Die Geschichte der britischen Atomforschung im 20. Jahrhundert setzt sich aus zahlreichen Einzelelementen zusammen. So umfasst sie etwa Diplomatiegeschichte und internationale Beziehungen, Verfassungs- und Gesetzesgeschichte und hat auch ihren Einfluss auf Alltag und Kultur genommen. Ein zentrales Thema dabei sind die Beziehungen zwischen England und den Vereinigen Staaten von Amerika, wie die vorliegende Arbeit aufzeigen möchte.
In dieser geht es – wie der Titel erkennen lässt – um die Entscheidung Großbritanniens zum Bau einer Atombombe. Die Frage, wie es zu dieser Entscheidung kam, kann nur unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der britischen Atomforschung beantwortet werden. Aus diesem Grund beschäftigt sich der erste Teil dieser Arbeit zunächst mit den Anfängen der Nuklearforschung im Großbritannien der Zwischenkriegszeit. Das darauf folgende Kapitel dient der Untersuchung der angloamerikanischen Beziehungen während des Zweiten Weltkriegs und geht der Frage nach, inwiefern sich die britische Atomforschung durch diese veränderte. Danach soll die Nachkriegszeit thematisiert werden und dabei – unter Berücksichtigung politischer Entwicklungen im britisch-amerikanischen Verhältnis – die Leitfrage dieser Hausarbeit beantwortet werden, wie es zu der Entscheidung und schließlich dem Bau einer eigenen Atombombe kam.
Die zentrale Literatur dieser Arbeit stammt in erster Linie von der britischen Historikerin Margaret Gowing, die durch ihre umfassenden Forschungen die wichtigste Autorität auf dem Gebiet der britischen Atomgeschichte darstellt.
Ferner sind die zahlreichen Primärquellen zu erwähnen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Hierbei sind es vor allem wissenschaftliche Berichte und diplomatische Akten aus britischen und amerikanischen Archiven, die in dieser Hausarbeit Berücksichtigung finden und mittlerweile größtenteils in gedruckter oder elektronischer Form auf einschlägigen Internetseiten vorliegen. Aber auch private Korrespondenz – etwa zwischen dem amerikanischen Präsident und dem britischen Premierminister – sind für eine Bearbeitung des Themas unter der angesprochenen Fragestellung von Wichtigkeit. Die verwendete Literatur und die Quellen werden an geeigneter Stelle in der Arbeit genannt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
2. Der Weg Großbritanniens zur Atombombe
2.1 Erste Phase: Die frühe britische Atomforschung
2.2 Zweite Phase: Die Zeit Angloamerikanischer Zusammenarbeit
2.3 Dritte Phase: Großbritanniens eigener Weg
2.4 Weiterer Ausblick
3. Schluss
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
Quellen
Darstellungen
1. Einleitung und Fragestellung
Die Geschichte der britischen Atomforschung im 20. Jahrhundert setzt sich aus zahlreichen Einzelelementen zusammen. So umfasst sie etwa Diplomatiegeschichte und internationale Beziehungen, Verfassungs- und Gesetzesgeschichte und hat auch ihren Einfluss auf Alltag und Kultur genommen. Ein zentrales Thema dabei sind die Beziehungen zwischen England und den Vereinigen Staaten von Amerika, wie die vorliegende Hausarbeit aufzeigen möchte.
In dieser geht es – wie der Titel der Arbeit erkennen lässt – um die Entscheidung Großbritanniens zum Bau einer Atombombe. Die Frage, wie es zu dieser Entscheidung kam, kann nur unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der britischen Atomforschung beantwortet werden. Aus diesem Grund beschäftigt sich der erste Teil dieser Arbeit zunächst mit den Anfängen der Nuklearforschung im Großbritannien der Zwischenkriegszeit. Das darauf folgende Kapitel dient der Untersuchung der angloamerikanischen Beziehungen während des Zweiten Weltkriegs und geht der Frage nach, inwiefern sich die britische Atomforschung durch diese veränderte. Danach soll die Nachkriegszeit thematisiert werden und dabei – unter Berücksichtigung politischer Entwicklungen im britisch-amerikanischen Verhältnis – die Leitfrage dieser Hausarbeit beantwortet werden, wie es zu der Entscheidung und schließlich dem Bau einer eigenen Atombombe kam.
