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Stoische Physik. Die Naturphilosophie der Stoiker als Begründung ihrer Ethiklehre

©2020 Hausarbeit (Hauptseminar) 37 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Philosophie der Stoa und vor diesem allgemeineren Hintergrund mit einer besonderen Frage zu dem prominenten Philosophen Poseidonios. Er war ein Lehrer Ciceros in seiner Schule auf Rhodos. In seinem Buch „De Natura Deorum“ berichtet Cicero über die Lehre des Poseidonios. Hierbei steht im Zentrum die Analyse seiner Texter, in denen er seine Ethik aus der Naturphilosophie abzuleiten versucht, indem er von Gedanken über die physikalische „Wärme“ zu Behauptungen über den Kosmos und Gott kommt und daraus eine Ethik ableitet. Poseidonios war der einzige der mittleren Stoa, der genügend eigene Naturbeobachtungen und Mathematikkenntnisse hatte, um als bester Physiker des Hellenismus zu gelten.

Daher ist interessant, wie er den Übergang von reiner physikalischer Erkenntnis zu außerhalb der Physik gelegener Gebiete wie der Ethik und der Politik meisterte. Aus heutiger Sicht kann diese Arbeit daher für Naturwissenschaftler einen ersten Einblick in die philosophische Arbeitsweise geben, die einen Weg in die Geisteswissenschaft suchen, um ein wenig über ihren Fachhorizont hinauszublicken.

Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Hauptteil

2.1 Stoische Philosophie

2.2 Stoische Physik

2.3 Poseidonius

2.4 Zitate über Poseidonios

2.5 Poseidonios über die Wärme

2.6 Eine heutige Perspektive auf Universum und Mensch

3 Fazit

4 Fragen

5 Literaturverzeichnis

6 Anhang 1 Wärme und Bewegung

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Philosophie der antiken Stoa (Long und Sedley 2006, 183–523) und vor diesem allgemeineren Hintergrund mit einer besonderen Frage zu dem Philosophen Poseidonios ( Die Fragmente. 1, Texte / Poseidonios. Hrsg. von Willy Theiler 1982). Hierbei soll die Analyse seines Textes, in dem er seine Ethik aus der Naturphilosophie abzuleiten versucht, indem er von Gedanken über die physikalische „Wärme“ zu Behauptungen über den Kosmos und Gott kommt, im Zentrum stehen. Der Frage, inwieweit und in welcher Weise die damalige Physik als wichtiger Teil dieser Denkrichtung im Sinne einer Begründung der Ethik fungierte, soll dabei insbesondere nachgegangen werden. Stoizismus bzw. das, was jeweils darunter verstanden wird, dient heute als Legitimationsfigur für die u.a. von Ray Kurzweil (Google) intendierte Verbesserung des Menschen im Sinne des „Transhumanismus“ (Schussler 2019) und stellt eine Motivation hierfür dar.

Die Zitierung ist in diesem Falle schwieriger, weil die Überlieferung und Darstellung der uralten griechischen und hebräischen/arabischen Texte aus den aufgefundenen Papyrus-Rollen in mehreren Stufen erarbeitet wurde. Ich präferiere eine moderne Havard-Style-Zitation mit Citavi 6.0 von leicht auffindbaren Textstellen/Fragmenten im Buch von Long/Sedley in Deutsch als Textgrundlage. So wird die klassisch korrekte Zitation „Stobaeus 2.77“, hier zu „(Long und Sedley 2006, 470, 63 Das Ziel und Glück, A Stobaeus 2.77)“. Für weiteres verweise ich auf den Long/Sedley, der in den Indizes ab Seite 583 in seinem Glossar, dem Quellen-Index und den Konkordanztabellen die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Sammlungen Caizzi, Timon Frg., Diodores Frg., Usener, SVF, FDS, Panaitos Frg. und Poseidonios Fragmente, der Philosophenliste und dem Sachregister und den bibliographischen Hinweisen enthält.

