Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Thematik, inwiefern ethnologische Forschungsmethoden innerhalb von Entwicklungszusammenarbeiten anwendbar sind sowie mit deren Einfluss auf analytische Vorgehensweisen von Entwicklungsorganisationen.
Der Fokus setzt sich folglich auf die konkrete Projekt- und Konfliktforschung sowie die konstruktive Verwendung der erarbeiteten Daten unter Beihilfe ethnologischer Ansätze und Arbeitsweisen. Um die Rolle der Ethnologie innerhalb des Projektkontextes von Hilfsorganisationen verständlich machen zu können müssen vorab problemanalytische Ansätze und Vorgehensweisen seitens Hilfsorganisationen verstanden werden. Diesbezüglich werden zwei analytische Verfahren der Arbeitsmethoden von Entwicklungshelfern systematisiert vorgestellt. Das Verstehen des Konfliktkontextes und das Ergründen lokaler Friedenskapazitäten stehen hierbei im Vordergrund.
Ethnologische Ansätze von Hans-Georg Soeffner, Arjun Appadurai und Branislav Malinowski werden im Rahmen dieser Arbeit ihren Platz finden. Diese werden anhand eines Fallbeispiels mit Ansätzen aus konfliktanalytischen Vorgehensweisen von Entwicklungshelfern kombiniert und veranschaulicht.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. DO NO HARM ANALYSE - Ermitteln der Auswirkungen des Projektes auf den Konfliktkontext
1.1 Bewusstsein für das eigene Projekt - die Einschränkungen von Fremdeinflüssen
1.2 Methodische Vorgehensweise der Konfliktanalyse
1.3 Die fünf universalen Kategorien der Friedenskapazitäten
2. Der Capability Approach - Ansatz zum Ermitteln von F ähigkeiten und Leistungen
3. Arbeitskr äfte und Fähigkeiten – Einblick in die Gestaltung des Teams
4. Sichtweise der Ethnologie auf den Kontext, sowie Ans ätze zur Problemanalyse
4.1 Die drei - I’s - nach Hans-Georg Soeffner
4.2 Ajun Appadurei – Ethnoscapes
4.3 Branislav Malinowski – Die teilnehmende Beobachtung
5. Das Fallbeispiel – Die Mugu in Nepal
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Vorwort
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Thematik, inwiefern ethnologische Forschungsme-thoden innerhalb von Entwicklungszusammenarbeiten anwendbar sind sowie deren Einfluss auf analytische Vorgehensweisen von Entwicklungsorganisationen.
Der Fokus setzt sich folglich auf die konkrete Projekt- und Konfliktforschung sowie die kon-struktive Verwendung der erarbeiteten Daten unter Beihilfe ethnologischer Ansätze und Ar-beitsweisen.
Um die Rolle der Ethnologie innerhalb des Projektkontextes von Hilfsorganisationen verständ-lich machen zu können müssen vorab problemanalytische Ansätze und Vorgehensweisen sei-tens Hilfsorganisationen verstanden werden. Diesbezüglich werden zwei analytische Verfahren der Arbeitsmethoden von Entwicklungshelfern systematisiert vorgestellt. Das Verstehen des Konfliktkontextes und das Ergründen lokaler Friedenskapazitäten stehen hierbei im Vorder-grund.
Ethnologische Ansätze von Hans-Georg Soeffner, Arjun Appadurai und Branislav Malinowski werden im Rahmen dieser Arbeit ihren Platz finden. Diese werden anhand eines Fallbeispiels mit Ansätzen aus konfliktanalytischen Vorgehensweisen von Entwicklungshelfern kombiniert und veranschaulicht.
1. DO NO HARM ANALYSE - Ermitteln der Auswirkungen des Projektes auf den Konfliktkontext
Um positive Auswirkungen auf einen Konflikt gewährleisten zu können bieten zahlreiche Hilfs-organisationen Seminare zum Verbessern der Konfliktsensibilität an. Solche Seminare dienen dazu, dass künftige Projekte einen Konflikt nicht verschärfen.
Verbindende Faktoren der betroffenen Gesellschaften, auf die später genauer eingegangen wird, sollen gefestigt werden. Außerdem sollen lokale Kapazitäten zum Friedenserhalt unter-stützt und ausgebaut werden (Anderson 1999:67).
Bezüglich dessen stellt sich die Frage, was im Bereich des Möglichen von Entwicklungspro-jekten liegt und was nicht.
1.1) Bewusstsein f ür das eigene Projekt - die Einschränkungen von Fremdeinflüssen
Mary B. Anderson beschreibt zwei zentrale Faktoren, um den Rahmen von Hilfsprojekten be-schränken zu können:
a) Auch scheinbar geringfügige Projekte und Hilfeleistungen können Einfluss auf den Konflikt nehmen. Dies kann sowohl konstruktive als auch destruktive Auswirkungen haben (Anderson 1999:68).