Die zentrale Literatur dieser Arbeit stammt in erster Linie von der britischen Historikerin Margaret Gowing, die durch ihre umfassenden Forschungen die wichtigste Autorität auf dem Gebiet der britischen Atomgeschichte darstellt. Ferner sind die zahlreichen Primärquellen zu erwähnen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Hierbei sind es vor allem wissenschaftliche Berichte und diplomatische Akten aus britischen und amerikanischen Archiven, die in dieser Hausarbeit Berücksichtigung finden und mittlerweile größtenteils in gedruckter oder elektronischer Form auf einschlägigen Internetseiten vorliegen. Aber auch private Korrespondenz – etwa zwischen dem amerikanischen Präsident und dem britischen Premierminister – sind für eine Bearbeitung des Themas unter der angesprochenen Fragestellung von Wichtigkeit. Die verwendete Literatur und die Quellen werden an geeigneter Stelle in der Hausarbeit genannt.
2. Der Weg Großbritanniens zur Atombombe
2.1 Erste Phase: Die frühe britische Atomforschung
Im Jahr 1939 gelang der Forschung eine der bedeutsamsten und für die Geschichte des 20. Jahrhunderts prägendsten Entdeckungen: Die Spaltung eines Uranatoms[1]. Man hatte herausgefunden, dass, wenn Neutronen als kleinste Bestandteile eines Atoms auf ein Uranatom treffen, neben den Spaltungsteilchen auch eine immense Energie und einzelne Neutronen freigesetzt werden. Stoßen letztere ihrerseits auf weitere Atome, so löst dies in der Folge eine Kettenreaktion aus, bei der immer mehr Energie frei wird.
Nur wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte der dänische Physiker Niels Bohr mit einem amerikanischen Kollegen die Theorie hinter dieser Entdeckung. Sofort wurde den Wissenschaftlern weltweit klar, dass die Urankernspaltung nicht nur als Energiequelle der Zukunft dienen, sondern auch – zumindest theoretisch – zum Bau von Waffen einsetzbar sein könnte.
Problematisch war jedoch, dass die Spaltung des Urans bei bestimmten Isotopen häufiger funktionierte als bei anderen. Ein Klumpen natürlichen Urans besteht aber zu 99,3 % aus den für die Spaltung hinderlichen U238-Isotopen, während der geringe Anteil von 0,7 % das verwertbare U235 ausmacht. Eine Reaktion mit natürlichem Uran würde daher nur durch die Verlangsamung der Neutronen möglich sein, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass diese auf die richtigen Isotope treffen. Doch dies würde andererseits nicht die schnelle Reaktion hervorrufen, die für den Einsatz in einer Bombe nötig wäre. Für eine solche Waffe, so waren sich die Forscher einig, bräuchte man im optimalen Fall beschleunigte Neutronen und reines U235. Die gezielte Trennung der Uranisotope schien jedoch nicht möglich und der Einsatz von mehreren Tonnen Uran, die man für eine einigermaßen passable Sprengkraft brauchen würde, erwies sich bereits in der Theorie als unrentabel. Europa befand sich schließlich am Beginn eines Krieges.
