In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie im Roman "Karte und Gebiet" Wirklichkeitseffekte im strukturalistischen Sinn erzeugt werden. Zur Unterstützung der Argumentation dient ein Exkurs zur Theorie des "Wirklichkeitseffektes" nach Roland Barthes. Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit stellt die Analyse der romanimmanenten Reflexion über die Funktion von Kunst und Literatur dar. Auch eine Einordnung von "Karte und Gebiet" im theoretischen Feld der Gegenwartsliteratur und die Bestimmung der gesellschaftlichen Relevanz wird in der Arbeit vorgenommen.
Laut Brinkmann hat "[d]as Problem des Realismus […] eine sehr lange und ziemlich komplizierte Geschichte". Und durchaus ist eine Begriffsbestimmung des Realismus in wenigen Sätzen nicht möglich, denn die Diskussion darüber ist lang und hat bis heute kein Ende gefunden. Bereits in der Antike tauchten bei Aristoteles Gedanken über die Abbildung des Realen in Form von "Mimesis" der Welt als Ideal von Kunst und Literatur auf. Den Höhepunkt realistischer Schreibweisen kann man im 19. Jahrhundert verorten, in dem der Begriff des Realismus zum Namen einer ganzen Epoche wurde.
Exemplarisch für die Epoche des Realismus ist das Werk "La comédie humaine" von Honoré de Balzac, aus dem zugleich die Anfänge des modernen Schreibens hervorgingen. Schließlich hat Mitte des 20. Jahrhunderts der (Post-)Strukturalist und Semiologe Roland Barthes innerhalb der Realismusdebatte bedeutendes geleistet, indem er die Diskussion über die Darstellung einer "realen Welt" hin zum Illusionscharakter von Wirklichem in Literatur und Kunst gelenkt hat.
Die realistische Programmatik verlor allerdings im Laufe des 20. Jahrhundert vorübergehend an Relevanz. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde die Diskussion aber erneut aufgegriffen und wird aktuell vor allem auf philosophischer und literaturwissenschaftlicher Ebene hinsichtlich eines "neuen Realismus" verstärkt thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Exkurs: Zum l‘effet de réel nach Roland Barthes
3 Michel Houellebecqs Karte und Gebiet und der Wirklichkeitseffekt
3.1 Über die Erzeugung und Zerstörung von Realitätsillusionen
3.2 Neue ,Realismen‘ in Karte und Gebiet im Kontext aktueller Tendenzen der Gegenwartsliteratur
4 Fazit und Ausblick
5 Literaturverzeichnis
5.1 Untersuchte Primärliteratur
5.2 Weitere Primärliteratur
5.3 Sekundärliteratur
5.4 Internetquellen
1 Einleitung
Laut Brinkmann hat „[d]as Problem des Realismus [...] eine sehr lange und ziemlich komplizierte Geschichte.“1 Und durchaus ist eine Begriffsbestimmung des Realismus in wenigen Sätzen nicht möglich2 3, denn die Diskussion darüber ist lang und hat bis heute kein Ende gefunden. Bereits in der Antike tauchten bei Aristoteles Gedanken über die Abbildung des Realen in Form von „Mimesis“ der Welt als Ideal von Kunst und Literatur auf.4 Den Höhepunkt realistischer Schreibweisen kann man im 19. Jahrhundert verorten, in dem der Begriff des Realismus zum Namen einer ganzen Epoche wurde. Exemplarisch für die Epoche des Realismus ist das Werk La comédie humaine von Honoré de Balzac, aus dem zugleich die Anfänge des modernen Schreibens hervorgingen.5 Schließlich hat Mitte des 20. Jahrhunderts der (Post-) Strukturalist und Semiologe Roland Barthes innerhalb der Realismusdebatte Bedeutendes geleistet, indem er die Diskussion über die Darstellung einer ,realen Welt' hin zum Illusionscharakter von Wirklichem in Literatur und Kunst gelenkt hat.6 Die realistische Programmatik verlor allerdings im Laufe des 20. Jahrhundert vorübergehend an Relevanz.7 Anfang des 21. Jahrhunderts wurde die Diskussion aber erneut aufgegriffen und wird aktuell vor allem auf philosophischer und literaturwissenschaftlicher Ebene hinsichtlich eines „neuen Realismus“ verstärkt thematisiert.8
Nach Abschluss des Zeitalters der Industrialisierung kommen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung neue Fragen nach einem zeitgemäßen Realismuskonzept auf. Michel Houellebecq kennt die „Probleme zeitgenössischer Poetik“ und setzt sich damit innerhalb seiner Romane reflektiert auseinander.9 Der Schriftsteller hat erkannt, dass die Literatur des 21. Jahrhunderts vor ganz neuen Herausforderungen steht und thematisiert die Frage wie ,Realismus' in der Gegenwart funktionieren kann. In dem preisgekrönten Roman Karte und Gebiet 3 werden diese Fragen aufgegriffen und neue Konzepte von ,Realismus‘ erprobt.10 Zudem wird sich umfassend und reflektiert mit der Frage nach Sinn und Funktion von gegenwärtiger Kunst & Literatur auseinandergesetzt. Wiederholt wurde behauptet Houellebecq schreibe über sich selbst, über das gegenwärtige Frankreich und über die gegenwärtige Gesellschaft.*10 Dagegen wird innerhalb der vorliegenden Arbeit untersucht, wie im Roman Wirklichkeitseffekte erzeugt werden, die beim Leser die Illusion aufkommen lassen, dass es sich innerhalb des Romans um reale Personen und Orte handelt. Die Theorie des „Wirklichkeitseffektes“ von Roland Barthes dient als Grundlage für die vorliegende Analyse.12 Dabei liegt die Grundannahme vor, dass sich Literatur grundsätzlich im Bereich der Fiktion bewegt und lediglich Wirklichkeitsillusionen produziert werden. In der vorliegenden Arbeit wird erörtert, inwiefern die romanimmanente Reflexion über die Funktion von Kunst & Literatur diesen Grundsatz ebenfalls unterstützt.11 12
