Es sollte eine Rede anlässlich einer Heidegger-Tagung auf Schloss Elmau werden und entwickelte sich zu einem emotional überladenen Gelehrtenstreit. Peter Sloterdijks Rede ,,Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus." Denn Sloterdijk äußerte nicht nur gewagte Thesen zur Situation des Humanismus, es waren vor allem anthropotechnische ,,Zukunftsvisionen", die die Gelehrten-Gemüter erregten. Dabei hatte Sloterdijk nur aufgegriffen, was bereits seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, sowohl in Hinblick auf den Humanismus, als auch bezüglich einer bioethischen bzw. anthropotechnischen Entwicklung.
Doch ganz im Sinne Sloterdijks - der Grad der Provokation entscheidet über die Effektivität einer wie auch immer gearteten Diskussion - entstand ein ausladender und umsichgreifender Gelehrten-Disput.
In dieser Arbeit werde ich die Elmauer Rede in ihren wichtigsten Zügen wiedergeben, sowie die durch sie ausgelöste Medien-Debatte abhandeln.
[...]
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1.0. PETER SLOTERDIJK
1.1. Biographie
2.0. DIE VORGESCHICHTE DER „ELMAUER REDE“
3.0. INHALT DER „ELMAUER REDE“
3.1. Die den Meta-Skandal auslösenden Passagen
4.0. DIE DEBATTE IN DEN MEDIEN - VERLAUF UND INSZENIERUNG
4.1. Artikel von Martin Meggle in der Frankfurter Rundschau, 24.07.99
4.2. Artikel von Rainer Stephan in der Süddeutschen Zeitung, 29.07.99
4.3. Replik Sloterdijk in der Frankfurter Rundschau, 31.07.99
4.4. Artikel von Enno Rudolph in der Frankfurter Rundschau vom 20.08.99
4.5. Zeit-Artikel von Thomas Assheuer („Das Zarathustra-Projekt“), 02.09.99
4.6. Artikel von Reinhard Mohr im Spiegel, 06.09.99
5.0. BEGINN DER INSZENIERUNG DES „META-SKANDALS“?
5.1. Sloterdijks offene Briefe in der Zeit an Assheuer und Habermas, 09.09.99
5.2. Antwort Habermas im Leserbriefraum der Zeit, 16.09.99
5.3. Offener Brief an Sloterdijk von Manfred Frank in der Zeit, 23.09.99
5.4. Artikel von Antje Vollmer in der FAZ, 27.09.99
5.5. Leitartikel von Thomas Assheuer in der Zeit, 30.09.99
5.6. Artikel von Roger de Weck in der Zeit, 25.10.99
6.0. Weischenberg – Krisenkommunikation
Nachwort
Literaturverzeichnis
VORWORT
Es sollte eine Rede anlässlich einer Heidegger-Tagung auf Schloss Elmau werden und entwickelte sich zu einem emotional überladenen Gelehrtenstreit. Peter Sloterdijks Rede ,,Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus.“ Denn Sloterdijk äußerte nicht nur gewagte Thesen zur Situation des Humanismus, es waren vor allem anthropotechnische ,,Zukunftsvisionen“, die die Gelehrten-Gemüter erregten. Dabei hatte Sloterdijk nur aufgegriffen, was bereits seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, sowohl in Hinblick auf den Humanismus, als auch bezüglich einer bioethischen bzw. anthropotechnischen Entwicklung.
Doch ganz im Sinne Sloterdijks – der Grad der Provokation entscheidet über die Effektivität einer wie auch immer gearteten Diskussion – entstand ein ausladender und umsichgreifender Gelehrten-Disput.
In dieser Arbeit werde ich die Elmauer Rede in ihren wichtigsten Zügen wiedergeben, sowie die durch sie ausgelöste Medien-Debatte abhandeln.
