Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Verzehr von Tierfleisch nach Tierhetzen im Alten Rom. Sie bezieht sich auf den Aufsatz von Donald Kyle "Animal Spectacls in Ancient Rome. Meat and Meaning". Er ist der Meinung, dass das Fleisch der Arenatiere einen so hohen symbolischen, wirtschaftlichen und somit auch politischen Wert gehabt haben muss, dass es durch die Spieleveranstalter zum Verzehr an die städtische Bevölkerung gegeben wurde.
So wie Kyle durch eine Schülerfrage mit seinen Forschungen begann, so entstand meine Fragestellung durch eine Frage meines Professors: Für wie glaubwürdig halte ich Kyles These anhand seiner Argumentation in seinem Aufsatz "Animal Spectacles in Ancient Rome. Meat and Meaning". Auch wenn die Frage nach der Entsorgung der Tierkörper zunächst banal klingen mag, so erfordert ihre Beantwortung doch das Vordringen in zahlreiche komplexe Themenbereiche. Um seine These zu stützen, bezieht sich also auch Kyle auf die Entstehungsgeschichte der Tierhetzen und damit auf die antike Jagd und traditionelle Opferungen. Und ebenso argumentiert er mit dem Essverhalten der Bevölkerung, der Versorgungslage in Städten und politischen Umständen.
Christliche Quellen erhalten im Zusammenhang mit Tierhetzen, wie auch bei anderen öffentlichen Spektakeln, eine Sonderstellung und werden mit als führendes Argument behandelt. Trotz dieser thematisch breit aufgestellten Argumentation und dem logischen Aufbau seiner Argumente, ist noch nicht gewährleistet, dass diese ausreichend durch Quellen gestützt sind. Um ausschließen zu können, dass seine Argumentation lediglich auf Plausibilitätsbasis beruht, muss jedes seiner Argumente auf seine zugrundeliegenden Quellen untersucht und auf deren Aussagekraft und Glaubwürdigkeit geprüft werden. Um zu Kyles These wissenschaftlich Stellung beziehen zu können, ist es nicht möglich, einzelne Hauptargumente außer Acht zu lassen, jedoch werde ich mich bei meiner Arbeit mit manchen Themengebieten mehr beschäftigen als mit anderen, da ich sie für die Fragestellung als relevanter einstufe. Alternative Entsorgungsmethoden der Tierkadaver, wie beispielsweise durch den Tiber oder das Verfüttern an andere Arenatiere werden nicht thematisiert, denn deren Untersuchung würde in diesem Fall zu weit führen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entstehungsgeschichte
2.1 Die Jagd
2.2 Die Opferungen
3. Die Gesellschaft
3.1 Die Versorgung
3.2 Die Politik
3.3 Die Christen
4. Schluss
5. Quellenverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die römischen Tierhetzen (venationes) mögen heutzutage zwar im Bewusstsein der durchschnittlichen Bevölkerung im Schatten der Gladiatorenkämpfe stehen, doch hatten sie eine ebenso wichtige politische und gesellschaftliche Bedeutung für das Römische Reich1 und überdauerten diese sogar.2 Bis zu 11.000 Tiere, wild und auch domestiziert,3 wurden bei Triumphzügen und tagelangen privaten und staatlichen Spielen (munera)4, bei welchen die Tierhetzen den morgendlichen Teil der Spiele ausmachten,5 in der Arena gejagt und getötet. So wurde das Volk nicht nur unterhalten, sondern Tierhetzen dienten als Mittel zum Ausdruck des römischen Triumphes über die Natur und sollten die geographischen Ausmaße und logistische Kapazität des Reiches vor Augen führen.6
Viele Facetten der venationes sind bereits sehr gut erforscht, doch die Frage, was mit den tierischen Überresten des Massakers geschah, wird, wenn überhaupt, häufig nur angeschnitten.7 Tierknochenfunde lassen vermuten, dass ein Teil der Tiere in Gruben in der Nähe des entsprechenden Amphitheaters vergraben wurde, doch da die Menge der Funde, vor allem von exotischen Tieren wie Raubkatzen, überraschend geringer ist, als man bei den Ausmaßen der Tierhetzen erwarten würde, ist von weiteren Entsorgungsmethoden auszugehen.8 Donald Kyle formulierte hierzu eine sehr interessante These.9 Er ist der Meinung, dass das Fleisch der Arenatiere einen so hohen symbolischen, wirtschaftlichen und somit auch politischen Wert gehabt haben muss, dass es durch die Spieleveranstalter zum Verzehr an die städtische10 Bevölkerung gegeben wurde.11 Auf welche Zeitperiode er sich in seinem Aufsatz bezieht, gibt Kyle nicht präzise an, jedoch machen Überlegungen über die Entsorgung von Arenafleisch in erster Linie dann Sinn, wenn die Tierhetzen selbst hauptsächlich während der Kaiserzeit ihre größten Ausmaße erreichten.12 So wie Kyle durch eine Schülerfrage mit seinen Forschungen begann,13 so entstand meine Fragestellung durch eine Frage meines Professors: Für wie glaubwürdig halte ich Kyles These anhand seiner Argumentation in seinem Aufsatz „Animal Spectacles in Ancient Rome. Meat and Meaning“?