Das zweite Kapitel gibt vorerst einen Exkurs über Roland Barthes Theorie des „Wirklichkeitseffektes“. Der Wirklichkeitseffekt wird in seinen Funktionsprinzipien eingehend beschrieben und erklärt. Anschließend wird erläutert warum Literatur aus semiologischer Perspektive grundsätzlich nur fiktional sein kann und keine Referenzialität auf eine außersprachliche Wirklichkeit vorliegen kann. Im darauffolgenden Kapitel 3 rückt schließlich der Roman Karte und Gebiet als Untersuchungsgegenstand in den Mittelpunkt. In Abschnitt 3.1 wird der Frage nachgegangen, wie Wirklichkeitseffekte im Roman erzeugt werden. Dazu dienen einige exemplarische Textstellen, die sich sowohl auf die Nennung von Orten als auch auf die Erwähnung berühmter Persönlichkeiten und auf die Romanfigur Houellebecq beziehen. Anschließend wird Bezug auf die übergreifende textimmanente Reflexion über den Sinn von Literatur & Kunst genommen. Es werden Textstellen aufgegriffen, in denen eine Positionierung hinsichtlich der Frage nach den fiktionalen Eigenschaften von Literatur & Kunst stattfindet, die die hervorgehenden Annahmen der vorliegenden Arbeit bestärken. Im darauffolgend Abschnitt folgt der Versuch Karte und Gebiet im theoretischen Feld der Gegenwartsliteratur einzuordnen. So zeichnet sich der Roman zwar durch seine Einzigartigkeit aus, entspricht aber trotzdem den Tendenzen aktueller realistischer Schreibweisen. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammengefasst und ein Fazit formuliert. Zusammengefasst kann man sagen, dass Literatur Möglichkeiten eröffnet neue Konzepte innerhalb einer innersprachlichen Wirklichkeit zu erproben. Und auch, wenn Literatur von jedem Realitätsbezug befreit ist, so ergibt sich durch den Fragecharakter von Literatur letztendlich doch eine hohe Relevanz für die gegenwärtige Gesellschaft.
2 Exkurs: Zum l’effet de réel nach Roland Barthes
Der Begriff „l’effet de réel“ tauchte erstmals 1967 in einem Essay von Barthes auf. In „Diskurs der Geschichte“ verweist Barthes darauf, dass „in der >objektiven< Geschichte [.] das >Wirkliche< immer nur ein unformuliertes, hinter der scheinbaren Allmacht des Referenten verschanztes Signifikat13 [ist]. Diese Situation definiert das, was sich als >Wirklichkeitseffekt< bezeichnen ließe.“14 Das Signifikat selbst wird übergangen und stattdessen mit dem Referenten gleichgesetzt. Dies führt zur Illusion einer Einheit von Signifikant und Referent. Das wiederum täuscht vor, dass dem Diskurs lediglich der Referent und das Signifikant als grundlegendes semantisches Modell vorliege.15 16
Ausführlicher äußert sich Barthes zum Wirklichkeitseffekt in dem gleichnamigen Aufsatz „L’Effet de Réel“, der 1968 in der französischen Zeitschrift Communications 1 veröffentlicht wurde. Hier fragte er zunächst nach der Funktion von „unnützen Details“ in einer Narration. Diese würden weder die Handlung noch die Kommunikation in einer Erzählung unterstützen. Ebenfalls könne man nicht behaupten, dass sie als ästhetisches Element dienen. Diesen überflüssigen Details ist gemein, dass sie scheinbar eine Referenz zu einer außersprachlichen Wirklichkeit darstellen.17 „[S]ie denotieren, was man gemeinhin als die >konkrete Wirklichkeit bezeichnet [.. ,].“18 Ihre Daseinsberechtigung ergibt sich also nicht durch eine konkrete Funktion, sondern in der Denotation einer „konkreten Wirklichkeit“. Es wird eine „referentielle Illusion“ erzeugt, die suggeriert, dass das was erzählt wird, auch wirklich das ist, was so passiert ist.19
Doch wie kann man sich das genau vorstellen? Wie wird diese Illusion von Wirklichem genau herbeigeführt? Barthes führt seine vorhergehenden Überlegungen aus „Diskurs der Geschichte“ in „Der Wirklichkeitseffekt“ fort und schreibt, dass sich das Detail aus semiotischer Sicht aus einem Signifikanten und einem Referenten zusammensetzt. Er betont wiederholt die Verdrängung des Signifikats aus dem Zeichen. Dabei wird die Trinität des Zeichens ignoriert und auf die bloße Beziehung von einem Objekt zu seinem Lautbild reduziert.20
Die Wahrheit dieser Illusion lautet: das als Signifikat der Denotation aus der realistischen Äußerung vertriebene >Wirkliche< hält als Signifikat der Konnotation wieder in ihr Einzug; denn in dem Augenblick, in dem diese Details angeblich direkt das Wirkliche denotieren, tun sie stillschweigend nichts anderes, als dieses Wirkliche zu bedeuten; das Barometer Flauberts, die kleine Tür Michelets sagen letztlich nichts anderes als: wir sind das Wirkliche; bedeutet wird dann die Kategorie des >Wirklichen< (und nicht ihre kontingenten Inhalte); anders ausgedrückt, wird das Fehlen des Signifikats zugunsten des Referenten zum Signifikat des Realismus: Es kommt zu einem Wirklichkeitseffekt, zur Grundlegung dieses uneingestandenen Wahrscheinlichen, das die Ästhetik aller gängigen Werke der Moderne bildet.21
