Die Diskussionen um das Thema Fleischkonsum nahmen in den letzten Jahren erheblich zu. Die Frage, ob es Fleisch sein darf, wird hierbei interdisziplinär betrachtet, denn nicht nur tierethische, sondern auch ökologische, soziale und medizinische Folgen von Fleischkonsum sprechen immer häufiger gegen diesen.
Diese Ausarbeitung soll die Frage aus tierethischer Perspektive beantworten. Weiterhin wird außerdem auf rechtliche, ökologische, soziale und medizinische Aspekte des Fleischkonsums eingegangen.
Zunächst wird ein Blick auf das Tierschutzgesetz geworfen, um im Weiteren die Frage zu beantworten, ob sich das Tierschutzgesetz auch auf den Fleischkonsum bezieht oder aber, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wird – und zwar in Bezug auf Nutz- und Haustiere.
Inhaltsverzeichnis
1. Darf es Fleisch sein?
2. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
3. Ans ätze der Tierethik
4. Fleisch als moralische Ausnahme?
5. Wo entsteht Leid?
5.1 Leid beim Menschen – Welthunger, wirtschaftliche Strukturprobleme und Zivilisationskrankheiten als Folge von Fleischkonsum
5.2 Leid im Ökosystem – Umweltverschmutzung, Regenwaldrodung und Artensterben als Folge von Fleischkonsum
5.3 Leid beim Tier – das qualvolle Leben und Sterben von Nutztieren
5.3.1 Haltung – Eingesperrt und eingepfercht
5.3.2 Transport – von 0,75 auf 0,5 m² Platz
5.3.3 Endstation Schlachthof – Überführung der Tiere vom Leben in den Tod
5.3.4 Biofleisch als ethisch vertretbare Alternative?
6. Wie k önnen wir Leid vermeiden?
7. D ürfen wir Tiere essen?
Literaturverzeichnis
1. Darf es Fleisch sein?
Die Diskussionen um das Thema Fleischkonsum nahmen in den letzten Jahren erheblich zu. Die Frage, ob es Fleisch sein darf, wird hierbei interdisziplinäre betrachtet, denn nicht nur tierethische, sondern auch ökologische, soziale und medizinische Folgen von Fleischkonsum sprechen sich immer häufiger gegen diesen.
Rund 6,31 % der deutschen Bevölkerung gaben 2018 an, sich vegetarisch zu ernähren oder weitgehend auf Fleisch zu verzichten1, vegan ordneten sich rund 0,96 % ein2. Aber handeln diese Menschen damit ethisch besser? Sollten Menschen aus ethischer Sicht auf Fleisch verzichten?
Diese Ausarbeitung zum Referat „Dürfen wir Tiere essen? Ethik und Fleischverzicht“ soll die Frage aus tierethischer Perspektive beantworten. Weiterhin wird außerdem auf rechtliche, ökologische, soziale und medizinische Aspekte des Fleischkonsums eingegangen.
Zunächst wird ein Blick auf das Tierschutzgesetz geworfen, um im Weiteren die Frage zu beantworten, ob sich das Tierschutzgesetz auch auf den Fleischkonsum bezieht oder aber, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wird – und zwar in Bezug auf Nutz- und Haustiere.
2. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen [Hervorh. d. Verf.] für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen [Hervorh. d. Verf.]. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund [Hervorh. d. Verf.] Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.3
Schon das Tierschutzgesetz appelliert an die Verantwortung der Menschen, betont die Schutzwürdigkeit der Tiere und verbietet es, Tieren ohne vernünftigen Grund Leid zuzufügen. Wie aber kann es dann sein, dass tagtäglich Tiere für den Fleischkonsum getötet werden?
Ableiten kann man folgendes:
1. Der Appell, Tiere zu schützen, bezieht sich offensichtlich nicht auf Nutztiere, denn diese zu töten, ist genau das Gegenteil von Schutz.
