ADHS in der Sonderpädagogik. Problematiken und Förderungen in der Schulpraxis
Zusammenfassung
Die Autorin hat schon einige Male mit Kindern gearbeitet. Trotz einiger Erfahrungen musste sie feststellen, dass es noch sehr viel mehr zu lernen gibt und auch jede Situation mit jedem Schüler sehr individuell und jedes Mal anders sein kann. Deshalb beschloss sie, sich mit dem Thema ADHS in der Schulpraxis etwas ausführlicher zu beschäftigen, damit der Fundus an Möglichkeiten und Maßnahmen, wie man eine Situation oder einen Konflikt mit einem ADHS-Betroffenen möglichst stressfrei für alle Beteiligten lösen kann, erweitert werden kann. Einen großen Pool an Möglichkeiten zu haben, mit denen man einen Konflikt lösen kann, wie man den Schülern Struktur geben kann und wie man Schwierigkeiten vorbeugen kann, ist nicht nur für das Lehrpersonal von sehr großer Bedeutung, sondern betrifft vor Allem die Schüler. Diese können enorm davon profitieren, wenn eine Lehrkraft weiß, was man tun kann um ihnen ein effektiveres Lernen und eine Beteiligung am Unterricht zu ermöglichen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1. ADHS Symptome und Subtypen
1.1. Unaufmerksamkeit
1.2. Hyperaktivität
1.3. Impulsivität
1.4. Subtypen der ADHS
2. Diagnose
3. Komorbide Störungen
4. Häufigkeit der ADHS
4.1. KiGGS-Studie
4.2. Geschlechterunterschiede
5. Ursachen von ADHS
5.1. Biopsychosoziales Modell
5.2. Genetik
5.3. Psychosoziale Faktoren
5.4. Umwelteinflüsse
5.5. Risiko- und Schutzfaktoren
6. Entwicklung
6.1. Kleinkind- und Vorschulalter
6.2. Grundschulalter
6.3. Pubertät
7. Problematik in der Schule
7.1. Verhaltenskriterien des ICD-10 und des DSM-5 in Bezug auf die Schulpraxis
7.1.1. Verhaltenssymptome zur Unaufmerksamkeit
7.1.2. Verhaltenssymptome zur Hyperaktivität und zur Impulsivität
7.2. Arbeitsgedächtnis, Selbstregulation und Exekutive Funktionen
7.3. „Hitliste“ schwieriger Unterrichtssituationen- eine Statistik
7.4. Stärken
8. Fallbeispiel Timo, 10 Jahre alt
8.1. Familiäre Situation
8.2. Schulische Situation
8.3. Soziale und Emotionale Situation
8.4. Kommentar
9. Intervention und Förderung in Schule und Unterricht
9.1.9 Praktische Tipps (Lauth 2014)
9.2. Präventive Unterrichtsmethoden bei der ADHS (Frölich, D.,B. 2014)
9.3. Maßnahmenkatalog (Hoberg 2018)
9.3.1. Grundlegende Maßnahmen
9.3.2. Spezifische Maßnahmen
9.4. Wenn-Dann-Pläne (Gawrilow 2013;2016)
10. Vergleich und Schnittstellen der vorgestellten Maß- nahmen
11. Anwendung in der Sonderpädagogik
12. Welche Maßnahmen waren bei Timo aus dem Fallbeispiel besonders erfolgreich?
13. Reflexion
Literaturverzeichnis
Internetquelle
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kriterien zur Diagnose nach DSM-5 (Gawrilow 2016, S. 27)
Abbildung 2 Kriterien zur Diagnose nach ICD-10 (Gawrilow 2016, S. 27)
Abbildung 3: gestellte Diagnosen und Verdachtsfälle (Robert-Koch-Institut KiGGS-Studie 2008)
Abbildung 4: Biopsychosoziales Modell nach Döpfner, Banaschewski und Sonuga Barke (in Gawrilow 2016, S. 64)
Abbildung 5 Risiko- und Schutzfaktoren (Frölich, Döpfner, Banaschewski 2014, S. 39 adaptiert nach Flick 2010)
Abbildung 6: "Hitliste" schwieriger Unterrichtssituationen von ADHS-Kindern (Lauth 2014, S. 44)
Abbildung 7 Tabelle der Maßnahmen nach Hoberg (2018) aus der Präsentation von Johanna Krell
Abbildung 8: Unterschied zwischen Zielintention und Wenn-Dann-Plan (Gawrilow 2016, S8..3.)
