Deutschland im 15. bis 18. Jahrhundert: Auch hier tauchte ein historisches Phänomen auf, das später mit dem Begriff „Hexenverfolgung“ nur recht allgemein bestimmt wurde. Im Jahre 1562 kam es zu einer Welle von Prozessen, deren Anwachsen und Ausweitung man später als „Große Hexenverfolgung“ bezeichnete. Diese in Wellen sich vollziehenden Hexenprozesse ließen nach den 1630er Jahren nach und schienen bald ganz zu stagnieren. Dennoch gab es vereinzelt Städte, in denen die Hexenverfolgungen weiterhin durchgeführt wurden. Der Zeitraum dieser Arbeit schließt, gerade was das Vest Recklinghausen betrifft, an die großen Verfolgungswellen aus den 1630er Jahren an und untersucht zwei Fälle, die lange nach dem Dreißigjährigen- und Siebenjährigen Krieg stattfanden. An dieser Stelle geht es darum, von dem allgemeinen Begriff "Hexenverfolgung" wegzukommen, um eine persönliche Ebene darzustellen.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Hauptteil
I. Teil Hexen, Hexenverfolgung und Hexenprozesse allgemein
1.Etymologie und Wandlung des Hexenbildes von der frühen Neuzeit bis heute
1.1 Begriffs Etymologie
1.2 Die Wandlung des Hexenbildes von der frühen Neuzeit bis heute
1.2.1. Der Hexenhammer, die Bibel der Hexenverfolger in der frühen Neuzeit
2. Hexenverfolgungen in Deutschland von 1480 bis 1751
2.1. Ein kurzer Überblick
2.2 Die Anfänge der Hexenverfolgung in Deutschland und Europa
2.3 Die Verfolgungswellen
2.4 Das Ende der Hexenverfolgung
3. Die Verfahren der Hexenprozesse:
3.1. Rechtliche Voraussetzungen für die Folter
3.2 Die Hexenproben
3.2.1. Die Tränenprobe
3.2.2. Die Nadelprobe
3.2.3. Die Wasserprobe
3.2.4. Die Feuerprobe
3.2.5. Die Hexenwaage
3.2.6. Die Gebetsprobe
3.3. Foltermethoden bei Hexenprozessen
3.3.1. Die Folgen des Geständnisses
II. Teil Die Stadt Recklinghausen im Mittelpunkt der Hexenverfolgung
1. Die Stadt Recklinghausen im historischen Überblick
2. Hexenverfolgungen im Vest Recklinghausen
2.1. Hinrichtungsverfahren im Vest Recklinghausen
3. Die herrschaftlichen Verhältnisse im Ruhr-Lippe-Raum
3.1 Die Strafgerichtsbarkeit in Recklinghausen
3.2. Die Zuständigkeit im peinlichen Verfahren
4. Ursachen für die Verfolgungswellen in Recklinghausen 1580 bis 1590
4.1. Das Ende der Hexenverfolgungen im Vest Recklinghausen
5. Zusammenfassung
III. Teil
a) Anmerkung zu den Beispielen
b) Anmerkung zum Trine-Plumpe-Prozess
1. Der Hexenprozess gegen Trine Plumpe aus dem Jahr 1650
2. Die Untersuchung der Prozessakte
3. Begründete Vermutungen. Das Urteil gegen Trine Plumpe
3.1. Die Länge der Hexenprozesse aus dem Jahre 1650 im Vergleich
3.1.1 Die Ursachenerklärung zu den Beispielen aus Friesenhagen und Mecklenburg
3.1.2. Ergebnis
3.2 Die Untersuchung der äußeren Ursachen und Hintergründe
4. Zusammenfassung
c) Anmerkung zum Prozess Anna Spiekermann im Jahre 1705/06
1. Der Prozess Anna Spiekermann, genannt Hexenänneken
2. Ursachenerklärung zu diesem Fallbeispiel
2.1. Der politische Hintergrund
2.2. Persönliche Gründe
3. Zusammenfassung
4. Die Fallbeispiele im kritischen Vergleich
C. Schluss
D. Literaturverzeichnis
A. Einleitung
„Ueberall bestraft man die Hexen, welche merkwürdig sich mehren. Ihre Frevel[t]haten sind entsetzlich... Man sah früher niemals in Deutschland die Leute so sehr dem Teufel ergeben und verschrieben... An vielen Orten verbrennt man diese verderblichen Unholdinnen des Menschengeschlechtes und ganz besonderen Feindinnen des christlichen Namens. Sie schaffen viele durch ihre Teufelskünste aus der Welt und erregen Stürme und bringen furchtbares Unheil über Landleute und andere Christen; nichts scheint gesichert zu sein gegen ihre entsetzlichen Künste und Kräfte.“
Petrus Canisius, 1563
Deutschland im 15. bis 18. Jahrhundert: Auch hier tauchte ein historisches Phänomen auf, das später mit dem Begriff „Hexenverfolgung“ nur recht allgemein bestimmt wurde. Im Jahre 1562 kam es zu einer Welle von Prozessen, deren Anwachsen und Ausweitung man später als „Große Hexenverfolgung“ bezeichnete. Diese in Wellen sich vollziehenden Hexenprozesse ließen nach den 1630er Jahren nach und schienen bald ganz zu stagnieren. Dennoch gab es vereinzelt Städte, in denen die Hexenverfolgungen weiterhin durchgeführt wurden. Der Zeitraum dieser Arbeit schließt, gerade was das Vest Recklinghausen betrifft, an die großen Verfolgungswellen aus den 1630er Jahren an und untersucht zwei Fälle, die lange nach dem Dreißigjährigen- und Siebenjährigen Krieg stattfanden. An dieser Stelle geht es darum, von dem allgemeinen Begriff Hexenverfolgung wegzukommen, um eine persönliche Ebene darzustellen.
Kritik an den Verfolgungen äußerte sich sehr schnell bereits unter den Zeitgenossen- und war man auch bei den Hexenprozessgegnern bemüht, die Prozesse zu beenden, so suchte man freilich auch nach Gründen des erschreckenden Phänomens. Dennoch konnte, damals wie heute, kein Gelehrter oder Historiker explizit einen präzisen Grund für dieses Phänomen nennen.
Gerade deswegen sieht sich die Forschung bei der Untersuchung der Hexenverfolgungen vor das Problem gestellt, wie man am besten zu einem klaren Ergebnis finden kann, insbesondere was die Ursachenforschung betrifft.