2. Fleischkonsum scheint ein sog. vernünftiger Grund zu sein, Tiere zu töten.
3. Ans ätze der Tierethik
In der Tierethik lassen sich drei Hauptrichtungen tierethischer Ansätze beobachten. Der erste Ansatz geht in die Richtung, dass Tiere keinerlei Rechte haben und Menschen daher mit ihnen umgehen dürfen, wie es ihnen beliebt.
Diese Richtung findet nur mäßig Zustimmung. Man könnte u. a. Mark Rowland und seinen kontraktualistischen Ansatz in Form einer Vertragstheorie einordnen. Eine Bedingung des Kontraktualismus ist, dass die Verhandlungspartner gleiche Fähigkeiten besitzen. Dies ist bei Mensch und Tier nicht der Fall und spricht aus diesem Grund tendenziell gegen Tierrechte.
Die zweite Ansatzrichtung spricht Tieren zwar Rechte zu, allerdings nicht die gleichen wie Menschen. Tiere dürfen vom Menschen genutzt werden, jedoch verantwortungsvoll und möglichst ohne Leid zu verursachen. Eine Lösung dieser Richtung ist der Verzehr von Biofleisch statt von konventionellem Fleisch. Hierunter kann man beispielsweise den präferenzutilitaristischen Ansatz von Peter Singer und den fähigkeitenbasierten Ansatz von Martha Nussbaum einordnen, weiterhin ist es auch die lehramtliche Auffassung der katholischen Kirche4. Es ist möglich, dass nicht alle Tiere unter die Grundausrichtung der Ansätze fallen, jedoch sprechen die Vertreter den Tieren zunächst einmal prinzipiell Rechte zu, da Tiere empfindsame Wesen sind und Leid und Glück verspüren können.
Eine dritte Ansatzrichtung ist die absolute Gleichheit zwischen Mensch und Tier. Ähnlich wie die erste Ansatzrichtung findet auch diese eher wenige Vertreter. In ihrem zoopolitischen Ansatz fordern Sue Donaldson und Will Kymlicka die Staatsbürgerschaft für Tiere. Auch die Tierrechtsposition von Tom Regan wird u. a. als „radikalste Position unter den Klassikern“5 gezählt. Dieser sieht Lebewesen, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen, da sie empfindungsfähigen Lebewesen sind, als Mitglieder der moralischen Gesellschaft.
Er fordert nicht etwas z. B. für Schweine mehr Auslauf, bessere Sozialkontakte oder besseres Futter, vielmehr sollten gar keine Schweine mehr gehalten werden, denn das sei das grundsätzlich Unmoralische.6 Allerdings räumt er ein, dass es im Notfall moralisch erlaubt sei, ein Tier zu töten, um es zu verzehren.7
Die verschiedenen Ansätze werden in der Tierethik oft in den Egalitarismus eingeordnet. Die Theorie strebt eine vollkommene Gleichheit an. In der Tierethik bedeutet dies, dass Mensch und Tier vollkommen gleichgestellt werden sollen. Deshalb kann man z. B. den zoopolitischen Ansatz von Sue Donaldson als starken Egalitarismus bezeichnen.
Auch die Theorie des Utilitarismus findet in der Tierethik häufig Anwendung. Dieser fordert eine Leidvermeidung und Lustmaximierung, dies gilt dann, je nach Ansatz, auch für Tiere.
Viele tierethische Ansätze fordern zumindest Rechte für Tiere. Auch viele Menschen sprechen sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren aus. Leid soll, so gut wie möglich, vermieden werden. Auf Fleisch verzichten möchte die Mehrzahl jedoch nicht.
4. Fleisch als moralische Ausnahme?
Auch wenn sich viele Menschen für einen verantwortungsvollen Umgang aussprechen, weniger Fleisch konsumieren wollen und auch tierethische Ansätze mit ihren Begründungen überzeugen, wurden 2017 allein in Deutschland rund 745 Millionen Tiere getötet8, um sie dann zu essen. Deutschland hat derzeit rund 82 Millionen Einwohner, es werden also pro Jahr neunmal so viele Tiere getötet wie Deutschland Einwohner hat. 2017 konsumierten die Menschen in Deutschland zwischen 64,3 kg9 und 87,8 kg10 Fleisch pro Kopf. Auch wenn die Tendenz sinkend ist, stellt sich die Frage, ob bei diesen Zahlen von einem ethischen Umgang mit Tieren gesprochen werden kann und, ob § 1 des Tierschutzgesetzes wirklich Anwendung findet.