Einleitung
Im Rahmen eines Seminars, welches mit „Störungen und Verhaltensschwierigkeiten im Unterricht - förderlich damit umgehen!“ betitelt wurde, beschäftigte ich mich für eine Präsentation mit dem Thema ADHS. Ich wählte diesen Schwerpunkt auch für meine Hausarbeit, da ich Sonderpädagogik mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung studiere. Hier habe ich schon einige Male mit Kindern gearbeitet, die ADHS haben und werde im Laufe meiner Berufslaufbahn noch sehr häufig mit solchen Schülern arbeiten. Trotz einiger Erfahrungen musste ich feststellen, dass es noch sehr viel mehr zu lernen gibt und auch jede Situation mit jedem Schüler sehr individuell und jedes Mal anders sein kann. Deshalb beschloss ich, mich mit dem Thema ADHS in der Schulpraxis etwas ausführlicher zu beschäftigen, damit ich meinen Fundus an Möglichkeiten und Maßnahmen, wie man eine Situation oder einen Konflikt mit einem ADHS-Betroffenen möglichst stressfrei für alle Beteiligten lösen kann, erweitern kann. Einen großen Pool an Möglichkeiten zu haben, mit denen man einen Konflikt lösen kann, wie man den Schülern Struktur geben kann und wie man Schwierigkeiten vorbeugen kann, ist nicht nur für das Lehrpersonal von sehr großer Bedeutung, sondern betrifft vor Allem die Schüler. Diese können enorm davon profitieren, wenn eine Lehrkraft weiß, was man tun kann um ihnen ein effektiveres Lernen und eine Beteiligung am Unterricht zu ermöglichen.
Im Laufe meiner Hausarbeit werde ich zunächst einen Überblick schaffen, was ADHS überhaupt ist, welche Symptome und welche Komorbiditäten es gibt und welche Ursachen ADHS haben kann. Anschließend werde ich mich mit der Entwicklung von ADHS beschäftigen und damit, welche Problematiken in der Schule entstehen können. Danach werde ich einige Maßnahmen und Interventionsmöglichkeiten, die man in der Schulpraxis anwenden kann, erläutern und teilweise auch vergleichen.
1. ADHS Symptome und Subtypen
Die Abkürzung ADHS steht für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung. Dieser Begriff beinhaltet schon zwei der drei Kernsymptome von ADHS: Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität. Impulsivität ist das dritte Kernsymptom. Alle Subtypen von ADHS lassen sich auf diese drei Kernsymptome beziehen. Sobald die Symptome in mehreren Bereichen auftreten, wie zum Beispiel in der Schule, zu Hause und im Musikverein, kann von einer ADHS gesprochen werden, bzw. eine Diagnose in Betracht gezogen werden.
1.1. Unaufmerksamkeit
Kinder mit ADHS sind häufig in vielen Lebensbereichen unaufmerksam und demnach auch unkonzentriert. Sie machen häufig Flüchtigkeitsfehler, sind sehr leicht ablenkbar, oft auch durch äußere Reize und sind häufig auch sehr vergesslich.
1.2. Hyperaktivität
Das Kind ist motorisch sehr unruhig, das bedeutet, es zappelt mit den Händen und Füßen, steht oft auf, rutscht auf seinem Stuhl herum und spielt ständig mit Gegenständen. Insbesondere in Situationen, in denen explizit von den Kindern verlangt wird still zu sitzen oder sich ruhig zu verhalten, fällt ihnen dies oft besonders schwer.
1.3. Impulsivität
Kinder mit ADHS können nur schwer abwarten, bis sie an der Reihe sind, sie rufen dann oft in den Unterricht hinein und beantworten Fragen, die nicht an sie gerichtet waren. Es fällt ihnen schwer, sich auch mal „hinten an zu stellen“.