Konfliktsituationen beinhalten oftmals verschiedenste Faktoren, auf welche die Entwicklungs-projekte keinen gezielten Einfluss nehmen können. Entwicklungshelfer und Friedensmissio-nare müssen sich daher der Wirkungskette sowie der Verantwortung des Projektes bewusst sein. Denn durch das Eingreifen eines Projektes in einen Konflikt wird das Projekt ein Teil des Kon-fliktes selbst.
Um den Fall negativer Auswirkungen von Hilfeleistungen zu umgehen und um ein besseres Kontextverständnis erhalten zu können, sind Entwicklungshelfer und Friedensbeauftragte dazu verpflichtet, ausgiebige Analysen der möglichen lokalen Veränderungen zu erstellen (Anderson 1999:68).
b) Gesellschaften sind selbst für ihre kriegerischen und außergerichtlichen Handlungen
verant-wortlich. Das Gefühl von Machtlosigkeit im Bereich der Entscheidungsfindung im Alltagsver-ständnis der Bevölkerung ist die Folge. Zu bemerken ist, dass viele Individuen und Gruppen eher die Tendenz zu einer friedlichen Lö-sung aufweisen und die kriegerische Ideologie ihres Landes ablehnen (Anderson 1999:68).
Menschen, die in eine Konfliktsituation involviert sind, tendieren im Allgemeinen dazu, ihren emotionalen Fokus auf Spannungen in der Gesellschaft zu legen. Aufgrund eines Konfliktes wird folglich oftmals die Normalität als abnormal empfunden. Friedenskapazitäten können dadurch nicht ermessend wahrgenommen werden, da das negative Bild überwiegt. Die Wahr-nehmung kann daher beeinflusst beziehungsweise manipuliert werden (Anderson 1999:23).
1.2) Methodische Vorgehensweise der Konfliktanalyse
Eine der wichtigsten Erkenntnisse des LCPP (Local Capacities for Peace Projekt) ist die Idee, dass innerhalb eines jeden Konfliktes sogenannte Connector & Divider (Trennende und Ver-bindende Faktoren) zu finden sind.
Das LCPP ist eine Projektarbeit eines Kollektivs von verschiedener Forscher unter der Leitung Mary B. Andersons (Anderson 1999:23). Der analytische Ansatz ist in Abb.1 zu sehen und wird in den folgenden drei Schritten erläutert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Analytischer Ansatz zum Ermitteln der Auswirkungen des Projektes auf den Kontext (Netzwerk Fl ücht-lingsforschung 2018)
Schritt 1: Dividers ermitteln sowie die Beurteilung ihres Belangens festlegen. Diese können beispielsweise gesellschaftliche Spannungen und negative Kapazitäten innerhalb des Konflikt-kontextes sein (Anderson 1999:69).
Schritt 2: Connectors und lokale Friedenskapazitäten müssen ermittelt werden. Ihr Belangen muss beurteilt und in den Konfliktkontext eingefügt werden (Anderson 1999:69).
Schritt 3: Alle relevanten Merkmale der Hilfsorganisation sowie des Projektes und des Pro-jektkontextes müssen identifiziert und beurteilt werden, um eine Neubewertung (redesign) ihrer Auswirkungen auf die trennenden und verbindenden (dividers and connectors) Faktoren des Konfliktes herausarbeiten zu können (Anderson 1999:69-70).
Entwicklungshelfer müssen unter Berücksichtigung einer holistischen Ansichts- und Arbeits-weise ein konkretes Projektdesign erstellen. Dies beinhaltet das Miteinbeziehen von gesell-schaftlichen Spannungen und Friedenskapazitäten in den analytischen Vorgang (Anderson 1999:75).
Sie müssen nachvollziehen können, welche Faktoren die Menschen voneinander trennen um angemessen agieren zu können. Probleme müssen voneinander getrennt werden, da sie voraus-sichtlich aus verschiedenen Gründen entstanden sein können. Diese können beispielsweise his-torischen, kulturellen oder religiösen Ursprungs sein und werden als driver of conflict (Konflikt antreibende Faktoren) bezeichnet. Auch der Ort der Konfliktursache muss bei der Beurteilung möglicher Auswirkungen auf den Projektkontext auf Spannungen innerhalb der Gesellschaft überprüft werden. Wichtig ist es nicht nur die Ursache zu identifizieren, sondern das Problem zu beurteilen (Anderson 1999:70-71).
