Die zentrale Forschungsfrage der Arbeit ist, inwieweit das Phänomen coniuratio oder zumindest Teile dieser nun doch das Mittelalter überlebt haben, von neuzeitlichen Prozessen aufgenommen worden sind und sich somit letztlich einen Weg bis in die Gegenwart ermöglicht haben.
Um auf diese Frage eingehen zu können, ist es unumgänglich, die Wirkung der im Mittelalter aufkommenden coniuratio in ihrer Epoche selbst einzuordnen. Als eine Art untergeordnete Leitfrage ergibt sich daher, inwieweit der Aufstieg der coniuratio die Entwicklung der Rechtsgeschichte und die der Gesellschaftsordnung im Mittelalter geprägt hat. Nach einer allgemeinen Einführung und Klärung der wichtigsten Begrifflichkeiten werden hierzu der Ulmer Schwörbrief von 1397 und der Schweizer
Bundesbrief von 1291 verglichen.
Die Goldene Bulle aus dem Jahr 1356 und Verordnungen mittelalterlicher Universitäten werden als Quellen die Auswirkungen der coniuratio in anderen Bereichen beleuchten. Für die Frage nach einer Etablierung der coniuratio in der Neuzeit lohnt sich dann ein Blick auf die Zeit der Reformation, sowie auf den Gesellschaftsvertrag von Rousseau. Als Ausgangspunkt wird zunächst der aktuelle Forschungsstand thematisiert, dem aufgrund einer kontroversen Forschungsgeschichte ein separates Kapitel zukommt.
Bis heute muss der deutsche Bundespräsident vor dem Bundestag und Bundesrat pflichtgemäß seinen Amtseid ablegen. Wie bei allen Amtseiden handelt es sich auch hierbei um eine Form des promissorischen Eides. Schon im Mittelalter galt diese Form des Eides als ein konstitutiver und pflichtenbegründeter Akt, welcher den Schwörenden sowohl band als auch dessen Handeln für die Zukunft bestimmte.
Es war genau jener promissorische Eid, der die wohl universellste Form der rechtlichen und sozialen Bindung im europäischen Mittelalter darstellte. Gleichzeitig beruht auf ihm die coniuratio, eine personale Genossenschaft als eine auf freiem Willen gegründete Verbandsbildung. Mit anderen Worten hat das Mittelalter die coniuratio als Form der politischen Vergesellschaftung erfunden, wobei es sich dabei um eine Erfindung von langer Dauer und hoher Prägekraft handeln sollte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Forschungsgeschichte und aktuellerForschungsstand
3. Charakteristika der mittelalterlichen Schwureinung
4. Das Paradesbeispiel der Ulmer Stadtverfassung
5. Der Bundesbrief von 1291 und ein Vergleich zur Entwicklung der „coniuratio“ auBerhalb derReichsstadte
6. Die Weiterentwicklung der „coniuratio“ innerhalb und auBerhalb der Kommunen und Stadte
7. Neuzeitliche Belege fur die „coniuratio“
8. Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
,,Ich schwore, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, semen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfullen und Gerechtigkeit gegen jedermann uben werde. So wahr mir Gott helfe.‘d
Bis heute muss der deutsche Bundesprasident mit diesen Worten vor dem Bundestag und Bundesrat pflichtgemab seinen Amtseid ablegen. Wie bei alien Amtseiden handelt es sich auch hierbei um eine Form des promissorischen Eides. Schon im Mittelalter gait diese Form des Eides als ein konstitutiver und pflichtenbegrundeter Akt, welcher den Schworenden so- wohl band als auch dessen Handeln fur die Zukunft bestimmte. Es war genau jener promisso- rische Eid, der die wohl universellste Form der rechtlichen und sozialen Bindung im europai- schen Mittelalter darstellte. Gleichzeitig beruht auf ihm dieconiuratio,eine personale Genos- senschaft als eine auf freiem Willen gegrundete Verbandsbildung.12Mit anderen Worten hat das Mittelalter dieconiuratioals Form der politischen Vergesellschaftung erfunden, wobei es sich dabei um eine Erfindung von langer Dauer und hoher Pragekraft handelte.3Genauso wis- sen wir stand heute jedoch auch, dass die mittelalterlicheconiuratiodas 18. Jahrhundert in ihrer ursprunglichen Form nicht uberlebt hat.4So sei in diesem Zusammenhang auch der Amtseid des Eingangs zitierten Grundgesetzes relativiert. Im Jahr 2000 wurde eine Klage gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl fallen gelassen, da die Spendenaffare um seine Person trotz des zuvor von ihm abgelegten Amtseides keinen Meineid darstellte. Der damalige Bundestagsprasident Thierse fasste zusammen, dass durch den Amtseid nur „grund- satzlich die vollkommende Identifizierung des Gewahlten mit den in der Verfassung niederge- legten Wertungen und Aufgaben bekraftigt werden“.5Somit ist eine rechtliche Bindung durch einen Versprechungseid im Mittelalter mit dem Amtseid des Grundgesetzes heute nicht mehr gegeben.