1.0. PETER SLOTERDIJK
1.1. Biographie
Peter Sloterdijk wurde am 26. Juni 1947 in Karlsruhe geboren. Schülerjahre und Studium verbrachte er in München. Er promovierte mit einer Studie zur Philosophie und Geschichte moderner autobiographischer Literatur an der Universität Hamburg. Sloterdijk veröffentlichte von 1980 an zahlreiche Arbeiten zu Fragen der Zeitdiagnostik, der Kultur- und Religionsphilosophie, der Kunsttheorie, zur Grundlagenreflexion der therapeutischen Berufe und zu gesellschaftspolitischen Themen. Seit 1992 ist er ordentlich öffentlicher Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Er hat Gastprofessuren in Paris, Zürich, Wien und New York wahrgenommen. Seine „Kritik der zynischen Vernunft“, 1983 – 15. Auflage 1999 – gilt als das meistverkaufte philosophische Buch deutscher Sprache seit dem Zweiten Weltkrieg. Er erhielt den Ernst Robert Curtius Preis für Essayistik (Bonn, 1993) sowie den Friedrich Merker Preis für Essayistik (München, 2000).
Mit seinem Hauptwerk „Sphären I“, 1998, und „Sphären II”, 1999, hat er für die aktuelle Diskussion über Probleme der Globalisierung neue Maßstäbe gesetzt.
Sloterdijk schrieb zahlreiche Aufsätze zu Fragen der Zeitdiagnostik, der politischen Philosophie, zur Globalisierung, der traditionellen und modernen Kunst, der Psychologie und Psychotherapie, sowie der Unternehmensberatung.
2.0. DIE VORGESCHICHTE DER „ELMAUER REDE“
1997 findet in Basel anlässlich der Humanismus-Feierlichkeiten eine Tagung über „Neue Wege des Humanismus“ statt. Peter Sloterdijk hält dort eine Rede mit dem Titel: „Regeln für den Menschenpark. Eine Antwort auf den Humanismusbrief.“ Ausgehend von einer Definition des Humanismus als Lese-, Schreib- und Briefkultur bezieht er sich darin auf Platon und Friedrich Nietzsche und sucht die direkte Auseinandersetzung mit Martin Heideggers „Brief über den Humanismus“ von 1946.
Es kommt in Basel zu keiner Kontroverse, geschweige denn zu einem Skandal. Ein solcher entsteht erst im Sommer 1999, als Peter Sloterdijk seinen Baseler Vortrag anlässlich eines Heidegger-Symposiums auf Schloss Elmau bei Garmisch wiederholt. Als Thema dieses Symposiums hat der Veranstalter Dieter Müller „Jenseits des Seins – Philosophie nach Heidegger. Die ethisch-theologische Wende der Philosophie nach Heideggers Destruktion der Ontotheologie“ angegeben und neben sechzehn Philosophen auch zwei Theologen eingeladen. Mitorganisatoren sind das Van-Leer-Institut Jerusalem und das Franz-Rosenzweig-Center der Hebräischen Universität Jerusalem; eine Tatsache, die für den ersten Teil der späteren Debatte noch von Bedeutung sein wird. Diese Debatte allerdings entsteht langsam und findet als Inszenierung in drei Akten statt.
Gegenstand der weiteren Ausführungen ist es demnach, Anlässe, Aufbau und die zum Teil deutlich erkennbare Inszenierung des „Meta-Skandals“[1] seitens der Beteiligten offenzulegen und gegebenenfalls zu interpretieren. Dabei soll zunächst eine kurze Zusammenfassung und Analyse der umstrittenen Passagen der Rede vom 17. Juli 1999 folgen.
3.0. INHALT DER „ELMAUER REDE“
3.1. Die den Meta-Skandal auslösenden Passagen
Schon der Titel der sogenannten „Elmauer Rede“ – „Regeln für den Menschenpark. Eine Antwort auf den Humanismusbrief.“ – erregt im Verlauf der Debatte Anstoß. Der Redetext selbst ist von Sloterdijk als direkte Auseinandersetzung mit Martin Heideggers „Brief über den Humanismus“ von 1946 konzipiert; er nimmt zudem Bezug auf Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ und Platons „Politea“ und „Politikos“. Kritiker definieren Sloterdijks Vortrag jedoch als Interpretation und Fortschreibung des Heideggerschen Briefes.