Diese zentrale Textstelle zeigt, dass literarischen Texten keine Referenzfunktion zukommt. Sie lassen lediglich die Illusion der Referenz auf eine außersprachliche Wirklichkeit aufkommen. Dadurch, dass dem Barometer Flauberts weder eine Funktion zukommt noch textinhärente Konnotationen vorhanden sind und es auch keinem Bedeutetem entspricht, ist es nutzlos. Es ist lediglich ,da'. Doch was dem Leser suggeriert wird, ist, dass auf die Lebenswelt des Lesers verwiesen wird und das geschriebene Zeichen sich auf eine außersprachliche Realität bezieht. Das Zeichen wird entleert und mit Konnotationen, die sich auf eine außersprachliche Wirklichkeit beziehen, gefüllt. Dies erweckt den Eindruck, dass die künstliche Aufladung des Zeichens ihre ,natürliche‘ Denotation darstellt. So stehen Referent und Signifikant in direktem Bezug zueinander. In dem Wegfallen des ursprünglichen Signifikats und Auffüllung des Zeichens mit referentiellen Konnotationen, die wiederum wie Denotation erscheinen, liegt die Erzeugung des Wirklichkeitseffekts. Pontzen fasst das Wirken des Wirklichkeitseffektes als „dreifache Illusion [zusammen]: (1) die des Realismus (Bezug auf eine ontologisch vom Text differente Realität), (2) die der Referenz (unmittelbarere Bezug von Signifikat und Signifikanten) und (3) die der Darstellung im Sinne einer narrativen Beschreibung oder beschreibenden Narration.“22
Dabei ist es nicht nur die Erwähnung von Gegenständen, die dazu dienen kann einen Wirklichkeitseffekt zu erzeugen. Durch die Einbindung von historischen Persönlichkeiten in das Erzählgeschehen entstehen laut Barthes „superlative Effekte des Realen“. Dabei geht es nicht darum bekannte Persönlichkeiten zum Sprechen zu bringen oder ihnen einen gewichtigen Teil innerhalb der Erzählung einzuräumen. Ihre „Authentizität“ entstehe vielmehr durch die beiläufige Nennung ihrer Namen. Gerade diese geringe Relevanz, die den Personen innerhalb des Geschehens zukommt, erzeugt einen größtmöglichen Wirklichkeitseffekt.23
In dem verschriftlichten Seminar über Die Vorbereitungen des Romans (1978-1980) greift Barthes den Wirklichkeitseffekt24 ein weiteres Mal auf. Hier bezeichnet er den Wirklichkeitseffekt als ein „Verlöschen der Sprache“. Die Sprache „verschwinde“ zugunsten des Gesagten. Der Wirklichkeitseffekt stelle damit sozusagen eine „Durchsichtigkeit“ dar.25 Laut Costazza rekurriert das an die rhetorische Figur der evidentia als „Anschaulichkeit“.26 Doch findet man „Durchsichtigkeit“ in vielen rhetorischen Fachbüchern eher als Übersetzung der perspicuitas vor.27 Laut dem historischen Wörterbuch der Rhetorik wird die perspicuitas oft mit der Technik des „Vor-Augen-Führens“ bzw. der Veranschaulichung verknüpft. Dem liegt als Element u.a. die „Detailgenauigkeit“ zugrunde.28 In dem Prinzip des „Vor-Augen-Führens“ zeigt sich durchaus eine gewisse Parallele zu den Prinzipien des Wirklichkeitseffektes. Denn allein in der Erkenntnis, dass es Begriffe in einer innersprachlichen Wirklichkeit gibt, die sich angeblich auf Objekte einer außersprachlichen Wirklichkeit beziehen, liegt wiederum die Erkenntnis, dass diese beiden Räume nicht dieselben sind, sondern voneinander getrennt. Die Trennlinie dieser beiden Räume ist transparent, dennoch ist sie vorhanden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sprachliche Wirklichkeit eine andere Ebene konstituiert als eine außersprachliche Wirklichkeit. Indem man auf etwas anderes zeigt, macht man deutlich, dass es sich außerhalb seiner selbst befindet. Dies ist es, was ,vor Augen geführt' wird. Das geschriebene Wort ist etwas anderes als das reale Objekt. So wird durch diese ,Durchsichtigkeit' veranschaulicht, dass wenn Begriffe die Kategorie des Wirklichen in einem Text bedeuten, sie paradoxerweise genauso deutlich machen: ,Wir sind Fiktion'.
Kommt man nun zu dem Begriff des Realismus zurück, kann man schlussfolgern, dass realistisches Schreiben keine Wirklichkeitsabbildung darstellt, sondern Wirklichkeitseffekte produziert. Ein realistischer Text erschafft eine ganz eigene Wirklichkeit, die eine konkrete Realität außerhalb der Sprache suggeriert, jedoch trotzdem nur Fiktion bleibt. Dies hat Auswirkungen auf das Verständnis von Realistischem' Schreiben:
Der >realistische< Autor setzt jedoch keineswegs die >Realität< an den Ursprung seines Diskurses, sondern immer nur, soweit man auch zurückgeht, ein schon geschriebenes Wirkliches, einen prospektiven Code, dem entlang immer nur, soweit das Auge reicht, eine Aufreihung von Kopien erfaßt.29
Zusammengefasst kann Literatur somit immer nur selbstverweisend sein. Literatur reproduziert sich selbst und erschafft eine Realität auf Textebene.