Es gibt unzählige Thesen, aber angesichts der Materiallage wird es wohl immer ein Problem bleiben. Zwar wurden die Niederschriften der Verfolger überliefert, jedoch fehlen die Aussagen der Verfolgten, da diese hauptsächlich aus dem ungebildeten, dem Schreiben unkundigen Volk stammten[1] und daher von ihnen wenig Schriftliches überliefert wurde. Deshalb müssen Forscher, die sich mit der Hexenverfolgung auseinander setzen, häufig auf die erhalten gebliebene Prozessakten des 15., 16. und 17. Jahrhunderts und die Ausführungen mittelalterlicher Gelehrter über den Hexenbegriff als einzige Quellen zurückgreifen, um möglichst exakt die spätmittelalterlichen Entwicklungen zu rekonstruieren[2]. Das Stadtarchiv Recklinghausen bietet dafür eine Fülle von Material. Man findet gerade hier die wichtigsten Informationen über frühere Hexenverfolgungen im Vest Recklinghausen und zwar in Form von primären wie auch sekundären Quellen. Jedoch sind die meisten sekundären Quellen sehr alt. Es gibt nur wenige neuere sekundäre Quellen. Viele der Sekundärquellen wiederholen, wie im Falle Anna Spiekermann, die erste Darstellung und fügten einige Angaben ein, jedoch half das oft nicht bei der Fallaufklärung. Die neuere Literatur über das Vest Recklinghausen ist leider nur auf wenige Autoren, wie z.B. R.P. Fuchs und G. Gersmann beschränkt. Es wäre wünschenswert, wenn es noch mehr neue Literatur und aktualisierte Forschungsansätze zu diesem Thema gäbe. Erschwert wird die Skizzierung der Hexenverfolgung weiterhin durch heute populäre Vorstellungen, die außerhalb der akademischen Forschung entstanden sind. So schuf z. B. die Frauenbewegung, die sich seit den 1970er Jahren entwickelt hat, das Bild einer mächtigen Hexe, das mit der seit dem späten Mittelalter von ihren Verfolgern gefolterten und getöteten Hexe kaum vereinbar ist[3]. Die einzige Parallele zwischen den modernen Hexenvorstellungen und denen, die im Mittelalter von der Inquisition konstruiert wurden, ist der Glaube, Hexen hätten magische Fähigkeiten. Auch der Teufel wird heute noch oft als Komponente des Hexenglaubens angesehen, aber er nimmt nicht mehr jene zentrale Rolle ein, wie sie zum Beispiel im Hexenhammer geschildert wird.
Der erste Teil dieser Arbeit gibt einen groben Überblick über die Hexenverfolgungen in Europa, wobei der Schwerpunkt auf Deutschland gelegt wird, gleichzeitig führt er in das Thema ein. In drei Kapitel werden die Definitionen und allgemein wichtigen Erläuterungen zum Thema Hexenverfolgung, Hexenprozesse und Verfahrensweisen gegeben.
Im zweiten Teil dieser Staatsarbeit wird das Vest Recklinghausen unter dem Aspekt der Hexenverfolgung vorgestellt. Nach einem kurzen Exkurs über die Stadtgeschichte, in der der Schwerpunkt auf den Kriegsgeschehnissen liegt, da er zur Uraschenforschung in dieser Arbeit herangezogen wird, stehen an erster Stelle die Hexenverfolgungen und Prozesse im Mittelpunkt. Weiterhin werden mögliche Gründe und Ursachen für die Verfolgungswellen in den Jahren 1580 bis 1590 untersucht.
Der dritte und letzte Teil dieser Arbeit rekonstruiert den Ablauf und untersucht die beiden Fallbeispiele Trine Plumpe aus dem Jahr 1650 und Anna Spiekermann aus dem Jahr 1705/06.
Der zweite und dritte Teil berufen sich weitgehend auf den ersten allgemein gehaltenen Abschnitt, somit fallen weitere Erklärungen weg.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, am Beispiel vom Vest Recklinghausen und den genannten Fallbeispielen, die Frage nach der Ursache bzw. den Ursachen der Hexenverfolgung unter Einbeziehung der älteren und neueren Spezialliteratur zu dem Thema übersichtlich zusammenzufassen und so vom nebulösen Begriffs „Hexenverfolgung“ ein differenziertes Bild zu bekommen, wobei sich die entscheidende Frage stellt, ob die Hexenverfolgungen die unausweichliche Folge vorhandener Umwelt- und Gesellschafts- und anderer reeller Faktoren waren oder ein auf menschlicher Irrationalität basierender Zufall. Um dies zu ergründen wird versucht, anhand zweier Beispiele aus dem Vest Recklinghausen eine Ursachenerklärung zu finden.
Der Schluss soll die aufgezeigten Probleme kurz zusammenfassen und auf die Ergebnisse hinweisen.