Dann erschien im März 1940 ein essentielles Memorandum der beiden Forscher Otto Frisch und Rudolf Peierls, die mit Aufkommen des Nationalsozialismus nach England emigriert waren und seitdem an der Universität von Birmingham forschten. In ihrem Frisch-Peierls Memorandum lieferten sie den mathematischen Beweis, dass ein Klumpen puren U235 zu der Kettenreaktion führte, der für den Bau einer „Superbombe“[2] nötig sein würde. Sie präsentierten ferner eine industrielle Methode zur Trennung der Uranisotope und warnten vor deutschen Wissenschaftlern, die wahrscheinlich bereits in dieser Richtung forschten. Diese Warnung war gleichzeitig der Aufruf zu einem britischen Engagement im Bereich der noch jungen Nuklearwissenschaften. Frisch und Peierls gaben in ihrem Bericht aber auch eine Vorschau des zu erwartenden Effekts einer nuklearen Bombe. Fünf Kilogramm würden demnach ausreichen, um eine Sprengkraft von tausend Tonnen Dynamit zu erreichen. Die radioaktive Strahlung, die bei dem Einsatz einer solchen Bombe freigesetzt werden würde, hätte verheerende Auswirkungen auf alle Lebewesen in ihrem Wirkungsradius: „Some part of the energy set free by the bomb goes to produce radioactive substances [...] and even for days after the explosion any person entering the affected area will be killed[3]“. Gleichzeitig distanzierten sich die Forscher von der strategischen Bedeutung einer solchen Bombe, äußerten jedoch moralische Bedenken: „The bomb could probably not be used without killing large numbers of civilians, and this may make it unsuitable as a weapon for use by this country”[4].
Die beiden Forscher übergaben ihr Memorandum zunächst an Professor Marcus Oliphant der Universität Birmingham, der es aufgrund seiner Brisanz an den Vorsitzenden des Komitees für wissenschaftliche Luftabwehr, Henry Tizard, weiterleitete. Dieser war von dem Bericht schnell überzeugt, sodass es durch ihn zur Gründung des streng geheimen MAUD-Komitees kam, das bereits im April 1940 das erste Mal zusammentrat und unter dem Projektnamen Tube Alloys die Forschung um die Atombombe aufnahm. Im Sommer 1940 verließen zwei Mitarbeiter von Jean Frédéric Joliot-Curie, dem Schwiegersohn von Marie Curie, ihr von den Deutschen besetztes Heimatland Frankreich.
Im Gepäck, das sie mit nach England brachten, befand sich der komplette Bestand an schwerem Wasser[5], das die französische Regierung zuvor von Norwegen erworben hatte. Mit diesem, so sagten die Forscher ihren englischen Kollegen, solle eine verlangsamte Kettenreaktion mit ganz gewöhnlichem Uran ermöglicht werden, wodurch eine Nutzung der Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizität plötzlich denkbar schien. Die Franzosen wurden auf Betreiben des MAUD-Komitees in den Cavendish Laboren der Universität Cambridge eingesetzt. Bei ersten Experimenten stellte sich heraus, dass bei der durch schweres Wasser verlangsamten Kettenreaktion ein anderes Element entstand, das die Forscher Plutonium nannten. Dieser neue Stoff verhielt sich chemisch gesehen wie reines U235. Durch die parallele Forschung in Cambridge und Birmingham hatten die Briten mithilfe der deutschen und französischen Exilforscher nun also die Grundlagen geschaffen, mit denen der Bau einer Atombombe und die friedliche Nutzung der Kernenergie in greifbare Nähe rückten. Margaret Gowing bezeichnet die Ankunft der französischen Forscher in England als den Faktor, der dem Königreich nun einen wesentlichen Vorsprung vor anderen Ländern brachte[6]. Das MAUD-Komitee machte in der Folgezeit große Fortschritte mit seinen beiden Teams in Birmingham und Cambridge. Die Sorge, dass das Deutsche Reich noch vor England in den Besitz von Atomwaffen kommen könnte, war seit dem Frisch-Peierls Memorandum stets gegenwärtig.
2.2 Zweite Phase: Die Zeit Angloamerikanischer Zusammenarbeit
Im September 1940 machte sich eine kleine Gruppe britischer Forscher unter der Leitung von Henry Tizard auf nach Washington, wo ein wissenschaftlicher Austausch mit den Amerikanern im Bereich neuer Waffentechniken stattfinden sollte[7]. Die britische Tizard Mission stellte neben verbesserten Flugzeugmotoren und den neuesten Erkenntnissen zur Radartechnik auch das Frisch-Peierls Memorandum vor, das in den Vereinigten Staaten zwar seine Beachtung fand, aber noch keinen Einfluss auf die amerikanische Forschung in dieser Richtung hatte, da man sich jenseits des Atlantiks vornehmlich um eine friedliche Nutzung der Kernenergie bemühte.
