standards Rechtssicherheit schaffen. Umweltberichte sind heutzutage „Pflicht“.24 Campaigning meint schließlich den öffentlichen Einsatz für Werte.
Ethik wird hier zum Indikator von Nachhaltigkeitsleistung. Charakteristisch für eine ökonomische Unternehmensethik ist, dass Verantwortung im systemischen Zusammenhang gesehen wird.25 Handlungsspielräume sind so auszugestalten, dass eine Verantwortungswahrnehmung sinnvoll möglich ist, aber nicht zur systematischen Ausbeutung führt. Überlegungen zu Lösungen von Probleme wie Umweltverschmutzung müssen dabei Marktwirtschaft und Leistungswettbewerb als Voraussetzung unternehmerischer Tätigkeit berücksichtigen.26 Grundlegend ist ein Verständnis der Beziehung zur Umwelt als wechselseitiger Ressourcenaustausch. Daraus resultieren „Dauerhaftigkeit, Kapitalerhaltung und das Prinzip der dreidimensionalen Wertschöpfung“27 als Grundprinzipien der betrieblichen Nachhaltigkeit. Hier ist aber zu betonen, dass Nachhaltigkeitskonzepte auch zur Kostenreduzierungen und damit zu einer effizienten Beschaffung beitragen können. Das gilt gerade für Food Waste, der auch bei Unternehmen jährlich hohe Ausgaben verursacht.
3.3 Rechtswissenschaftliche Aspekte des Mindesthaltbarkeitsdatums
Wer Lebensmittel herstellt oder anderweitig in Verkehr bringt, muss bestimmte gesetzliche Vorschriften beachten. Das gilt unabhängig von einer entgeltlichen oder einer unentgeltlichen Leistung, also auch bei Spenden an Bedürftige. Lebensmittel, die nicht sicher sind, d. h. gesundheitsschädlich oder für den Verzehr ungeeignet, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.28 Unternehmen sind dabei zu betrieblichen Eigenkontrollen nach dem HACCP-Konzept (Hazard Analysis and Critical Control Points) verpflichtet.29 Ohne auf die zahlreichen Vorschriften einzeln eingehen zu können, ist der rechtliche Rahmen essenziell, um Nachhaltigkeitskonzepte initiieren zu können.
Das 1981 eingeführte Mindesthaltbarkeitsdatum beeinflusst dabei zum einen die Beschaffung und Entsorgung bei den Unternehmen, zum anderen aber auch Entscheidungen der Konsumenten. Es ist jedoch der Hersteller, der die Fristen festlegt. Dabei ist zwischen dem Verbrauchsdatum und dem eigentlichen Mindesthaltbarkeitsdatum zu unterscheiden. Die LMKV definiert: „Das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Lebensmittels ist das Datum, bis zu dem dieses Lebensmittel unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen seine spezifischen Eigenschaften behält.“30 Diese Bestimmung wird um einen Sonderfall ergänzt: „Bei in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen könnten, ist anstelle des Mindesthaltbarkeitsdatums das Verbrauchsdatum anzugeben.“31 Die Angabe „verbrauchen bis“ findet beispielsweise bei frischen Fleischprodukten oder Rohmilch Anwendung. Die LMKV sieht zudem Ausnahmen vor, neben frischem Obst und Gemüse, bestimmten Backwaren und alkoholischen Getränken unter anderem für Essig, Speisesalz oder Zucker.32
In der Praxis zeigt sich, dass viele Verbraucher das MHD falsch interpretieren und sich ausschließlich an das rein rechnerische Datum halten.33 Daher hat das BMEL 2016 eine Diskussion angestoßen, ein Verfallsdatum ähnlich wie bei Medikamenten einzuführen. Ziel soll es sein, „dass die Verbraucher einen Korridor erkennen können zwischen Mindesthaltbarkeit und dem tatsächlichen Verfall eines Produkts“.34 Bei haltbaren Produkten wie Nudeln oder Kaffee würde dann das MHD gänzlich entfallen. Da hier mit der LMIV EU-weite Regelungen gelten, dürfte sich die Umsetzung jedoch als schwierig und langwierig erweisen. In der Forschung wird zudem die Meinung vertreten, „dass die Interpretation des Mindesthaltbarkeitsdatums als Grund für die Entsorgung von Lebensmitteln in der öffentlichen Diskussion überschätzt wird”.35
Wenn ein Lebensmittel bei fachgerechter Lagerung seine spezifischen Eigenschaften behält, muss es nach Ablauf des MHD nicht entsorgt werden, weil es verdorben ist.36 Das bedeutet gleichzeitig, dass Händler Lebensmittel auch weiter verkaufen dürfen, wenn dem Kunden dies klar ist. Hier gilt: „Der Verkäufer stellt durch Stichproben sicher, dass das Produkt noch genießbar ist.“37 Bei Ablauf des Verbrauchsdatums dagegen sind die Produkte nicht mehr verkehrsfähig. Gerade beim Verkauf von MHD-Ware dürften zwischen Rechtslage und Praxis jedoch erhebliche Differenzen bestehen, argumentiert der Handel doch oft damit, das Ware nicht mehr „verkaufsfähig/marktgängig“38 sei.