B. Hauptteil
I. Teil Hexen, Hexenverfolgung und Hexenprozesse allgemein
1.Etymologie und Wandlung des Hexenbildes von der frühen Neuzeit bis heute
1.1 Begriffs Etymologie
Hexe:
Der Begriff Hexereye tauchte erstmals 1419 im Zusammenhang mit einem Prozess gegen einen Mann im schweizerischen Luzern auf. Allerdings ist schon 1402/03 in einem Rechnungsbuch aus Schaffhausen von einem hegsen brand, also einer Hexenverbrennung, die Rede. Der Begriff Hexe lässt sich dagegen im deutschen Raum schon viel früher nachweisen. Hier einige Daten: „hexse (1293), hess (1387), häxen (15. Jh.), hächse (1510).“[4]
Im Katalog zur Sonderausstellung im Hamburgischen Museum für Völkerkunde wird vor allem auf die Herkunft des Wortes eingegangen, wie es sich im Laufe der Zeit aus den verschiedenen Sprachen mit entwickelt haben könnte. „Die Wurzeln des deutschen Wortes Hexe - so heißt es dort - finden sich im westgermanischen Sprachraum: mittelhochdeutsch Hecse, Hesse, althochdeutsch Hagzissa, Hagazussa, mittelniederländisch Haghetisse, altenglisch Haegtesse: (gespenstisches Wesen) – im modernen Englisch verkürzt zu hag. Die genaue Wortbedeutung ist ungeklärt. Der erste Bestandteil von hagazussa ist wahrscheinlich althochdeutsch Hag (Zaun, Hecke, Gehege), der Zweite ist möglicherweise mit germanisch/norwegisch tysja (Elfe, böser/guter Geist) und litauisch dvasia Geist, Seele verwandt, also vermutlich ein auf Hecken oder Grenzen befindlicher Geist oder dämonisches Wesen.“[5]
Das Wort könnte sich aber auch von der griechischen Zahl hex ableiten. Kemper betont zudem den mythologischen Aspekt: „In der Mythologie wird davon ausgegangen, dass dreimal die sechs (666) das Zeichen des Teufels ist. Wieder andere suchen die Wurzeln dieses Wortes in der griechischen Sprache und leiten es von dem Wort „Hekate“ ab. Hekate war eine berühmte Zauberin im Altertum. Metaphorisch ließe sich der Begriff somit als Beschreibung einer Wesenheit begreifen, die mit einem Bein im Reich der Lebenden, mit dem anderen im Reich der Toten weilt. Es gibt auch die Varianten, dass der profane und der heilige Bereich hier einander gegenüber stehen und somit die Grenze bilden, oder das Diesseits und das Jenseits.“[6]
Ein Lexikon beschreibt Hexen als „weibliche, dämonische Wesen oder Weiber, die mit des Teufels Hilfe kraft eines gegen Gott geschlossenen Bundes, des ketzerischen Teufelspakts, durch Zauber den Menschen Schaden zufügen und sich in Tiere verwandeln können.“[7]
Walter W. Skeats` etymologisches Wörterbuch leitet das englische witch (Hexe) aus altenglisch wicche, angelsächsisch wicca (mask.) oder wicce (fem.) ab: einer verderbten Form von witga der Kurzform von witega (Seher, Wahrsager), das seinerseits von angelsächsisch witan (sehen, wissen) herrührt. Entsprechend entwickelt sich isländisch vitki (Hexe) aus vita (wissen) oder vizkr (Kluger, Wissender). Wizard (Zauberer) stammt von normannisch-französisch wischard, altfranzösisch guiscart (der Scharfsinnige). Die englischen Wörter wit (Verstandeswitz, Geist) und wisdom (die Weisheit) stammen aus der gleichen Wurzel.[8]
In der frühen Neuzeit nannte man „Hexen“ auch „ Zaubersche“ oder „ touversche“.
Folter:
„Das Substantiv erscheint zuerst um 1400 als föltrit, foltren (Dativ); etwa gleichzeitig tritt das Verb foltern auf. Die Herkunft der Wörter ist nicht sicher geklärt. Vielleicht handelt es sich um eine Umgestaltung von mlat. Poledrus »Fohlen« unter dem Einfluss von >Fohlen<; die Folter[bank] wäre dann nach ihrer ursprünglichen Ähnlichkeit mit einem Pferdchen benannt worden, was durch aspan. Poltro, span. Potro »Fohlen« und »Foltergerät« gestützt wird. Mlat. Poledrus gehört zu lat. Pullus »Tierjunges« (vgl. Fohlen). Im 17.Jh. sind >Folter< und >foltern< in der Schriftsprache geläufig und werden auch schon übertragen im Sinne von seelischer Qual gebraucht (dazu die Wendung >auf die Folter spannen<). – Abl.: Folterung (16.Jh.)“[9]
Tortur:
„[...]: Das Fremdwort wurde im 16.Jh. aus gleichbed. mlat. tortura entlehnt, das auf lat tortura »die Krümmung; das Grimmen; die Verrenkung« zurückgeht. Dies gehört zu lat. torquere (tortum) »drehen, verdrehen; martern«, [...]“[10]
Inquisition:
Die Inquisition (lat. inquisitio: gezielte, gerichtliche Untersuchung) war eine Kirchenbehörde, die in den Jahren 1231/32 von Papst Gregor IX. gegründet wurde. Ihre Aufgabe bestand darin, so genannte Ketzer zu verfolgen, vor Gericht zu stellen und zu verurteilen. Anfangs war die Strafe für Ketzerei in der Regel die Exkommunikation. Seitdem das Christentum zur Staatsreligion gemacht worden war, wurden Ketzer auch als Staatsfeinde angesehen. Deshalb wurde die Inquisition seit dem Mittelalter mit staatlicher Hilfe betrieben.
Das Sendgericht:
„Der Send oder auch das Sendgericht (ehemals auch Sinode) ist ein Begriff aus der kirchlichen Rechtsgeschichte. Vor dem Sendgericht genannten kirchlichen Gericht wurden von den Geistlichen im Beisein der gräflichen Schultheißen Schandtaten, Sünden und Laster der Gemeindeglieder behandelt und gerügt“.[11]
1.2 Die Wandlung des Hexenbildes von der frühen Neuzeit bis heute
Der Hexenglaube ist ein paneuropäischer Aberglaube (Volksglaube), dessen Wurzeln im heidnischen Götterglauben liegen. Diese weitgehende Übereinstimmung fällt nicht ins Auge, weil die Bezeichnungen regional unterschiedlich sind.[12]
Eine Hexe war im Volksglauben eine mit Zauberkräften ausgestattete, meist weibliche, Heil oder Unheil bringende, mit Dämonen oder dem Teufel im Bunde stehende Person. Das Wort Hexe ist ein Sammelbegriff, der viele Ausrichtungen, wie zum Beispiel Incantatrix (Beschwörende), Bacularia (Besenreiterin), Herbaria (Kräuterfrau), Strix (Eule) u.v.m. zusammenfasst.[13]
Heute wird mit dem Begriff Hexe meist das Bild einer „Märchenhexe“ assoziiert, also eine alte, hässliche und unheimliche Frau, die auf einem Besen reitet und böse Zauberkraft besitzt. Das märchenhafte Stereotyp der Hexe erscheint oft in Begleitung eines schwarzen Vogels (wahrscheinlich einer der beiden Raben Odins) oder einer schwarzen Katze vor.
Zur Zeit des Hexenwahns verstand man den Begriff Hexe ganz anders. Während dieser Zeit wurde Hexe als Fremdbezeichnung auf Frauen und Männer angewandt, um aus unterschiedlichen Motiven die gewünschte Verfolgung zu erreichen.
