Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Ursachen, Wirkungsweisen und Folgewirkungen der gesellschaftlichen Individualisierung. Hierzu wird zunächst ein Überblick darüber gegeben, wie Individualisierung definiert wird und wie sich diese historisch entwickelt hat. Anschließend werden anhand der Individualisierungstheorie nach Ulrich Beck die Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungsweisen der Individualisierung aufgezeigt. Infolgedessen werden die Folgewirkungen gesellschaftlicher Individualisierung dargestellt, wobei zwischen Chancen und Grenzen unterschieden wird.
In der heutigen Gesellschaft sind die verschiedensten Lebensarten, Lebenslagen, Lebensstile und familiäre Konstellationen aufzufinden, was durch die gesellschaftliche Individualisierung zustande gekommen ist. Dies war jedoch nicht immer der Fall: Der Wunsch nach Individualität reicht vom Spätmittelalter bis hin zur Gegenwart, wobei sich die Gesellschaft besonders in der Moderne gewandelt hat. Hervorgerufen werden diese Umstände durch die Individualisierung des Alltags, unterschiedliche kulturelle Einflüsse als auch durch individuelle Mentalitäten. Die Gesellschaftsstruktur hat sich gewandelt und der Lebenslauf jedes Einzelnen wird einzigartiger, da er durch eigenständige und unabhängige Lebensführung geprägt ist. Vermehrt werden Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung zum Lebensziel der Erwachsenen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Begriffsklärung und historische Entwicklung der „Individualisierung“
3 Theoretischer Hintergrund
3.1 Individualisierungstheorie von Ulrich Beck
3.1.1 Ursachen und Erscheinungsformen von Individualisierung
3.1.2 Wirkungsweisen der Individualisierung
4 Folgewirkungen von gesellschaftlicher Individualisierung
4.1 Chancen
4.1.1 Freisetzen aus Geschlechterrollen
4.1.2 Pluralisierung der Lebensformen
4.2 Grenzen
4.2.1 Notwendigkeit von Entscheidungen
4.2.2 Verunsicherung und Gewalt bei Jugendlichen
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In der heutigen Gesellschaft sind die verschiedensten Lebensarten, Lebenslagen, Lebensstile und fa- miliäre Konstellationen aufzufinden, was durch die gesellschaftliche Individualisierung zustande ge- kommen ist. Dies war jedoch nicht immer der Fall: der Wunsch nach Individualität reicht vom Spätmit- telalter bis hin zur Gegenwart, wobei sich die Gesellschaft besonders in der Moderne gewandelt hat. Hervorgerufen werden diese Umstände durch die Individualisierung des Alltags, unterschiedliche kul- turelle Einflüsse als auch durch individuelle Mentalitäten. Die Gesellschaftsstruktur hat sich gewandelt und der Lebenslauf jedes Einzelnen wird einzigartiger, da er durch eigenständige und unabhängige Lebensführung geprägt ist. Vermehrt werden Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung zum Le- bensziel der Erwachsenen.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Ursachen, Wirkungsweisen und Folgewirkungen der gesellschaftlichen Individualisierung. Hierzu wird zunächst ein Überblick darüber gegeben, wie Indivi- dualisierung definiert wird und wie sich diese historisch entwickelt hat. Anschließend werden anhand der Individualisierungstheorie nach Ulrich Beck die Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungswei- sen der Individualisierung aufgezeigt. In Folge dessen werden die Folgewirkungen gesellschaftlicher Individualisierung dargestellt, wobei zwischen Chancen und Grenzen unterschieden wird.
2 Begriffsklärung und historische Entwicklung der „Individualisierung“
Der Begriff der Individualisierung gilt als unscharf und ist nicht genau definierbar, dennoch kann er auf vielfältige Weise verwendet werden. Individualisierung bezieht sich sowohl auf sozialstrukturelle Ent- wicklungen als auch auf die subjektive Seite des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses. Im Zent- rum der Individualisierung finden sich „subjektive Strategien der Bewältigung gesellschaftlicher Anfor- derungen sowie biographische Prozesse der Selbstkonstitution des Individuums“ (Heitmeyer, Olk 1990, S. 12). Kennzeichnend für die Individualisierung ist außerdem die Verbindung von Individuum und Gesellschaft, sodass sich gesellschafts-, sozialisations- und identitätstheoretische Fragestellungen ergeben. Es ist jedoch anzumerken, dass die vielfältigen Bedeutungen und Verständnisse von Individu- alisierung nicht immer voneinander getrennt werden können. Dies hat die Konsequenz, dass zu schnelle Vereinfachungen des Begriffs zu einseitigen Bewertungen der Folgen von gesellschaftlichen Schüben der Individualisierung führen können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Spannungen gesellschaftlicher Individualisierungsschübe in den Blick genommen und darüber hinaus ihre Chancen und Grenzen beobachtet werden (vgl. Heitmeyer, Olk 1990, S. 13).
