Der vorliegende Unterrichtsentwurf ist für die neunte Klassenstufe an einem hessischen Gymnasium bestimmt. Das Thema "Woran du dein Herz hängst..." findet seien Ort in dem vom hessichen Kultusministerium vorgegebenen Lehrplan unter dem Lernschwerpunkt "Die Frage nach Gott". Die Gottesfrage gehört zu den klassischen Unterrichtsthemen und ist eine der wesentlichen Fragestellungen, mit denen sich Ev. Religionslehre und Theologie auseinandersetzen. Die Religionspädagogik versteht es mit ihren Mitteln, Räume für das Fragen und Antworten zu schaffen, um damit nicht nur zu unterrichten, sondern Lehren und Lernen zu ermöglichen. Mit ihren Inhalten richtet sie sich aus auf die Situation der Lehrenden und Lernenden. Gemeinsam mit der Homiletik scheut sich die Katechetik aber nicht, Antworten zu geben, dies aber immer in neuer und geeigneter Weise. Dieser Unterrichtsentwurf fühlt sich den genannten Zielen verpflichtet.
Als theoretische Grundlage verwende ich mit einigen Abänderungen das Modell von Rainer Lachmann. Beginnend mit der Beschreibung der Lerngruppe und ihrem Lernverhalten, fahre ich fort mit einer kurzen Einleitung in das Konzept der gesamten Unterrichtseinheit, in dem der Unterrichtsentwurf seinen Ort findet. Schritt zwei und drei verhandeln die fachwissenschaftliche und die fachdidaktische Analyse. Diese Schritte bedingen sich letztlich gegenseitig. Um aber das Abfärben der didaktischen Wünsche auf die wissenschaftlichen Ergebnisse zu verhindern, sollen diese zuerst dargestellt werden.
Die Fachdidaktik soll sich vornehmlich mit der Relevanz des Themas für die Schülerinnen und Schüler auseinander setzen, dessen Bedeutung für ihr Leben und Erleben aufzeigen. Sie wird also das Wesentliche der erarbeiteten Ergebnisse herausnehmen. Anschließend in geraffter Form die Stundenziele des Entwurfs, die Darstellung der verwendeten Methoden, Medien etc. und ein Verlaufsplan der konzipierten Stunde. Hier sei auch auf die Anlagen mit dem verwendeten Unterrichtsmaterial hingewiesen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Lerngruppe
I.1. Schüler/Innen
I.2. Das aktuelle Thema des Religionsunterrichts
II. Fachwissenschaftliche Analyse
II.1. Das Erste Gebot in der Bibel
II.2. „Woran du dein Herz hängst“ und „Was uns unbedingt angeht“ - das Erste Gebot bei Martin Luther und Paul Tillich
III. Fachdidaktische Analyse
III.1. Relevanz des Themas „Gott“ für die Lebenswelt der Schüler/Innen
III.2. Gegenwartsbedeutung des Ersten Gebotes
III.3. Zukunftsbedeutung des Ersten Gebotes
IV. Stundenziele
V. Methodische Überlegungen
V.1. Lernatmosphäre
V.2. Einstieg
V.3. Erarbeitungsphase I
V.4. Erarbeitungsphase II
V. 5. Ergebnissicherung
VI. Verlaufsplan der Unterrichtsstunde
VII. Literaturangaben
VIII. Anlagen
1. Folie zum Unterrichtsbeginn
2. Tafelanschrieb mit Hausaufgabe der vorigen Stunde
3. Arbeitsblatt zum Ersten Gebot
Einleitung
Der vorliegende Unterrichtsentwurf ist für die neunte Klassenstufe an einem hessischen Gymnasium bestimmt. Das Thema „Woran du dein Herz hängst...“ findet seien Ort in dem vom hessichen Kultusministerium vorgegebenen Lehrplan unter dem Lernschwerpunkt „Die Frage nach Gott“.1 Die Gottesfrage gehört zu den klassischen Unterrichtsthemen und ist eine der wesentlichen Fragestellungen, mit denen sich Ev. Religionslehre und Theologie auseinander-setzen. Die Religionspädagogik versteht es mit ihren Mitteln, Räume für das Fragen und Antworten zu schaffen, um damit nicht nur zu unterrichten, sondern Lehren und Lernen zu ermöglichen. Mit ihren Inhalten richtet sie sich aus auf die Situation der Lehrenden und Lernenden. Gemeinsam mit der Homiletik scheut sich die Katechetik aber nicht, Antworten zu geben, dies aber immer in neuer und geeigneter Weise. Dieser Unterrichtsentwurf fühlt sich den genannten Zielen verpflichtet.