Kemper definiert die Hexe folgendermaßen:
„Eine Hexe nenne ich ein Weib, welches infolge eines ihm vorgespielten oder eingebildeten Bündnisses mit dem Teufel glaubt, alle möglichen Übeltaten durch Gedanken oder Verwünschungen, durch den Blick oder andere lächerliche, zur Erreichung eines vorgenommen Zweckes ganz untaugliche Mittel abrichten zu können, zum Beispiel die Luft mit ungewöhnlichen Donner, Blitz oder Hagel bewegen, Stürme hervorrufen, die Früchte auf dem Felde verderben oder Krankheiten den Menschen und Tieren zufügen und wieder heilen, in wenigen Stunden weite Räume durchfliegen, mit den bösen Geistern Tänze aufführen, Festmahle halten(…) sich und andere in Tiere verwandeln und tausenderlei anderer seltsame Narrheiten zu vollbringen zu können.“[14] Außerdem sollen Hexen Kinderleichen von Friedhöfen ausgegraben und diese dann zu Salben verarbeitet haben. Anschließend sollen sie damit ihren Hexenbesen oder ihre Ofengabel bestrichen haben und damit zum Hexensabbat geflogen sein. Dort trafen sie sich mit dem Teufel und anderen Hexen, um zu feiern oder ihre Rituale auszuführen. Ein berühmter Ort dafür war der Blocksberg im Harz, auf dem sie im Volksglauben in der Walpurgisnacht ihren Hexensabbat feierten. Der Unterschied zur heutigen Vorstellung einer Hexe war, dass in der frühen Neuzeit jeder Mensch als Hexe oder Hexer verurteilt werden konnte. Selbst vor Kindern machten die Hexenverfolger nicht halt. Es lässt sich weiterhin festhalten, dass meistens Frauen als Hexen verdächtigt wurden, jedoch gab es in vielen Städten im deutschen Gebiet auch männliche Opfer.
1.2.1. Der Hexenhammer, die Bibel der Hexenverfolger in der frühen Neuzeit
Der Hexenhammer (malleus maleficarum), geschrieben von Heinrich „Institoris“ Kramer, einem Dominikanermönch aus Deutschland, im Jahre 1486, gilt aus heutiger Sicht als das zentrale Buch in der Geschichte der europäischen Hexenverfolgung. Mit etwa 30 Auflagen zwischen 1486 und 1669 hatte er eine lange und intensive Wirkungsgeschichte, die das Hexenbild geprägt hat. Fast alle Befürworter der Hexenverfolgung beriefen sich auf ihn. „Nicht zuletzt deswegen ist er auch heute noch ein Basistext zum Verständnis der abendländischen Geistes- und Kulturwissenschaft“[15].
Die auffälligste Besonderheit im Hexenhammer ist die Zuspitzung auf Frauen. Insofern ist er eines der frauenfeindlichsten Bücher der Weltliteratur. Ein bezeichnendes Beispiel bietet die Herleitung des Begriffs femina. Kramer erklärt den Begriff so, dass er das Wort aufteilt in: fe- von fides = Glaube; und mina von minus= weniger.
…Es heißt nämlich femina (Frau) von fe= Abkürzung von fides (Glauben)- und minus, weil sie immer geringeren Glauben hat und wahrt, und zwar von Natur aus bezüglich des (geringeren) Glaubens (stärke), mag auch infolge der Gnade und der Glaube in der seligsten Jungfrau niemals gewankt haben, da er doch in allen Männern zur Zeit des Leiden Christi gewankt hatte. Ein weiterer Grund besteht darin, dass die meisten Frauen nichts für sich behalten können, deshalb wählt der Teufel Frauen aus, weil sie sein Werk schnell an andere Frauen weiter tratschen. So kommt es zur schnellen Weitergabe vom Teufelswerk. Männer hingegen sind schweigsamer.[16]
Wenn sich die meisten Befürworter der Hexenverfolgung an diesen Richtlinien orientiert haben, ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Opfer der Hexenverfolgung Frauen waren. Der gesellschaftliche und rechtliche Status der Frau der frühen Neuzeit war ein Status minderen Ranges. Die junge Frau stand als Tochter unter der Vormundschaft des Vaters, später als Ehefrau unter der des Mannes. Die Frau konnte sich in rechtlichen Angelegenheiten kaum allein verteidigen. Schon gar nicht, wenn sie als Hexe angeklagt wurde.
2. Hexenverfolgungen in Deutschland von 1480 bis 1751
2.1. Ein kurzer Überblick
„Hexenprozesse haben in Deutschland die nach den Judenverfolgungen größte, nicht kriegsbedingte Massentötung von Menschen durch Menschen bewirkt.“[17]
Gewiss eine provokante aber bisher offenbar unwidersprochene These. Weiterhin heißt es: „Im Mittelalter wurden private Missgeschicke und öffentliche Katastrophen Hexen und Dämonen zugesprochen, während man im modernen Deutschland (vor allem im Zweiten Weltkrieg) die Juden als Quelle des Bösen und der Katastrophen ansah.“[18]
In Deutschland wurden in der Zeit zwischen 1480 und 1751 Hexenprozesse durchgeführt.
In den 100 Jahren zwischen 1550 und 1650 wurden die meisten Hexen in Europa verfolgt, wobei ein eindeutiger Höhepunkt im Jahre 1630 zu erkennen ist. „Im Verlauf des ausgehenden 14.- und beginnenden 15. Jahrhunderts griffen die Prozesse auf Nordspanien, Ost- und Westfrankreich und die Schweiz über. Danach stagnierte die Prozessbewegung zunächst. Seit etwa 1550 wurde der zentraleuropäische Raum, inklusive Deutschland, zur Hochburg der Hexenverfolgung.“[19] Der römisch-italienische Kulturkreis kannte ihn ebenso wie die alten Ägypter, die Juden und der keltisch-germanische Kulturkreis. Der Teufelsglaube wurde aber vor allem im 15. Jahrhundert durch den niederen Klerus unterstützt und entfacht.[20]
2.2 Die Anfänge der Hexenverfolgung in Deutschland und Europa
Das Denken und Handeln vieler Europäer des Mittelalters war beherrscht von der Vorstellung, man könne durch Zauberei Einfluss auf den Alltag nehmen. So glaubten vor allem die ungebildeten Schichten, man könne mit Hilfe von Magie z. B. Nachbarn aus Neid oder in Folge eines Streites Schaden zufügen oder sich selbst vor derartigen Angriffen schützen.
„Der Glaube an Zauberer und Hexen, an Magie und das, was angeblich mit ihr bewirkt werden kann, ist weder an bestimmte Zeiten noch an regionale Grenzen gebunden.“[21]
Dennoch wurde in keinem der oben genannten Kulturkreise die Verfolgung der angeblichen Hexen und Zauberer so drastisch betrieben wie in der Zeit zwischen 1480 und 1751 in Europa. Der Hexenwahn steckte an wie die Pest. Täglich wurden neue Hexen angeklagt. Motiv oder Auslöser war meist ein persönlicher oder finanzieller Vorteil des Klägers.