Diese sei der Form nach brillant, in ihrer Intention aber nichts weniger als ungeheuerlich.[2]
Sloterdijk entwickelt in seinem Text zunächst eine völlig neue Geschichte des Humanismus, indem er von einer Definition des Humanismus als Lese-, Schreib- oder Briefkultur ausgeht - einer Kultur des geschriebenen Wortes also.
Seiner Ansicht nach existiert der Humanismus nur innerhalb einer literarischen Gesellschaft. Deren Muster erweitere sich in den bürgerlichen Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts zur Norm der politischen Gesellschaft.
Die Völker seien in diesem Zeitraum demnach „durchalphabetisierte Zwangsfreundschaftsverbände“, eingeschworen auf einen im jeweiligen Nationalraum verbindlichen „Lektürekanon“. So habe der Humanismus in der Zeit von 1789 bis 1945, der Zeit des Nationalhumanismus, den Alt- und Neuphilologen als Vollmacht dafür gedient, der Jugend die Klassiker aufzuzwingen.[3]
Dadurch jedoch werden auch die bürgerlichen Nationen selbst in Sloterdijks Verständnis zu literarischen Produkten. Die heutige Gesellschaft, eine von der Telekommunikation geprägte Massengesellschaft, könne nicht durch die Literatur zusammengehalten werden.
So sei diese Epoche unwiderruflich abgelaufen, denn „ [moderne ] Großgesellschaften können ihre politische und kulturelle Synthesis nur noch marginal über literarische, briefliche, humanistische Medien produzieren. [...] Die Ära des neuzeitlichen Humanismus [als Schul- und Bildungsmodell] ist abgelaufen, weil die Illusion sich nicht länger halten lässt, politische und ökonomische Großstrukturen könnten nach dem amiablen Modell der literarischen Gesellschaft organisiert werden.“[4]
Damit wird, nach Sloterdijks Ansicht, Literatur zur Subkultur und die somit post-literarische Gesellschaft gleichzeitig auch post-humanistisch.
Sloterdijk leitet nun über zur Diskussion der Fragen, die sich aus seiner These ergeben. Dabei interpretiert er zunächst die Zielsetzung des Humanismus neu: Der Humanismus habe immer ein „Wogegen“ gehabt, nämlich die „Bestialisierung des Menschen“. So sei das Ziel des Humanismus der Versuch, den Menschen durch das Lesen zu entbestialisieren.[5]
Nun entsteht Sloterdijks zweite und wichtigste These des Vortrages in der genauen Auseinandersetzung mit Martin Heideggers „Brief über den Humanismus“ (von 1946). Sloterdijk interpretiert Heideggers Absage an den Begriff „Humanismus“ als Strategie, um die „wirkliche Denkaufgabe“ wiedererfahren zu können, welche „in der humanistischen oder metaphysischen Tradition bereits als gelöst scheinen wollte.“[6]
Für Heidegger könne der Humanismus in seinen drei Spielarten Christentum, Marxismus und Existentialismus nicht die Lösung sein, da „der Mensch selbst mitsamt seinen Systemen metaphysischer Selbstüberhöhung und Selbsterklärung das Problem“[7] sei.
Heidegger erkläre zudem, dass „in seinem Werk von Sein und Zeit gegen den Humanismus gedacht [werde], nicht weil dieser die humanitas überschätzt habe, sondern weil er sie nicht hoch genug ansetze.“[8]
Deshalb wolle Heidegger den Menschen in eine Zähmung einbeziehen, die tiefer gehe als die „humanistische Entbestialisierung“[9] ; er wolle ihn in eine „Entsprechung zum Sein“[10] binden, den Menschen zum „Hüter des Seins“[11] machen. Damit stelle er den Menschen damit unter das Sein.
Heidegger habe damit die Epochenfrage formuliert:
Was zähmt noch den Menschen, „wenn der Humanismus als Schule der Menschenzähmung scheitert?“[12]
In einem Rekurs auf Nietzsche formuliert Sloterdijk weiter: Der Mensch sei ohnehin selbst bereits Züchter des Menschen gewesen, durch die Verhaltensnormen der Gesellschaft beispielsweise.