Außerdem sieht Barthes eine Unfehlbarkeit des Künstlers vorliegen. Er ist als Verfasser des Textes gleichzeitig der „Autor“ der innersprachlichen Wirklichkeit. Damit kommt ihm jegliches „Recht“ zu diese Wirklichkeit in seinen Prinzipien bestimmen zu können, ohne dabei die Regeln der realen Welt beachten zu müssen. Darin liegt die „Autorität“ des Künstlers bzw. Schriftstellers. Seine Texte lassen sich somit auch nicht den Kategorien „wahr“ oder „falsch“ zuordnen. Sie folgen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten innerhalb einer sprachlich erzeugten Realität, die von jeglichem Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit befreit sind.30
Der Schriftsteller ist jener, der seine eigene Rede bearbeitet. [...] Das Paradox besteht darin, daß die Literatur dadurch, daß das Material gewissermaßen zu ihrem eigenen Zweck wird, im Grunde eine tautologische Tätigkeit ist [...]. Der Schriftsteller ist ein Mensch, der das Warum der Welt radikal aufgehen läßt in einem Wie schreiben. [...] Dadurch daß der Schriftsteller sich ganz auf das Wie schreiben konzentriert, endet er bei der offenen Frage par excellence: Warum die Welt? Welchen Sinn haben die Dinge? [.] Der Schriftsteller faßt die Literatur als Zweck auf, die Welt gibt sie ihm als Mittel wieder zurück. In dieser endlosen Enttäuschung erreicht der Schriftsteller wieder die Welt, eine seltsame Welt, da die Literatur sie letzten Endes als Frage darstellt, niemals als Antwort.31
Dem „Wort“ kommt demnach ein strukturelles Moment zu. Der Schriftsteller verbindet darin sowohl seine als auch die Strukturen der Welt. Dabei entsteht eine „Meta-Ebene“, die immer in einer gewissen Distanz zur Wirklichkeit steht, auch wenn sie zugleich auf einer anderen Art und Weise mit der Wirklichkeit verbunden zu sein scheint. Somit kann Literatur im Sinne Barthes immer nur unrealistisch sein.
Auch in anderen Schriften unterstreicht Barthes, dass es grundsätzlich keinen literarischen Realismus in Form einer ,Kopie‘ des Wirklichen geben kann. In „Literatur oder Geschichte“ macht Barthes deutlich, dass der Versuch ein literarisches Abbild der Realität zu erschaffen, ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen ist. Die Problematik setze bereits bei der Begriffsbestimmung von /Wirklichkeit' an. Die Wirklichkeit lässt sich laut Barthes nämlich über drei Formen definieren: „Man kennt es immer nur unter der Form von Wirkungen (physische Welt), von Funktionen (gesellschaftliche Welt) oder Phantasmen (kulturelle Welt). Kurz: das Wirkliche ist immer nur eine Interferenz.“32 Das Wirkliche ,abbilden‘ hieße demnach eine Interferenz auszuwählen. Die Diskussion darüber, ob Literatur ,realistisch‘ sein kann oder nicht, entfällt.
Barthes verdeutlicht, dass Literatur aus Sprache besteht und Sprache bereits vor der Verschriftlichung als Bedeutungssystem existiert hat. Wörtern haftet damit eine Entwicklung an, die ihnen einen bestimmten Wert verleiht. Ihren Sinn bekommen sie überwiegend aus der Beziehung zu anderen Wörtern, weniger durch die Beziehung zu ihrem Referenten. Laut Barthes befindet man sich hier im Bereich einer „Über-Bedeutung“. Dies ist der Bereich, an dem man Literatur verorten kann. Sprache und Literatur können allein ihrer Substanz nach immer nur unrealistisch sein. Die Funktion von Literatur kann nicht in der Kopie einer außersprachlichen Wirklichkeit liegen, weil Literatur ganz im Gegenteil deutlich macht, dass Sprache nicht real ist. Folglich kann man Literatur nur dann als realistisch bezeichnen, wenn sie sich seiner eigenen Irrealität bewusst ist.33 Zusammengefasst kann man sagen:
Der Realismus kann hier also nicht Kopie der Dinge sein, sondern ist Kenntnis der Sprache; das realistische Werk ist nicht jenes, das die Wirklichkeit >schildert<, sondern jenes, das, indem es sich der Welt als Inhalt bedient [...], so tief wie möglich die irreale Realität der Sprache erforscht.34
Folglich stellt sich die Frage welche Formen ,realistischen‘ Schreibens in Michel Houellebecqs Karte und Gebiet vorliegen? Wie werden Wirklichkeitsillusionen im Roman erzeugt? Im folgenden Kapitel werden Arten realistischen Schreibens in Karte und Gebiet untersucht. Es werden Textstellen betrachtet, die sowohl Wirklichkeitseffekte erzeugen als auch diesen Illusionscharakter wieder brechen. Schließlich wird die romanimmanente Reflexion über die Funktion und den fiktionalen Charakter von Literatur und Kunst aufgegriffen und es wird versucht Karte und Gebiet in den aktuellen Diskurs über zeitgenössisches realistisches Schreiben einzuordnen.
3 Michel Houellebecqs Karte und Gebiet und der Wirklichkeitseffekt
Was den formalen Aufbau des Romans Karte und Gebiet betrifft, so ist der Hauptteil in drei Teile unterteilt. Dazu kommt ein Prolog von wenigen Seiten und ein etwas umfangreicherer Epilog. Die Zeitfolge ist nicht chronologisch, sondern sukzessiv. Es wird, bis auf eine Ausnahme35, durchgehend die Erzählform in der dritten Person eingehalten. Worum geht es in dem Roman? Er zeichnet in erster Linie die berufliche und private Laufbahn des Künstlers Jed Martin mit all seinen Höhen und Tiefen nach. Seine künstlerische Arbeit bildet eine Wegetappe, die von der Photographie industrieller Erzeugnisse während seiner Studienzeit hin zur Photographie von Michelin-Karten und den dazugehörigen Landschaften führt. Daran anschließend widmet er sich allerdings der Porträtmalerei zu und stellt Berufe anhand von überwiegend berühmten Persönlichkeiten dar. Mit Letzterem gelingt ihm auch der künstlerische Durchbruch und die Sicherung eines hohen finanziellen Wohlstands. Der zweite Teil beinhaltet drei Treffen und Gespräche Jed Martins mit dem Autor Houellebecq, der das Vorwort zu seiner jüngsten Galerieausstellung schreibt. Im dritten Teil des Romans erfährt das Erzählgeschehen einen Bruch. Hier steht der Mord an Houellebecq und seinem Hund sowie dessen Aufklärung und die dazugehörigen polizeilichen Ermittlungen im Mittelpunkt. Am Ende widmet sich die Erzählung jedoch wieder Jed Martin. Es wird von seinem Leben im Ruhestand erzählt und von seinen letzten Kunstwerke in Form von VideoInstallationen. Insgesamt wird die Erzählung über Jeds berufliche Laufbahn immer wieder durch Ausschnitte seines Privatlebens unterbrochen. Dabei werden vor allem seine wenigen Liebesverhältnisse zu Frauen und die Beziehung zu seinem kranken sterbenden Vater thematisiert.