Trotz alledem sind die Beispiele zahlreich, die als eine Art Erinnerungsort noch heute auf die mittelalterlicheconiuratioverweisen. Neben dem Amtseid sei auf den offiziellen und voll- standigen deutschen Name der Schweiz, der Schweizer Eidgenossenschaft verwiesen. Ebenso ist bis heute der Ulmer Stadtbevolkerung der Schwormontag im Juli als Stadtfest bekannt, welcher auf denjahrlich zu leistenden Burgereid der Stadt seit dem Mittelalter zuruck zu fuh- ren ist.6Die Entwicklung und Pragekraft derconiuratioscheint im Mittelalter so enorm gewe- sen zu sein, dass die Grundideen des Eidablegens, des Schworens und der Verbandsbildung durch Eidgenossenschaften bis heute erhalten geblieben sind.
Genau hier ordnet sich diese Arbeit mit der zu analysierenden Forschungsfrage ein, inwieweit das Phanomenconiuratiooder zumindest Teile dieser nun doch das Mittelalter uberlebt haben, von neuzeitlichen Prozessen aufgenommen worden sind und sich somit letztlich einen Weg bis in die Gegenwart ermoglicht haben. Um auf diese Frage eingehen zu konnen, ist es unumganglich, die Wirkung der im Mittelalter aufkommendenconiuratioin ihrer Epoche selbst einzuordnen. Als eine Art untergeordnete Leitfrage ergibt sich daher, inwieweit der Aufstieg derconiuratiodie Entwicklung der Rechtsgeschichte und die der Gesellschaftsord- nung im Mittelalter gepragt hat. Nach einer allgemeinen Einfuhrung und Klarung der wich- tigsten Begrifflichkeiten werden hierzu der Ulmer Schworbrief von 1397 und der Schweizer Bundesbrief von 1291 verglichen. Die Goldene Bulle aus dem Jahr 1356 und Verordnungen mittelalterlicher Universitaten werden als Quellen die Auswirkungen derconiuratioin ande- ren Bereichen beleuchten. Fur die Frage nach einer Etablierung derconiuratioin der Neuzeit lohnt sich dann ein Blick auf die Zeit der Reformation, sowie auf den Gesellschaftsvertrag von Rousseau. Als Ausgangspunkt wird zunachst der aktuelle Forschungsstand thematisiert, dem aufgrund einer kontroversen Forschungsgeschichte ein separates Kapitel zukommt.
2. Forschungsgeschichte und aktueller Forschungsstand
Seit den 1960er Jahren kommt dem Phanomen derconiuratioin der Geschichtswissenschaft vermehrt Interesse zu. Prominente Namen wie Gerhard Dilcher oder Albert Vermeesch prag- ten den gefuhrten Diskurs, welcher in den 80er Jahren von Otto Gerhard Oexle erweitert worden ist.7In seiner 1985 erschienenen Arbeit „Conjuratio und Gilde im fruhen Mittelalter“ stellt Oexle die bis Dato gultige Annahme in Frage, dass mittelalterliche Gilden als eine Form der geschworenen Einung aus einem Phanomen germanischer Kontinuitat seit der Antike ent- standen seien.8Fur seine Argumentation sieht Oexle primar keinen haltbaren Beweis fur ger- manische Gilden vor dem Mittelalter. Die Uberlegung, dass germanische Blutsbruderschaften oder ahnliche Mannerbunde sich im Mittelalter dann zu Gilden als Eidgenossenschaften wei- terentwickelt haben konnten, lehnt er kategorisch ab. Das Hauptproblem liegt fur ihn darin, dass es keine vemunftige Erklarung dafur gibt, dass aus einer bei den Germanen zunachst nur mannerumfassenden Vereinigung im Mittelalter dann Gilden entstanden sein sollen, welche sowohl Manner als auch Frauen gleichermaben vereinigen konnten.9Des Weiteren verneint Oexle das Argument fur eine Kontinuitat derconiuratiovon der Antike bis zum Mittelalter, dass die Gilden des Mittelalters ihre heidnischen Wurzeln bei den Germanen gehabt hatten. Viel eher seien Gilden als geschworene Einungen erst im Mittelalter zu etwas heidnischem gemacht worden, so Oexle. Neben der weltlichen stand auch die kirchliche Obrigkeit der ge- schworenen Einung als Sozialgebilde kritisch gegenuber, weshalb es folglich zu Gildeverbo- ten und zur Diffamierung samtlicher Schwureinungen kam.10Auch eine angeblich heidnische Tradition von Gilden kann somit keine germanische Tradition derconiuratiobegrunden. Dies bedeutet wiederum, dass mit derconiuratioim Mittelalter etwas Neues entstanden ist, was es zuvor so nicht gegeben hatte. Mit anderen Worten pladierte Oexle dafur, Gilde undconiuratioals selbststandige Entwicklungen und Errungenschaften des Mittelalters zu betrachten.
