Welche negativen Auswirkungen würden sich in einem freien Krankenversicherungsmarkt einstellen, denen man durch gesetzliche Krankenversicherungspflicht entgegenwirken kann? In dieser Ausarbeitung werden nach dem Darstellen einiger notwendiger Grundlagen mehrere negative Aspekte aufgezeigt, die ein vollständig freier Krankenversicherungsmarkt mit sich bringen würde.
Im Krankheitsfall finanziell abgesichert zu sein, dürfte für einen Großteil der Menschheit ein grundlegendes Anliegen sein. Medizinische Versorgung und Behandlungen können schnell hohe Summen erreichen, die für viele Menschen im Krankheitsfall unbezahlbar sind. Für eine finanzielle Absicherung könnten grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten eine Rolle spielen: Denkbar wären beispielsweise persönliche Geldrücklagen oder eine Absicherung in einer Versicherungsgesellschaft. Solche Absicherungsabsichten dürften bereits bei der Entstehung von Zünften und Gilden verschiedener Berufsstände eine wesentliche Rolle gespielt haben. Es entstanden gesellschaftliche Lösungen, die einzelne Menschen für finanzielle Absicherungen im Krankheitsfall in Anspruch nehmen konnten. In neuerer Zeit beschäftigen sich Sozioökonomen mit der Frage, wie man mit vorhandenen finanziellen Mitteln die Wohlfahrt bzw. das Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft maximieren kann. Es stellt sich die Frage, ob für diese Herausforderung ein freier Versicherungsmarkt die beste Eignung bietet oder ob regulierende oder gar gesetzlich vorschreibende staatliche Intervention Verbesserungen bewirken kann.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Gesundheit als Gut
2.2 Solidarprinzip in der Krankenversicherung
2.3 Pareto-Effizienz
3 Negative Aspekte eines freien Krankenversicherungsmarktes
3.1 Ungerechtigkeit
3.2 Trittbrettfahrerverhalten
3.3 Asymmetrische Informationen über das Krankheitsrisiko
4 Diskussion
5 Fazit und Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im Krankheitsfall finanziell abgesichert zu sein, dürfte für einen Großteil der Menschheit ein grundlegendes Anliegen sein. Medizinische Versorgung und Behandlungen können schnell hohe Summen erreichen, die für viele Menschen im Krankheitsfall unbezahlbar sind. Für eine finanzielle Absicherung könnten grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten eine Rolle spielen: Denkbar wären beispielsweise persönliche Geldrücklagen oder eine Absicherung in einer Versicherungsgesellschaft. Solche Absicherungsabsichten dürften bereits bei der Entstehung von Zünften und Gilden verschiedener Berufsstände eine wesentliche Rolle gespielt haben. Es entstanden gesellschaftliche Lösungen, die einzelne Menschen für finanzielle Absicherungen im Krankheitsfall in Anspruch nehmen konnten. In neuerer Zeit beschäftigen sich Sozioökonomen mit der Frage, wie man mit vorhandenen finanziellen Mitteln die Wohlfahrt bzw. das Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft maximieren kann. Es stellt sich die Frage, ob für diese Herausforderung ein freier Versicherungsmarkt die beste Eignung bietet oder ob regulierende oder gar gesetzlich vorschreibende staatliche Intervention Verbesserungen bewirken kann.
Welche negativen Auswirkungen würden sich in einem freien Krankenversicherungsmarkt einstellen, denen man durch gesetzliche Krankenversicherungspflicht entgegenwirken kann? In dieser Ausarbeitung werden nach dem Darstellen einiger notwendiger Grundlagen mehrere negative Aspekte aufgezeigt, die ein vollständig freier Krankenversicherungsmarkt mit sich bringen würde.
2 Grundlagen
Für ein besseres Verständnis werden zunächst einige Grundlagen aufgeführt. Es soll kurz gezeigt werden, warum Gesundheit als ein Gut verstanden werden kann, was das Solidarprinzip einer Krankenversicherung ausmacht und was unter dem Begriff Pareto-Effizienz verstanden wird.
2.1 Gesundheit als Gut
Die World Health Organisation definiert in ihrer im Jahr 1948 veröffentlichten Verfassung Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und führt weiter aus, dass der „Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes […] eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens“ bildet. Gesundheit ist etwas, das man in unterschiedlicher Intensität besitzen kann und wird häufig als „höchstes Gut“ bezeichnet und als Voraussetzung für Lebensqualität betrachtet. Der Erhalt und die Wiederherstellung von Gesundheit ist sehr oft mit finanziellem Aufwand verknüpft.