Als theoretische Grundlage verwende ich mit einigen Abänderungen das Modell von Rainer Lachmann.2 Beginnend mit der Beschreibung der Lerngruppe und ihrem Lernverhalten, fahre ich fort mit einer kurzen Einleitung in das Konzept der gesamten Unterrichtseinheit, in dem der Unterrichtsentwurf seinen Ort findet. Schritt zwei und drei verhandeln die fachwissenschaftliche und die fachdidaktische Analyse. Diese Schritte bedingen sich letztlich gegenseitig. Um aber das Abfärben der didaktischen Wünsche auf die wissenschaftlichen Ergebnisse zu verhindern, sollen diese zuerst dargestellt werden. Die Fachdidaktik soll sich vornehmlich mit der Relevanz des Themas für die Schülerinnen und Schüler auseinander setzen, dessen Bedeutung für ihr Leben und Erleben aufzeigen. Sie wird also das Wesentliche der erarbeiteten Ergebnisse herausnehmen. Anschließend in geraffter Form die Stundenziele des Entwurfs, die Darstellung der verwendeten Methoden, Medien etc. und ein Verlaufsplan der konzipierten Stunde. Hier sei auch auf die Anlagen mit dem verwendeten Unterrichtsmaterial hingewiesen.
I. Lerngruppe
I.1. Schüler/Innen
Folgende Beschreibungen beziehen sich auf meine Erfahrungen in einem Praktikum bei der EKHN, währenddessen ich u.a. im Schuldienst tätig war. Einige Sachverhalte sind jedoch verändert oder frei gewählt. Ich stütze mich dabei zusätzlich auf die empirische Untersuchung von A. Reiß.3
Die Klasse besteht aus 15 Schülerinnen und 9 Schülern im Alter von 14 bis 15 Jahren. Die 24 evangelischen SuS setzen sich aus zwei anderen Klassen zusammen, die sich zum jeweiligen Religions- und Ethikunterricht aufteilen. Da das Gymnasium sich in einer Kleinstadt befindet, ist das Einzugsgebiet der Schule sehr groß. Neben dem kleinbürgerlich bis bürgerlichen Milieu kommen die meisten Kinder aus ruraler Umgebung. Beide Tatsachen haben dementsprechende Auswirkungen auf das Lernverhalten der Gruppe.
Die SuS kennen sich bereits seit der siebten Klassenstufe, als die Klassen nach der jeweilig gewählten zweiten Fremdsprache aufgeteilt wurden. Es ist eine bestimmte Gruppendynamik zu erkennen. Das jeweilige Zusammengehörigkeitsgefühl der beiden Teilklassen ist sehr groß, sodass die Aufteilung der Gruppen für Gruppenarbeitsphasen zwar sehr schnell verläuft, sich diese aber stest in der gleichen Form zusammen setzen. Wenn eine neue Mischung seitens der Lehrkraft versucht wird, vermindert sich die Bereitschaft zur Mitarbeit sehr deutlich, Unruhe und Lautstärkepegel heben sich, stärkere Motivationsimpulse werden notwendig.
Positiv wirkt sich das lange Zusammensein seit der siebten Klasse auf die gegenseitig Akzeptanz der SuS untereinander aus. Die Wortmeldungen und andere Beiträge werden meist positiv und mit Respekt aufgenommen. Die Meinungsbildung über bestimmte Themen vollzieht sich rasch, auch die Ergebnisse aus Partner- und Gruppenarbeit kommen schnell zustande.4
Allerdings zeigt die Verfestigung der Gruppenstruktur auch ihre Negativseite. Zwei Schüler haben den Anschluss zur Gruppe nicht gefunden. Die beiden „Außenseiter“ erfahren kaum Anerkennung, was sie durch verschiedene Verhaltensweisen zu kompensieren versuchen. Der eine Schüler versucht sich durch häufiges Mitarbeiten zu profilieren, was den Unterrichtsverlauf des Öfteren merklich weiterführt. Die andere Schülerin ist zwar aufmerksam, verhält sich aber deutlich zurückhaltender und trägt nur bei Aufforderung etwas zum Unterricht bei.