Diese geisteswissenschaftliche Arbeit soll auch für Physiker lesbar und annehmbar sein. Im Anhang findet sich nach diesem Ausflug in die Antike noch ein Versuch einer Anknüpfung an die Modelle der heutigen Physik.

2. Hauptteil

2.1 Stoische Philosophie

Zunächst seien, bezogen auf meine Fragestellung, einige zentrale Motive und Details der stoischen Philosophie aufgeführt. Die Lehre der Stoa lässt sich allgemein einteilen in:

1. Physik, als die Gesamtheit der Forschungen über „die Welt und die Dinge in der Welt“;

2. Ethik, als die philosophische Beschäftigung mit dem menschlichen Leben (die den wichtigsten Teil dieser Denkrichtung ausmacht);

3. Logik, als die Beschäftigung mit der Rede (auch Dialektik genannt).

Die stoischen Philosophen der Antike strebten nach Weisheit und definierten diese als zutreffendes Wissen:

„Die Stoiker sagten, die Weisheit sei das wissenschaftliche Wissen um Göttliches und Menschliches […].“ (Long und Sedley 2006, S.183, Der Stoizismus, 26 Das philosophische Curriculum, A Aëtius 1. Prooem. 2 SVF 2.35)

Dazu ist anzumerken, dass die Ausprägung der Physik bei den Stoikern auf der Naturphilosophie von Platon und Aristoteles beruhte, so wie diese wiederum auf den Lehren der Vorsokratiker. Es handelt sich bei dieser Epoche um eine Zeit des Übergangs von der mythologischen Erklärung der Naturvorgänge durch Göttergeschichten zu einer rationalen Haltung.

Die Stoiker hatten ein bestimmtes Ziel vor Augen, welches sie an allen Überlegungen immer als Maßstab anlegten. Dies belegen die folgenden Zitate:

„(1) Sie [die Stoiker] sagen, dass glücklich zu sein das Ziel ist, um dessentwillen alles getan wird, das aber selbst nicht um irgendetwas willen getan wird. Es besteht darin, tugendgemäß zu leben, darin, in Übereinstimmung zu leben, oder – was dasselbe ist – darin, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben.“ (Long und Sedley 2006, 470, 63 Das Ziel und Glück, A Stobaeus)

Es herrschte die Überzeugung, ein kleiner Teil von etwas großem Ganzen und dadurch mit dem Kosmos in Verbindung zu sein.

„Denn unsere eigenen Naturen sind Teile der Natur des Ganzen.“ (Long und Sedley 2006, 471, 63 Das Ziel und Glück, C Diogenes Laertius, Satz 2 Ende)

2.2 Stoische Physik

Die Vorstellung war, dass es zum angestrebten Ziel führe, wenn man nur die Bemühung um ein Verständnis der Natur (Universum, Kosmos) intensiviere und klüger betreibe als andere.

„Über „die Welt und die Dinge in der Welt“ bringt die Naturphilosophie ein systematisches Verständnis, welches daher bei den Stoikern unentbehrlich für das glückliche Leben wird.“ (Long und Sedley 2006, 317, Kommentar zu 43 Der Skopus der Physik, Satz 3)

Die Stoiker behaupten somit, ihre Ethik des eigenen, glücklichen Lebens aus ihrer Naturerkenntnis ableiten zu können. Damit gewinnt die Physik als Naturerkenntnis eine besondere Bedeutung für die Vorstellungen von der stoischen Zielvorstellung des glücklichen Lebens. Die Stoiker sahen die philosophische Beschäftigung mit Gott als Gipfel der Verstandestätigkeit an:

„[…] und dass unter den Studien zur Physik die Lehre von den Göttern an letzter Stelle kommen muss; daher hat man die Vermittlung dieser Lehre auch als telete (Erfüllung) bezeichnet.“ (Long und Sedley 2006, 184, 26 Das philosophische Curriculum, C Plutarch)

Sie behaupten, eine Denk- und Lebensweise in Übereinstimmung mit der Natur sei die Haltung, um die sich jeder bemühen sollte.

