Diese Arbeit untersucht die Mythen, die um Reinhard Heydrich, den deutschen SS-Obergruppenführer, kreisten.
Zunächst beschäftigt sich die Arbeit mit Heydrichs Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter. Es folgt der Blick auf seine Zeit im NS-Regime. Im Anschluss fragt der didaktische Teil, wie das Interesse der SuS (Schülerinnen und Schüler) für das Thema geweckt werden kann.
Die Geburt von Reinhard Heydrich fiel in eine Zeit des rasanten wirtschaftlichen Wachstums und Umbruchs. Er wurde am 7. März 1904 in der preußischen Stadt Halle geboren. Er hatte eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder folgte ihm. Wie schon die Namensgebung Reinhards vermuten lässt, war die Familie Heydrich stark musikalisch geprägt. Der Vater, Bruno Heydrich, stammte aus ärmlichen Verhältnissen und schaffte es durch sein Talent für die Musik, sich eine vielversprechendere Zukunft aufzubauen. Zum Talent des Vaters gibt es in der Literatur viele Aussagen. Jedoch wurden die Stimmen, die Bruno Heydrich sein Talent absprachen, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg laut. Die Tagespresse um die Jahrhundertwende, schilderte das Talent des Vaters jedoch deutlich wohlwollender.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Leben von Reinhard Heydrich
2.1 Kindheit, Jugend und Schulzeit
2.2 Marinezeit
2.3 Bekanntschaft und Verlobung mit Lina von Osten
2.4 Einfluss der Familie von Osten auf die politische Orientierung von Heydrich
3. Reinhard Heydrichs Zeit im NS-Regime – Ein Überblick
3.1 Heydrichs Weg ins NS-Regime
3.2 Umgang mit Juden – „Die Endlösung der Judenfrage“
3.3 Heydrich als Protektor von Böhmen und Mähren
4. Möglicher Einsatz in der Schule – didaktische Überlegungen
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
6.1. Literatur
6.2 Internetquellen
1 . Einleitung
Die Fragestellung wurde deshalb gewählt, weil sie ein offenes Vorgehen im Hauptteil ermöglichen sollte. Sie ließ auf der einen Seite zu, dass man die Arbeit sehr frei und dem Prozess des Schreibens anpassen konnte. Andererseits bedingte sie eine biographische Arbeit, an der ich interessiert war. Das Erkenntnisinteresse lag vor allem darin, herauszufinden was es mit der „Legende“ Heydrich auf sich hat. Welche Mythen, die um ihn „kreisten“, würden relativierbar werden?
Hieraus hat sich die Gliederung für den Hauptteil ergeben. Zunächst ging es um die Beschäftigung mit Heydrichs Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter. Wahrscheinlich lag das erhöhte Interesse an der ausführlichen Beschäftigung mit Gliederungspunkt 1 zum einen an dem Pädagogik- und Psychologiestudium, das jeder Lehramtsstudent durchläuft, als auch an der Neugier, ob man hier auf die Gründe der späteren Entwicklungen stoßen würde. Des Weiteren sollte es später dem didaktischen Teil dienen, das Interesse der SuS (Schülerinnen und Schüler) wecken und gleichzeitig eine Nähe zu den SuS schaffen. Es erschien unverzichtbar auch auf die anderen Stationen Heydrichs Leben einzugehen, obwohl schon zu Beginn klar war, dass darauf viele Auslassungen folgen würden. Denn die Fülle der Literatur erscheint immens. Hinzukommt das schon zu Anfang klar war, dass sich die Aussagen je nach Literatur voneinander unterscheiden. Was gleichzeitig aber auch als Begründung für die Literaturauswahl dient, denn ich wollte möglichst multiperspektivisch vorgehen (auch in Bezug auf den didaktischen Teil erschien mir dies sinnvoll). Was einen jedoch wieder vor die Aufgabe stellte, alles auf einen sinnvollen Nenner zu bringen. Ebenso war es von (für mich) hohem Wert das Werk von Lina Heydrich zu lesen. Auch wenn dieses immer wieder für Irritation (in mir) sorgte, so konnte man sehr persönliche Eindrücke gewinnen.