Ist Fleisch vielleicht sogar eine moralische Ausnahme, da ethisch vertretbar? Schließlich sind sich auch die meisten tierethischen Ansätze einig, dass mit Tieren prinzipiell zwar verantwortungsbewusst umgegangen werden soll, jedoch nicht, dass diese auf einer Ebene mit dem Menschen stehen.
Verrechnet man die Interessen des Menschen mit denen der Tiere, kann man feststellen, dass der Genuss gegenüber dem Leben des Tieres siegt. Ist dies richtig und ethisch vertretbar oder sollte ein Umdenken stattfinden? Was bedeutet es für die Tiere, gezüchtet und gehalten zu werden, um schlussendlich zu sterben und gegessen zu werden? Es bedeutet in jedem Fall Leid, denn laut Singer ist auch ein Tier ein empfindsames Wesen, was Schmerz und Leid fühlt und dem entkommen möchte.11
5. Wo entsteht Leid?
Spricht man nun entgegen den obigen Ausführungen Tieren jegliche Rechte ab, so sollte man bedenken, dass nicht nur sie Leidtragende des Fleischkonsums sind. Fleischkonsum hat viele Folgen, nicht nur für das Tier, sondern auch soziale und ökologische.
5.1 Leid beim Menschen – Welthunger, wirtschaftliche Strukturprobleme und Zivilisationskrankheiten als Folge von Fleischkonsum
Alle zehn Sekunden stirbt ein Kind an Hunger und insgesamt müssen 800 Millionen Menschen weltweit hungern.12
Dadurch, dass Getreide und Soja als Tierfutter verwendet werden, können diese Lebensmittel nicht mehr der Ernährung von Menschen dienen. Acht Kilo Weizen könnten zehn Menschen pro Tag versorgen. Ernährt man mit diesen acht Kilo jedoch ein Schwein, so kann man hieraus gerade einmal 500 Gramm Fleisch gewinnen, welches wiederum lediglich 1/3 des täglichen Kalorienbedarfs eines Menschen decken. Pro Kopf der Weltbevölkerung entspricht die derzeitige landwirtschaftliche Produktion zwar 4600 Kalorien pro Tag und könnte für 14,5 Milliarden Menschen reichen, ein großer Teil dieser Kalorien findet sich jedoch ausschließlich in Tierfutter wieder13, denn weltweit werden 80 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausschließlich für Tierfutter eingesetzt und nicht für Nahrung für Menschen, in Deutschland sind es 60 %14 der Fläche.
Es wird also viel Energie für Fleisch aufgewandt, die bei direkten Konsum durch den Menschen kalorienmäßig weitaus rentabler genutzt würde. Problematisch für Menschen gerade in Entwicklungsländern ist nicht nur der Hunger, der durch Fleischkonsum verursacht wird, auch wirtschaftlich hat Fleischkonsum negative Folgen. In bestimmten Entwicklungs- und Schwellenländern wird Fleisch produziert, welches lediglich für den Export bestimmt ist.15 Weiterhin wird auch Fleisch aus Industrieländern in Entwicklungsländer exportiert, und zwar Fleischteile, die die Mehrzahl der Menschen aus Industrieländern nicht essen möchte. So wird vom Huhn lediglich die Hühnerbrust zum Verzehr verkauft, der Rest wird tiefgefroren und nach Afrika exportiert.
Diese Gegebenheiten verschärfen das Strukturproblem der Entwicklungsländer, sie können keine eigene Wirtschaft aufbauen und bleiben abhängig. Auch auf die direkte Gesundheit der konsumierenden Menschen hat Fleisch negative Auswirkungen.