Mit der Individualisierung wurde ein wichtiger Faktor der Moderne ins Leben gerufen, denn „Individu- alisierung bezeichnet einen gesellschaftlichen Tatbestand, der nicht nur gegenwärtig wirksam ist, son- dern seit der Heraufkunft der modernen Gesellschaft zentrale Merkmale der Sozialstruktur und der normativen Anforderung an die Individuen erfaßt" (Heitmeyer, Olk 1990, S. 11). Sie ist keine neue Ent- wicklung der Moderne, sondern umfasst einen Grundsachverhalt und auch ein Problem der Moderne im Allgemeinen (vgl. Heitmeyer, Olk 1990, S. 11).
Die Gesellschaft wird im Laufe der Zeit komplexer und differenziert sich zunehmend. Individualisierung hat ihren Ursprung bereits im Übergang zur Neuzeit: die landwirtschaftliche Produktion löst sich aus dem familiären Zusammenleben, politische Steuerungen und ökonomische Kapitalbildungen werden voneinander getrennt und die Systeme der Erziehung entziehen sich den religiösen Begründungen. Diese genannten Prozesse gehen mit der Differenzierung der Rollen einher und lassen die Identität nun aus horizontalen und biographischen Kombinationen der Rollenübernahme entstehen und sind nicht länger durch den Geburtsstand bestimmt (vgl. Heitmeyer, Olk 1990, S. 13).
3 Theoretischer Hintergrund
Nachdem der Begriff der Individualisierung und der historische Kontext erläutert wurden, ist es nun von Bedeutung, sich den Prozess der Individualisierung genauer anzusehen. Hierzu wird im Folgenden die Individualisierungstheorie nach Ulrich Beck herangezogen, indem die Ursachen, Erscheinungsfor- men und Wirkungsweisen von Individualisierung innerhalb der Gesellschaft erläutert werden.
3.1 Individualisierungstheorie von Ulrich Beck
Ulrich Beck (*1944) ist ein deutscher Professor der Soziologie, der an der Universität in Münster, Bam- berg und München lehrte. Er war der geschäftsführende Herausgeber der Zeitschrift „Soziale Welt“, welche als eine der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften Deutschlands gilt. Beck beschäf- tigt sich unter anderem mit der Wirtschaftstheorie, der Arbeits- und der Betriebssoziologie. Besonders erfolgreich ist sein Werk „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“, worauf sich diese Arbeit auch zu einem Großteil bezieht. Beck versteht unter der Individualisierung im Allgemeinen einen „historisch widersprüchlichen Prozeß der Vergesellschaftung“ (Beck, 1986, S. 119). Der Modernisie- rungsprozess um das 21. Jahrhundert hat das leitende System der Industriegesellschaft beschädigt. Dies hat zur Folge, dass die Individuen sich aus den Sozialformen der Gesellschaft freisetzen, womit die Klasse, Schicht, Familie oder die Geschlechtslagen von Mann und Frau gemeint sind.
Im Folgenden werden zunächst die Ursachen und Erscheinungsformen von Individualisierung erläu- tert, woran die Wirkungsweisen anknüpfen.
3.1.1 Ursachen und Erscheinungsformen von Individualisierung
Im Sinne der Individualisierung unterscheiden sich zwei Individualisierungsschübe, wobei Ulrich Beck den sekundären Individualisierungsschub genauer in den Blick nimmt. Der sekundäre Individualisie- rungsschub erfolgt seit den 1950er Jahren vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und folgt auf den sogenannten „ersten“ Individualisierungsschub. Kennzeichnend für den sekundären Individuali- sierungsschub ist, dass sich die Mitglieder einer Gesellschaft aus den modernen Bindungen und ihren möglichen Zwängen lösen (vgl. Heitmeyer und Olk 1990 S. 13f.).