1.4. Subtypen der ADHS
Im DSM-5 werden 3 Subtypen der Störung unterschieden.
- Es gibt einen Mischtyp, der alle 3 Symptome beinhaltet.
- Es gibt einen vorherrschend unaufmerksamen Subtyp, bei dem Hyperaktivität und Impulsivität weniger oder gar nicht stark ausgeprägt sind.
- Es gibt einen vorherrschend hyperaktiv-impulsiven Subtyp, bei dem die Unaufmerksamkeit eher in den Hintergrund tritt oder gar nicht auftritt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kriterien zur Diagnose nach DSM-5 (Gawrilow 2016, S. 27)
In der ICD-10 wird in folgende Subtypen unterschieden:
- Es gibt die Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, in der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität vorliegen und keine Störung des Sozialverhaltens erkennbar ist.
- Es gibt die Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, bei der die 3 Kernsymptome auftreten und hinzukommend noch eine Störung des Sozialverhaltens und Aggressivität zu beobachten ist.
- Es gibt die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, die Unaufmerksamkeit und eine Störung des Sozialverhaltens aufweist, jedoch aber ohne Hyperaktivität und Impulsivität.
Abbildung 2 Kriterienzur Diagnosenach ICD-10 (Gawrilow 2016 , S. 27)
2. Diagnose
Die oben genannten Systeme DSM-5 und ICD-10 ordnen die ADHS nicht nur in ihre Subtypen ein, sondern sie sind auch die zwei gängigsten Diagnosesysteme. In Deutschland wird häufig der ICD-10 verwendet, in wissenschaftlichen Arbeiten jedoch, wird häufig das DSM-5 erwähnt.
Bei einer Diagnose, die meist von ausgebildeten Kinder- und Jugendpsychiatern vorgenommen wird, wird diese nach einem Leitfaden durchgeführt und sehr vielschichtig untersucht, wodurch eine ebensolche Diagnose sehr zeitaufwändig und von einiger Dauer sein kann. Es wird in den Lebensbereichen des Kindes untersucht, in welchen Bereichen es Merkmale von ADHS und somit ein auffälliges Verhalten aufweist. Der Betroffene, seine Eltern, sowie seine Lehrer und/oder Erzieher werden befragt. Die Untersuchungen widmen sich zunächst dem Verhalten des Betroffenen und inwiefern er die Kernsymptome aufweist. „Diese wird ergänzt durch testpsychologische Untersuchung der (Teil-)Leistungsfähigkeit, der konzentrativen Fähigkeiten, des strategisch reflexiven Denkens und von Gedächtnisfunktionen.“ (Frölich 2014, S.53) Im Anschluss wird das Kind internistisch- neurologisch untersucht. Je nach dem, welches Diagnosesystem verwendet wird, muss der Betroffene für eine endgültige Diagnose eine bestimmte Anzahl der jeweiligen Kriterien in mehreren Lebensbereichen (ICD-10) aufweisen. Nach dem DSM-5 gilt zum Beispiel: „Bei Kindern und Jugendlichen bis einschließlich dem 16. Lebensjahr müssen sechs oder mehr Symptome vorliegen.“ (Lauth 2014, S.24) Außerdem wird im Laufe einer Diagnose darauf geachtet, dass zwischen einem Entwicklungsschritt und einer ADHS-Symptomatik unterschieden wird. Wird es als ADHS-Symptomatik erkannt, muss diese, um eine Diagnose stellen zu können, chronisch, über einen längeren Zeitraum und wie schon erwähnt in mehreren Lebensbereichen auftreten. Daher ist eine Diagnose vor dem Eintritt in die Grundschule besonders schwierig.