2.2 Solidarprinzip in der Krankenversicherung
Wenn nicht ein einzelnes Individuum für sich alleine sorgt, sondern sich mehrere Individuen in einer Gemeinschaft zusammenfinden, um sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, spricht man von einer Solidargemeinschaft. Wenn ein Mitglied dieser Gemeinschaft Hilfe benötigt, helfen alle anderen Mitglieder und zwar unabhängig davon, welches Mitglied betroffen ist. In einer Krankenversicherung helfen die Gesunden den Kranken. Der Unterschied zur Individualvorsorge besteht darin, dass „nicht jedes Individuum für sich ein Vermögen bildet und daraus Sicherheit gewinnt, sondern dass die Individuen als Versicherte zusammen als Gruppe ein Vermögen bilden“ (Oberender, Ecker & Zerth, 2001, S. 30).
2.3 Pareto-Effizienz
Wird ein bestehender Vorteil von einer Person A auf eine andere Person B umverteilt, ist es nicht zwangsläufig so, dass der Nachteil, den die Person A nun hat in der Summe dem Vorteil entspricht, der nun bei der Person B liegt. Würde man beispielsweise ein rollstuhlgerechtes Haus einer an einen Rollstuhl gebundenen Person A wegnehmen und einer anderen ebenfalls an einen Rollstuhl gebundenen Person B übergeben, würde der eingetretene Schaden der Person A dem gewonnenen Nutzen der Person B entsprechen. Ungeachtet der Ungerechtigkeit durch den Hausdiebstahl würde der Gesamtnutzen unverändert bleiben. Wäre Person B jedoch nicht an einen Rollstuhl gebunden und nicht auf ein rollstuhlgerechtes Haus angewiesen, würde der Schaden der Person A schwerer wiegen als der gewonnene Nutzen der Person B. Man spricht von einer Pareto-Verschlechterung. Die Gesamtsituation ist nun als ineffizienter zu bewerten als zuvor.
3 Negative Aspekte eines freien Krankenversicherungsmarktes
Eine gesetzlich vorgeschriebene Versicherungspflicht ist mit einem Eingriff in die Freiheit des Individuums verbunden, wodurch die Frage nach der Berechtigung staatlicher Intervention in Form einer Krankenversicherungspflicht entsteht. Doch was passiert, wenn der Krankenversicherungsmarkt frei von staatlicher Intervention ist? Mit welchen Auswirkungen wäre zu rechnen, wenn allein die Nachfrage das Angebot an Krankenversicherungen und die Ausgestaltung von Versicherungsverträgen beeinflussen würde? Im Folgenden sollen drei zu erwartende negative Aspekte beleuchtet werden, mit denen dann zu rechnen wäre.
3.1 Ungerechtigkeit
Nicht alle Menschen haben dasselbe oder ein vergleichbares Risiko auf Erkrankung. Die finanzielle Belastung für einen Menschen mit höherem Krankheitsrisiko kann sehr viel höher sein, als für jemandem mit vergleichsweise geringem Krankheitsrisiko. Ein hohes Krankheitsrisiko kann eine Folge von geringer Beachtung der gesundheitlichen Konsequenzen bestimmter Lebensweisen sein. Es kann aber auch angeborene Unterschiede wie z. B. Behinderungen oder angeborene Krankheiten geben, die dazu führen, dass einige Menschen anfälliger für Krankheiten sind, sodass man hier nicht von Selbstverschuldung sprechen kann (vgl. Breyer, 1992, S. 188). Sind solche Anfälligkeiten offensichtlich, würden Versicherungsgesellschaften eines konkurrierenden Versicherungsmarkts ohne staatliche Intervention entweder gar nicht oder nur zu wesentlich höheren Prämien als beim Durchschnittsbürger versichern. Eine hohe Anfälligkeit für Krankheit kann jedoch schon von sich aus zu einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit und damit zu einer schwachen Einkommenssituation führen, sodass die geforderten Prämien möglicherweise nicht bezahlbar wären. Es ist offensichtlich, dass eine solche Situation als ungerecht zu betrachten ist. Natürlich könnte eine solche Situation durch eine starke freiwillige Solidargemeinschaft aufgefangen werden, gäbe es genügend Menschen, die aus einem Gefühl menschlicher Verbundenheit zu finanzieller Hilfestellung bereit wären. Da man von einer solchen Idealvorstellung nicht flächendeckend ausgehen kann, muss man notwendigerweise zu dem Schluss kommen, dass in einem freien Versicherungsmarkt menschliches Elend dieser Art unvermeidbar wäre. Eine staatliche Krankenversicherungspflicht kann diesem Umstand entgegenwirken. Diese beinhaltet nämlich neben der Versicherungspflicht für Bürger auch die Aufnahmepflicht eines jeden Versicherungsnachfragers für Krankenversicherungen.