Etwa ein Jahr später, am 15. Juli 1941, gab das MAUD-Komitee, das in der Zwischenzeit bahnbrechende Entdeckungen gemacht hatte, einen zweiteiligen Forschungsbericht heraus. Während der zweite Teil des Berichtes offen legte, wie die kontrollierte Uranspaltung zum Energielieferant der Zukunft werden könnte, beschäftigte sich der erste Teil mit der technischen Seite der Bombe. Demnach sei der Einsatz von Uran und Plutonium beim Bau einer solchen möglich. Gleichzeitig präsentierte der Bericht eine Kosten-Nutzen-Aufstellung: „[...] a plant to produce 2-4 lb (1 kg) [uranium] per day (or 3 bombs per month) is estimated to cost approximately 95,000,000 pounds“[8]. Neben dem Hinweis auf deutsche Bemühungen, schweres Wasser zu erwerben, was nun die Vermutung erhärtete, die Deutschen hätten ein eigenes Atomprogramm, schließt der Bericht mit einem Bezug zu den Vereinigten Staaten: „We feel that it is important and desirable that development work should proceed on both sides of the Atlantic“[9]. Etwas später heißt es dann noch: „The present collaboration with America should be continued and extended especially in the region of experimental work”[10]. Offensichtlich war man also in England an einem Ausbau der angloamerikanischen Zusammenarbeit in diesem Bereich interessiert.
Es verwundert daher, dass ein kollaboratives Angebot der Amerikaner kurz darauf ausgeschlagen wurde. Als Folge des MAUD-Berichtes, den das Komitee den amerikanischen Kollegen verfügbar gemacht hatte, reisten im November 1941 die beiden Physiker Harold Urey und George Braxton Pegram nach England, um über eine mögliche, vertiefte Zusammenarbeit beider Nationen zu sprechen. Doch die Briten reagierten nicht, wohl aus einem Gefühl der technischen Überlegenheit heraus, wie Margaret Gowing meint[11]. Denn auch auf einen Brief des amerikanischen Präsidenten Roosevelt an den britischen Premierminister Churchill folgte mit einiger Verzögerung eine anmaßende Antwort. Die Engländer strebten offensichtlich zu diesem Zeitpunkt eine Zusammenarbeit mit den USA lediglich auf Basis eines vollen Informationsaustausches an, nicht mehr und nicht weniger. Dies war ein strategischer Fehler, wie an späterer Stelle noch aufzuzeigen sein wird.
[...]
[1] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: Gowing, Margaret: “The Origins of Britain’s Status as a Nuclear Power” in: John Baylis und Alan Macmillan (Hg.): The Foundations of British Nuclear Strategy. 1945 – 1960 (= International Politics Research Papers 12). Aberystwyth, 1992. S. 8 f.
[2] Der Begriff „Superbombe“ taucht erstmals in diesem Memo auf. Anmerkung des Autors.
[3] The Frisch-Peierls Memorandum. Online Version. <http://www.stanford.edu/class/history5n/FPmemo.pdf >. Zuletzt eingesehen am 21.02.2007.
[4] The Frisch-Peierls Memorandum, a. a. O.
[5] Schweres Wasser, auch Deuteriumoxid (D2O) genannt, weist ähnliche Eigenschaften wie Wasser auf, verhält sich aber in chemischen Reaktionen anders. Anmerkung des Autors.
[6] vgl. Gowing: Origins. S. 9.
[7] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf Gowing: Origins. S. 10 ff.
[8] The MAUD Report. Online Version. <http://www.atomicarchive.com/Docs/Begin/MAUD.shtml>.
Zuletzt eingesehen am 21.02.2007.
[9] The MAUD Report, a. a. O.
[10] The MAUD Report, a. a. O.
[11] vgl. Gowing: Origins. S. 10.