Im Jahr 2000 schrieb Prof. Dr. Peter Rieß, dass das Privatklageverfahren dem Privatkläger „keinen effektiven Rechtsschutz gewährt, sondern ihn auf einen kaum zumutbaren Leidensweg schickt, bei dem er ein gerichtliches Urteil in der Regel nicht erwarten kann.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Dr. Rüdiger Koewius bereits im Jahr 1974. Derartig vernichtende Urteile stellen nun nicht nur die verfahrensmäßige Behandlung und die formalen Voraussetzungen der Privatklage in Frage, sondern auch die Existenzberechtigung der Institution Privatklage an sich. Dieser Frage soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die 1970 von Dr. Rüdiger Koewius durchgeführte Untersuchung zur Rechtswirksamkeit der Privatklage. Im ersten Kapitel sollen die Studie, das Untersuchungsvorgehen und die Ergebnisse kurz vorgestellt werden. Im zweiten Kapitel sollen dann die von Koewius auf Basis seiner Untersuchung erarbeiteten Reformvorschläge, sowie alternative Reformkonzepkte vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Den Abschluss der Arbeit bildet eine eigene Stellungnahme. Es steht außer Frage, dass eine erschöpfende Beleuchtung dieser Thematik und Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, weshalb dieser Anspruch nicht gestellt wird. Es handelt sich mehr um einen Versuch ausgewählte Reformideen im Kontext der von Koewius durchgeführten Untersuchung näher zu betrachten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Vorstellung der von Koewius durchgeführten Untersuchung
1.1 Untersuchungsvorgehen
1.2 Untersuchungsergebnisse
2. Kritische Diskussion der von Koewius und anderen Autoren erarbeiteten Reformvorschläge
2.1 Die Reformvorschläge von Koewius
2.1.1 Neuordnung des Privatklagedeliktskatalogs
2.1.2 Die Abschaffung der Privatklage
2.2 Der Reformvorschlag von Susanne von Schakey
2.3 Der Reformvorschlag von Peter Rieß
2.4 Der Reformvorschlag von Peter Kircher
2.5 Der Reformvorschlag von Claus-Peter Martin
2.6 Der Reformvorschlag von Peter Geerds
2.7 Der Reformvorschlag von Karl Peters
2.8 Der Reformvorschlag von Dietrich Oehler
3. Schlußbemerkung und eigene Stellungnahme
Literatur
Einleitung
Im Jahr 2000 schrieb Prof. Dr. Peter Rieß, dass das Privatklageverfahren dem Privatkläger „keinen effektiven Rechtsschutz gewährt, sondern ihn auf einen kaum zumutbaren Leidensweg schickt, bei dem er ein gerichtliches Urteil in der Regel nicht erwarten kann.“[1] Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Dr. Rüdiger Koewius bereits im Jahr 1974.
Derartig vernichtende Urteile stellen nun nicht nur die verfahrensmäßige Behandlung und die formalen Voraussetzungen der Privatklage in Frage, sondern auch die Existenzberechtigung der Institution Privatklage an sich.
Dieser Frage soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die 1970 von Dr. Rüdiger Koewius durchgeführte Untersuchung zur Rechtswirksamkeit der Privatklage.
Im ersten Kapitel sollen die Studie, das Untersuchungsvorgehen und die Ergebnisse kurz vorgestellt werden. Im zweiten Kapitel sollen dann die von Koewius auf Basis seiner Untersuchung erarbeiteten Reformvorschläge, sowie alternative Reformkonzepkte vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Den Abschluss der Arbeit bildet eine eigene Stellungnahme.
Es steht außer Frage, dass eine erschöpfende Beleuchtung dieser Thematik und Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, weshalb dieser Anspruch nicht gestellt wird. Es handelt sich mehr um einen Versuch ausgewählte Reformideen im Kontext der von Koewius durchgeführten Untersuchung näher zu betrachten.