„(5) Den Menschen führte Gott ein als einen, der sowohl ihn selbst als auch seine Werke betrachtet, und er führte ihn nicht nur als Betrachter ein, sondern auch als Interpreten alles dessen. (6) Deshalb ist es für den Menschen schlecht, da anzufangen und aufzuhören, wo das auch die vernunftlosen Tiere tun; vielmehr sollte er lieber da anfangen, wo sie anfangen, und da aufhören, wo in unserem Fall auch die Natur aufgehört hat. Sie endete aber bei der Betrachtung der Dinge, zusätzlich dabei, ihnen verstehend zu folgen, und schließlich bei einer Lebensweise in Übereinstimmung mit der Natur. Seht also darauf, nicht zu sterben, ohne diese Dinge studiert zu haben.“ (Long und Sedley 2006, , 63 Das Ziel und Glück, E Epiktet, Satz 5)

„(1) Zenon sagt, daß die ganze Welt und der Himmel die Substanz Gottes sind.“ (Long und Sedley 2006, 317, 43 Der Skopus der Physik, A, Diogenes Laertius 7.148)

„Sie [die Stoiker] teilen die Physik in die folgenden Gebiete ein:

1. Körper

2. Prinzipien

3. Elemente

4. Götter

5. Grenzen, Ort und Leeres

Dies ist eine Einteilung in Arten. Eine gattungsmäßige Einteilung der Physik nehmen sie in drei Gebiete vor:

1. Die Welt

2. Die Elemente

3. Die Lehre von den Ursachen“

(Long und Sedley 2006, 31743 Der Skopus der Physik, B Diogenes Laertius 7.132)

Die Stoiker hatten bezüglich des Raumes und der Zeit eine einfache Vorstellung einer kontinuierlichen Mannigfaltigkeit in drei Richtungen des Raumes mit den entsprechenden (Zenon‘schen) Paradoxien, ohne dass sie diese auflösen konnten. So ist z.B. eine mathematische gedachte Linie etwas, was in der realen Welt nicht als solche existiert und trotzdem sind Linien im Verstand immer als Grenzlinien vorausgesetzt. Die Existenz eines Punktes, einer Linie oder anderer geometrischen Figuren verlegen die Stoiker als „Subsistenz“ in den Kopf als mentale Vorstellung. Die meisten Dinge sehen sie als „körperlich“ existent.

2.3 Poseidonius

Bedeutende Autoren und Philosophen der Epoche waren Thales von Milet ca. 623 – 543 vor Christi Geburt (v.Chr. auch Anaximander und Anaximenes ), Pythagoras (530 v.Chr.), Heraklit (500 v. Chr.), Sokrates und Demokrit (430 v. Chr.), Platon (400 v. Chr.), Aristoteles (350 v.Chr., sein Schüler Alexander der Große starb 323 v.Chr.), Zenon von Kition (300 v. Chr. ), Kleanthes (280 v.Chr.), Chrysipp (250 v. Chr. ), Archimedes ( 250 v.Chr.), Panaitios (150 v.Chr.), Poseidonius (110 v. Chr.), Cicero (80 v. Chr.), Seneca (30 n. Chr.), Epiktet (80 n. Chr.) und Marc Aurel (150 n.Chr.).