Die verschiedenartige Herkunft der SuS zeigt sich besonders im Zustandekommen von Diskussionen und den Phasen der Meinungsbildung. Den SuS aus der dörflichem Umgebung fällt es meist schwerer, sich verbal adäquat auszudrücken. Dies führt dazu, dass ihre Beiträge von anderen SuS übergangen werden. Erfahrungen und Aussagen werden teilweise missverständlich aufgenommen und wiedergegeben. Diese Kommunikationsstörungen5 müssen von der Lehrkraft berichtigt und klar gestellt werden. Ein Eingreifen in eine Diskussion ist daher unvermeidlich. Die Lehrkraft braucht hierfür Zeit, um nachzufragen und die Ideen der SuS herauszustellen. Den städtischen SuS fällt es hingegen zunehmend leichter, ihre eigenen Intentionen und Ideen zur Sprache zu bringen und verständlich zu formulieren. Sie sind auch die eigentlichen Träger des Unterrichts, von denen die meisten Fortschritte im Unterrichtsverlauf ausgehen. Die Methodenwahl der Gruppenarbeit schwächt diese Unterschiede teilweise ab, da hier jeder Zeit und Raum findet, seine eigenen Vorstellungen auszusprechen. Insgesamt betrachtet ist die Abstraktionsfähigkeit der SuS verhältnismäßig hoch, was daran liegt, dass im Religionsunterricht Themen behandelt werden, die im Leben und Erleben der SuS ihren Anhalt finden.
Die Religionsstunde wird im Allgemeinen sehr positiv aufgenommen. Sie findet meistens in der fünften oder sechsten Stunde eines Schultages statt, also nach den fordernden Hauptfächern. Die SuS können sich in einer gelösteren Atmosphäre den entsprechenden Inhalten nähern, ohne unter dem Druck zu stehen, Lernstoff aufnehmen und auf Abfrage wiedergeben zu müssen. Der Religionsunterricht ist mehr auf Meinungs- und Kompetenzbildung ausgerichtet, denn auf abfragbares Wissen. Dieser Unterschied ist den SuS deutlich vor Augen und trägt zur Beliebtheit des Faches Religion bei. Mit dem Lernstoff wird freier umgegangen6 und kann dadurch besser von den SuS aufgenommen werden. Eine Bündelung der Lernergebnisse durch die Lehrkraft ist ist dennoch angeraten.7
I.2. Das aktuelle Thema des Religionsunterrichts
Ich beziehe mich auf den hessischen Lehrplan für Gymnasien. Hier ist für die neunte Klasse der Lernschwerpunkt „Biblisch-christliche Tradition. Die Frage nach Gott [...]“ angegeben.8 Meine Unterrichtseinheit ist auf neun Unterrichtsstunden angelegt. Dies soll allerdings nur ein Richtwert sein. Bei besonderem Interesse der SuS an einem oder zwei Themen, lassen sich diese in weiteren Stunden vertiefen. Beginnen wird die Einheit mit drei Stunden Einführung auf das Thema Gott hin. Hier erhalten die SuS die Möglichkeit, ihre eigenen Gottesbilder zur Sprache zu bringen, zu reflektieren, und anhand fremder Religionen einen Überblick über die verschieden gearteten Vorstellungen des „Göttlichen“ zu gewinnen. Auch die eigene religiöse Erfahrung soll hier thematisiert werden. Die Unterrichtsstunden vier bis sechs behandeln die biblischen Vorstellungen über Gott anhand der ersten drei Gebote.9 Darin auch der hier vorgestellte Unterrichtsentwurf. Stunde sieben und acht behandeln die Eigenschaften Gottes, wobei gerade hier zusätzliche Stunden eingefügt werden könnten. Die abschließende Stunde soll die gesamte Unterrichtseinheit bündeln. Jede/r Schüler/in hat hier die Möglichkeit unter dem Eindruck des Gelernten ein eigenes „Glaubensbekenntnis“ zu verfassen. Folgendes Schema soll die Unterrichtseinheit verdeutlichen. Genauere Ausführungen zur sechsten Unterrichtsstunde finden sich dann in den Teilen IV bis VI.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
II. Fachwissenschaftliche Analyse
II.1. Das Erste Gebot in der Bibel
„Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine fremden Götter haben.“ (Ex 20,2f.)
Das Erste Gebot steht am Anfang des Dekalogs und der umfangreichen Gesetzesbestimmungen aus der Überlieferung des Ersten Testaments. Es ist damit nicht nur die bestimmende „Präambel“ der Zehn Gebote, sondern der Kern und das Scharnierstück des gesamten Gesetzes, und darüber hinaus der gesamten Theologie der beiden Testamente. Diese wesentliche Bedeutung des Ersten Gebots soll im Folgenden in einer kurzen Darstellung ihre Begründung finden.