Wie konnte es zu dieser Häufung von Hexenprozessen kommen?
Ursächlich war eine allgemeine Verwirrung, ein unheilvoller Zusammenprall von Überkommenen und Neuem. Religions- und Bürgerkriege in Deutschland, wo ein Fürst vom nächsten, eine Glaubensrichtung durch die nächste abgelöst wurde, erschütterten das Vertrauen in jeden Fürsten und jede Glaubensrichtung überhaupt. Das Christentum war die offiziell ausgeübte Religion, dennoch duldete die katholische Kirche lange den heidnischen Aberglauben, der unter der Oberfläche erhalten geblieben war. Die Kleriker predigten, dass Zauberei keine Wirkung hätte und dass Menschen, die diese dennoch praktizierten, mit Kirchenbußen zu bestrafen sein, weil sie an die Effizienz der Magie glaubten[22]. Da jedwede Zauberei den Abfall von Gott bedeutete, wurde sie am Ende des 12. Jahrhundert als Religionsdelikt verfolgt und geahndet. Schon im Alten Testament steht geschrieben: „ Du sollst die Zauberer nicht leben lassen “. Auch der Kirchenvater Augustinus entwarf eine Lehre, in der er Aberglaube als Abfall von Gott durch den Dämon kennzeichnet. Somit legte er schon in der Spätantike den Grundstein für den frühneuzeitlichen Hexenwahn.[23] Mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts wandelte sich diese Einstellung in einigen europäischen Regionen. Die weltlichen wie die geistigen Autoritäten suchten wieder ein Gefühl von Sicherheit zu etablieren, um dem Zweifel und dem Umbruch ein Ende zu setzen.[24] Seit dem 14. Jahrhundert waren die heidnischen Praktiken des Volkes verstärkt ins Bewusstsein christlicher Geistlicher gerückt, die den wahren Glauben immer mehr bedroht sahen[25]. Es galt, etwas gegen den Aberglauben zu unternehmen. Auf der Suche nach denen, die Zauberei betrieben, meinten Theologen, eine neue Gemeinschaft von Teufelsbündnern[26] entdeckt zu haben, die nämlich die Hexensekte genannt wurde. Den Mitgliedern dieser vermeintlichen Sekte wurde vorgeworfen, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein, um seine Hilfe bei der Schädigung von Mitmenschen beanspruchen und mit ihm Unzucht Treiben zu können.
Da der Klerus noch in diesem Generationskonflikt steckte, war dies nicht zuletzt, ein Grund, warum man in den Hexenprozessen immer wieder auf alte Methoden zurückgriff. Alte Foltermethoden und die Berufung auf Ordalien waren einige davon.
Thomas von Aquin entwarf ein durchdachtes System der Dämonologie. Damit wurde der Teufels- und Hexenglaube wissenschaftlich fundiert.[27] Von da an wurde Zauberei nicht mehr bestritten, sondern in Gestalt der Ketzerinquisition gnadenlos verfolgt.
Der Aberglaube, Frauen seien diejenigen, die am ehesten mit dem Teufel in Kontakt treten würden, basierte auf einer langen Tradition, die sich über die Jahrhunderte durch Schriften und populäre Vorstellungen fortgepflanzt und sich wie ein Lauffeuer in ganz Europa ausgebreitet hatte. Seit dem wurde in ganz Europa daran festgehalten, Frauen seien der Ursprung allen Übels, da ihr Wesen schwach sei und deshalb auch leichter zu beeinflussen wäre.
Die weltlichen Herrscher reagierten auf diesen Aberglauben mit Gesetzen und Verordnungen. Sie schrieben im Laufe der Jahre viele Leitwerke, um diese Art von Aberglauben und das was daraus resultierte zu unterbinden.
Der Grundstein für die Verfolgung von ketzerischen Aktivitäten war gelegt. Intensiv wurde das Vorhaben aber erst durch den Papst („ Erste Erfolge der päpstlichen Hexeninquisition in Deutschland ab 1480“.[28]) und den Hexenhammer von Heinrich Kramer verfolgt. „Als Papst Innozenz VII. durch seine berüchtigte Bulle (Summis desiderantes affectibus) vom 4. Dezember 1484 das Aufspüren von Hexen anordnete, kam die Sache auch bei den Deutschen in Schwung, und die Hexenprozesse drückten dem 15., 16., 17. und selbst dem 18. Jahrhundert auch in der Geschichte des deutschen Volkes ihr Brandmal auf.“[29]
Den Feuertod für schadensbringende Zauberei setzte letztendlich die von Kaiser Karl V. 1532 erlassene ´Constitutio Criminalis Carolina´, kurz auch ´Carolina´ genannt, fest. Diese basierte auf der Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507. „Die ´Carolina´ steht für eine Vereinheitlichung der Strafverfolgung allgemein, da sie im gesamten Reichsgebiet Gültigkeit besaß.“[30] In ihr wurde verfügt, die Zauberei als Kriminaldelikt zu verfolgen. Da die Folter schon seit dem Mittelalter ein legitimes Mittel war, um Menschen zum Eingeständnis einer Tat zu bringen, war dies vor allem in den Hexenprozessen ein gängiges Mittel zur Durchsetzung des gesetzten Rechts.
2.3 Die Verfolgungswellen
Die Praxis der Hexenverfolgungen im Zeitraum von 1480 bis 1751 war von unterschiedlicher Qualität. Es gab Verfolgungswellen und Zeiten auffallend geringer Prozessdichte. Die Verfolgungswellen standen im Zusammenhang mit der jeweils herrschenden, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lage in Deutschland. Insgesamt kann man von sieben großen Verfolgungswellen in Deutschland ausgehen. Eine erste Verfolgungswelle lässt sich um 1562 bis 1564 belegen, eine weitere nach der Hungersnot von 1570. Dann gab es eine Welle die von 1580 bis 1594 als Begleiterscheinung des kalten Winters und der Pest zu belegen ist. Weitere Wellen findet man um 1600 und von 1607 bis 1618. Eine große und intensive Verfolgungswelle lässt sich von 1626 bis 1630 als Folge des Dreißigjährigen Krieges festlegen. Den letzten Höhepunkt an Verfolgungen kann man für die 1650er und 1660er Jahre ausmachen.[31] Diese Zahlen können hier allerdings nur zur groben Orientierung dienen. Zu bedenken ist nämlich, dass diese Prozesszahlen aus dem gesamten Alten Reich zusammengezählt wurden. Es gab viele Gebiete, die nicht von allen Verfolgungswellen betroffen waren oder ganz verfolgungsarm blieben.