Ursächlich für die Individualisierung sind laut Beck drei Motoren, die diesen Prozess in Gang gesetzt haben. Hierzu zählt der enorme Anstieg des Lebensstandards der Gesellschaft, die gestiegene soziale und geographische Mobilität der Bevölkerung und schließlich die Effekte der Bildungsexpansion. Der Anstieg des Lebensstandards steht in Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nach- kriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland. Der Reallohn gewann an Zuwachs, wodurch die Ablö- sung der „proletarischen Enge“ (Heitmeyer und Olk 1990, S. 14) der Industriearbeiter hervorgerufen und der Zugang zum Massenkonsum geöffnet wurde. Folglich hatten die Individuen mehr Bewegungs- spielräume und Chancen diese zu nutzen, wodurch der Konsum und auch die Lebensstile sich zu indi- vidualisieren begannen. Hierbei spricht man auch von der Pluralisierung der Lebensformen, welche durch den Anstieg der erwerbsarbeitsfreien Lebenszeit der Individuen begünstigt werden und sich durch wachsende Lebenserwartung und sinkende Arbeitszeiten kennzeichnen. Je mehr zeitlichen und materiellen Bewegungsraum Individuen vorfinden, desto stärker ist die Befreiung aus klassenkulturel- len Milieus, da sie ihren persönlichen Vorlieben und Bedürfnissen in ihrer Freizeit nachgehen können (vgl. Beck 1986, S. 122ff.). Bis zum Jahr 1950 wurden 75% des Haushaltsbudgets für Nahrung, Kleidung und die Wohnung ausgegeben. Zwanzig Jahre später sank der Anteil für diese Faktoren auf 60%. Be- sonders die „symbolträchtigen Konsumgüter“ (Beck 1986, S. 123) gewannen an Bedeutung, worunter das Radio, der Fernseher, der Eisschrank und das Auto fallen. Im Allgemeinen konnte erkannt werden, dass sich die Wohnungen vergrößern und mehr in Urlaube investiert wurde, die sich bislang nur wohl- habende Bürger und Bürgerinnen leisten konnten. Auffällig ist ebenso, dass die Menschen begannen ihr Geld sinnvoll zu sparen: die Sparquote stieg von 1-2% im Jahr 1902 auf 12,5% im Jahr 1974 an. Hierbei wurde auf hochwertige Konsumgüter wie Urlaube und Eigenheime gespart. 1950 konnten sich circa 6% der Arbeiterhaushalte ein Eigentum leisten, 1977 stieg dieser Prozentsatz auf mehr als das sechsfache (39%) (vgl. Beck 1986, S. 122-124). Diesen Faktor beschreibt Beck auch als den sogenannten „Fahrstuhl-Effekt“ (Beck 1986, S. 124). Er betont, dass sich vor allem die drei Komponenten Lebenszeit, Arbeitszeit und Arbeitseinkommen in Deutschland verschoben haben, was die Entfaltung der Lebens- chancen zur Folge hatte. Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich um einige Jahre verschoben: Männer leben im Schnitt 10 Jahre länger, Frauen 13 Jahre. Der Fahrstuhl-Effekt kennzeichnet sich durch mehr Lebenszeit, weniger Erwerbsarbeitszeit und mehr finanzielle Mittel, wodurch ein großer Umbruch im Verhältnis von Arbeit und Leben hervorgerufen wurde. Durch eine verlängerte Nichter- werbsarbeitszeit können die Individuen sich materiell besser ausstatten, was jedoch nur erfolgen kann, wenn sie an der aktiven Erwerbsarbeitszeit teilnehmen, um finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben. Die Individuen haben die Möglichkeit sich sowohl materiell als auch zeitlich zu entfalten und sind dem Reiz des Massenkonsums ausgesetzt. Dieser sorgt dafür, dass die traditionellen Lebensformen und So- zialmilieus weitestgehend verschwimmen. Darüber hinaus sind Institutionen, welche bislang nur von bestimmten Klassen genutzt werden konnten, nun auch von verschiedenen Klassen gleichzeitig be- nutzbar. Hierzu gehören beispielsweise Wirtshäuser, Vereine, Altenheime oder Jugendtreffs. An die Stelle der Institutionen treten schließlich Faktoren wie Kleidung, Einrichtung, Medien, die sich ungleich auf die Gesellschaft aufteilen können (vgl. Beck 1986, S. 124f.)