Das „Volk Israel“ ist auf seinem langen Exodus aus Ägypten (Ex 12-18) am Sinai angekommen. Hier erscheint Gott den Israeliten in einer gewaltigen Epiphanie (Ex 19). Doch nur Mose darf sich Gott nahen und Gott spricht die Zehn Gebote aus (Ex 20,1-17). Später kommen weitere Gebote hinzu, ein Bund mit den Israeliten wird geschlossen und Mose erhält die steinernen Tafeln (Ex 24). Daran schließen sich die großen Gesetzessammlungen an (Ex 25-Num 10).
Die Zehn Gebote sind im apodiktischen Stil geschrieben und allgemein gehalten, sie sind also nicht spezielle Gebote für bestimmte Rechtsfälle, wie sie in den Gesetzessammlungen enthalten sind.10 Dies unterstreicht ihre Grundsätzlichkeit und ihren universellen Charakter, wie sie in der Tradition bis heute gesehen werden. Gott selbst spricht die Gebote aus, ohne dass hier die Mittlerschaft des Mose betont wird11, und gibt ihnen dadurch ihre herausragende Bedeutung.12
Die Gottheit beginnt mit einer Selbstvorstellung („Ich bin Jahwe“), einer Selbstdefinition („dein Gott“) und dem Verweis auf ihre Taten („der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat“). Die Aussagen beschreiben die Beziehung zwischen Gott und dem Volk, mit dem er einen Bund (Ex 24) eingehen wird, bzw. von der anderen Seite gesehen, die Erfahrungen Israels mit seinem Gott. Jahwe ist der Gott Israels, der in die Geschichte eingreift und sich dadurch als helfender Gott erweist. Auf ihn kann Israel seine Hoffnung setzen, weil Gott sich gemäß seiner Selbstdefinition an sein Volk bindet und sich zu ihm bekennt („dein Gott“).
Das erste Gebot steht in engem Zusammenhang mit den Aussagen über Jahwes Eifer (Ex 20,5; 34,14; Dtn 6,14f.) und seiner Heiligkeit (Lev 11,44f.; 1. Sam 2,2).13 Gott eifert für sein Volk, tritt für es in der Geschichte ein, rettet, zeigt den Weg und weist zurecht.
Eifer, das meint auch Eifersucht. Gott beansprucht sein Volk für sich, Gottes Bekenntnis zu seinem Volk verlangt auch das Bekenntnis des Volkes zu seinem Gott. Jahwe beunruhigt durch seinen Eifer, er fordert heraus.14 Er allein ist heilig, kein anderer Gott kann neben ihm bestehen. Das Bilderverbot im zweiten Gebot (Ex 20,4-6) verstärkt den Ausschließlichkeitsanspruch der Gottheit Jahwes15, denn: „Jahwe, wer ist dir gleich unter den Göttern?“ (Ex 15,11). Ihm allein gebührt die Heiligung, die Verehrung, die Anbetung und die Liebe, wie Jesus und Paulus dies später mit Dtn 6,5 verstärken werden. Dies ist im alten Orient einmalig.
Die apodiktischen Gebote werden damit zum „kämpfenden Imperativ“16. Gott setzt sich für sein Volk ein, verlangt aber die alleinige Verehrung. Er kann dies fordern, weil er sich durch seine Einzigartigkeit auszeichnet und weil er als einziger rettend in die Geschichte eingreift.17
Der Ausschließlichkeitsanspruch wird im Neuen Testament auf Christus übertragen.18 Hier finden sich ähnliche Aussagen, z.B. Apg 4,12: „In keinem anderen ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden müssen.“ Daneben die Zusammenführung alttestamentlicher und christlicher Erfahrungen in 1. Kor 8,6: „So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“
Die beiden Zitate sollen zumindest einen groben Ausblick auf die enge Verbundenheit der beiden Testamente und ihrer Aussagen aufzeigen. Wie Gott heilvoll an Israel handelte, so hat nun auch die christliche Gemeinde erfahren, wie Gott in Christus heilvoll handelt.19
Es lässt sich als Ergebnis festhalten, dass das Entscheidende zwischen Gott und den Menschen die Bindung und Beziehung zueinander ist. So wie Gott treu ist, so sollen auch die Menschen Gott treu bleiben. Das Erste Gebot ist Ausdruck dieser engen Beziehung, und damit neben dem fordernden Gebot vor allem Zusage.