3. Komorbide Störungen
„Komorbidität bezeichnet das Vorhandensein einer Begleitstörung […]“ (Lühring 2013, S. 42). Kinder mit ADHS weisen häufig zu der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung auch noch eine oder mehrere psychische Störungen auf, welche Komorbide Störungen genannt werden. „Im Falle einer AD(H)S sind die häufigsten komorbiden Erscheinungen die oppositionelle Verhaltensstörung und Störungen im Sozialverhalten.“ (ebd. 2013, S. 42). Ca. 35% der Kinder mit ADHS haben auch zusätzlich eine Lernbeeinträchtigung. (vgl. Lauth 2014) In Anlehnung an Frölich, Döpfner und Banaschewski, leiden viele ADHS-Patienten zusätzlich noch an einer Depressiven Störung, was oft auf ihre Misserfolge in der Schule (hervorgerufen durch Lernbeeinträchtigung und Dissozialem Verhalten), zurückzuführen ist. Weitere Komorbiditäten die im Zuge einer ADHS auftreten können sind zum Beispiel Angststörungen (ca. 40%), Tic-Störungen und Tourette-Syndrom (bis zu 30%), ab dem Jugendalter Substanzmissbrauch und Computerspielsucht, sowie Zwangsstörungen. (vgl. Frölich, Döpfner, Banaschewski 2014, S. 26) Gawrilow überschreibt diese komorbiden Störungen mit Externalisierenden Störungen, Internalisierenden Störungen und Lern-Leistungsstörungen. (vgl. Gawrilow 2016, S. 32 ff.)
4. Häufigkeit der ADHS
4.1. KiGGS-Studie
„Bei 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen (3 bis 17 Jahre) wurde jemals eine Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ärztlich oder psychologisch diagnostiziert. Die Häufigkeit hat sich seit der KiGGS-Basiserhebung nicht verändert. Jungen sind häufiger von ADHS betroffen. Im Vergleich mit Mädchen wurde die Diagnose ADHS bei Jungen mehr als viereinhalbmal so häufig gestellt. Auch Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus sind öfter von ADHS betroffen. Dort wird die Diagnose ADHS dreimal häufiger als in Familien mit hohem Sozialstatus gestellt.“ (KiGGS-Studie, Zusammenfassung KiGGS- Welle 1, S. 2) Die oben zitierte KiGGS-Studie wurde im Laufe mehrerer Jahre durchgeführt und verschafft einen guten Überblick über die Verteilung und die Häufigkeit in Deutschland. Da rund 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen deutschlandweit eine ADHS-Diagnose haben und es zusätzlich noch sehr viele ohne eine solche Diagnose gibt, sogenannte „Verdachtsfälle“ (Gawrilow 2016, S. 48), ist es für Lehrkräfte und angehende Lehrkräfte umso wichtiger, über die Störung Bescheid zu wissen.
4.2. Geschlechterunterschiede
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: gestellte Diagnosen und Verdachtsfälle (Robert-Koch-Institut KiGGS- Studie 2008)
Ebenfalls in der KiGGS-Studie erkennbar ist, dass deutlich mehr Jungen von ADHS betroffen sind, als Mädchen. „Bei Jungen wurde ADHS mit insgesamt 7,9% um den Faktor 4,3 häufiger diagnostiziert als bei Mädchen mit 1,8%.“ (KiGGS-Studie, Schlack 2008, S.253). Der Grund, warum Mädchen, seltener diagnostiziert werden, liegt darin, dass diese meistens von dem unaufmerksamen Subtyp betroffen sind. (vgl. Gawrilow 2016 S. 52) Sie sind dadurch weniger hyperaktiv und weniger impulsiv, weshalb sie weniger auffallen. Hier kann es sein, dass i hre Komorbiditäten, beispielsweise ihre Lernschwäche eher in den Vordergrund rückt, als die ADHS.