Ich möchte in dieser Arbeit eine Auswahl treffen, indem ich in der mittleren (gemäßigteren) Stoa den damals sehr populären Mann Poseidonios aus Apameia in Syrien (lebte ca. 135 – 50 v. Chr.) auswähle, weil er unter den Philosophen dieser Zeit der Einzige war, der durch seine guten Kenntnisse der Mathematik und Physik hervorragte:

„Mit Ausnahme von Poseidonios waren die Stoiker mit der laufenden Arbeit in der Mathematik nicht besonders vertraut und boten deren verschiedene Bereiche auch nicht als paradigmatische Wissenschaften an, wie das Platon und Aristoteles taten.“ (Long und Sedley 2006, 314, Kommentar, Dritter Absatz, letzter Satz)

In einem weiteren Zitat wird bei der Reihenfolge nach der Bedeutung der Teile Logik, Ethik und Physik von Poseidonios die Physik an die erste Stelle gesetzt und daher priorisiert.

„ […] während Panaitios und Poseidonios mit der Physik anfangen […].“ (Long und Sedley 2006, 183, 26 Das philosophische Curriculum, B, Diogenes Laertius Satz 4)

Diese Hinweise lassen den Schluss zu, dass Poseidonios in besonders herausragender Weise versuchte, die ältere mythologische Art und Weise der Welterklärung zu überwinden, indem er eine rationale Sichtweise entwickelte und Naturbeobachtungen miteinbezog. Dies lässt vermuten, dass er auch in einem besonderen Maß erfolgreich in solchen wissenschaftlichen Angelegenheiten war. Daher bietet sich Poseidonios, der vielleicht beste Physiker seiner Zeit, als derjenige unter den oben aufgeführten Denkern an, den es für die Fragestellung dieser Arbeit genauer zu untersuchen lohnt, insofern hier die Relevanz physikalischer Betrachtungen im Zentrum stehen soll.

Neben diesen besonderen Qualitäten war Poseidonios auch noch durch seinen Rückgriff auf die platonische Philosophie bekannt, wie aus dem folgenden Kommentar hervorgeht:

„Diese auf eine Einheit hinausgehende Sicht der Seele war eine Lehre Chrysipps. Obwohl sie von Poseidonios, der zur platonischen Darstellung zurückkehrte (vgl. 65K, M, P) entschlossen zurückgewiesen wurde, möglicherweise auch von Panaitios, ist Chrysipps Einheitsmodell von grossem philosophischen Interesse (siehe weiter 65).“ (Long und Sedley 2006, 383, Kommentar)

Insofern dies belegt, dass Poseidonios ein Denker war, der sich auch gegen eine Mehrheitsmeinung stellen konnte, lässt sich davon ausgehen, dass er sich auch sonst immer redlich und nach bestem Wissen relativ eigenständig um die Erkenntnis der Wahrheit bemüht hat. Für seine Bedeutung sprechen auch die zwei folgenden Einschätzungen neueren Datums:

„Poseidonios, ein Schüler von Panaitios, galt als wichtiger Denker jener Epoche.“ (Zitiert In: (Weinkauf 1994, 23)

„Poseidonios ist der größte wissenschaftliche Geist, den der Hellenismus hervorgebracht hat […].“ (Weinkauf 1994, 24 Mitte, Anmerkung 24 ; Pohlenz 1959, 238)

Als Grundlage der hier angestellten Überlegungen soll einerseits exemplarisch ein konkreter Textabschnitt der Philosophie von Poseidonius behandelt werden, wie andererseits ein Abgleich zu heutigen, wissenschaftlich gesicherten Vorstellungen aus dem gleichen Gegenstandsbereich (Natur und Gott, Mensch und Vernunft, Staat) erfolgen soll, mit der Frage, was von seiner Philosophie einer Prüfung aus heutiger Sicht standhält. Im anschließenden Fazit soll ein Ausblick versucht bzw. offene, weitergehende Fragen auf Grundlage des Erarbeiteten formuliert werden.

Am Anfang solcher Betrachtung unternehme ich den Versuch, die verstreuten Texte über die Lehre von Poseidonius zu sichten und zu sammeln, um dann die für den Zweck dieser Arbeit im engeren Sinne interessierenden Passagen auszumachen. Da wohl noch keine von Poseidonios selbst beschrifteten Papyrusrollen gefunden wurden, ist man darauf angewiesen, die überlieferten Fragmente anderer Autoren, die sich über Poseidonius geäußert und seine Philosophie referiert und diskutiert haben, zur Grundlage zu machen.