II.2. „Woran du dein Herz hängst“ und „Was uns unbedingt angeht“ – das Erste Gebot bei Martin Luther und Paul Tillich
„Du sollst nicht ander Götter haben. Was ist das? Wir sollen Gott über alle Ding fürchten, lieben und vertrauen.“20
In Luthers Werk und Theologie spielt das Erste Gebot eine zentrale Rolle, sodass er sagen kann: „wer das erste Gebot hat, der hat alles“21. Denn das Erste Gebot nimmt eine Sonderstellung gegenüber den anderen Geboten ein. Es gebietet den Glauben an den einen Gott, während alle anderen Gebote bestimmte Werke (Tun und Unterlassen) bezwecken. Glauben heißt aber bei Luther Vertrauen, Zutrauen, Zuversicht haben. Und auf welchen Gegenstand sich nun diese Zuversicht richtet, das ist der Gott eines Menschen. Denn „alleine das Trauen und Gläuben des Herzens machet beide Gott und Abegott“22, d.h. „die zweie gehören zuhaufe, Glaube und Gott“23. An anderer Stelle drückt es Luther sehr präzise aus: „Fides est creatrix divinitas“24.
Sitz des Glaubens ist bei Luther das Herz als Ort des Gemüts, also der gesamten Person. Und dieses Herz ist ein „cor fingens“25, ein Herz, das Vorstellungen, Bilder, Pläne, Lebensziele u.v.a. fingiert und herstellt.26 Allzu schnell nimmt das Herz seine eigenen Pläne zu wichtig, die eigenen Ziele werden zu Göttern oder Abgöttern, nach denen man unumwunden trachtet. Der Mensch macht sich seine eigenen Götter, denen er sein Vertrauen schenkt, und genau gegen dieses richtet sich nach Luther das Erste Gebot. So übersetzt er die „fremden, ausländischen Götter“ aus dem Hebräischen mit: „andere Götter“. Denn die Abgötter sind dem Menschen nicht fremd, sondern nur zu bekannt, sonst würde er ihnen nicht nachlaufen, anstatt dem wahren Gott die Ehre zu geben.27
Nach wem richte ich meine Person und mein Leben aus? Das ist die entscheidende Frage, die das Erste Gebot eindeutig beantwortet. Zwischen Gottesdienst und Götzendienst kann es keine neutrale Position geben.28 Aber warum soll das Herz nun seine Zuversicht auf Gott setzen, und nur auf ihn?
Für Luther ist die Antwort einfach und klar. Gott allein verdient dieses Vertrauen, weil nur er es nicht enttäuschen wird, „Gott“ und „gut“ gehören für ihn etymologisch zusammen.29 Er fördert in allem das Gute und hilft von allem Bösen, und das sind exakt die Ziele und Pläne des Herzens.
Gott allein gebührt die Ehre, ihn soll man fürchten, alles andere nicht. Ihn soll man lieben, ihm vertrauen. Die elementaren Regungen des Herzens (Angst und Liebe) sind allein bei Gott in ihrer wahren Bestimmung.30
Ähnlich wie Luther kann Paul Tillich formulieren. Woran wir unser Herz hängen, was uns angeht, das ist unser Gott, d.h. was für uns im Leben wichtig ist, wonach wir streben, wofür wir arbeiten und uns einsetzen, das bestimmt unser Leben. Dies kann die Arbeit sein, die ein ganzes Leben in Anspruch nimmt, Geld oder auch eine Ideologie, eindeutig ersichtlich bei Abhängigkeiten und Süchten.