Der zweite Motor der Individualisierung ist laut Beck die gestiegene soziale und geographische Mobi- lität der gesamten Bevölkerung. Die Berufsstruktur wandelte sich zunehmend durch die ökonomische Modernisierung und die Expansion der Wohlfahrt, wobei der eigentliche Sprung der Mobilität erst nach der Nachkriegszeit zu erkennen ist. Darüber hinaus expandierte der Dienstleistungssektor, wodurch die Aufstiegschancen verbessert wurden, wovon auch Kinder aus Arbeiterfamilien profitier- ten. 1971 konnte verzeichnet werden, dass die Arbeiterschaft der Geburtenjahrgänge 1920-1936 zu 50% aus unteren und mittleren Angestellten und Beamten bestand, sowie zu einem Drittel durch ge- hobene Angestellte aus Arbeiterfamilien. Hiervon waren 15% Söhne von Ungelernten, 23% Söhne von Angelernten und 31% Söhne von Facharbeitern. Durch diese soziale, geographische als auch alltägliche Mobilität wird das Leben der Menschen durcheinandergebracht, ihre Lebensverhältnisse verändern sich und die Frauen partizipieren sich auf dem Arbeitsmarkt. Diese Faktoren der Mobilität verleiteten die Individuen dazu sich aus den traditionellen Lebenswelten und Lebenszusammenhängen zu lösen und diese zu vermischen. Besonders die Erwerbstätigkeit der Frau sorgte dafür, dass die gesellschaft- lichen Individualisierungsschübe auch innerhalb der Familien stattfinden. Die Quote der Erwerbstätig- keit der Frauen steigt zwischen 1950 und 1980 von 9% auf 36% an und hat zur Folge, dass die Frau sich nicht mehr ausschließlich den Aufgaben des Haushalts widmet, sondern sich darüber hinaus für ihre Ausbildung und eigenen Vorlieben interessiert, wodurch der Prozess der Individualisierung innerhalb der Familie verlängert wird (vgl. Beck 1986, S. 125ff).
Der letzte Motor der Individualisierung nach Beck sind die individualisierten Effekte der Bildungsex- pansion. Durch diese veränderte sich in den sechziger und siebziger Jahren einiges, da das Bildungsni- veau deutlich angehoben wurde und sich die Ungleichheitsrelationen verschoben. Ein Effekt der Bil- dungsexpansion ist der Verlust der Bedeutung der Volks- und Hauptschule, da andere weiterführende Schularten an Bedeutung gewannen. 1952 absolvierten 81% der Jungen und 78% der Mädchen im Alter von 13 Jahren die Volksschule. 1981 lag der Prozentsatz hierfür nur noch bei 35% bei den Mädchen und bei 42% bei den Jungen. Schlussfolgernd heißt dies, dass sich der Anteil bei den Mädchen, die einen höheren Schulabschluss anstreben nahezu verdreifacht und bei den Jungen verdoppelt hat (vgl. Beck 1986, S. 128). An den Hochschulen ließ sich ein ähnlicher Trend feststellen: Der Anteil von Studi- enanfänger, deren Väter Arbeiter sind, hat sich stetig gesteigert (1928: 2,1%, 1951: 4%, 1967: 9,2%, 1982: 17,3%). Auch Frauen haben sich öfter dazu entschieden ein Studium zu beginnen, sodass hier ein ähnlicher Verlauf zu erkennen ist. Dies lässt schließen, dass die Bildungsexpansion auch für Frauen sehr bedeutsam war. Wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, dass sich für Frauen auch eine prekäre Lage entwickelt hat. Durch die stabile Massenarbeitslosigkeit wird ihnen der Weg in den Beruf weitestge- hend versperrt und der Weg in die Ehe- und Familienversorgung ebenfalls. Beck (1986) sagt an dieser Stelle: „Die Feminisierung der Ausbildung hat bereits die Welt der Familie und des Berufs verändert, weil sie Ungleichheit bewußtgemacht und in Unrecht verwandelt hat" (S. 130).