Sloterdijk setzt dann, mit einem weiteren Sprung in seiner Argumentation, die Begriffe „Zähmen“ und „Züchten“ gleich. Diese dritte These bildet den Ausgangspunkt für seine weiteren Ausführungen über die sogenannten „Anthropotechniken“ – seine Wort-Neuschöpfung für die Möglichkeiten der Gentechnik und der vorgeburtlichen Diagnostik.
Der Mensch habe, indem er die „Selbstzüchtung“ betrieb, den Rahmen des Humanismus verlassen, da dieser immer nur bis zur „Zähmungs- und Erziehungsfrage“, aber niemals weiter denken dürfe.
Heute müsse sich das Denken dieser Aufgabe stellen, das Denken der Domestikation sei das große Ungedachte:
„Es ist die Signatur des technischen und anthropotechnischen Zeitalters, dass Menschen mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion geraten, auch ohne dass sie sich willentlich in die Rolle des Selektors gedrängt haben müssten. [...] Es gibt ein Unbehagen in der Macht der Wahl, und es wird bald eine Option für Unschuld sein, wenn Menschen sich explizit weigern, die Selektionsmacht auszuüben, die sie faktisch errungen haben.“[13]
„Aber sobald in einem Feld Wissensmächte positiv entwickelt sind, machen Menschen eine schlechte Figur, wenn sie – wie in Zeiten eines früheren Unvermögens – eine höhere Gewalt, es sei denn Gott oder den Zufall, an ihrer Stelle handeln lassen wollen. [...] [So ] wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren.“[14]
Die zitierte Passage liest sich als eindeutiges Plädoyer für die Nutzung der Möglichkeiten, die der Menschheit durch die Gentechnik entstehen. Sloterdijk ist sich der Konsequenzen eines solchen Codex’ anscheinend bewusst, will diese aber auch noch rückwirkend gelten sehen:
„Ein solcher Codex würde rückwirkend auch die Bedeutung des klassischen Humanismus verändern – denn mit ihm würde offengelegt und aufgeschrieben, dass humanitas nicht nur die Freundschaft des Menschen mit dem Menschen beinhaltet; sie impliziert auch immer – und mit wachsender Explizitheit – dass der Mensch für den Menschen die höhere Gewalt darstellt.“[15]
Damit deutet Sloterdijk bereits an, dass dieser Codex sich nicht beschränken sollte auf eine Reglementierung des Umgangs mit den „Anthropotechniken“ für Einzelpersonen. Sloterdijk prophezeit eine umfassendere Handhabung der Gentechnik:
„Es genügt, sich klarzumachen, dass die nächsten langen Zeitspannen für die Menschheit Perioden der gattungspolitischen Entscheidung sein werden. In ihnen wird sich zeigen, ob es der Menschheit oder ihren kulturellen Hauptfraktionen gelingt, zumindest wirkungsvolle Verfahren der Selbstzähmung auf den Weg zu bringen. [...] Schon größere Zähmungserfolge wären Überraschungen angesichts eines Zivilisationsprozesses, in dem eine beispiellose Enthemmungswelle anscheinend unaufhaltsam rollt. Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird – ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalimus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können – dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt.“[16]
[...]
[1] Sloterdijk, Peter: Die Kritische Theorie ist tot. Offener Brief an Thomas Assheuer und Jürgen Habermas, in: ZEIT 54 / 37 (1999).
[2] Stephan, Rainer: SZ (1999).
[3] Sloterdijk, Peter: Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortbrief über den Humanismus, in: Geerk, Frank (Hg.): Kultur und Menschlichkeit. Neue Wege des Humanismus, Basel: Schwabe 1999, 275.
[4] Ebd., 276.
[5] Ebd., 277.
[6] Ebd., 280.
[7] Sloterdijk, Menschenpark, 280.
[8] Ebd., 281.
[9] Ebd., 282.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
[12] Ebd., 284.
[13] Ebd., 290.
[14] Sloterdijk, Menschenpark, 290.
[15] Ebd.
[16] Ebd., 291.