Laut Klappentext des Buches ist es „[d]ie Kunst, das Geld, die Arbeit, die Liebe zu den Frauen und den Vätern, das Leben bis hin zum — manchmal gewaltsamen — Tod“36, was den Roman thematisch kennzeichnet. Dies wäre für den preisgekrönten Roman allerdings zu kurz gegriffen. Karte und Gebiet zeigt eine überaus große Fülle an Reflexionsebenen, die sowohl Probleme einer fortschreitenden Gesellschaftsentwicklung aufgreifen, als auch Fragen die sich daraus für die Gegenwartsliteratur ergeben. Krüger & Stillmark sehen den Roman als „Metadiskurs über die postmoderne Existenz von Künstlertum und Autorschaft“.37 Ott schreibt, dass die „künstlerische Selbstreflexion“ den Mittelpunkt des Romans bildet.38 Aber auch das Verhältnis von Mensch und Kunst zum Kapitalismus39 sowie die Enthüllung gesellschaftlicher Funktionsprinzipien stellen zentrale Themen des Romans dar.40 Eine weitere Reflexionsebene spricht Gipper an. Er schreibt, dass in Karte und Gebiet die Frage nach der Funktion von Kunst und Literatur in Beziehung zur Wirklichkeit reflektiert wird.41
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Realität und Literatur spielt in weiterer Sekundärliteratur ebenfalls eine grundlegende Rolle. So diskutieren einige Aufsätze autofiktionale Strategien in Karte und Gebiet.'42 Vor allem in Presseartikeln werden Vergleiche aufgestellt, die auf die Identifikation des realen Schriftstellers Michel Houellebecq mit seinen Romanfiguren abzielen. Oft wird die Meinung des Schriftstellers sogar mit der seiner Romanfiguren gleichgesetzt43, was allerdings überaus kritisch zu bewerten ist. Die Tatsache, dass der Name des Autors Houellebecq in Karte und Gebiet dem des realen Schriftstellers Michel Houellebecq44 gleicht, bietet sich dementsprechend geradezu an noch mehr Parallelen zwischen dem Schriftsteller und der Romanfigur zu ziehen. Berger dagegen sieht die Tatsache, dass im Roman eine Figur mit demselben Namen wie dem des Schriftstellers auftaucht, differenzierter. Sie schreibt, dass eine Lesart, die die Herstellung faktualer Bezüge zwischen literarischer Handlung und außertextueller Wirklichkeit, genauer der realen Person und dem realen Leben des Autors, zum Ziel hat, keinen Erkenntnisgewinn verspricht. Hierin zeigt sich noch einmal, dass die viel diskutierte Frage nach den autobiographischen Bezügen in den Romanen nicht von Belang ist.45
Michel Houellebecq selbst hat sowohl bestätigt als auch dementiert, dass er in dem Roman über seine eigene Persönlichkeit geschrieben habe.46 Er scheint bewusst zu provozieren, indem er mit der Grenze von Realität und Fiktion spielt47, was den Leser schnell irritieren kann.48
Aber wie bereits im vorhergehenden Kapitel erörtert wurde, kann Literatur nach den Ausführungen Roland Barthes immer nur irreal sein und die Wirklichkeit allenfalls die Wahl einer „Interferenz“ darstellen. Selbst Houellebecq betont in seiner Danksagung in Karte und Gebiet den allgemeinen Grundsatz eines „fiktiven Rahmens“ von Romanen, der dementsprechend auch Karte und Gebiet zugrunde liegt (vgl. KG 416). Somit lässt sich der Aussage Bergers zustimmen und es entfällt die Diskussion darüber, ob und wie Aussagen aus dem Roman auf den Verfasser übertragbar sind. Dagegen folgt im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Illusion einer Referenzialität erstellt wird. Es werden exemplarisch Romanstellen untersucht, die dem Leser durch Wirklichkeitseffekte suggerieren, dass es sich um ,reale‘ Orte und Personen handelt. Da in Karte und Gebiet selbst das Verhältnis von Realität zu Kunst & Literatur reflektiert wird, wird diese Reflexion zusätzlich in die Argumentation einbezogen. Es wird schließlich deutlich, dass der Roman keine Antworten bietet, aber relevante Fragen nach einem neuen Realismus und danach wie dieser in der Gegenwartsliteratur funktionieren kann, aufwirft.