1. Vorstellung der von Koewius durchgeführten Untersuchung
In seinem Werk „Die Rechtswirklichkeit der Privatklage“, blickt Dr. Rüdiger Koewius einführend auf die Entstehungsgeschichte der Privatklagedelikte zurück, dem folgt seine systematische Untersuchung aller Privatklagen am Amtsgericht Bielefeld in den Jahren 1966-1970 auf die lebensbezogenen Entstehungsursachen und die Darlegung der Tatbestände. Ziel dieser empirischen Untersuchung war herauszuarbeiten, ob und wenn ja inwieweit Richter die Vorschriften über das Privatklageverfahren in einer Art anwenden, die in Rechtsschutzlosigkeit des Privatklägers resultiert und weiterhin, in welcher Hinsicht die Privatklage einer Änderung in ihrer normativen Ausgestaltung bedarf, bzw. ob die Privatklage überhaupt noch Geltung beanspruchen kann.
Darüber hinaus behandelt er die Notwendigkeit des Sühneversuchs, den Strafantrag und die Widerklage und setzt sich kritisch mit der Praxis der Strafmaße auseinander. Abschließend formuliert Koewius schließlich verschiedene Reformvorschläge für den Bereich der Privatklage.
Im folgenden soll nun, die von Koewius durchgeführte Studie kurz vorgestellt werden.
1.1 Untersuchungsvorgehen
Als Ausgangsmaterial für seine Untersuchung dienten Koewius 255 Privatklageakten des Amtsgerichts Bielefeld aus dem Zeitraum von 1966-1970. Es handelte sich hierbei nicht um alle in diesem Zeitraum im Strafprozeßregister eingetragenen Privatklagen, da Lücken im Aktenbestand festgestellt wurden und ein großer Teil der Privatklagen aus dem Jahr 1970 auf Grund noch nicht abgeschlossener Verfahren nicht für die Auswertung zur Verfügung standen.
Bei der Auswahl der einbezogenen Privatklagen, war nicht der Verfahrensablauf ausschlaggebend, sondern einzig und allein die Einreichung einer Anklageschrift beim Amtsgericht Bielefeld. Ebenfalls miteinbezogen wurden jene Privatklagefälle, die durch Übernahmeerklärung der Staatsanwaltschaft in ein Offizialverfahren übergeleitet wurden.
Das so zusammengetragene Tatsachenmaterial wurde dann in einem ersten Schritt auf die der Privatklage zugrunde liegenden Lebensverhältnisse und die typischen Ursachen des Konflikts untersucht. Weiterhin betrachtete Koewius die soziale Stellung der an der Privatklage beteiligten Parteien genauer. Anschließend beleuchtete Koewius die Verfahrensmäßige Behandlung der Privatklagen von der Einreichung der Anklageschrift bis zur Entscheidung.[2]
1.2 Untersuchungsergebnisse
Die Untersuchung der Privatklagen in Hinblick auf die ihr zugrundeliegenden Lebenssachverhalte kam zu dem Ergebnis, dass im Untersuchungszeitraum in erster Linie Nachbarn und in einer Hausgemeinschaft (39,2% der untersuchten Privatklagen) lebende Personen, gefolgt von Verwandten, Verschwägerten und Bekannten (25,1%) Anlaß zur Erhebung einer Privatklage hatten. Alle übrigen Lebenssachverhalte, wie zum Beispiel Geschäftsleben, Gaststätten oder geschiedene Ehegatten nahmen nur einen vergleichsweise geringen Anteil ein (jeweils zwischen 1,2% und 7%).[3]
Bei der Untersuchung der den Privatklagen zugundeliegenden Deliktsarten, kam Koewius in allen Lebenssachverhalten zu einem ähnlichen Ergebnis. Den mit Abstand größten Anteil nahmen die Äußerungsdelikte, wie Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, ein. An zweiter Stelle standen die Körperverletzungsdelikte, bei denen es sich allerdings überwiegend um leichte vorsätzliche Körperverletzung und nur relativ selten um gefährliche Körperverletzung handelte. Alle weiteren Delikte schienen nur eine untergeordnete Roll zu spielen.[4]
Die Untersuchung der sozialen Stellung der Beteiligten ergab auf Seiten der Privatkläger, dass das Verhältnis zwischen Männern (56,2%) und Frauen (43,8%), die eine Privatklage einreichen relativ ausgewogen ist. Im Bezug auf das Alter der Privatkläger konnte ermittelt werden, das der größte Teil in den Altersgruppen zwischen 41 und 50 Jahren (24.7%) und zwischen 51 und 60 Jahren (17,8%) anzusiedeln war. In Hinblick auf den Familienstand zeigte sich das der überwiegende Teil der Kläger (58,7%) verheiratet war. Letztlich untersuchte Koewius die Berufszugehörigkeit der Kläger und kam zu dem Ergebnis, dass der größte Teil der männlichen Kläger Handwerker (27%) und der weiblichen Kläger Hausfrauen (57%) waren.