3.4 Beschaffung als betriebswirtschaftliche Aufgabe
Die Betriebswirtschaftslehre definiert Beschaffung als kostenoptimale Bereitstellung aller Inputfaktoren in Form von Materialien, Anlagen, Rechten, Dienstleistungen, Kapital sowie Personal.39 Die digitale Geschäftsabwicklung ermöglicht heute wesentliche Effektivitäts- und Effizienzverbesserungen in Form von reduzierten Personal- und Lagerkosten oder höherer Markttransparenz. Besonderes Einsparungspotenzial bietet das Internet als Distributionskanal, wodurch Marketing- und Vertriebskosten sowie Durchlauf- und Abwicklungszeiten drastisch zurückgehen können.40 Hier ergeben sich somit auch Optimierungspotenziale für die Lebensmittelwirtschaft.
Abbildung 2 : Wertschöpfungskette für Lebensmittel
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Kranert et al., Ermittlung, S. 15
Food Waste tritt an allen Punkten der Wertschöpfungskette auf (vgl. Abbildung 2). Ein optimales Beschaffungsmanagement im Sinne eines Supply-Chain-Management (SCM) erlaubt es, Food Waste erheblich zu reduzieren. So lässt sich mit Prognose-Tools die Nachfrage besser abschätzen und durch eine optimierte Logistik gelangen die Produkte früher in die Supermärkte. Hier ist insbesondere auf das Just-in-Time-Konzept (JIT) zu verweisen, das auf eine zeitlich enge Koordinierung zwischen Produzent und Lieferant abzielt.41 Handel und Konsumgüterindustrie haben mit der sogenannten Efficient Consumer Response (ECR) eine vergleichbare Strategie zur optimalen Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen bei gleichzeitiger Kostenreduzierung und Rationalisierung entwickelt.42 Insbesondere für sensible Lebensmittel wie Gemüse oder Fleisch sind JIT oder ECR von hoher Bedeutung, denn ein früherer Verkauf erhöht die Chance auf rechtzeitigen Verbrauch.
[...]
1 Vgl. Wöllauer, P., Kein Essen in den Müll, Norderstedt 2012, S. 8.
2 Vgl. Kranert, M. et al., Ermittlung der weggeworfenen Lebensmittelmengen und Vorschläge zur Verminderung der Wegwerfrate bei Lebensmitteln in Deutschland (Langfassung), Stuttgart 2012, S. 121.
3 Vgl. Wöllauer, Kein Essen, S. 10.
4 Vgl. Verbraucherzentrale NRW, Ergebnisbericht des Moduls „Befragung von Privathaushalten“ im Projekt „Verringerung von Lebensmittelabfällen – Identifikation von Ursachen und Handlungsoptionen in NRW“ im Auftrag des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2012, S. 5 ff.
5 Vgl. Balzert, H./Schäfer, C./Schröder, M., Wissenschaftliches Arbeiten, Witten 2010, S. 51; allgemein Eco, U./Schick, W., Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Wien 2010.