3.1 Über die Erzeugung und Zerstörung von Realitätsillusionen
Als Jed auf dem Vorplatz von Notre-Dame de la Gare ankam, ging plötzlich, wie zur Warnung, ein eisiger Nieselschauer nieder, der nach wenigen Sekunden ebenso plötzlich wieder aufhörte. Er lief die wenigen Stufen hinauf, die zum Eingang der Kirche führten. Die beiden Flügel der Tür waren wie immer geöffnet, das Innere wirkte menschenleer. Er zögerte dann machte er kehrt. Die Rue Jeanne-d’Arc mündete in den Boulevard Vincent-Auriol, über den die oberirdische Metro führte; in der Ferne war die Kuppel des Pantheon zu sehen. Der Himmel hatte eine stumpfe dunkelgraue Farbe. (KG 197)
Welches Paris wird hier beschrieben? Die Notre-Dame de la Gare, der Boulevard Vincent- Auriol, das Pantheon... man fühlt sich in das Paris des gegenwärtigen Frankreichs versetzt. Die Erwähnung von Autobahnen (vgl. KG 242, 257, 373), von Parks (vgl. KG 90), Wahrzeichen (vgl. S. 240), Hotels (vgl. KG 12) und zahlreicher Straßen in Frankreich (vgl. KG 42, 62, 147) erzeugen die Illusion, dass der Ort des Geschehens nur das Frankreich der gegenwärtigen außersprachlichen Wirklichkeit sein kann. Der Leser kann es sich gut vorstellen und bekommt laut Pontzen dadurch den Eindruck, dass es gut beschrieben sei. Der Leser füllt die Zeichen beim Lesen mit subjektiven Konnotationen aus, auch wenn die textimmanenten Beschreibungen es gar nicht hergeben. Dies sei laut Pontzen eine „Evokation“ von Bewusstseinskonzepten des Lesers. Obwohl keine detaillierten Beschreibungen innerhalb des Romans vorliegen, können sich die Leser anhand der durch den Wirklichkeitseffekt erzeugenden Details etwas gut vorstellen.49
So verhält es sich auch mit der Einstreuung von Namen bekannter Persönlichkeiten innerhalb des Romans. Die beiläufige Erwähnung der Namen von Prominenten, wie beispielsweise Sean Penn und Angelina Jolie (vgl. KG 25), erzeugen einen „superlativen Realitätseffekt“, wie Barthes ihn beschrieben hat. Dazu kommen noch die dargestellten Persönlichkeiten auf Jed Martins Bildern, wie Jeff Koons, Damien Hirst, Ferdinand Piëch, Bill Gates und Steve Jobs (vgl. KG 20, 26, 182, 192). Hier liegt eine Wirklichkeitsillusion auf mehreren Ebenen vor. Denn die Porträts sind auf Grundlage von Fotos entstanden, die bereits selbst einen Wirklichkeitseffekt erzeugen und nicht die Realität abbilden.50 Anschließend wurden diese fiktiven Fotos als Porträts auf eine Leinwand übertragen, was eine weitere fiktionale Ebene bildet. So wird nicht nur innerhalb des Romans den Romanfiguren gegenüber anhand eines Wirklichkeitseffekts vorgetäuscht, es handle sich um reale Personen auf den Gemälden. Es wird gleichzeitig beim Leser des Romans eine Illusion hervorgerufen, dass es sich um reale Persönlichkeiten der gegenwärtigen Gesellschaft handelt. Dennoch sind es nicht die Individuen auf den Porträts, die im Mittelpunkt stehen. Die abgebildeten Personen sind lediglich als Repräsentanten für eine spezifische Gruppe oder für eine gesellschaftliche Entwicklungstendenz zu verstehen.51 Dies wird in der Malerei Jed Martins allerdings völlig verkannt. Das wird dann besonders deutlich, als nach der Veröffentlichung seiner Porträts viele Anfragen von reichen Geschäftsleuten kommen, die sich ebenfalls von Jed Martin porträtieren lassen wollen. Auch wenn ihm das beträchtliche Erträge sichern würde, entspricht solch eine Malerei nicht seinen Prinzipien. Deshalb lehnt er ab. (Vgl. KG 199-202)
Wirklichkeitseffekte kann man ebenfalls bei der Romanfigur Houellebecq selbst beobachten. Sein Auftreten und die Beschreibung seines äußeren Erscheinungsbildes erwecken den Eindruck, als würde der reale Michel Houellebecq beschrieben werden. In „Pantoffeln“, einer „Cordhose“ und einer wollenen „Strickjacke“ öffnet Houellebecq Jed Martin bei seinem ersten Besuch die Tür (vgl. KG 131). Auch der „abstoßende Zustand des Rasens“ (KG 131) scheint geradezu ein Charakteristikum Houellebecqs darzustellen, der für sein ungepflegtes Auftreten und seine Zerstreutheit bekannt ist.52 Dies trifft auch auf die Einbindung erzähl-irrelevanter Einzelheiten zu, wie Zigaretten, einem Schrank voller Weinflaschen oder auch Houellebecqs zerzaustes Haar (vgl. KG 134, 142, 158, 161). Die Beschreibung seiner häuslichen Räumlichkeiten unterstützt zusätzlich den Eindruck seines verwahrlosten Zustands. „Die mit Weinflecken besudelten und stellenweise angesengten Bettlaken waren mit Zwiebackresten und Mortadellastreifen übersät.“ (KG 159) Sogar die Beschreibung der Kleidung Jed Martins scheint eine Assoziation mit dem Kleidungsstil Michel Houellebecqs zu sein: „In seiner Cordhose und dem Sympatex-Anorak von C&A fühlte sich Jed furchtbar underdressed [.]“ (KG 229; Hvh. Original) Die Cordhose und der Anorak lassen direkt an Michel Houellebecq denken.53
Doch hier spielt Michel Houellebecq mit Wirklichkeitseffekten und Illusionärem. So betont Pontzen, dass eine Erzeugung von Wirklichkeitseffekten nur dadurch möglich ist, dass der Schriftsteller Michel Houellebecq der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt ist.54 Wäre er ein unbekannter Autor, würde diese Technik nicht funktionieren. Denn die Wirklichkeitseffekte erzeugenden Zeichen beziehen sich auf seine bewusste Inszenierung in der Öffentlichkeit. Dies ist zugleich ein Beispiel und Kritik an der „Unmöglichkeit, ein objektives, von der Übertreibung der Medien freies Bild von sich selbst zu vermitteln. Mehr noch: die partielle Unmöglichkeit, sich anders zu geben als es die Mediatisierung des eigenen Houellebecq, Michel: Karte und Gebiet. 4. Auflage. Köln: DuMont 2011. Übersetzt von Uli Wittmann. Die Originalausgabe ist 2010 unter dem Titel La carte et le territoire bei Flammarion, Paris erschienen. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird der Roman im Text als Sigle mit KG abgekürzt.