2.4 Zitate über Poseidonios

2.4.1 Diogenes Laertius über Poseidonios

„(4) Einige ältere Stoiker erkennen die richtige Vernunft als Kriterium an, wie Poseidonios in seiner Schrift ‚über das Kriterium‘ sagt.“ (Long und Sedley 2006, 287, 40 Die Kriterien der Wahrheit, A Diogenes Laertius, Satz 4)

„(1) Zenon sagt, dass die ganze Welt und der Himmel die Substanz Gottes sind; ebenso sagen es Chrysipp im 1.Buch ‚Über Götter‘ und Poseidonios im 1. Buch ‚Über Götter…‘ (2) Mit ‚Natur‘ meinen sie manchmal das, was die Welt zusammenhält, und manchmal das, was die Dinge auf der Erde wachsen läßt. Die Natur ist ein sich selbst bewegender Habitus […].“ (Long und Sedley 2006, 317, 43 Der Skopus der Physik A Diogenes Laertius)

„(1) Die Welt wird geleitet durch Einsicht und Vorsehung…, weil die Einsicht jeden Teil der Welt durchzieht, wie das bei uns die Seele tut. […] (4) Indes sagen Chrysipp im 1.Buch ‚Über die Vorsehung‘ und Poseidonios in seinem Buch ‚Über Götter‘, das Zentralorgan der Welt sei der Himmel, und Kleanthes sagt, die Sonne sei es.“ (Long und Sedley 2006, 338, 47 Element, Habitus, Atemstrom, Spannung, O, Diogenes Laertius)

„Die Oberfläche ist die Grenze eines Körpers oder dasjenige, was nur Länge und Breite, aber keine Tiefe hat. Poseidonios gesteht ihr im fünften Buch ‚Über Erscheinungen am Himmel‘ sowohl eine gedankliche als auch eine reale Existenz zu. Die Linie ist die Grenze der Oberfläche oder Länge ohne Breite oder das, was nur eine Länge hat. Der Punkt ist die Grenze der Linie, nämlich die kleinstmögliche Markierung.“ (Long und Sedley 2006, 357,50 Kontinuum, E, Diogenes Laertius)

2.4.2 Stobaeus

„(1) Poseidonius sagt, es gebe vier Sorten von Vergehen und Werden, die sich alle von Seiendem zu Seiendem vollziehen. (2) Denn sie erkannten, wie wir an früherer Stelle bereits gesagt haben, dass es kein Entstehen aus und kein Vergehen zu Nicht-Seiendem gibt (3) Von den Umwandlungen andererseits, die sich zu Seiendem vollziehen, sagt er, ist die eine durch Trennung, eine andere die durch Veränderung, eine dritte die durch Vermischung und die letzte die Totalumwandlung, welche sie als die Umwandlung ‚durch Auflösung‘ bezeichneten […].“ (Long und Sedley 2006, 195, 28D, Satz 1-3)

„Die Definition von Poseidonios: (1) Manche Dinge sind in jeder Hinsicht unbegrenzt, so die Gesamtzeit; andere sind dies in bestimmter Hinsicht, so die Vergangenheit und die Zukunft, da jede von ihnen nur durch ihren Bezug zur Gegenwart begrenzt wird. (2) Die Definition der Zeit lautet bei ihm: Intervall der Bewegung oder Maß für Schnelligkeit und Langsamkeit. (3) Und er nimmt an, daß die Zeit, an die man unter dem Gesichtspunkt des Wann denkt, teils vergangen, teils zukünftig und teils gegenwärtig ist. Diese letztere bestehe aus einem Teil der Vergangenheit und einem Teil der Zukunft und schließe dabei deren Abgrenzung selbst ein; die Abgrenzung habe den Charakter eines Punktes. (4) Das Jetzt und ähnliche Angaben würden als Zeit in einer Breite (ungenau) gedacht und nicht exakt. (5) Vom Jetzt spreche man aber auch mit Bezug auf die kleinste wahrnehmbare (Zeit)Strecke, die die Abgrenzung von Zukunft und Vergangenheit einschließt.“ (Long und Sedley 2006, 364, 51 Zeit, E)