Demnach bietet der DO NO HARM -Ansatz die Möglichkeit auf drei Ebenen Daten in Bezug auf den Projektkontext zu erfassen und zu bewerten. Infolgedessen können Lösungsansätze besser erarbeitet werden. Er hilft dabei, Informationskategorien herauszufiltern und zu ordnen sowie diese in Beziehung zueinander zu setzen um ein konkretes Projektdesign erarbeiten zu können. Es schreibt weder vor, wie Aktionen auszusehen haben, noch können Ereignisse durch ihn interpretiert werden (Anderson 1999:75).
Ergebnisse anhand der DO NO HARM Analyse gelten allerdings nur temporär. Situationen in Krisengebieten können sich stetig ändern. Daher muss den Projektleitern bewusst sein, dass heutige Connector morgen als Divider fungieren können. Das Projekt sollte daher immer im Wandel sein. Es muss immer wieder nach dem Schema überarbeitet werden, da der Kontext sich laufend verändert (Anderson 1999:76).
1.3) Die f ünf universalen Kategorien der Friedenskapazitäten
Doch wie gestalten sich die verbindenden Faktoren für Friedenskapazitäten? Inwiefern können diese festgelegt werden? Auf diese Fragen wird im Folgenden genauer eingegangen. Mary B. Anderson legt in Ihrem Werk fünf Kategorien zum Ermitteln von Friedenskapazitäten fest. Diese lassen sich in allen Gesellschaften ermitteln und beherbergen somit eine universelle Gültigkeit. „Those elements that fall under the heading of capacities for peace should be strikingly different from those identified in a parallel circumstance as capacities for war” (Anderson 1999:31).
1. Systeme und Institutionen: Der Austausch von Waren bringt Menschen in direkten Kontakt zueinander. Geschaffene Infrastrukturen sowie institutionelle Abhängigkeit bilden gesellschaft-liche Konnektoren (Anderson 1999:25).
2. Einstellungen und Handlungen: Toleranzen und Mitgefühl für Menschen gegenüber der anderen Konfliktpartei, sowie eine Selbstreflektion eigener Handlungen können Synthesen schaffen. Aktionen der eigenen Gruppe werden oft als negativ empfunden. Ansichtsweisen gegenüber politischer Ideologien können sich infolgedessen voneinander differenzieren. (Anderson 1999:26)
3. Geteilte Interessen: Ressourcen, von denen mehrere Konfliktparteien abhängig sind, werden untereinander aufgeteilt. Diese können beispielsweise Elektrizität, Kommunikationsmo-dule, Nahrungsmittel sowie gesundheitliche Dienste sein (Anderson 1999:28-29). “In southern Sudan agency staff report that for some time health workers were allowed to cross lines when food providers were not because people accept everyone’s right to receive health service”. (Anderson 1999:29)
4. Geteilte Erfahrungen: Ganz gleich ob Armut, Krieg oder Hunger, gemeinsame Erfahrungen können eine Verbindung zwischen Menschen schaffen, selbst wenn sie in einem Konflikt in-volviert sind und verschiedene Ansichten vertreten (Anderson 1999:29).
5. Symbolische Zugeh örigkeit: Nationale Kunst, Kultur, Historik, Musik und Literatur sowie Monumente und Zeremonien bieten potenzielle Verbindungen zwischen Menschen (Anderson 1999:31).
“Shared history, values and culture are challenged and reinterpreted by war propaganda. For aid providers, the challenge is both to recognize capacities for peace and to find appropriate ways to reinforce and support them without simultaneously increasing the probability that they will be targeted and destroyed by those who pursue war”. (Anderson 1999:35)
2. Der Capability Approach - Ansatz zum Ermitteln von Fähigkeiten
An dieser Stelle können Parallelen zum Capability Approach gezogen werden. Der Capability Approach (zu Deutsch: Fähigkeiten Ansatz) bietet einen breiten Rahmen zur Auswertung und Bewertung sozialer Regelungen, welcher sich auf verschiedene Gesellschaftsschichten bezie-hen lässt. Er ist von großem Nutzen für empirische Forschungen. Die zentrale Eigenschaft des Ansatzes ist das Fokussieren auf die Funktionalität von Individuen innerhalb einer Gesellschaft. Anhand des Capability Approaches kann ermittelt werden, zu was Menschen fähig sein können und zu was nicht.
Einhergehend mit dem Capability Approach gelten Martha Nussbaum und Amartya Sen als Pioniere bei der Gestaltung des Ansatzes (Robeyns 2005:93-94).
Sen, welcher einen ökonomischen Standpunkt vertritt, setzt den Fokus des Capability Approach auf Individualität und Lebensqualität. Denn erst das Sein und das Tun machen das Leben le-benswert. Die Vorstellung des „Seins und Tuns“ sieht Sen als Funktionen an. “[These] func-tionings include working, resting, being literate, being healthy, being part of a community being respected, and so forth” (Robeyns 2005:95).