Mein ganz persönliches Interesse lag darin, von einem vorschnellen Urteil über Menschen abzukommen, die aktiv im Nationalsozialismus mitgewirkt haben. Wir verurteilen aus heutiger Sicht alles was damals passiert ist und spotten (nicht selten) darüber, wie leichtgläubig und naiv die Menschen damals waren. Ganz automatisch kamen mir Fragen in den Kopf wie: „War seine Kindheit so schlimm, dass er so ein fürchterlicher Mensch wurde?“ oder „Wie können Individuen so unmenschlich sein?“. Das sind die üblichen Fragen, die mich als Schülerin „umgetrieben“ haben. Das Ziel meiner Erkenntnisinteresse war, herauszufinden was hinter der Person Reinhard Heydrich noch steckte.
Abschließend möchte ich noch eine Anmerkung machen. Beschäftigt man sich mit der Literatur zu Tätern der NS-Zeit, so wird schnell deutlich, dass speziell in der Nachkriegszeit versucht wurde, die alleinige Schuld auf NS-Führungspersonal abzuwälzen. Diese Tatsache schlägt sich vor allem in älterer Literatur nieder. Die Literatur des 21. Jahrhundert geht deutlich sachlicher vor und versucht die in der Nachkriegszeit „(…) verbreitete Wahrnehmung von SS-Führern als furchteinflößende >>Dämonen<< (…)“ zu relativieren. Dies erschwert die Aufgabe abermals, ein unverzerrtes Bild von Reinhard Heydrich abzubilden.
2 . Das Leben von Reinhard Heydrich 2.1 Kindheit, Jugend und Schulzeit
Die Geburt von Reinhard Heydrich fiel in eine Zeit des rasanten wirtschaftlichen Wachstums und Umbruchs. Er wurde am 7. März 1904 in der preußischen Stadt Halle geboren. 1 Er hatte eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder folgte ihm. Wie schon die Namensgebung Reinhards vermuten lässt, war die Familie Heydrich stark musikalisch geprägt. Der Vater, Bruno Heydrich, stammte aus ärmlichen Verhältnissen und schaffte es durch sein Talent für die Musik, sich eine vielversprechendere Zukunft aufzubauen.2 Zum Talent des Vaters gibt es in der Literatur viele Aussagen. Jedoch wurden die Stimmen, die Bruno Heydrich sein Talent absprachen, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg laut. 3 Die Tagespresse um die Jahrhundertwende, schilderte das Talent des Vaters jedoch deutlich wohlwollender.4 Jedenfalls reichte das Talent des Vaters aus, um sich mit seinem Konservatorium einen Namen zu machen und eine florierende Einrichtung aufzubauen.5 Die Bürger der Stadt Halle konnten und wollten es sich leisten, ihre Kinder in den Musikunterricht in sein Konservatorium zu schicken. So dass, die Familie Heydrich finanziell gut situiert war, und auch ein beträchtliches Ansehen innerhalb der gehobenen Kreise genoss. Durch die finanzielle Situation der Heydrichs und der stets wachsenden Nachfrage der Musikstunden, übernahm die Erziehung der Kinder hauptsächlich ein Hausmädchen. Deschner zur Folge warf die Mutter lediglich ein Auge auf die Erziehung der Kinder und griff nur gelegentlich selbst ein. 6 Im selben Zug wird dem Vater unterstellt, „kein inneres Verhältnis“7 zu den eigenen Kindern besessen zu haben. Die musikalische Ausbildung von Reinhard machte sich seine Mutter zur Aufgabe. So konnte er schon vor Beginn der Schule die Notenschrift, fehlerfrei Klavierstücke spielen und hatte damit begonnen Violine zu spielen.8 Hier wiederrum soll der Vater großen Einfluss auf seine Förderung gehabt haben, und nahm den knapp sechsjährigen z.B. mit zu Theaterveranstaltungen.9 Calic beschreibt wiederrum in seinem Buch eine immense Vaterliebe von Seiten Bruno Heydrichs für seinen Sohn Reinhard, den „Urgermane“10. Ob es sich bei dieser Förderung lediglich um die Vorbereitung auf Reinhard Heydrichs späteres Erbe handelte oder ob es doch so etwas wie ein inneres Verhältnis gab, bleibt unklar.