5. Ursachen von ADHS
5.1. Biopsychosoziales Modell
ADHS hat nicht „die eine“ Ursache, sondern es liegen dieser Störung verschiedene Faktoren zugrunde. „Die verursachenden Grundlagen der ADHS werden in einem Zusammenspiel komplexer biologischer und psychosozialer Faktoren vermutet, im Sinne eines biopsychosozialen Störungsmodells.“ (Frölich 2014, S. 31) Das besagt, dass mehrere Faktoren aus der Biologie- also Neurobiologie und Genetik – aus der Psychologie und aus dem sozialen Bereich zusammenkommen müssen, damit eine ADHS entstehen kann. Nach dem Biopsychosozialen Modell von Döpfner, Banaschewski und Sonuga-Barke (2008) führt eine genetische Disposition zu einem gestörten Neurotransmitterstoffwechsel. Diese Störungen schädigen Denk- und Wahrnehmungsabläufe und außerdem beeinträchtigen sie die motivationalen Prozesse des Kindes. Diese neuropsychologischen Veränderungen führen dann zu den typischen ADHS-Symptomen auf der Verhaltensebene: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. (vgl. Gawrilow 2013, S.11) Aufgrund ihrer Symptomatik bekommen Kinder mit ADHS häufig auch weitere Probleme, beispielsweise in ihrem Umfeld, ihrer Familie, Klasse und in anderen sozialen Beziehungen. Sie stoßen auf Unverständnis und bekommen negative Rückmeldungen. Nach dem Modell von Döpfner, Banaschewski und Sonuga-Barke kann es dann noch zu weiteren Schwierigkeiten kommen, wenn zudem noch andere Störungen oder Komorbiditäten auftreten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Biopsychosoziales Modell nach Döpfner, Banaschewski und Sonuga Barke (in Gawrilow 2016, S. 64)
5.2. Genetik
Dass ADHS genetische Ursachen hat, ist mittlerweile wissenschaftlich hinreichend erforscht. Durch Zwillingsstudien beispielsweise, konnte bewiesen werden, dass biologische Verwandte der Betroffenen oft ebenfalls eine ADHS-Symptomatik aufweisen. Bei Eineiigen Zwillingen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine ADHS beim Zwilling des Betroffenen vorliegt, bei 50-80%. Bei Zweieiigen Zwillingen liegt diese Wahrscheinlichkeit bei etwa 35%. (vgl. Gawrilow 2016, S. 66, Bezug auf Krause 2005; Konrad/Günther 2007)
Molekulargenetische Untersuchungen haben herausgefunden, dass eine ADHS nicht durch ein einziges Gen entsteht, sondern, dass hierfür mehrere Gene zusammenspielen müssen.
„So wurden Gene lokalisiert, welche in die Dopaminregulation eingreifen.“ (Gawrilow 2016, S. 66) Dopamin sorgt dafür, dass Informationen zwischen Nervenzellen weitergeleitet werden. Wenn dies nicht richtig funktioniert, kann es auf der Verhaltensebene zu Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität kommen. Besonders der Informationsfluss, also die Nervenbahnen zwischen dem Präfrontalen Kortex und anderen Hirnregionen ist bei ADHS-Patienten besonders beeinflusst.
5.3. Psychosoziale Faktoren
In früheren Forschungen ging man davon aus, dass Psychosoziale Faktoren, wie beispielsweise Rauchen und Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, ein niedriger sozioökonomischer Status oder ungünstigen Familienbedingungen eine tragende Ursache von ADHS war. „Solche psychosozialen Faktoren werden heute nicht mehr als alleinige Ursache der ADHS diskutiert.“ (Gawrilow 2016, S. 68) Es wird davon ausgegangen, dass diese Faktoren mit den genetischen und neurobiologischen Faktoren interagieren und die Auswirkungen der ADHS sowohl negativ, als auch positiv beeinflussen. (vgl. Gawrilow 2013, S. 13) In Frölich, Döpfner, Banaschewski wird erwähnt, dass „ungünstige psychosoziale, familiäre Bedingungen [stärker mit aggressivem und dissozialem Verhalten einhergehen,] als mit einer ADHS.“ (Frölich, Döpfner, Banaschweski 2014, S.38) Die psychosozialen Faktoren gehören somit nicht zu der Ursache einer ADHS, sondern sind Wirkfaktoren.