Der höhere Konsum von Bildung und die Verlängerung der Dauer des Bildungssystems begünstigten Selbstfindungs- und Reflexionsprozesse der Individuen, die schließlich dazu führten, die eigene Orien- tierung traditioneller Lebensstile zu hinterfragen. Auch die damit verbundene Leistungsmotivation und Aufstiegsorientierung führt dazu, dass die eigenen Leistungsbeiträge genauer interpretiert werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mehr arbeitsfreie Zeit, mehr Geld, Mobilität und Bildung die Dynamiken des Individualisierungsprozesses darstellen, wodurch Lebenszusammenhänge von Klassen und Familien aufgebrochen werden.
3.1.2 Wirkungsweisen der Individualisierung
Die Auswirkungen der gesellschaftlichen Individualisierung beschreibt Beck mit einem Modell der Dimensionen von Individualisierung. Er versteht unter Individualisierung „bestimmte subjektiv-bi- ographische Aspekte des Zivilisationsprozesses, insbesondere in seiner letzten Stufe von Industrialisie- rung und Modernisierung" (Beck 1986, S. 206). Ebenso spricht er von drei Dimensionen der Individua- lisierung. Zum einen ist Individualisierung eine „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialfor- men und -bindungen im Sinne traditioneller Herrschaft- und Versorgungszusammenhängen“ (Beck 1986, S. 206). Hierbei handelt es sich um die Herauslösung aus den ständisch geprägten Klassen, wel- che mit Veränderungen im Produktionsbereich einhergehen. Durch die Anhebung des Bildungsniveaus und des verfügbaren Einkommens eines Individuums, durch die Verrechtlichung von Arbeitsbeziehun- gen und den Veränderungen in sozialen Zusammensetzungen wandeln sich die Familienformen, Wohnverhältnisse, räumliche Verteilungen und auch Nachbarschaftsbeziehungen. Wie oben bereits erwähnt verändert sich das Freizeitverhalten im Allgemeinen (vgl. Beck 1986, S. 208). Aber auch die Lage der Frauen verändert sich. Sie werden aus der Eheversorgung freigesetzt, wodurch das „Bin- dungs- und Versorgungsgefüge der Familie“ hinsichtlich der Individualisierung unter Druck gesetzt wird. Aus diesem Grund bildet sich vorerst die „Verhandlungsfamilie auf Zeit“ (vgl. Beck 1986, S. 208). Durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Dezentralisierung des Arbeitsortes werden neue For- men der Unterbeschäftigung erschaffen, wodurch Versorgungsprobleme geschaffen werden und neue Lebenslagen und biographische Verlaufsmuster entstehen (vgl. Beck 1986, S. 209). Eine wesentliche Konsequenz der Individualisierung ist nach Beck, dass „der oder die Einzelne selbst [zur] […] lebens- weltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen [wird].“ (Beck 1986, S. 209).
Eine weitere Auswirkung der Individualisierung findet sich in der sogenannten „Entzauberungsdimen- sion“. Hierbei handelt es sich um den „Verlust von traditionellen Sicherheiten im Hinblick auf Hand- lungswissen, Glauben und leitende Normen“ (Beck 1986, S. 206). Es werden Unsicherheiten und Risi- ken bei den Individuen freigesetzt. Zuletzt nennt er die „Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension“, wo- mit die neue Art der sozialen Einbindung gemeint ist. Diese drei Komponenten bilden ein ahistorisches Modell der Individualisierung. Die Dimensionen werden schließlich anhand zweier weiterer Dimensio- nen differenziert: Lebenslage (objektiv) und Bewusstsein (subjektiv) (vgl. Beck 1986, S. 206).
Leben slage (objektiv) Bewusstsein (subjektiv)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Analytische Dimension von Individualisierung (vgl. Beck 1986, S. 207)
4 Folgewirkungen von gesellschaftlicher Individualisierung
Das folgende Kapitel befasst sich mit den Folgewirkungen der gesellschaftlichen Individualisierung im Detail. Hierzu wird zwischen Chancen und Grenzen von Individualisierung differenziert. Hinsichtlich der Chancen wird die Freisetzung aus den Geschlechterrollen und die Pluralisierung der Lebensformen genauer thematisiert. Zu den Grenzen der Individualisierung zählen unter anderem die Notwendigkeit Entscheidungen fällen zu müssen und eine entwickelnde Gewalt bei Jugendlichen, worauf im Folgen- den näher eingegangen wird.
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