Stand heute hat sich die Forschung und deren Fokus im Hinblick auf das Gebiet derconiuratiozeitlich verschoben. Anstatt der Kontinuitat zwischen Antike und Mittelalter steht viel eher die Frage nach der Wirkung derconiuratioim Mittelalter selbst und nach deren Ein- flussen auf die Neuzeit oder gar auf die Gegenwart im Mittelpunkt. So vertritt beispielsweise Peter Blickle in einem seiner Artikel uber dieconiuratiodie These, dass die modernen Staaten in hohem Mabe in jenen Vergesellschaftungsformen wurzeln wurden, welche dieconiuratiozuvor geschaffen habe.11
Zudem steht der Zusammenhang zwischen der Bildung der Stadtkommune seit dem 11. Jahr- hundert und der damit Verbundenen Verbandsbildung innerhalb der Stadte im Zentrum zahl- reicher Arbeiten. Allein durch die Vielfalt der Gemeinschaften innerhalb einer Stadt mussen diese auf irgendeine Art interagiert haben. Trotz einer schlechten Quellenlage kommen fur Gabriel Zeilinger zudem noch weitere soziale Faktoren hinzu wie die Familie und die Nach- barschaft, da auch sie das soziale Leben und die Gesellschaft in den Stadten formiert hatten.12Eberhard Isenmann erweitert dies insofern kontrovers, als dass er soweit geht und behauptet, dass die ursprunglichen Pflichten und Funktionen der Verwandtschaft von der genossen- schaftlichen Verbandsbildung ubernommen worden seien. Vor allem begrundet er dies mit der sozialen Nahe, dem bruderschaftlichen Verhaltnis und der Vertrautheit innerhalb der Ei- nungen.13
In diesem Zusammenhang wird auch diese Arbeit analysieren, wie die die durch Eide geform- ten Einungen untereinander interagiert haben, wie sie wahrgenommen worden sind und wie sie das leben in der mittelalterlichen Stadt gepragt haben.
3. Charakteristika der mittelalterlichen Schwureinung
Die Formen der durch Konsens und Vertrag gegrundeten Gruppen wie die der Verwandt- schaft, der Patenschaft oder der Vasallitat waren seit dem fruhen Mittelalter zahlreich, jedoch war von ihnen keine so wirkungsmachtig wie die derconiuratio14Diese Wirkungsmacht lasst sich in erster Linie durch den gegenseitig geleisteten promissorischen Eid einerconiuratiound dessen Konsequenzen erklaren.