Die Massenprozesse fanden meist in Krisenzeiten statt. Feststellbar ist, dass gerade in Zeiten der Angst, des Hungers und der großen Verwirrung die Verfolgung von potenziellen Schuldigen und somit die Suche nach einem Sündenbock am stärksten im Mittelpunkt gerückt war. Auch Konfessionsbildung und Konfessionalisierung sind neben prägenden Kriegen weitere Charakteristika für diese Zeit.
Die kirchliche Gerichtsbarkeit war aber nicht allein für die Massenprozesse verantwortlich. Die Kriminaljurisdiktion war vollständig von den weltlichen Behörden abhängig und somit war ihr Verhalten zusätzlich ausschlaggebend und auch verantwortlich für die Intensität der Verfolgungswellen.
Nach diesem Leitbild, welches Klerus und Justiz vermittelt haben, wurde auch im internen und privaten Bereich rücksichtslos verfolgt. Der Umgang der Bewohner untereinander förderte die Hexenverfolgungen intensiv. Die Alltagskultur in den Dörfern war von Streitigkeiten und Unerbittlichkeit geprägt. Jeder beschimpfte und denunzierte jeden, der nur halbwegs unsympathisch war, ohne Rücksicht auf die fatalen Konsequenzen.
Der Zaubereivorwurf stand immer an erster Stelle, wenn es um Konflikte ging.
Bei der ersten großen Verfolgungswelle um 1580 bis 1594 lag der Frauenanteil bei ca. 90%, bei der letzten Verfolgungswelle um 1660 nur noch bei 30%. Das Stereotyp hat sich in dieser Zeit drastisch gewandelt. In den ersten großen Wellen werden bevorzugt alte, arme, hässliche oder verhaltensauffällige Frauen verbrannt. Am Ende dagegen findet man viele Männer, junge Frauen und Kinder aus allen Schichten.[32] Vor allem Reiche werden verbrannt. Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass die Obrigkeit nach dem Krieg ihre Stadtkasse füllen konnte. Denn innerhalb kürzester Zeit konnte sich eine Stadt in zweierlei Hinsicht bereichern: Zum einen wurde sie Personen los, die ihr schon lange ein Dorn im Auge waren und zum anderen wurde die Stadtkasse gefüllt. Denn so eine Feuerhinrichtung war sehr aufwendig und teuer. Doch nicht die Stadt zahlte den Aufwand, sondern die Delinquenten selber. Ihr komplettes Vermögen floss nach ihrem Tod in die Stadtkasse, um die Kosten zu decken.
Es fällt auf, dass die Hexenjagd, die eine Erscheinung nicht des zu Ende gehenden Mittelalters, sondern der angebrochenen Frühmoderne, mancherorts Züge einer Massenhysterie annahm. „In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzend - und zwar unabhängig von der Konfessionsverteilung -, erreichte sie in Deutschland ihren Höhepunkt im 30 Jährigen Krieg“[33] Dieses Zitat von Schilling belegt noch einmal genau einige der Umstände, die zu den Verfolgungswellen beigetragen haben. Auch Dürwald nennt Gründe für die Verfolgungen: „Unter den Händen der weltlichen Richter feierte die Hexenverfolgung in Deutschland nun wahre Orgien. (…) Hier (Im Sauerland) beginnen die Hexenverfolgungen etwa um 1584 nach dem Auftreten der Truchsessischen Wirren“[34] Seit dem 18. Jahrhundert wurden die verurteilten Hexen allerdings weniger hart bestraft. Man verbrannte sie nicht mehr bei lebendigem Leib, sondern nahm ihnen schon vor der Verbrennung das Leben, indem sie erdrosselt oder mit dem Schwert gerichtet wurden. Dies lag daran, dass sich die Zeiten geändert hatten. Die Aufklärung und der Gedanke an die Vernunft, der viele gebildete Menschen an dieser Prozedur zweifeln ließ, trat in den Vordergrund. In dieser Zeit nahmen auch die Hexenverfolgungen ab, bis sie im 18. Jahrhundert ganz verboten wurden.
Die verfolgungsintensivsten Regionen waren außer Lothringen, Kur-Trier, Kur-Mainz und Westfalen die fränkischen Hochstifte in den Jahren 1626-1630. Hier forderte die vermutlich größte deutsche Hexenverfolgung, vielleicht sogar die größte Hexenverfolgung überhaupt, mehrere tausend Opfer.[35]
Einige Daten zu den verfolgungsintensivsten Regionen:
Im Kurfürstentum Trier mussten zwischen 1581 und 1599, 306 Personen auf dem Scheiterhaufen. Das Kurfürstentum Bamberg galt allgemein als das Hexenhaus. Im Zeitraum zwischen 1625 und 1630 ließen dort 600 Hexen und Zauberer auf dem Scheiterhaufen ihr Leben. In Fulda wurden zwischen 1603 und 1605, 205 Personen verbrannt, wobei an manchen Tagen Massenverbrennungen angeordnet wurden. In zwei weiteren Kurmeinzischen Städten gab es 300 Opfer. 1612 wurden allein in Ellwangen 167 Hinrichtungen wegen Hexereiverdachts angeordnet. In Westerstetten, in Baden-Württemberg (Westerstetten liegt im Lonetal auf der Schwäbischen Albca 17 km nördlich von Ulm) mussten an nur zwei Tagen 300 Personen den Feuertod wegen Hexereiverdachts erleiden; an nur einem Tag im Jahre 1589 starben im Frauenstift Quedlinburg 133 Frauen den Feuertod.[36] Wie man an diesen Beispielen erkennen kann, nahm die Massenhysterie, wie Schilling zu Recht beschreibt, unmenschliche Züge an.
2.4 Das Ende der Hexenverfolgung
Im 18. Jahrhundert stagnierten die Verfolgungen. Es wird nur noch vereinzelt von Hexenprozessen berichtet. So z.B. von Anna Spiekermann, die im Jahre 1706 als letzte Hexe im Vest Recklinghausen verbrannt wurde. Anna Schnidenwind, geb. Trutt, (*um 1688 in Wyhl am Kaiserstuhl; † 24. April 1751 in Endigen am Kaiserstuhl) war eine der letzten Frauen, die in Deutschland als Hexe öffentlich hingerichtet wurde. Die letzte Hinrichtung einer Hexe auf deutschem Boden, deren Name nicht bekannt ist, wurde 1775 in Kempten (Allgäu) vollzogen.