Nicht nur auf musikalischer Ebene erbrachte Reinhard Heydrich überdurchschnittliche Leistungen, auch in der Schule gehörte er zu den besten Schülern.11 Der Literatur zur Folge begannen jedoch schon in den ersten Schuljahren Reinhards Probleme mit der Außenwelt. Er wird als ruhig, introvertiert und versonnen beschrieben. „Er wurde von seiner Umwelt als schwierig empfunden.“12 Ein alter Schulfreund sagte, dass Heydrich ihm vereinsamt, alleingelassen und in seiner eigenen Welt lebend vorkam. Des Weiteren soll Heydrich eine Arroganz an den Tag gelegt haben, die sich weiter durch seine Laufbahn ziehen sollte. 13 Bereits in seiner frühen Kindheit war Heydrich anfällig für Krankheiten. Seine Eltern versuchten diesem Umstand mit viel Sport entgegenzuwirken. So entwickelte sich die Sportbegeisterung von Reinhard Heydrich schon in sehr jungen Jahren und begleitete ihn all die Jahre bis zu seinem Tod. Seine sportlichen Betätigungen waren sehr vielseitig. Er lief, schwamm, spielte Fußball, ritt, segelte und focht. 14 In den meisten Biographien ist von Sportleidenschaft, von der Liebe zum Sport und ähnliches zu lesen. Diesen Aussagen steht der Bericht seiner späteren Ehefrau Lina Heydrich entgegen. Diese berichtet: „Sport machte er nicht zum Vergnügen, sondern nur der Disziplin wegen. Er trainierte nur, um das möglichst beste Ergebnis des Trainings zu erzielen.“15 Natürlich ist hier von dem erwachsenen Heydrich die Rede, jedoch würde es auch zu den Aussagen über den jungen Reinhard passen. Er wird von Mitmenschen/Mitschülern als übermäßig ehrgeizig mit hohem Konkurrenzverhalten beschrieben.16
Heydrich wurde 1914 in einem Reform-Gymnasium eingeschult. Dies war zur damaligen Zeit eine sehr neue Strömung und ohnehin war es nur wenigen männlichen Jugendlichen möglich eine höhere Schule zu besuchen. Somit dürfte Heydrichs Ausbildung sehr zukunftsorientiert und modern ausgefallen sein.17 Die Schwerpunkte der damaligen Ausbildungen lagen in den Fächern Naturwissenschaften, Geschichte und Sprachen. Diese Schwerpunkte entsprachen Heydrichs Neigungen und sein damaliger Berufswunsch war der des Chemikers. Wie bereits erwähnt, entwickelte Heydrich Berichten zur Folge schon früh starkes Konkurrenzdenken und der Wille der Beste zu sein, brachte großen Ehrgeiz mit sich.
So gut die Leistungen von Heydrich waren, umso schwieriger wurde der Schulalltag von ihm durch andere beschrieben. Aufgrund seiner schwächlichen Konstitution wurde von stärkeren, größeren Jungen verprügelt. Er wurde gehänselt, in dem man ihm Spitznamen gab. Diese Spitznamen waren meist auf die Gerüchte seiner angeblichen jüdischen Abstammung zurück zu führen.18 Diese Gerüchte gelten heute durch die wissenschaftlichen Abhandlungen zu Heydrich als widerlegt (aufgrund des Rahmens dieser Arbeit wird nicht näher auf diese Thematik eingegangen, da sich diese hauptsächlich in der Vorgeschichte des Vaters von Heydrich abspielt).
Die Gerüchte dieser vermeintlich jüdischen Abstammung wies die Familie Heydrich vehement zurück. Jedoch bietet das nicht einen direkten Anlass zur Annahme, dass die Familie Heydrich antisemitistisch war, sondern vielmehr lässt es einen Rückschluss auf das politische Klima zu, das herrschte. In diesem wurde ein solcher >>Vorwurf<< der jüdischen Abstammung als geschäftsschädigend und beleidigend empfunden. 19 Die kürzlich entstandenen Werke zu Heydrich sind sich einig darüber, dass sich die Familie Heydrich in freundschaftlichen und geschäftlichen Verhältnissen mit Juden befanden.20 Im Jahr 1982 erschienenen Buch von Calic hört sich dies noch deutlich anders an, er beschreibt Bruno Heydrich als „rassefanatischen Erzeuger“21.