5.4. Umwelteinflüsse
Wenn es darum geht, dass Umwelteinflüsse eine ADHS verursachen, ähnelt diese Auffassung den psychosozialen Faktoren. Hier gilt ebenfalls: Ein solcher Faktor löst nicht direkt eine ADHS aus, sondern kann diese beeinflussen oder verstärken. Dennoch ist es erwähnenswert, dass durchaus Korrelationen zwischen Umwelteinflüssen und einer ADHS bestehen. Zum Beispiel sind diese Zusammenhänge auffindbar, wenn während der Schwangerschaft geraucht, Alkohol konsumiert wurde oder ein sehr geringes Geburtsgewicht des Säuglings vorhanden war. In der Gesellschaft ist die Annahme verbreitet, dass ADHS auch durch Allergien verursacht werden können. Dies ist durch Statistiken und Studien jedoch falsifiziert worden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Kinder, die bereits ADHS haben, durch Allergien oder Ernährungsumstellungen, Verhaltensänderungen zeigen können. (vgl. Gawrilow 2016, S. 70)
5.5. Risiko- und Schutzfaktoren
Wie schon erwähnt, sind sowohl psychosoziale Faktoren, als auch Umwelteinflüsse keine alleinige Ursache für ADHS. Sie können sich aber positiv oder negativ auf die Entwicklung der Störung auswirken. Wenn ein Faktor sich negativ, wenn nicht sogar gefährdend auf die ADHS auswirkt und diese somit intensiviert, nennt man dies Risikofaktor. Umgekehrt, wenn der Faktor die Entwicklung positiv beeinflusst und vorbeugend wirkt, nennt man dies Schutzfaktor oder Protektivfaktor. Gawrilow (2016, S. 100) zählt eine geringe Bildung der Eltern, frühe Elternschaft, bzw. eine ungewollte Schwangerschaft, eine mangelhafte Stressbewältigung der Eltern oder sogar psychische Störungen der Eltern, sowie ungünstige Lebensverhältnisse zu den Risikofaktoren. Wenn einer dieser Faktoren oder sogar mehrere bei einem ADHS- Betroffenen auftreten, kann dies die Störung enorm beeinflussen. Schutzfaktoren sind unter anderem eine Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson, Eine Verfügbarkeit weiterer Personen außer den Eltern, ein gutes soziales Netzwerk der Familie und ein umgängliches Temperament des Kindes. (vgl.ebd. S.100) Frölich, Döpfner und Banaschewski haben diese Risiko- und Schutzfaktoren tabellarisch und in verschiedenen Bereichen kategorisiert und etwas detaillierter dargestellt. In dieser Darstellung (siehe Abb.5) werden die Faktoren in biologische, familiäre, psychologische und psychosoziale Faktoren unterteilt.
Abbildung 5 Risiko- und Schutzfaktoren (Frölich, Döpfner, Banaschewski 2014 , S. 39 adaptiert nach Flick 2010)
6. Entwicklung
Die Aufmerksamkeits-/ Hyperaktivitätsstörung ist eine Störung, die sich nicht einfach auswächst, wie oft vermutet oder gehofft wird, sondern, sie ist eine lebenslange Störung. Natürlich können die Betroffenen im Laufe ihres Lebens einen Weg finden, um mit dieser Störung umzugehen, weshalb teilweise davon ausgegangen wird, dass die ADHS nicht mehr vorhanden ist. Wie sich die typischen Merkmale einer ADHS im Laufe der Entwicklung des Kindes verändern, werde ich im Folgenden kurz erläutern.
6.1. Kleinkind- und Vorschulalter
Schon im Mutterleib und später im Säuglingsalter können später Diagnostizierte auffällig sein. Sie sind sehr aktiv, haben häufig Schlafprobleme und es kommt sehr häufig zu Futterstörungen. Durch diese Symptome entsteht häufig eine gestörte Mutter-Kind-Interaktion. (vgl. Gawrilow 2016, S. 92) Auch im Vorschulalter „sind ADHS-Kinder dauernd in Bewegung und zeigen ziellose Aktivität.“ (Gawrilow 2016, S. 93) Es fällt ihnen schwer, sich auf das Spielen zu konzentrieren und Anderen zu gehorchen. (vgl. ebd.)