Ernährungswissenschaftliche Studien konnten einen kausalen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und einem erhöhten Risiko der Entstehung von Zivilisationskrankheiten wie Krebs und Herzkreislaufstörungen herstellen16, insbesondere verarbeitetes Fleisch wie Wurstwaren wird von der Weltgesundheitsorganisation als krebserregend eingestuft17. Zusammenfassend kann man also festhalten, dass sich Fleisch nicht nur auf die weltweite Ernährungssituation und die Wirtschaftsstruktur besonders in Entwicklungsländern negativ auswirkt, sondern auch auf die Gesundheit des konsumierenden Menschen. Fleischkonsum bedeutet also keineswegs ausschließlich Leid für die mehr als 3000 pro Sekunde weltweit geschlachteten Tiere18, sondern auch für viele Menschen.
[...]
1 Vgl. Statista: Anzahl der Personen in Deutschland, die sich selbst als Vegetarier einordnen oder als Leute, die weitgehend auf Fleisch verzichten*, von 2007 bis 2018 (in Millionen). Online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/173636/umfrage/lebenseinstellung-anzahl-vegetarier/ (Stand: 25.03.2019).
2 Vgl. Statista: Personen in Deutschland, die sich selbst als Veganer einordnen oder als Leute, die weitgehend auf tierische Produkte verzichten, in den Jahren 2015 bis 2018. Online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445155/umfrage/umfrage-in-deutschland-zur-anzahl-der-veganer/ (Stand 25.03.2019).
3 Vgl. Bundesamt für Justiz: Tierschutzgesetz § 1. Online unter: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__1.html (Stand 25.03.2019).
4 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz: „Enzyklika Laudato si‘ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Nr. 67 – 90. Online unter: https://dbk.de/themen/enzyklika-laudato-si/ (Stand 25.03.2019).
5 GRIMM, Herwig u. a.: Wie man Tierrechte begründen kann. In: Grimm, Herwig u. a. Tierethik zur Einführung. Hamburg 2016. S. 132-146. S. 132.
6 Vgl. ebd.
7 Vgl. FLURY, Andreas: Der moralische Status der Tiere. Freiburg/München 2016. S. 236.
8 Vgl. Statistisches Bundesamt: Fleischerzeugung im Jahr 2017 deutlich gesunken. Online unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/02/PD18_038_413.html (Stand: 25.03.2019).
9 Vgl. Statista: Entwicklung des jährlichen Fleischkonsums in Europa in den Jahren 2010 bis 2020 (in Kilogramm pro Kopf). Online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/768884/umfrage/entwicklung-des-jaehrlichen-fleischkonsums-pro-kopf-in-europa/ (Stand 25.03.2019).
10 Vgl. Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie: Fleischverbrauch je Kopf der Bevölkerung. Online unter: https://www.bvdf.de/in_zahlen/tab_05 (Stand 25.03.2019).
11 Vgl. SINGER, Peter: Praktische Ethik. Stuttgart 2013. S. 142.
12 Vgl. Welthungerhilfe: Hunger. Online unter: https://www.welthungerhilfe.de/hunger/ (Stand 25.03.2019).
13 HUBER, Wolfgang: Fleischkonsum und Tierhaltung. In: HUBER, Wolfgang. Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. München 2013, 71-75. 75.
14 STOLL-KLEEMANN, Susanne: Ökologische und soziale Probleme des überhöhten Fleischkonsums. Überblick und Ansätze für Wege aus der Krise. In: TIERethik 10/16 (2018), S. 27-49. S. 33.
15 Vgl. HUBER, Wolfgang. S. 71.
16 Vgl. BINDER, Regina/WINKELMAYER, Rudolf: Fleischproduktion – ein „vernünftiger Grund“ für die Tötung von Tieren? In: TIERethik 10/16 (2018), S. 111-142. S. 120.
17 Vgl. Albert Schweizer: Gesundheit. Online unter: https://albert-schweitzer-stiftung.de/themen/gesund (Stand 25.03.2019).
18 Vgl. Albert Schweizer: Essen. Online unter: https://www.animalequality.de/essen (Stand 25.03.2019).