Die jüdische Bevölkerung nahm zum damaligen Zeitpunkt noch eine sehr kleine Zahl der Bevölkerung von Halle ein.22 Sie entsprachen also einer Minderheit, wie auch die Familie Heydrich es durch ihre Religionszugehörigkeit tat. Für die katholische Mutter Heydrich war Religion ein wichtiger Bestandteil ihrer Erziehung. Damit gehörte die Familie zur damaligen Zeit „(…) zu einer winzigen Minderheit in der überwiegend protestantischer Stadt Halle.“23 Diese Tatsache erscheint deshalb wichtig, weil Reinhard Heydrich immer wieder die Erfahrung machte, wie es ist Teil einer Minderheit zu sein.24
Der zehnjährige Reinhard gehörte zur Kriegsjugendgeneration, was so viel bedeutete, dass er zu jung war um als Soldat eingezogen zu werden, aber alt genug um den Krieg als einschneidendes Ereignis wahrzunehmen. Die Medien und die Gesellschaft glorifizierten den Krieg zu dieser Zeit, was sehr ansteckend auf die junge Bevölkerung wirkte. Was anfangs wie ein Abenteuer auf Reinhard wirken mochte, machte sich langsam mit wirtschaftlichen Folgen für die Familie Heydrich bemerkbar. 25
In den Unruhen nach dem 1. Weltkrieg, wirkten mehrere hunderte Jugendliche (darunter auch Reinhard Heydrich) bei einer Einwohnerwehr mit.26 „Im Lichte seiner späteren Karriere kann man leicht die Bedeutung Heydrichs Beteiligung an den paramilitärischen Aktivitäten nach dem Ersten Weltkrieg überschätzen.“ Es wird davon ausgegangen das ihn die Abenteuerlust geleitet hat und das Nachahmen eines unblutigen Kriegsgeschehens. Auch bei späteren Ausschreitungen, gibt es keinen Anhaltspunkt für das Mitwirken von Heydrich. 27 „Es besteht kaum ein Zweifel, dass Niederlage und Revolution eine politisierende Wirkung auf ihn hatten, doch es bleibt, unklar, wie stark sie war.“28
Zumal erwähnt werden muss, dass die allgemeine Überzeugung (vor allem von Deutschen, die eine höhere Schule besuchten) in der Nachkriegszeit dahin ging, dass das Leben ein dauernder und gewaltsamer Kampf sei. Später wurde diese Idee ein fester Bestandteil der nationalsozialistischen Weltanschauung, so Gerwarth. 29
Zusammenfassend könnte man festhalten, dass Reinhard Heydrich in eine wohlsituierte Familie geboren wurde. Die gläubig war und einer kirchlichen Minderheit angehörte. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern erscheint nicht hundertprozentig klar. Die Kindheit von Heydrich war von Musik geprägt, wie auch seine spätere Laufbahn. In der Schule legte er beste Zensuren ab und hatte Probleme mit seinen Mitmenschen und musste mit „Hänseleien“ umgehen. Außerdem wurde er in eine extreme Zeit des Umbruchs geboren und in eine prägende Nachkriegszeit. Diese Nachkriegszeit brachte kampfverherrlichende Kunst, Literatur und Medien mit sich. Die Inflation, sorgte für den wirtschaftlichen und letztendlich auch gesellschaftlichen Ruin der Familie Heydrich. Somit stand die Familie Heydrich 1922 vor der Angst des sozialen Abstiegs und dem Verlust ihrer materiellen Existenz.30
2.2 Marinezeit
Der 18-jährige Reinhard Heydrich stand 1922 vor der Entscheidung, wie seine berufliche Laufbahn aussehen sollte. Das Familienunternehmen, welches in einer desolaten Lage schwebte zu übernehmen, stand nicht zur Debatte. Heydrich verwarf auch den Wunsch Chemiker zu werden und entschied sich für eine Offizierslaufbahn bei der Reichsmarine. Die Beweggründe Heydrichs, sich für die Marine zu entscheiden sind viel diskutiert. Lina Heydrich behauptete nach dem Krieg ihr Mann wäre schon als Kind von der kaiserlichen Hochseeflotte, die er während der Ostseeurlaube (die die Familie regelmäßig unternahm) fasziniert gewesen. Außerdem wurde die kriegsverherrlichende Literatur (besonders das Buch Seeteufel von einem Bekannten der Familie) als entscheidender Punkt genannt, der Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben soll. Des Weiteren könnte der Jugendfreund, den er in den Ferien an der Ostsee kennengelernt hatte und der bereits bei der Marine war, Einfluss genommen haben.