3.2 Trittbrettfahrerverhalten
In einem freien Versicherungsmarkt ohne staatliche Intervention besteht die Gefahr der Ausnutzung durch einzelne Individuen. Während verantwortungsbewusste Menschen freiwillig Krankenversicherungen abschließen, um im Ernstfall finanziell abgesichert zu bleiben, könnten weniger verantwortungsbewusste Personen darauf spekulieren, im Ernstfall medizinische Versorgung zu erhalten, ohne diese bezahlen zu können, indem sie sich auf die allgemein gültige gesetzliche Verpflichtung zur Hilfeleistung berufen, obwohl sie zur Zahlung von Versicherungsprämien imstande wären. Durch dieses Trittbrettfahrerverhalten können diese Menschen für sich persönlich den Erwartungsnutzen maximieren. Dieser Vorteil eines Einzelnen wiegt jedoch nicht den entstehenden Nachteil für die Gesamtheit auf. Trittbrettfahrer bewirken nicht nur eine reine Umverteilung der Kosten von sich auf andere, sondern die Nachteile für die Gesellschaft sind höher als der Vorteil für den Trittbrettfahrer. Durch Abschaffung dieses Trittbrettfahrerverhaltens könnten insgesamt alle Mitglieder der Gesellschaft bessergestellt und eine effizientere Gesamtsituation geschaffen werden (vgl. Breyer, 1992, S. 184 f.). Diese Aufgabe kann gesetzliche Krankenversicherungspflicht erfüllen.
3.3 Asymmetrische Informationen über das Krankheitsrisiko
Asymmetrische Informationen in Versicherungsmärkten liegen dann vor, wenn der Versicherte „die Höhe seines individuellen Risikos kennt, die Versicherungsgesellschaft sie jedoch nicht beobachten kann und daher alle Versicherungsnachfrager gleich behandeln muss“ (Breyer, 1992, S. 185). Das kann die Wohlfahrt bzw. das Wohlergehen einer Gesellschaft insgesamt negativ beeinflussen. Das soll hier an einem fiktiven Beispiel gezeigt werden:
Eine Versicherungsgesellschaft möchte zwei gleich große Menschengruppen i und j gegen finanzielle Belastung im Krankheitsfall absichern. Während die Menschen der Gruppe i starke Raucher und Alkoholiker sind, leben die Menschen der Gruppe j sehr gesundheitsbewusst. Für die Gruppe i kann also ein hohes Krankheitsrisiko vorausgesetzt werden, sodass für diese Personen mit 300 € Gesundheitskosten pro Jahr gerechnet werden soll. Die Menschen der Gruppe j weisen ein erheblich geringeres Krankheitsrisiko auf, sodass der Erwartungswert für Gesundheitskosten für diese Gruppe mit 100 € jährlich beziffert werden soll. Die Versicherungsgesellschaft kennt das Krankheitsrisiko des einzelnen Versicherungsnachfragers nicht, muss jedoch die zu bezahlenden Prämien so planen, dass alle anfallenden Kosten erwartungsgemäß gedeckt werden können, sodass hierfür ein Jahresprämienwert von 200 € gebildet wird ( , zu dem die Versicherung angeboten werden soll. Weil jedoch die Personen der Gruppe j um ihr niedriges Krankheitsrisiko wissen und bei dieser Prämie das berechtigte Gefühl haben, mehr leisten zu müssen als erwarten zu können, sind sie an einem solchem Vertragsabschluss nicht interessiert. Für Personen der Gruppe i besteht jedoch aufgrund des nicht-negativen Erwartungsgewinns ein Anreiz, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen. Die Folge ist, dass die Versicherungsgesellschaft nur Personen der Gruppe i versichert, während Menschen der Gruppe j sich eine günstigere Alternative suchen oder anfallende Kosten selbst tragen. Das Prinzip einer solchen Selbstselektion von Versicherten, die auch adverse Selektion oder negative Auslese genannt wird (vgl. Oberender, 2001, S. 34) beschrieb auch der Wirtschaftswissenschaftler Akerlof im Jahr 1970 in seinem berühmt gewordenen Artikel „The Market for Lemons“. In seiner Arbeit zeigte er auf, dass mangelnde Information dazu führt, dass ein Erwartungswert gebildet wird, der meistens den Durchschnittspreis entspricht. Hoch qualitative Ware wird nicht verkauft und verschwindet vom Markt (vgl. Breyer, 1992, S. 185). Würde, um zu unserem Beispiel zurückzukehren, die Versicherungssituation trotz des Ausstiegs der Personen der Gruppe j so funktionieren, dass die Personen der Gruppe i für eine Prämie von 200 € versichert werden könnten, wäre zumindest für diese Gruppe ein positiver Erwartungsgewinn zu verzeichnen. Allerdings würde nun die Versicherungsgesellschaft die Prämie nicht bei 200 € halten können, sondern auf 300 € anheben müssen, sodass die Personen der Gruppe i dieselbe Prämie zahlen müssen, wie es bei vollständig transparentem Krankheitsrisiko der Fall wäre, während die Personen der Gruppe j nun keinen Versicherungsschutz genießt. Während sich also die Situation der Gruppe i nicht verbessert hat, hat sich die Situation der Gruppe j verschlechtert. Durch den Umstand der asymmetrischen Information entfernt sich die Gesamtsituation demnach von einem Pareto-Optimum.
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