Die europäischen Hexenverfolgungen endeten ausgerechnet dort, wo sie begonnen hatten: in der Schweiz. Die Magd Anna Göldi wurde im Juni 1782 im schweizerischen protestantischen Kanton Glarus mit dem Schwert gerichtet. Sie soll der Tochter ihres Dienstherren Johann Jakob Tschudi Nadeln in den Magen gezaubert und zudem selber Nägel gespuckt haben.[37]
Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahmen die Hexenprozesse ab und wurden auch bald samt Foltermethoden abgeschafft. Dazu beigetragen haben Friedrich I. König von Preußen und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm, der schließlich im Jahre 1714 in seinem Lande die Hexenprozesse verbot. Diesem Verbot schlossen sich nach und nach die übrigen Staaten Deutschlands an.[38] Beeinflussen lässt sich der Rückgang der Hexenprozesse, und das Nachlassen der Hexenverfolgungen, zum einen durch die Aufklärung und ihre Werke, (Balthasar Becker, 1681; Christian Thomasius 1701), die aber erst nach Beendigung der großen Verfolgung erschienen waren und zum anderen durch die Niederlage im Dreißigjährigen Krieg, der zum wirtschaftlichen Zusammenbruch und großen Bevölkerungsverlusten führte.
Die desillusionierende Wirkung von Massenprozessen führte letztendlich dazu bei, dass die Öffentlichkeit kein Vertrauen mehr in die Justiz setzte. Häufig trat Panik in der Bevölkerung auf.
Aber auch Religion, Philosophie, Territorial- und Sozialpolitik führten zu wachsenden Zweifeln an Sinn und Zweck der Hexenjagd.[39]
3. Die Verfahren der Hexenprozesse:
3.1. Rechtliche Voraussetzungen für die Folter
„Hexen waren im allgemeinen Verständnis ihrer Zeit Verbrecherinnen. Sie galten als Giftmischerinnen; mit ihrem Schadenszauber verursachten sie Krankheiten an Mensch und Tier. Sie gehörten damit vor die Kriminalgerichte.“[40]
Der Verlauf eines Hexenprozesses begann stets mit einer Denunziation. Entweder kommt die anklagende Person aus dem Bekanntenkreis (Nachbar, Dorf- oder Stadtbewohner, Feind, Neider…) oder es ist ausschlaggebend die Aussage einer bereits als Hexe verhafteten Angeklagten, die unter Folter weitere Personen belastet hat.
„Die strafrechtshistorische Literatur behandelt im Zusammenhang mit der Festnahme oft zugleich das Problem, welche Zustände in den Kerkern gemäß der Carolina herrschen sollten und wie stark die Rechtswirklichkeit davon abwich.“[41] Natürlich führte die Haft dazu, dass die Verdächtigen in einem menschenunwürdigen Hexengefängnis untergebracht wurden. „Die katastrophalen Haftbedingungen wurden teilweise bewusst als Foltermethode eingesetzt und gehören damit in den Sachzusammenhang der Spezialinquisition.“[42]
Bevor ein Mensch verurteilt wurde, musste ein Beweis erbracht werden, der die Richtigkeit der Anschuldigung belegte. Dieser Beweis konnte auf dreierlei Weise erbracht werden: „Entweder durch die Aussage mindestens zweier oder mehrerer glaubwürdiger Zeugen oder durch ein vom Gericht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüftes Geständnis des Angeklagten bzw. Inquisiten.“[43] Hierbei war das Geständnis das wichtigere Beweismittel:
„ Denn (es ist) kein krefftiger beweiß/ alß eigens mundes ausag(…).“[44]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung einer Zeugenaussage[45]
Außerdem gab es noch die Möglichkeit der Hexenproben, auf die im nächsten Kapitel genau eingegangen wird.
Das Geständnis des Angeklagten war unausweichlich und von besonderer Wichtigkeit, da niemand auf Verdacht verurteilt werden konnte. „Der Sieg über den Teufel“[46] wurde das Geständnis auch genannt, da man mit der Folter das erreicht hatte, was man wollte und dem Teufel somit alle Macht genommen hatte. „Ein Geständnis war notwendig, da nach den Bestimmungen des Hexenhammers eine Angeklagte nur aufgrund eines Geständnisses als Hexe verbrannt werden konnte. Außerdem handelt es sich um einen Tatvorwurf, der nicht durch irgendwelche Zeugen nachweisbar war. Es ging hier nicht um vorgefasste Meinungen und Vorurteile, an die man die Wirklichkeit anzupassen versuchte. Man brauchte ein Geständnis, keine Aufklärung einer Tat.“[47]
Für den Fall, dass der Angeklagte die Tat aber nicht gestand, es auch keinen glaubwürdigen Zeugen gab und er die Hexenproben, (die im nächsten Abschnitt beschrieben werden), nicht bestanden hatte, wurde mit dem peinlichen Verhör begonnen.
Die peinliche Frage, bzw. die peinliche Strafe an Leib und Leben (Pein= Qual; später auch Strafe) wurde bei jedem Versuch, ein Geständnis zu bekommen, immer auf die gleiche Art und Weise durchgeführt. „Unter der Folter wurden Geständnisse erzwungen, die nicht immer - vermutlich in den wenigsten Fällen - der Wahrheit entsprochen haben dürften. Strafmittel blieben die alten germanischen Strafformen, die jedoch immer grausamer und darüber hinaus nun auch immer öffentlicher vollstreckt wurden.“[48]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung einer peinlichen Befragung aus dem 17. Jahrhundert[49]
3.2 Die Hexenproben
Gottesurteile entstanden nach damaliger Auffassung durch die vermeintliche Hilfe Gottes. Mit der Christianisierung wurden sie zu allgemeinen Rechtsformen. Um das Gottesurteil zu befragen, erfand man die Hexenproben. Diese wurden angewandt, um einen Hinweis auf die Stichhaltigkeit der Anklage zu erhalten. Sie wurden aber auch benutzt, wenn sich die Schuld der Angeklagten nicht durch ein erpresstes Geständnis nachweisen ließ.
Sobald eine entsprechende Anzeige wegen Zauberei gegen eine Person vorlag, konnte der Richter sogleich auf Folter plädieren. Man unterwarf die Verdächtigen jedoch meist zuvor den Hexenproben. Oft kamen gleich mehrere nacheinander in Anwendung, nämlich:
die Tränenprobe, die Nadelprobe, die Feuerprobe, die Wasserprobe (hier besonders hervorzuheben) , die Gebetsprobe und die Hexenwaage.[50]
Den Verurteilten wurde so mehr oder weniger die Chance gegeben, sich des Verdachts zu entledigen. Die Hexenproben fanden ausschließlich in der Öffentlichkeit statt. Dies war einerseits als Warnung und andererseits zur Belustigung der Bevölkerung gedacht.