Nussbaum hingegen nutzt den Ansatz als Grundlage für eine patriarchale Gerechtigkeitstheorie und vertritt einen traditionell humanitären Standpunkt. Fähigkeiten und Funktionen in Bezug auf den allgemeinen Wohlstand werden hierbei konzeptualisiert. Wichtig sind auch an dieser Stelle die Möglichkeiten im Sinne von Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten des Individu-ums. Nussbaum bewertet mit ihrem Konzept die Auswirkungen von politischen Richtlinien auf die Fähigkeiten der betroffenen Menschen.
In beiden Fällen sind Ressourcen, finanzielle Mittel, aber auch politische Institutionen und Um-sätze sowie der Austausch von Gütern von großem Interesse, um Sozialregelungen zu ermitteln. Der Capability Approach ist folglich die Form einer zweckorientierten Ethik und kann zum Verstehen des ökonomischen Umfangs genutzt werden (Robeyns 2005:96-104).
“The capability approach not only advocates an evaluation of people’s capability sets, but insists also that we need to scrutinize the context in which economic production and social interactions take place, and weather the circumstances in which people choose from their opportunity sets are enabling and just”. (Robeyns 2005:99)
3. Arbeitskr äfte und Fähigkeiten – Einblick in die Gestaltung des Teams
In Bezug auf Entwicklungshilfe und Friedensforschung hat die Ressource des Fachwissens ei-nen hohen Stellenwert. Für jemanden ohne spezifisches Fachwissen ist es unmöglich, eine ak-kurate und nützliche Kontextanalyse zu erstellen (Autessere 1998:68). Bei der Auswahl von Arbeitskräften werden häufig Experten verschiedener Disziplinen engagiert um das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln untersuchen zu können. Thematisch technische, wirtschaftli-che und wissenschaftliche Kompetenzen können im Bereich der Problemanalyse und der Ent-wicklungszusammenarbeit von großem Vorteil sein (Autessere 1998:69-71).
“International peacebuilders can provide local stakeholders with an understanding of how individuals […] have responded to similar situations. Expatriates with thematic expertise can also contribute different perspectives on the situation and help insiders gain critical distance while analyzing problems and developing solutions”. (Autessere 1998:71)
Kompetenzen, wie etwa das Verständnis der geschichtlichen Hintergründe und der Analyse von Schlüsselfiguren, als auch das Verständnis von Ebenen der politischen, soziokulturellen und ökonomischen Dynamiken sind von großer Relevanz bei der Problemanalyse (Autessere 1998:69).
Um ein besseres kontextbezogenes und auch kulturelles Verständnis erlangen zu können sind Entwicklungshelfer auf Experten angewiesen, welche mit lokalen Konditionen vertraut sind (Autessere 1998:73).
Bezüglich der Arbeitsweise auf verschiedenen Ebenen können Fäden zu Arjun Appadurais These der „ethnoscapes“ gezogen werden. Hierzu wird im Verlauf des folgenden Kapitels ge-nauer eingegangen. „peacebuilders with various competencies each contribute different perspectives, networks, assets, and leverage with particular constituencies, “all of which are essential to effective peacebuilding, [… ] cultural understanding helps promote effective communication between peacebuilders and target population in conflict zones (for national and international staff) in designing and implementing appropriate and relevant projects”. (Autessere 1998:70+72)
4. Sichtweise der Ethnologie auf den Kontext, sowie Ans ätze zur Problemanalyse
Betrachten wir nun die analytische Vorgehensweise der DO NO HARM Analyse, werden an diesem Punkt die Auswahlkriterien der trennenden und verbindenden Faktoren hinterfragt und das Arbeitsfeld der Ethnologie miteinbezogen.
Um tiefgründige Sachkenntnisse über historische, kulturelle und traditionelle Kontexte zu er- kennen und um diese ausgiebig beurteilen zu können erfordert es Experten wie Ethnologen, welche sich bereits ausgiebig mit der Materie auseinandergesetzt haben. Nicht nur kontextbezogenes Fachwissen kann hier von großem Nutzen sein. Wissenschaftliche Ansätze und Methoden zum Verstehen der Gesellschaftsverflechtungen können für analytische Zwecke von Konfliktkontexten dienen.
Ausländische Minister und Diplomaten im Einsatz einer Friedensmission sprechen themati- scher Sachkenntnis eine enorme Signifikanz zu und stellen diese über lokale Fachkenntnisse. Sie schätzen analytische Fähigkeit und Kompetenzen wie beispielsweise Sprachkenntnisse, vor allem aber Kenntnisse über ökonomische und soziale Faktoren (Autessere 1998:73).
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