Was den Menschen aber unbedingt angeht, ist das Unbedingte, das Absolute, Gott selbst. Auch Tillich unterscheidet wie Luther in weltiche, also bedingte und damit nichtige Götter und dem wahren Gott, dem „Sein-Selbst“ als Ursache alles Seienden (Schöpfer). Während Luther dies sehr bildlich anhand des Herzens darstellt, gebraucht Tillich die Sprache der Philosophie, insbesondere der existentialen Philosophie.31
„Gott partizipiert an allem, was ist. Er hat Gemeinschaft mit ihm und nimmt an seinem Schicksal teil.“32 Hiermit ist die Nähe Gottes in Christus gemeint33, das Heilshandeln Gottes an dieser Welt, der seinen Geschöpfen, dem Seienden, Sinn und Mut zum Sein gibt. Ohne Gott würde alles „vom Nichtsein verschlungen werden oder gar nicht erst aus dem Nichtsein hervorgebrochen sein.“34
Gott ermöglicht durch seine schöpferische Gegenwart das Leben, der Mensch nimmt Anteil an dieser Gegenwart und kann dadurch leben und selbst schöpferisch sein. Weil das Unbedingte die Bedingung für den Menschen ist, der Mensch also bedingt ist durch Gott, ist Gott allein das, was uns unbedingt angeht. Der Mensch wird von Gott ergriffen. „Was uns unbedingt angeht, läßt keinen Augenblick der Gleichgültigkeit und des Vergessens zu. Es ist ein Gegenstand unendlicher Leidenschaft.“35 Tillich ist v.a. die religiöse Erfahrung in der jeweiligen (existentiellen) Situation des Menschen wichtig. Dies kann hier aber nicht genauer entfaltet werden. Festzuhalten ist aber:
Sowohl für Luther als auch für Tillich ist das Leben des Menschen Ort ihrer Theologie. Was prägt den Menschen? Was nimmt ihn in Beschlag? Wonach richtet er sein Leben aus? Beiden Theologen ist wichtig, dass der Mensch nicht von falschen Dingen bestimmt wird, die ihn in die Irre führen oder gar zerstören. Sie betonen die göttliche Wirklichkeit, die heilvoll dieses Leben bestimmen will und kann. Das Erste Gebot ist der Ausdruck dieser Erfahrung und damit richtunggebend, mahnend und zusagend zugleich. „Ich bin der Herr, dein Gott.“
[...]
1 Vgl. Lehrplan, 34.
2 Vgl. Adam/Lachmann: Komendium, 222-241.
3 Reiß, Annike: Die Religionsstunde aus der Sicht einzelner Schüler/innen. Empirische Untersuchungen aus der Sek. II, Kassel 2008 (Beiträge zur Kinder und Jugendtheologie 1). Ich gehe davon aus, dass die geschilderten Beobachtungen auch in einer neunten Klasse gemacht werden können.
4 Vgl. Reiß: Religionsstunde, 72;142.
5 Vgl. Reiß: Religionsstunde, 69-72.144-149. Reiß berücksichtigt hier nicht die Milieus. Sie weist aber auf die verschiedenen Denkherkünfte der SuS hin und spricht von den unterschiedlichen „Andockstellen“ (72) und Anknüpungspunkten der SuS. Die Lehrkraft kann diesenAndockstellen nicht beeinflussen (146), nur die Lehrgegenstände und die Ergebnissicherung (149).
6 Vgl. Reiß: Religionsstunde, 147f.
7 Vgl. Reiß: Religionsstunde, 148f.
8 Vgl. Lehrplan, 34.
9 Die Zählungen der Gebote sind je nach Konfession unterschiedlich. Ich richte mich hier nach der hebräischen Vorlage.
10 Vgl. Sæbø: Gebot 44.
11 So schon ab Ex 20,22: „Und Jahwe sprach zu ihm [zu Mose]: So sollst du den Israeliten sagen...“
12 Vgl. Rad: Theologie, 217; Sæbø: Gebot 45; 60.
13 Vgl. Rad: Theologie, 217.
14 Vgl. Rad: Theologie, 218.
15 Das zweite Gebot wird in der christlichen Tradition meist übergangen, woraus sich zudem unterschiedliche Zählungen ergeben.
16 Sæbø: Gebot 45.
17 Vgl. Rad: Theologie, 221; Sæbø: Gebot 45.
18 Vgl. Sæbø: Gebot 57f.
19 Sæbø: Gebot 59f.
20 Luther: Kleiner Katechismus, BSELK, 507.
21 WA 28,724,13. Zu den verschiedenen Schriften, die das Erste Gebot behandeln vgl. Beutel: Luther, 66-69.
22 Luther: Großer Katechismus, BSELK, 560.
23 Luther: Großer Katechismus, BSELK, 560.
24 „Der Glaube ist die Schöpferin der Gottheit“, WA 40 I,360,5f. Vgl. Beutel: Luther, 73.
25 Vgl. WA 42,348,38.
26 Vgl. Bayer: Theologie, 158.
27 Vgl. Beutel: Luther, 71.
28 Vgl. Beutel: Luher, 73.
29 Vgl. Angaben bei Beutel: Luther, 75, Fußnote 73.
30 Vgl. Beutel: Luther, 107f.
31 Vgl. Tillichs einschlägige Schrift: The Courage to Be/Der Mut zum Sein, Verschiedene Auflagen.
32 Tillich: ST I, 283.
33 Vgl. Tillich: ST I, 284.
34 Tillich: ST I, 275.
35 Tillich: ST I, 19.