[...]
1 Vgl. Steigerwald & Komorowska: Michel Houellebecq: Questions du réalisme d'aujourd'hui, S. 6-7.
2 Brinkmann: Begriffsbestimmung des literarischen Realismus, S. VII.
3 Parr schreibt, dass man ohnehin vorsichtig sein sollte Realismus als einen ,Begriff' zu fassen, der für sich alleine stehen kann. Er sieht Realismus mehr als eine Form von „Beziehungen" an. (Vgl. Parr: Neue Realismen, S. 13)
4 Vgl. Müller: Realismus, S. 9.
5 Vgl. Gröne & Reiser: Französische Literaturwissenschaft, S. 150-151.
6 Vgl. Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 276.
7 Vgl. Brinkmann: Begriffsbestimmung des literarischen Realismus, S. VIII-IX.
8 Vgl. zum Beispiel Ferraris: Manifest des neuen Realismus; Gabriel: Der Neue Realismus & Parr: Neue Realismen.
9 Vgl. Eintrag "Houellebecq, Michel" in Munzinger Online/KLfG - Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur, URL: http://www.munzinger.de/document/18000000208 [abgerufen von Universitätsbibliothek Paderborn. 10.3.2018. 12:00]
10 Vgl. zum Beispiel Meister: Wer ist dieser Mann? & Ott: Autofiktion und die Sehnsucht nach Realität. Meister behauptet nicht nur, dass es um Michel Houellebecq geht und der romaninterne Houellebecq diesem gleichkommt, sondern, dass er zugleich auch „das Alter Ego" von Jed Martin darstellt. Sie sieht Karte und Gebiet als Houellebecqs „Abrechnung mit sich selbst" an. (Vgl. Meister: Die bestialischste Selbsttötung der Literaturgeschichte, S. 61-62)
11 Vgl. Barthes: Der Wirklichkeitseffekt.
12 Vgl. Steigerwald & Komorowska: Michel Houellebecq: Questions du réalisme d'aujourd'hui, S. 6-7.
13 Barthes unterscheidet grundsätzlich zwischen dem Bedeuteten und dem Bedeutenden bzw. Signifikat und Signifikant. Dabei lehnt Barthes sich an die Zeichentheorie Ferdinand de Saussures von 1916 an: Laut Saussure setzt sich ein Zeichen aus der „Vorstellung" und dem „Lautbild" zusammen. Es hat also einen zweiseitigen Charakter. Hieraus ergibt sich auch die Definition des „Zeichens": Ein Zeichen ist die Verbindung von Lautbild und der dazugehörigen Vorstellung. Nach Saussure beziehe man das Zeichen oft nur auf das „Wort", vergisst dabei aber, dass es an Assoziationen geknüpft ist, die mitgedacht werden müssen. Des Weiteren benennt Saussure an dieser Stelle auch die Unterscheidung zwischen „Bezeichnetes" und „Bezeichnendes" als Grundeigenschaften des Zeichens. Die Vorstellung kommt demnach dem Bezeichneten gleich und das Lautbild dem Bezeichnenden. (Vgl. Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 77-79)
14 Barthes: Der Diskurs der Geschichte, S. 161. Französischer Originaltext: „En d'autres termes, dans l'histoire >objective<, le >réel< n'est jamais qu'un signifié informulé, abrité derrière la toute-puissance apparente du référent. Cette situation définit ce que l'on pourrait appeler l'effet de réel." (Barthes: Le discours de l'histoire, S. 426; Hvh. entsprechen dem Original)
15 Vgl. Barthes: Der Diskurs der Geschichte, S. 161-162.
16 Vgl. Barthes: L'Effet de Réel.
17 Vgl. Barthes: Der Wirklichkeitseffekt, S. 164-169.
18 Barthes: Der Wirklichkeitseffekt, S. 169.
19 Vgl. Barthes: Der Wirklichkeitseffekt, S. 169-171.
20 Vgl. Barthes: Der Wirklichkeitseffekt, S. 171-172.
21 Barthes: Der Wirklichkeitseffekt, S. 171. Hvh. entsprechen dem Original. Originalzitat aus dem Französischen: „La vérité de cette illusion est celle-ci: supprimé de l'énonciation réaliste ä titre de signifié de dénotation, le >réel< y revient ä titre désignifié de connotation; car dans le moment mème oü ces détails sont réputés dénoter directement le réel, ils ne font rien d'autre, sans le dire, que le signifier: le baromètre de Flaubert, la petite porte de Michelet ne disent finalement rien d'autre que ceci: noussommes le reel; c'est la catégorie du >réel< (et non ses contenus contingents) qui est alors signifiée; autrement dit, la carence mème du signifié au profit du seul référent devient le signifiant mème du réalisme: il se produit un effet de reel, fondement de ce vraisemblable inavoué qui forme l'esthétique de toutes les reuvres courantes de la modernité.” (Barthes: L'Effet de Réel, S. 88)
22 Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 278.
23 Vgl. Barthes: S/Z, S. 105.
24 Barthes benennt den Wirklichkeitseffekt hier auch als „Realitätseffekt". (Vgl. Barthes: Die Vorbereitungen des Romans, S. 126)
25 Vgl. Barthes: Die Vorbereitungen des Romans, S. 126.
26 Vgl. Costazza : Effet de réel und die Überwindung der Postmoderne, S. 75-76.
27 Vgl. zum Beispiel Fuhrmann: Die antike Rhetorik, S. 114-115 & Ueding: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, S. 816-817, 846, 857-858.