Die Verdächtigen konnten sich auch freiwillig prüfen lassen, um so einem Verdacht eventuell zu entkommen. Dies war allerdings sehr kostspielig und auch sehr zeitaufwändig, da sie oftmals in einer anderen Stadt vollzogen wurden, wenn der örtliche Scharfrichter keine Zeit hatte.
3.2.1. Die Tränenprobe
Da man zur Zeit der Hexenverfolgung davon ausging, dass Hexen nicht weinen konnten, versuchte man die Verdächtige zum Weinen zu bringen. Weinte sie nicht, war sie eine Hexe. Der Richter oder ein Pfarrer legten der Denunzierten die Hand auf das Haupt und sprachen dabei ein Gebet, in dem sie Jesus Christus beschworen.
„Ich beschwöre dich um der bitteren Tränen willen, die von unserem Heiland, dem Herrn Jesus Christus, am Kreuze für unser Heil vergossen worden sind, dass du, im Falle du unschuldig bist, Tränen vergießest, wenn schuldig, nicht!“[51]
Allerdings lag es an der subjektiven Anschauung des Untersuchenden, ob die Angeklagte schuldig war oder nicht. Für gewöhnlich stellte der Richter mit Genugtuung fest, dass die Beschworene sich vergeblich angestrengt habe zu weinen. Während der Folter durften die Frauen demnach, da sie nach dieser Probe als Hexe entlarvt worden waren, nicht weinen. Weinte die Gemarterte dann doch, so wurde dies als Blendwerk des Teufels gedeutet.
3.2.2. Die Nadelprobe
Aus inquisitorischer Sicht war die Tränenprobe gewiss kein schlechtes Mittel. Als weitaus beweiskräftiger galt allerdings die Nadelprobe.
Hierbei wurde der Körper der vermeintlichen Hexe nach Teufelsmalen, auch: stigma diabolica, abgesucht. Diese, so glaubte man, drückte der Satan seinen Gefolgsleuten beim Geschlechtsverkehr auf. Angeblich bluteten die Stellen nicht, wenn man eine Nadel hinein stach.
Um den Köper gründlich untersuchen zu können, schor der Scharfrichter der Angeklagten alle Haare am Körper, vom Kopf angefangen bis hin zum Schambereich. Selbst die Augenbrauen wurden geschoren. Man glaubte, sobald eine Hexe keine Haare mehr hätte, habe der Teufel keine Macht mehr über sie. „Häufig bringt der Teufel dieses Merkmal an offen sichtbaren Stellen an, wie an der Hand, häufiger jedoch an verborgenen Stellen, wie unter der Zunge. Es sollte daran zu erkennen sein, dass es unempfindlich war und kein Blut gebe.“[52] Im allgemeinen Aberglauben blutet diese markierte Stelle deshalb nicht, weil der Teufel den neu gewonnenen Hexen an dieser Stelle das Blut aussaugt.
Mittels einer langen Nadel stach der Henker nun in jede Narbe, in jedes Muttermal und in jeden Leberfleck am Leibe der Angeklagten. Dies ging aber meist nicht mit rechten Dingen zu. Oft deutete der Scharfrichter einen Stich nur an um den Beweis zu erbringen, dass angeklagte Person nicht blutete. Je nach Sympathie wurde auch hier das Urteil gefällt.
[...]
[1] Vgl. Schmölzer, Hexenverfolgung; S. 394.
[2] Ebenda, S. 394f.
[3] Ebenda, S. 395.
[4] Hausschild, Hexen; S. 27
[5] Ebenda; S. 29
[6] Kemper, Hexenwahn; S.12
[7] Vgl. Dürwald, Hexe; S.33
[8] Vgl. Skeats; Etymologie, S.125
[9] Duden. Herkunftswörterbuch; S. 230.
[10] Ebd., S.856
[11] Corbach: Bergische Geschichte; S. 9
[12] Aus: Hauschild, Hexen; S. 31
[13] Kemper, Hexenwahn; S.8
[14] Kemper, Hexenwahn; S. 2
[15] Behringer, Hexenhammer, Vorwort
[16] Kramer, Hexenhammer; S. 231
[17] Schormann, Hexenprozesse; S.5
[18] Ebenda; S.16
[19] Alfing, Hexenjagd; S.19 ff.
[20] Vgl.: König, Hexenprozesse, S.27
[21] Merzbacher, Hexenprozesse; S. 59
[22] Lea, Inquisition; S. 553
[23] Vgl.: Schwaiger, Teufelsglaube; S.75
[24] Anderson, Frauen in Europa, S. 224 ff.
[25] Ebd., S.597
[26] Blauert, Erforschung der Hexenverfolgungen; S. 11.
[27] Vgl.: Merzbacher, Hexenprozesse; S. 22
[28] Behringer, Hexen; S.107
[29] König, Hexenprozesse; S.28
[30] Alfing, Hexenjagd; S.19
[31] Behringer, Hexen S.273
[32] Vgl.: Behringer, Hexen; Kap. 3 und 4
[33] Schilling, Reformation; S.166 ff.
[34] Dürwald, Hexen; S.34 ff.
[35] Alfing, Hexenjagd; S.19 ff.
[36] Vgl.: Gottschalk, Frauenbild, 1998, o.S.
[37] Vgl.: Döbler, Hexenwahn, o.S.
[38] Vgl.: Esch, Hexenprozesse; S. 61
[39] Vgl.: Alfing, Hexenjagd, S.22ff.
[40] Thiesbrummel, Recklinghäuserinen; S.23
[41] Soldan, Hexenprozesse; S.328-329
[42] Oestmann, Reichskammergericht; S.189
[43] Ebenda; S.189
[44] Ebenda; S.190
[45] Vgl.: Internetquelle, Muelverstedt
[46] Hanklaus, Hexenänneken, S. 173
[47] Thiesbrummel, Recklinghäuserinnen; S.27
[48] Vgl.: Höfinghoff, Carolina. S. 169
[49] Vgl.: Internetquelle, Muelverstedt
[50] Vgl.: König, Hexenprozesse; S.59
[51] Ebenda; S.59
[52] König, Hexenprozesse; S.60