Gerwarth sieht den Schlüssel in Heydrichs Entscheidung darin, dass die Kriegsniederlage nicht die Anziehungskraft des Soldatischen nehmen konnte.31 Dies beruhte laut Gerwarth hauptsächlich auf einer imaginären Vorstellungswelt, die ungleich der Fronterfahrungen war, die tatsächliche Soldaten gemacht hatten. Das Bild des „neuen Mannes“32, der die Figur des heroisch-entschlossenen und kalt-effizienten Soldaten innehatte, wirkte auf viele junge Männer in den Zwanzigern sehr anziehend.33
Günther Deschner führt in seinem Buch noch ein Zitat von einem früheren Schulfreund Heydrichs an, dass begründen soll warum er sich für die Marine entschied. Laut Sommer entschied sich Heydrich mitunter wegen den Gerüchten zu seiner jüdischen Abstammung für die Marine. „Er wollte immer ,nordischer‘ sein als andere. Deswegen sein Zug zur ,nordischen‘ Marine und später auch zur, nordischen‘ Lina nach Fehrmarn.“34 Zusammenfassend könnte es viele Gründe gehabt haben, weshalb sich Reinhard Heydrich sich für die Marine entschieden hatte. Jeder der aufgeführten Begründungen erscheint im Kontext Sinn zu ergeben, doch es bleibt fraglich welcher tatsächlich entscheidend war oder Spekulation bleibt.
Auch wenn die Familie anfangs nicht angetan von der Entscheidung Reinhards war, so stimmten sie auf Grund der wirtschaftlichen Lage zu35. Denn auch wenn der Ruf der Marine über die Jahre gelitten hatte, so bedeutete der Offiziersberuf immer noch Prestige und soziale Absicherung36.
Auch in der Marine setzten sich die Probleme mit seinen Mitmenschen fort. Heydrich wirkte auf die Mitglieder der Marine unpassend. Er wurde als schüchterne, ungewöhnliche Erscheinung beschrieben.37 Gerwarth schreibt: „Nach Aussagen von Heydrichs Kadettenkameraden, die nach dem Zweiten Weltkrieg unübersehbar bemüht waren, nicht als >>Freunde<< des toten SD-Chefs angesehen zu werden, war Heydrich während der Kieler Zeit ein Einzelgänger."38 Diese Aussagen erscheinen aufgrund einiger Eigenschaften Heydrichs logisch. Der Violine spielende Seekadett wirkte in einem sehr radikalen Milieu wie der Marine eher verloren. In der Marine herrschte ein extrem rechtes Milieu, wo Heydrich als Sonderling, der sich bis dahin politisch nicht hervorgehoben hatte, galt.39 Gerwarth schreibt, dass Heydrich auf seine Mannschaftskameraden einen unpolitischen Eindruck gemacht hatte. Diese Feststellung könnten durch Aussagen von Lina Heydrich, ihr Mann sei politisch ahnungslos gewesen, unterstützt werden. 40
Die Gerüchte seiner jüdischen Abstammung machten auch vor der Marinezeit nicht halt. Auch hier wurde Heydrich mit Spitznamen wie z.B. „weißer Moses“ aufgezogen. Hinzukam, dass er aufgrund seines Aussehens, seiner Stimme und Musikalität gehänselt wurde.41 Laut Deschner nahm Heydrich die Sticheleien sehr ernst und zog sich, anstatt sich zu wehren, immer mehr in seine Isolation zurück42.