6 Vgl. Bortz, J./Döring, N., Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, Berlin/Heidelberg 2016, S. 183-191.
7 Vgl. Balzert et al., Wissenschaftliches Arbeiten, S. 75 ff.
8 Vgl. Döring/Bortz, Forschungsmethoden, S. 533.
9 Vgl. Kranert et al., Ermittlung; Verbraucherzentrale NRW, Ergebnisbericht.
10 Vgl. Rüthgers, B./Fischer, C./Birk, A.: Rechtstheorie, München 2013, S. 403.
11 Vgl. Mayer-Maly, T./Honsell, H.: Rechtswissenschaft, Berlin/Heidelberg 2015, S. 83.
12 Vgl. BMEL, Rechtsgrundlagen für die Lebensmittelhygiene, Stand vom 22.10.2015.
13 Vgl. Balzert/Schäfer/Schröder, Wissenschaftliches Arbeiten, S. 56; Voss, R., Wissenschaftliches Arbeiten, Konstanz 2014, S. 41.
14 Vgl. Attesländer, Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin 2010, S. 146.
15 Vgl. ebd.
16 Vgl. Bortz/Döring, Forschungsmethoden, S. 415 f.
17 Vgl. Bortz, J., Lehrbuch der empirischen Forschung, Berlin/Heidelberg 1984, S. 189 f.
18 Vgl. ebd., S. 190.
19 Vgl. Hermann, S., Corporate Sustainability Branding, Diss., Wiesbaden 2005, S. 79; Balderjahn, I., Nachhaltiges Management und Konsumentenverhalten, Konstanz/München 2013, S. 11–32.
20 Vgl. Aden, H., Umweltpolitik, 1. Aufl., 2012, S. 15.
21 Vgl. Balderjahn, Nachhaltiges Management, S. 46–71.
22 Vgl. Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK), Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 05.05.2015 mit Beschlüssen aus der Plenarsitzung vom 05.05.2015, S. 1 f.
23 Vgl. Matzler, K./Pechlaner, H./Renzl, B., Werte schaffen – Perspektiven einer stakeholderorientierten Unternehmensführung, Wiesbaden 2003, S. 296; Weiland, S., Nachhaltige Entwicklung in Deutschland, Großbritannien und den USA, Wiesbaden 2007, S. 17.
24 Hardtke, A., Perspektiven der Nachhaltigkeit, Wiesbaden 2005, S. 225.
25 Vgl. Suchanek, A.: Ökonomische Unternehmensethik. Diskussionsbeiträge der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt, Nr. 166, Ingolstadt 2003, S. 8.
26 Vgl. ebd., S. 13. Ausführlich Suchanek, A.: Ökonomische Ethik, Stuttgart/Tübingen 2007.
27 Vgl. Matzler et al., Werte, S. 290.
28 Vgl. Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene.
29 Vgl. BMEL, Rechtsgrundlagen für die Lebensmittelhygiene, Stand vom 22.10.2015
30 § 7 (1) LMKV.
31 § 7a (1) LMKV.
32 Vgl. § 7 (6) LMKV.
33 Vgl. Verbraucherzentrale Lebensmittelklarheit, Mindesthaltbarkeitsdatum.
34 Vgl. Spiegel Online, Ernährungsministerium.
35 Kranert et al., Ermittlung, S. 227. Vgl. auch Verbraucherzentrale NRW, Ergebnisbericht, S. 20 ff.
36 Vgl. BMEL, Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum, Stand vom 07.07.2015.
37 BLL, Zehn Fragen und Antworten zum Mindesthaltbarkeitsdatum, Berlin 2014.
38 Kranert et al., Ermittlung, S. 208.
39 Vgl. Hagenloch, T., Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Norderstedt 2009, S. 61; Grün, O./Jammernegg, W./Kummer, S., Grundzüge der Beschaffung, Produktion und Logistik, München 2009, S. 53.
40 Vgl. Thies, S., Content Interaktionsbeziehungen im Internet, Wiesbaden 2005, S. 25; Koplin, J.: Nachhaltigkeit im Beschaffungsmanagement, Wiesbaden 2006.
41 Vgl. Wannenwetsch, H., Erfolgreiche Verhandlungsführung in Einkauf und Logistik, Berlin/Heidelberg/New York 2005, S. 55.
42 Vgl. Obersojer, Efficient Consumer Response, S. 52 ff. (insbesondere Abb. 2, S. 54).