2.4.3 Cicero

Im folgenden Zitat spricht Balbus als Vertreter der Stoiker:

„Stell‘ Dir vor, jemand brächte den Himmelsglobus, nach Skythien oder Britannien, den unser Freund Poseidonios neulich gebaut hat und bei dem die einzelnen Umdrehungen bei der Sonne dem Mond und den fünf Planeten genau die Bewegungen simulieren, die am Himmel durch die einzelnen Tage und Nächte hervorgerufen werden. Wer in diesen fernen Ländern hätte dann Zweifel, dass dieser Globus ein Werk der Vernunft ist? Und dennoch sind diese (Philosophen, die keine Vorsehung anerkennen) im Zweifel über die Welt, aus der doch alles entstanden und geworden ist, ob sie selbst das Ergebnis eines Zufalls oder das Produkt irgendeiner Notwendigkeit oder das Werk der Vernunft eines göttlichen Geistes ist; und sie sind der Meinung, als Archimedes die Umdrehungen der Himmelsphäre nachbildete, habe er bedeutenderes gleistet, als die Natur bei ihrer Erschaffung – und das, obwohl das Original in vielen Dingen weitaus brillanter ist als die Kopie.“ (Long und Sedley 2006, 391, 54 Theologie, L)

Auch im folgenden Zitat spricht Balbus:

„(1) Tatsache ist doch, daß alles was sich nährt und wächst, in sich eine Wärmekraft hat, ohne die es sich nicht nähren und auch nicht wachsen könnte. Denn alles, was warm und feurig ist, wird durch seine eigene Bewegung angeregt und aktiviert. Was sich aber nährt und wächst, hat eine wohlbestimmte und regelmäßige Bewegung. Solange die in uns bleibt, so lange bleiben Sinneswahrnehmung und Leben; aber wenn die Wärme erkaltet und verlöscht, sterben und verlöschen wir selbst. (2) Wie groß die Wärmekraft in jedem Körper ist, legt Kleanthes auch mit folgenden Argumenten dar. [… (2 Sätze) vom Autor ausgelassen]. Alles was lebt, sei es Tier, sei es Pflanze, lebt also wegen der in ihm enthaltenen Wärme.“ (Long und Sedley 2006, 334, 47 Elemente, Atemstrom, Habitus, Spannung)

2.4.4 Galen

„(2) Was Athenaios von Attila angeht, der die unter dem Namen der Pneumatiker bekannte medizinische Schule gründete ( von Pneuma = Atemstrom), ist es passend, daß er in seiner Lehre von einer zusammenhaltenden Ursache in der Krankheit spricht, weil er sich auf die Stoiker zurückführt und ein Schüler und Anhänger des Poseidonios war.“ (Long und Sedley 2006, S.399 55 Verursachung und Fatum Fragment F (Galen, De causis continentibus, 1.1-2.4), Satz 2)