6.2. Grundschulalter
Ab dem Grundschulalter werden die meisten Kinder, die wahrscheinlich eine ADHS haben, erst wirklich auffällig. Konnten sie sich vorher nicht auf das Spielen konzentrieren oder haben sich viel ziellos bewegt, so kommen die Symptome im Bereich der Schule zum Ersten Mal zur Geltung. Aus diesem Grund werden viele Kinder auch im Grundschulalter diagnostiziert. Ab diesem Alter wird es auch für die Schulpraxis relevanter, sich der Entwicklung von ADHS zu widmen. Das Setting Schule und Unterricht fordert das Kind heraus: Regeln verlangen Aufmerksamkeit, stilles Sitzen, Arbeits- und Konzentrationsphasen. Doch dies kann ein Kind mit ADHS nicht in dem geforderten Maße erfüllen. Deshalb fällt es den Lehrern auf und die Problematik kann thematisiert werden. Die Schüler zeigen größtenteils eine sehr hohe Ablenkbarkeit, sind im Unterricht unruhig und müssen aufgrund einer komorbiden Lernstörung oft auch eine Klasse wiederholen. Außerdem tritt gerade im Grundschulalter aggressives Verhalten auf, weshalb sie schneller von ihren Klassenkameraden abgelehnt werden. Kinder mit ADHS weisen ohnehin schon häufig Schwierigkeiten im Sozialverhalten auf und werden dann zusätzlich noch abgewiesen. Freundschaften hegen diese Schüler eher selten und wenn, dann ebenfalls mit verhaltensauffälligen Kindern oder Schülern einer Randgruppe und fast nie in Zweiergruppen, sondern immer in Gruppen mit mindestens drei Beteiligten. (vgl. Gawrilow 2016, S. 94),
6.3. Pubertät
Auch die Entwicklung der ADHS in der Pubertät spielt für Lehrkräfte und somit auch für die Schulpraxis eine relevante Rolle. Bei Jugendlichen vermindert sich die motorische Unruhe, die in der bisherigen Entwicklung immer eine der Hauptsymptome war. Die Aufmerksamkeitsdefizite aber bleiben bestehen, ebenso wie die komorbiden Lernstörungen und ihr mangelndes Durchhaltevermögen, wodurch die Jugendlichen teilweise ihren Schulabschluss nicht schaffen. Durch ihre eingeschränkte Impulskontrolle neigen Teenager mit ADHS dazu, ein höheres Risikoverhalten zu zeigen, als ihre Altersgenossen ohne ADHS. Beispiele hierfür sind z.B. rasantes Fahren, Alkohol- und Drogenmissbrauch und bei manchen die Neigung zum Übergewicht. Depressionen und Bipolare Störungen können eine Folgeerscheinung von jahrelangem Außenseitertum und mangelndem Selbstwerts sein. Ein spannender Aspekt ist der, der Selbstmedikation bezüglich des Rauchens. Studien zufolge hat Nikotin eine ähnliche Wirkung wie Metylphenidat, es nimmt scheinbar Einfluss auf die Dopaminregulation. Das bedeutet, die Jugendlichen können sich besser konzentrieren und therapieren sich mit Hilfe des Rauchens ein Stück weit selbst. (vgl.ebd. S. 94f)
7. Problematik in der Schule
Wie oben schon beschrieben gestaltet sich die Schule als perfekter Ort, um sich als ADHS - Schüler diversen Problemen stellen zu müssen. Dies kann sowohl für den Schüler selbst, seine Mitschüler und seine Lehrkraft zu einer echten Herausforderung we rden, da hier die Kernsymptome der ADHS Auswirkung auf die verschiedensten Bereiche des Systems Schule hat und sich auf ihr Unterrichtsverhalten, ihr Sozialverhalten und auch ihre schulischen Leistungen auswirkt. Um diese genauer zu beschreiben eignen sich meiner Meinung nach die Diagnosekriterien aus DSM-5 und dem ICD-10. Wobei sich hier eine Auswahl auf die unterrichtsrelevanten Kriterien besonders gut eignet um einen Überblick einer ADHS- Problematik im Schulalltag zu liefern. Hierbei muss beachtet werden, dass dies Kriterien sind, die in bestimmten Auswirkungen und Mustern auftreten können und individuell von Schüler zu Schüler verschieden sind. Wer aus der Schulpraxis schon Erfahrung mit ADHS-Schülern gemacht hat, wird durch den Kriterienkatalog einige Parallelen erkennen können.
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