Primar ist damit die Gleichheit als soziale Norm innerhalb dieser Gruppen wie beispielsweise den Gilden gemeint. Diese paritatische Sozialbindung uberspannte die bis dahin traditionelle Trennung von Klerus und Laien. Des Weiteren kam es erstmalig zur Etablierung einer gewill- kurten, sprich durch Vereinbarung und Vertrag gesetzten Friedens- und Rechtsordnung innerhalb dieser freien Einungen.15Diese rechtliche Entwicklung innerhalb der Gilden vollzog sich jedoch nicht losgelost von den Stadten, viel eher stromten die genossenschaftlichen Prinzipien der Gilden durch die weitere Entwicklung derconiuratioin den gesamtstadtischen Aufbau mit ein.16Dieconiuratiotrat somit im fruhen und hohen Mittelalter sowohl in Form von Gilden als auch von Kommunen auf. Dabei war der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Formen der, dass dieconiuratioals Gilde ein reiner Personenverband war, wohinge- gen dieconiuratioals Kommune immer auch eine territoriale Komponente besaB und somit ortlich radiziert war.17
Fur beide Formen derconiuratiowar der Friede nach innen von zentraler Bedeutung, welcher durch Eintracht(concorida)innerhalb der Gruppe gewahrleistet wurde.18Als geschworener Friede einer Schwureinung richtete sich diesepax iurataan all ihre Mitglieder und im Faile einer Kommune an alle Bewohner. Die^axiuratastand somit in Opposition zum sonst ubli- chen „Gottesfrieden“, welcher vor allem bestimmte Personen wie Frauen, Kleriker und Kinder und auch nur bestimmte Gebaude wie Kirchen oder Kloster schutzte. Da dieconiuratioin ihrem Vorkommen meistens ortlich gebunden war, war auch die von ihr herbeigefuhrtepax iuratastets ein nur lokal geltender Friede.19Als eine Art Uberbegriff steht der Begriff Genos- senschaft dem gegenuber, der im Kern die horizontale Sozialbeziehung zwischen Menschen mit dem Grundsatz der Paritat bezeichnet.20Die eidlichen Genossenschaften, sprich Eidge- nossenschaften, besaBen ferner eine enorme Bedeutung fur die Entstehung der Stadte und Burgergemeinden im Mittelalter.
Aus einer rechtsgeschichtlichen Perspektive vollzog sich dann seit dem 13. Jahrhundert der wohl wichtigste Wandel in den Stadten als man von einer bloBen Genossenschaft zu einer Korperschaft aufstieg. In diesem Sinne waren die Stadte die ersten juristischen Personen mit internen Rechtsorganen wie einer eigenen Satzung. Legitimiert wurde diese Rechtssetzung durch diejahrliche Erneuerung der Burgereinungen alsconiuratio,ehe am Ende des 13. Jahr- hunderts in den groBeren Stadten des Reiches der Rat das Satzungsrecht erhielt und somit zur Obrigkeit aufstieg.21
Dabei war die wohl wichtigste Eigenschaft der mittelalterlichenconiuratiodie haufige Ver- schriftlichung des geschworenen Eides und der friedenssichemden MaBnahmen in der Form eines Schworbriefes. Dieser resultierte in der Regel aus der eben genannten jahrlichen Wie- derholung des Eidleistens in den Stadten. Bei dieser Gelegenheit wurde namlich nicht nur der Eid neu geschworen, sondern auch weitere verbindliche Satzungen fur die Stadtbevolkerung erlassen, welche uber diepax iuratahinaus gingen. Nicht selten entwickelte sich dadurch in den Stadten aus den Schworbriefen die jeweils erste Stadtverfassung, weshalb dieconiuratioeine enorme Pragekraft fur die Entwicklung einer Verfassung im Mittelalter verfugte.22Dieser meist jahrliche Gesamtschwur der Stadtbevolkerung blieb auch in den spatmittelalterlichen Stadten ein wichtiger Bestandteil der Stadtverfassungen. Bei dem Gesamteid der Burger- schaft, auch bekannt alsconiuratio reiterata,wurden nicht nur die neuen Statuten beschworen und verlesen, sondern gleich das gesamte Stadtrecht. Dieconiuratio reiterataschuf neben den ersten Stadtverfassungen somit auch die Grundlage fur die Unterwerfung des Burgers unter das Stadtrecht, die Gerichtsgewalt und die burgerlichen Pflichten.23Diese von den stadtischen Burgereinigungen ausgehende Entwicklung hin zu einer rechtlich autonomen Stadtgemeinde mundet infolgedessen in fast alles, was wir heute Verwaltung und Verwaltungsrecht nen- 24 nen.