Erst durch die Bekanntschaft seines Mentors Canaris im Jahr 1923, besserte sich die Lage für Heydrich. Canaris Frau und Heydrich musizierten gemeinsam auf privaten Verabredungen und Reinhard wurde seine Freizeit immer wichtiger.43 In diesen kleinen, privaten Zusammenkünften wird er als charmant, witzig, gebildet und korrekt beschrieben44. Seine weitere Laufbahn ist von Beförderungen geprägt 1928 wird er Oberleutnant zur See. Die Beziehung zu seinen Kollegen hatte sich bereits 1925 auf ein „erträgliches kameradschaftliches Verhältnis“45 verbessert, so Deschner. Weiterhin wird sein Ehrgeiz als immens hoch beschrieben. Sein Jugendfreund Erich Schultze (Ostseeferien) berichtet nach dem Krieg: „Wir waren damals alle sicher, [sic!] daß er bei seinem Ehrgeiz und seinem Können in der Marine weit bringen konnte. Mit nichts, was er erreicht hatte, war er zufrieden. Er wollte immer weiter. Noch besser, noch höher.“46 Auch weitere Aussagen seiner Marinekollegen unterstützen diese Aussage, ebenfalls die Beurteilungen durch Vorgesetzte.47
[...]
1 Vgl. Gerwarth, Robert (2011): Reinhard Heydrich. Biographie. 1.Auflage. St.Pölten: Verlagsgruppe Random House. S.33
2 Vgl. Ebd. S.34ff.
3 Vgl. Ebd. S.35
4 Vgl. Ebd. S.36
5 Vgl. Ebd. S. 39
6 Vgl. Deschner, Günther (2008): Reinhard Heydrich. Biographie eines Reichsprotektors. Wien: Universitas Verlag GmbH. S. 25
7 Ebd.
8 Vgl. Ebd. S.26
9 Vgl. Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S. 40
10 Calic, Edouard: Reinhard Heydrich. Schlüsselfigur. S. 22
11 Vgl. Ebd. S. 40
12 Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S. 26
13 Vgl. Ebd.
14 Vgl. . Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S. 41
15 Lina Heydrich in einem Brief an Jean Vaughan 1951 hier zitiert nach: Walford, Tina (2018): Heydrich. Neun Monate Reichsprotektor in Böhmen und Mähren 1941/42. Gilching: Druffel und Vorwinckel Verlag. S.37
16 Vgl. Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S.27
17 Vgl. Ebd. S. 42
18 Vgl. Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S.27f.
19 Vgl. Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S. 45f.
20 Vgl. Ebd. S. 46 + Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S. 28
21 Calic, Edouard: Reinhard Heydrich. Schlüsselfigur. S. 22
22 Vgl. Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S. 29
23 Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S.40
24 Vgl. Ebd.
25 Vgl. Ebd. S. 43f
26 Vgl. Ebd. S.48
27 Vgl. Ebd. S. 49
28 Vgl. Ebd. 50
29 Vgl. Ebd. S. 52
30 Vgl. Ebd.
31 Vgl. Ebd.
32 Ebd. S. 53
33 Vgl. Ebd.
34 Mitteilung Dr. W. Somnmer an Günther Deschner 1977 hier zitiert nach: Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S.34
35 Vgl. Ebd. S.33f.
36 Vgl. Ebd. S. 35.
37 Vgl. Ebd. S.33
38 Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S.53
39 Vgl. Ebd. S. 55
40 Vgl. Ebd. S. 56
41 Vgl. Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S.35
42 Vgl. Ebd. S.36
43 Vgl. Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S.57
44 Vgl. Deschner: Reinhard Heydrich. Reichsprotektor. S. 39
45 Vgl. Ebd. S.40
46 Jugendfreund Erich Schulze im Interview hier zitiert nach: Gerwarth: Reinhard Heydrich. Biographie. S.58
47 Vgl. Ebd. S.57ff.