„(1) Damit nicht zufrieden rügt Poseidonios Chrysipp und seine Leute deutlicher und heftiger, weil sie das Ziel nicht richtig auslegen. Er sagt folgendes: ‚Einige Leute lassen diese Punkte beiseite und treiben den Ausdruck ‚In Übereinstimmung leben‘ dahin, daß er so viel besagt wie: >Alles was möglich ist, um der ersten naturgemäßen Dinge tun<; dabei stellen sie eine Ähnlichkeit des Ausdrucks damit her, als Skopus die Lust aufzustellen oder die Freiheit von Schmerz oder etwas anderes dieser Art. Aber die Formulierung selbst verrät einen augenscheinlichen Widerspruch und nichts, was rechtschaffen wäre oder das Glück herbeiführen würde. Denn was sie bezeichnet ist eine notwendige Begleiterscheinung des Ziels; aber es ist nicht das Ziel. (3) Allerdings läßt diese Formulierung, wenn sie richtig verstanden wird, sich verwenden, um die von den Sophisten aufgeworfenen Schwierigkeiten zu zerschlagen. […] (5) Das wird vielleicht genügen, um die Absurdität dessen aufzuzeigen, was Chrysipp in seiner Auslegung des Ziels darüber gesagt hat, wie es jemand erreichen könnte, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben. Ich halte es aber für besser, auch das hinzuzufügen, was Poseidonios unmittelbar anschließend an diese Passage geschrieben hat; es lautet folgendermaßen: (6) >Sobald die Ursache der Gefühle gesehen wurde, löste sie diese Ungereimtheit auf. Sie zeigte die Quellen, aus denen die Verdrehungen aus dem hervorgehen, was anzustreben und was zu vermeiden ist; sie legte die Arten des Trainings fest und ließ die Schwierigkeiten in Bezug auf den Antrieb verschwinden, der aus dem Gefühl resultiert.<“ (In Long und Sedley 2006, S.483, 62 Das Ziel: Akademische Kritik und stoische Verteidigung, Fragment I (Galen, De plac. Hippocr. et Plat. 5.6.10-14 (teilw. Poseidonios Frgm. 187 E.-K.))

„(2) Poseidonios wich aber vollkommen von beiden Auffassungen ab. Denn seiner Ansicht nach entstehen die Affekte weder als Urteile noch als Folgen von Urteilen, sondern sind Wirkungen des wetteifernden und des begehrenden Seelenteils, in jeder Hinsicht übereinstimmend mit der alten Lehre.“ (Long und Sedley 2006, 494, 65 Die Leidenschaften, Fragment K)

2.4.5 Seneca

„(1) In jenem Zeitalter, das man das Goldene nennt, sei die Herrschaft also in der Hand der Weisen gewesen, urteilt Poseidonios. Sie wiesen die Aggression in Schranken und schützten den Schwächeren vor dem Stärkeren, rieten zu und rieten ab und zeigten das Nützliche und ebenso das Unnütze auf. Ihre Klugheit sorgte dafür, dass ihren Leuten nichts fehlte; Ihre Tapferkeit wehrte Gefahren ab und ihre Großzügigkeit versetzte die Untergebenen in die Lage, zu gedeihen und ein blühendes Leben zu führen […]. (2) Doch es schlichen sich Fehler ein und die Königtümer wurden in Tyrannenherrschaft umgewandelt. Daraufhin begannen Gesetze nötig zu werden, die zunächst ebenfalls die Weisen erließen […]. (3) Soweit stimme ich Poseidonius zu. Aber daß die Philosophie die Techniken erfunden habe, auf die sich das tägliche Leben stützt, das weigere ich mich einzuräumen und möchte für die Philosophie auch nicht den Ruhm der Baukunst beanspruchen. Es (Er) sagt:“ Als die Menschen noch verstreut waren und in Hütten oder in Höhlen oder in einem hohlen Baumstumpf Schutz suchten, da lehrte die Philosophie sie, Gebäude zu errichten.“ (Long und Sedley 2006, 519, 67 Politische Theorie, Fragment Y)

[...]

Details

Seiten
Jahr
2020
ISBN (eBook)
9783346237118
ISBN (Paperback)
9783346237125
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin – Institut für Philosophie
Erscheinungsdatum
2020 (August)
Note
1,3
Schlagworte
Stoa Physik Philosophie Theologie
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Titel: Stoische Physik. Die Naturphilosophie der Stoiker als Begründung ihrer Ethiklehre