Als letzte Charaktereigenschaft der mittelalterlichenconiuratiodarf nicht auBer Acht gelassen werden, dass diese Entwicklung bei weitem nicht nur die Reichsstadte betraf, sondem es sich dabei um ein gesamteuropaisches Phanomen handelte. So war auch bei den eidlich gestutzten Kommunen in Frankreich die^axiuratadas zentrale Moment bei Dorfern und Stadten. Dem- entsprechend folgert Vermeesch fur die franzosischen Kommunen des 11. und 12. Jahrhun- derts:La commune est une institution de paix[15]Fur ihn scheint es dabei offensichtlich zu sein, dass das Auftreten der Kommunen sich durch die allgemein auftretende Friedensbewe- gung erklaren lassen.Il semble normal sinon evident qu‘elle n ’a pu chercher son inspiration que dans les initiatives de I’epoque et qu’elle s’insere dans le context general du mouvement depaix[16]
Ebenso waren die lombardischen Stadtkommunen seit dem 11. Jahrhundert klar als Eidgenos- senschaften aufgebaut. So konnten die italienischen Stadtverfassungen seit dem 11. Jahrhundert auf einem genossenschaftlichen Prinzip aufbauen und die spater burgerlich-adligen Ge- nossenschaften der Stadtbewohner konnten die Herrschaft uber die Stadt neu formen.24252627
Auch die Stadte des spanischen Mittelalters verstanden sich immer haufiger als Kommunen(comunidades),die sich nicht aus der bloBen Agglomeration ihrer Einwohner formierten, son- dern aus der korporativen Integration der Bewohner in den politischen und moralischen Kor- per einer Stadt. Dabei war der wichtigste Faktor fur das Gelingen einer korporativen Integration der gemeinsame Schwur(juramento en comuri),welcher fur das spanische Mittelalter in zahlreichen Chroniken niedergeschrieben worden ist.28Auch auf der iberischen Halbinsel kam es also zu einer gewissen Auflehnung gegen die bestehende Ordnung des Mittelalters. Allem voran durch die stadtischen Gruppierungen, welche Formen einerconiuratioals eine geschworene Einung angenommen hatten.29
Zusammenfassend war dieconiuratioein eidlicher Zusammenschluss von Menschen, welcher an einem Ort, individuell, freiwillig und willentlich erfolgte, und aus einer Ansammlung von Menschen einen politischen und moralischen Korper, eine Korporation machte. Diese Korpo- ration verfasste ihre eigenen Statuten, welche zu Beginn nur auf den inneren Frieden abzielten und durch den gemeinsamen Nutzen legitimiert wurden.30Eine wichtige Rolle im Entste- hungsprozess derconiuratiound der Statuten ubernahmen dabei die korperschaftlich verfass- ten Stadte, wo ein gewisser Hunger auf eine normative Ordnung seitens der Stadtburgerschaft zu einer Etablierung der Statuten im 13. Jahrhundert gefuhrt hat.31
Durch den Entstehungsprozess derconiuratiokam es, dass die politische Ordnung des Mittel- alters in den Stadten und Dorfern nicht allein durch herrschaftliche, sondern in gleichem Mabe auch durch genossenschaftliche Elemente und Prinzipien gepragt und geformt worden ist, wobei Herrschaft und Genossenschaft sich in ihrer Koexistenz immer wieder gegenseitig be- einflussten und durchdrangen.32Nicht umsonst wird deshalb in der Forschung oft angenom- men, dass der vertragliche Zusammenschluss von Einwohnern einer Stadt oder eines Dorfes zurconiuratiodie wohl grobte Belastungsprobe war, welche die sonst lehensrechtlich organi- sierte politische Ordnung Europas uberstehen musste.33
Auch wenn dieconiuratioeine alternative soziale Ordnung der mittelalterlichen Stadtegesell- schaften anbot, sei an dieser Stellejedoch abschliebend angemerkt, dass sie keineswegs per se die gesamte Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft samt Herrschaftsbeziehungen und Hierarchien aufhob. Indem sie als eine Art Antistruktur die ublichen Alltagsordnung und Re- geln auber Kraft setzte, negierte sie mir ihrer neuen Form der Ordnung die Idee von Herrschaft als solche. Damit war die mittelalterlicheconiurationicht nur ein alternatives Modell von Ordnung, sondern auch Ausgangspunkt fur die tatsachliche Entstehung einer neuen Form von sozialer Ordnung.34Genau dadurch aber blieb die ursprungliche Herrschaftsfremdheit der durch Eidverbruderung begrundeten Verbande kein Dauerzustand. Innerhalb eines Verbandes etablierten sich in der Regel soziale Beziehungen deren Strukturprinzip genau genommen wieder Herrschaft war. Mit anderen Worten veralltaglichte sich das Auberalltagliche und Herrschaftsfremde derconiurationes35So kam es schon fur Max Weber nicht nur in Italien, sondern in der Mehrzahl der Faile auch im Norden zu einer Herrschaft einzelner machtiger Geschlechter innerhalb einer Stadt. Interessant bei Webers Uberlegung zur ,,Geschlechter- herrschaft“ ist, dass diese soziale Machtstellung eines Geschlechtes jeweils auf dessen Grundbesitz und nicht auf einem dem Gewerbebetrieb entstammenden Einkommen basierte.36Erneut zeigt sich das Bild einerconiuratio,die eine neue soziale Ordnung innerhalb einer mittelalterlichen Stadt formen konnte, jedoch ohne die elementaren Gesellschaftsordnungen ihrer Zeit wie etwa das Lehenswesen abzuschaffen.