Die Ergebnisse der Untersuchung der sozialen Stellung der Angeklagten, zeigten im Hinblick auf den Familienstand keine auffallende Verschiebung. Interessant ist jedoch, dass der größere Teil der Beklagten aus den Altersgruppen zwischen 21 und 30 Jahren (20,6%) und 31-40 Jahren (25,5%) stammt und damit jünger zu sein scheint, als der Großteil der Privatkläger. Auch in Hinblick auf den Beruf ergab sich zumindest bei den männlichen Beklagten im Vergleich zum Berufsbild des Privatklägers eine signifikante Verschiebung. Hier nehmen die Arbeiter (27,3%) den größten Teil ein.[5]
Bei der Untersuchung der verfahrensmäßigen Behandlung der Privatklagen, konnte Koewius verschiedene Unzulänglichkeiten der Gerichtspraxis aufdecken.
Er Kommt zu dem Schluß, dass die Richter, auf Grund der geringen Häufigkeit von Privatklagen, oft nur unzureichend mit den verfahrensrechtlichen Besonderheiten der Privatklage vertraut waren, was zu zahlreichen Verfahrensfehlern und anderen Problemen führe.
Diese erkannte er einerseits bei der Bearbeitung von Privatklagesachen, bei der unklare Vorstellungen über die Ordnungsmäßigkeit der Erhebung der Privatklage dazu führten, dass Klagen zu Unrecht zugelassen oder zurückgewiesen wurden. Ebenfalls als bedenklich empfindet Koewius die Tatsache, dass scheinbar es in allen Fällen, in denen die Klage nicht durch einen Vergleich beigelegt werden konnte, zu einer Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit nach §383 Abs.2 StGB kam.
Klagen, bei denen keine Beweise vorgelegt werden konnten, und so das Wort des Klägers gegen das des Beklagten stand, hatten prinzipiell keine Aussicht auf Erfolg. Damit wurde dem Kläger die Möglichkeit des Beweises durch ein Geständnis des Beschuldigten genommen.
Weiterhin kritisiert Koewius, dass die angeordneten Strafen fast ausschließlich Geldstrafen (in Höhe von 50-250DM) waren und das der gesetzlich festgelegte Strafrahmen somit nicht annähernd ausgenutzt worden ist.[6]
Aus der Untersuchung ging hervor, dass das Gericht im Untersuchungszeitraum nur sehr selten Gebrauch von seiner Vorlagebefugnis bei der Staatsanwaltschaft machte. Als einen möglichen Grund dafür nennt Koewius die mangelnde Bereitschaft der Staatsanwaltschaft zur Übernahme der Strafverfolgung von Privatklageverfahren. Die Erwägung der Staatsanwaltschaft, nach der eine Strafverfolgung wegen eines Offizialdelikts erst nach einer gesonderten Erstattung einer Strafanzeige durch den Privatkläger eingeleitet werden könne bezeichnet Koewius als „unvereinbar mit dem Legalitätsprinzip“.[7]
[...]
[1] Rieß, P., „Über den schleichenden Tod der Privatklage“, in: SchiedsamtZeitung (Heft 10), 2000, S.1.
[2] Vgl.: Koewius, R., „Die Rechtswirklichkeit der Privatklage.“, Berlin, München, 1974, S.57-62.
[3] Vgl.: aaO, S. 63.
[4] Vgl.: aaO, S. 68-83.
[5] Vgl.: aaO, S.68-95.
[6] Vgl.: aaO, S.95-139
[7] Vgl.: aaO, S.160.