28 Vgl. Ueding: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, S. 814-817, 846, 857-858.
29 Barthes 1976: S/Z, S. 167. Französischer Originaltext: „C'est que précisément l'artiste >réaliste< ne place nullement la >réalité< ä l'origine de son discours, mais seulement et toujours, si loin qu'on puisse remonter, un réel déjä écrit, un code prospectif, le long duquel on ne saisit jamais, ä perte de vue, qu'une enfilade de copies." (Barthes 1970: S/Z, S. 667-668)
30 Vgl. Barthes 1976: S/Z, S. 167.
31 Barthes: Literatur oder Geschichte: S. 102-103. Hvh. entsprechen dem Original. Französischer Originaltext: „[L]'écrivain est celui qui travaille sa parole (fut-il inspiré) et s'absorbe fonctionnellement dans ce travail. [...] Le paradoxe c'est que, le matériau devenant en quelque sorte sa propre fin, la littérature est au fond un activité tautologique, [...] l'écrivain est un homme qui absorbe radicalement le pourquoi du monde dans un comment écrire. [...] [E]n s'enferment dans le comment écrire, l'écrivain finit par retrouver la question ouverte par excellence : pourquoi le monde ? Quel est le sens des choses? [...] [L]'écrivain con^oit la littérature comme fin, le monde la lui renvoie comme moyen : et c'est dans cette déception infinie, que l'écrivain retrouve le monde, un monde étrange d'ailleurs, puisque la littérature le représente comme une question, jamais, en definitive, comme une réponse." (Barthes : Essais critiques, S. 1278)
32 Barthes: Literatur oder Geschichte, S. 133. Hvh. entsprechen dem Original. Französischer Originaltext: „Cependant, qu'est-ce que le réel ? On ne le connait jamais que sous forme d'effets (monde physique), de fonctions (monde social) ou de fantasmes (monde culturel) ; bref, le réel n'est jamais lui-mème qu'une inférence [...]." (Barthes : Essais critiques, S. 1289)
33 Vgl. Barthes: Literatur oder Geschichte, S. 133-134.
34 Barthes: Literatur oder Geschichte, S. 134. Französischer Originaltext: „Le réalisme, ici, ce ne peut donc ètre la copie des choses, mais la connaissance du langage ; l'reuvre la plus >réaliste< ne sera pas celle qui >peint< la réalité, mais qui, se servant du monde comme contenu [...], explorera le plus profondément possible la réalité irréelle du langage." (Barthes : Essais critiques, S. 1290)
35 Vgl. KG 407. Hier durchbricht der Erzähler ein einziges Mal die Erzählung in der dritten Person.
36 Zitiert aus dem Buchcover bzw. Einband des Buches KG.
37 Krüger & Stillmark: Dekonstruktion von Künstlermythen, S. 79.
38 Vgl. Ott: Literatur und die Sehnsucht nach Realität, S. 230.
39 Vgl. Ott: Literatur und die Sehnsucht nach Realität, S. 230.
40 Vgl. Berger: Moralistisches Spiel - spielerische Moralistik, S. 250.
41 Vgl. Gipper: Die Kunst des Porträts und das Porträt des Künstlers, S. 712, 718-719.
42 Vgl. zum Beispiel Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation; Ott: Literatur und die Sehnsucht nach Realität & Dilmac: Von Körper-Bildern und Zerstückelung.
43 Vgl. Ortuno Stühring: Die Kritik der Gegenwart, S. 247.
44 Zum besseren Verständnis wird im Folgenden von der Schreibart her zwischen „Michel Houellebecq" als dem realen Schriftsteller und „Houellebecq" als dem fiktiven Romanprotagonisten unterschieden.
45 Berger: Moralistisches Spiel - spielerische Moralistik, S. 247.
46 Vgl. Schlüter: Literarisches Selbstporträt mit Möbiusschleife, S. 728. Schlüter bezieht sich hier auf das Spiegel-Interview „Bitte keine Schmerzen" von G. Diez, vom 11.04.2011 (S. 122-123).
47 Vgl. En>
48 Dazu: „Scherz, Satire, Ironie, tiefere Bedeutung? Houellebecq und/ oder Houellebecq treibt/ treiben ein doppelbödiges Spiel mit dem Betrachter." (Schlüter: Literarisches Selbstporträt mit Möbiusschleife, S. 735)
49 Vgl. Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 278.
50 Parallel dazu ist auch interessant, dass man bei dem Verfassen eines Romans dasselbe Muster vorfindet: Der fiktionale Roman baut in der Regel auf vorhergehende Notizen auf, die wiederum bereits Fiktion sind. Barthes schreibt, dass „das Notizenmachen [...] das Problem des Realismus [aufwirft]." (Barthes: Die Vorbereitung des Romans, S. 54) Damit unterliegt das Schreiben als auch das Malen bereits einem „Trugbild von Realität". (Vgl. Barthes: Die Vorbereitung des Romans, S. 54)
51 Gipper schreibt, dass bei den Porträts die „sozialen Relevanzstrukturen" im Mittelpunkt stehen und nicht die abgebildeten Individuen. (Vgl. Gipper: Die Kunst des Porträts und das Porträt des Künstlers, S. 721)
52 Vgl. Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 289.
53 „Wie zu erwarten, weist der fiktive Houellebecq jene ,Markenzeichen' auf, die auch für die Selbststilisierung des realen Michel Houellebecq unentbehrlich scheinen: der Parka, das Rauchen, der Hund.“ (Ott: Literatur und die Sehnsucht nach Realität, S. 226)
54 Vgl. Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 285-286, 289-290.