4. Das Paradesbeispiel der Ulmer Stadtverfassung
Fur die verfassungsgeschichtliche Entwicklung und Rolle derpax iurataim Kontext derconiuratiobietet die Geschichte der Stadt Ulm ein interessantes Beispiel. Schon im Jahr 1376 zwangen die Ulmer Handwerker die Patrizier der Stadt in eineconiuratio,hauptsachlich um den Frieden in ihrer Stadt zu sichern.37Dem Patriziat namlich blieb es bis dahin als recht kleine Gruppe vorbehalten, den Rat zu besetzen, was wiederum zu enormen Konflikten gefuhrt hatte.38Das daraus entstandene Bedurfnis nach einem festgelegten Frieden mundete in die ersten Eintragungen des Ulmer Stadtrechts, dem Roten Buch der Stadt Ulm.
Der originale Teil der Niederschrift des Roten Buches lasst sich dabei auf alle Eintragungen vom 18. Juli 1376 bis zum 26. September 1376 genau eingrenzen.39Bei diesem originalen Teil handelt es sich jedoch nicht um eine systematische Rechtskodifikation, sondern eher um eine Kompilation mit teilweise undatierten Eintragungen.40Ein GroBteil der Eintragungen zielte dabei auf einen internen Frieden, wodurch diepax iurataim Kern dieser Rechtskodifikation stand. So hieB es beispielsweise im Artikel 17:
Es ist ouch gesetzt, wa zwen burger oder me mit ain ander zerwerfent mit schlahen oder mit schelten, ^enne denne ain burgermaister oder zwen dez ratz si umb frid bitten, den sullen si ze baider sit unverzogenlich m! ver^agen. [,..]41
An dieser Stelle bestatigt sich ein wichtiges Merkmal einerconiuratio.Ein eidlicher Zusam- menschluss von Menschen gibt sich als Korporation eigene Gesetzte beziehungsweise Statu- ten, die nur auf den Frieden orientieren. Dem Gebot des Friedens entsprechend musste bei
[...]
1 Art. 56 Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungs- nummer 100-1, veroffentlichen und bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes v. 28. Marz 2019 (BGBI. I S. 404) geandert worden ist.
2 Isenmann, Eberhard, Die deutsche Stadt im Spatmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 299.
3Blickle, Peter, „Coniuratio". Die politische Karriere einer lokalen Gesellschaftsformation, in: Stadt - Gemeinde - Genossenschaft. Festschrift fur Gerhard Dilcher zum 70. Geburtstag, hg. von Albrecht Cordes, Berlin 2003, S. 341-360, S. 341.
4 Oexle, Otto Gerhard, Friede durch Verschworung, in: Trager und Instrumentarien des Friedens im hohen und spaten Mittelalter, hg. von Johannes Fried (Vortrage und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis fur Mittelalterliche GeschichteBd. 43), Sigmarmgen 1996, S. 115-150, S. 150.
5Hildebrandt, Tina, Amtseid. Nur so dahingesagt, in: Der Spiegel (Gedruckte Ausgabe Nr.44 vom 30.10.2000), URL: [https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17704591.html] (30.04.2019).
6Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 343.
7Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 342.
8Oexle, Otto Gerhard, Conjuratio und Gilde im fruhen Mittelalter. Ein Beitrag zum Problem der sozialgeschicht- lichen Kontinuitat zwischen Antike und Mittellater, in: Gilden und Zunfte. Kaufmannische und gewerbliche Genossenschaften im fruhen und hohen Mittelalter, hg. von Berent Schwinekoper (Vortrage und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreisfur MittelalterlicheGeschichteBd. 29), Sigmaringen 1985, S. 151-214, S. 151.
9Oexle, Conjuratio und Gilde, S 162.
10Oexle, Conjuratio und Gilde, S. 164.
11 Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 342.
12 Zeilinger, Gabriel, Zwischen „familia“ und „coniuratio“. Stadtentwicklung und Stadtepolitik im fruhen 12. Jahrhundert, in: Heinrich V. in seiner Zeit. Herrschen in einem europaischen Reich des Hochmittelalters, hg. von Gerhard Lubich, Wienu.a. 2013, S. 103-118, S. 106.
13Isenmann, Die deutsche Stadt im Spatmittelalter S. 299f.
14Oexle, Friede durch Verschworung, S. 120f.
15Oexle, Conjuratio und Gilde, S. 157.
16Ennen, Edith, Fruhgeschichte der europaischen Stadt (Veroffentlichung des Instituts fur Geschichtliche Lan- deskunde der Rheinlande an der Universitat Bonn), Bonn 1953, S. 202f.
17Dilcher, Gerhard, Die Entstehung der lombardischen Stadtkommune (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte Bd.7), Aalen 1967, S. 158.
18Oexle, Friede durch Verschworung, S. 133.
19Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere S. 346.
20Dilcher, Gerhardt, Die genossenschaftliche Struktur von Gilden und Zunften, in: Gilden und Zunfte. Kauf- mannische und gewerbliche Genossenschaften im fruhen und hohen Mittelalter, hg. von Berent Schwinekoper (Vortrage und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis fur Mittelalterliche Geschichte Bd. 29), Sigmaringen 1985, S. 71-111, S. 74.
21Mitteis, Heinrich, Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, Munchen 198517, S. 274.
22Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 343.
23Ebel, Wilhelm, Zum Ende der burgerlichen coniuratio reiterata, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte: Germanistische AbteilungBd. 78, 1961, S. 319-320, S. 319.
24Mitteis, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 274.
25Vermeesch, Albert, Essai sur les origines et la signification de la commune dans le Nord de la France (Xie et Xlle siecles), Heule 1966, S. 175.
26Vermeesch, Essai sur les origines, S. 175.
27Dilcher, Die Entstehung der Lombardischen Stadtkommune, S. 190.
28Marvall, Jose Antonio, Las Comunidades de Castilla. Una primera revolucion modema, Madrid 19844, S. 92.
29Ebd.
30Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 347.
31Dilcher, Gerhard (Rez.), „Drossbach, Gisela, Von der Ordnung zur Norm. Statuten in Mittelalter und Fruher Neuzeit“, in: Vierteljahrschrift fur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 98, 2011, S. 92-93, S. 92f.
32 Schlesinger, Walter, Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte, in: Beitrage zur deutschen Verfassungsgeschicte des Mittelalters Bd. 1, hg. von Walter Schlesinger, Gottingen 1963, S. 9-52, S. 9.
33Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 350.
34Scheller, Benjamin, Das herrschaftsfremde Charisma der Coniuratio und seine Veralltaglichungen. Idealtypi- sche Entwicklungspfade der mittelalterlichen Stadtverfassung in Max Webers "Stadt", in: HZ Bd. 281, 2005, S. 307-335, S.320.
35Scheller, Das herrschaftsfremde Charisma, S. 323.
36Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Machte. NachlaB. Teilband 5: Die Stadt, hg. von Wilfried Nippel (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. I: Schriften und RedenBd. 22-5), Tubingen 1999, S. 148.
37Blickle, „Coniuratio“. Die politische Karriere, S. 343.
38Johanek, Peter, Burgerkampfe und Verfassung in den mittelalterlichen deutschen Stadten, in: Einwohner und Burger auf dem Weg zur Demokratie. Von den antiken Stadtrepubliken zur modemen Kommunalverfassung (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm Bd. 28), Stuttgart 1997, S. 45-73, S. 59.
39Mollow, Carl, Einleitung, in: Das rote Buch der Stadt Ulm, hg. von Carl Mollwo (Wurttembergische Ge- schichtsquellenBd. 8), Stuttgart 1905, S. 1-17, S. 10.
40Ebd.
41Das rote Buch der Stadt Ulm, hg. von Carl Mollwo (Wurttembergische Geschichtsquellen Bd. 8), Stuttgart 1905, S. 19-237, S. 28.