Auch wenn die Frage nach der Entsorgung der Tierkörper zunächst banal klingen mag, so erfordert ihre Beantwortung doch das Vordringen in zahlreiche komplexe Themenbereiche. Um seine These zu stützen, bezieht sich also auch Kyle auf die Entstehungsgeschichte der Tierhetzen und damit auf die antike Jagd und traditionelle Opferungen. Und ebenso argumentiert er mit dem Essverhalten der Bevölkerung, der Versorgungslage in Städten und politischen Umständen. Christliche Quellen erhalten im Zusammenhang mit Tierhetzen, wie auch bei anderen öffentlichen Spektakeln, eine Sonderstellung14 und werden mit als führendes Argument behandelt.
Trotz dieser thematisch breit aufgestellten Argumentation und dem logischen Aufbau seiner Argumente, ist noch nicht gewährleistet, dass diese ausreichend durch Quellen gestützt sind. Um ausschließen zu können, dass seine Argumentation lediglich auf Plausibilitätsbasis beruht, muss jedes seiner Argumente auf seine zugrundeliegenden Quellen untersucht und auf deren Aussagekraft und Glaubwürdigkeit geprüft werden. Um zu Kyles These wissenschaftlich Stellung beziehen zu können, ist es nicht möglich, einzelne Hauptargumente außer Acht zu lassen, jedoch werde ich mich bei meiner Arbeit mit manchen Themengebieten mehr beschäftigen als mit anderen, da ich sie für die Fragestellung als relevanter einstufe. Alternative Entsorgungsmethoden der Tierkadaver, wie beispielsweise durch den Tiber15 oder das Verfüttern an andere Arenatiere16 werden nicht thematisiert, denn deren Untersuchung würde in diesem Fall zu weit führen.
2. Die Entstehungsgeschichte
Um seine These zu stützen, bezieht sich Kyle sehr häufig auf die Entstehungsgeschichte der venationes und beschreibt ihre Ursprünge als Verflechtung von „native Italian subsistence hunting, ritualized animal baiting, Hellenistic grand, aristocratic sport hunting, and [...] royal hunts of Near Eastern kings“.17 Vor allem das Verhältnis von Tierhetzen, Jagd und Sport, ist in der Forschung äußerst kontrovers diskutiert worden.18 Häufig wurden Tierhetzen mit der modernen Vorstellung von Jagd, die Tiere müssten wild, frei und die Möglichkeit zur Flucht haben, als „neither true hunting nor true sport“ bewertet.19 Da das moderne Verständnis von Jagd aber hauptsächlich auf Sport abzielt und weniger, wie früher, auf die Nahrungsbeschaffung,20 wurde in der Forschung die Möglichkeit, dass Arenafleisch zum Verzehr an Menschen gelangte, laut Kyle, übersehen.21
Um den Zusammenhang zwischen Tierhetzen und Sport zu veranschaulichen, zieht Kyle unteranderem moderne spanische Stierkämpfe als erklärendes Beispiel heran.22 In der Tat sind hier einige Parallelen zu finden: Ein Matador hat die Möglichkeit durch ein stilvolles Bezwingen des Stiers enormen gesellschaftlichen Ruhm zu erlangen, allerdings zeitgleich auch soziale Verachtung.23 Stierkämpfe dienen der Zusammenkunft aller sozialen Bevölkerungsschichten, welche teilweise auch anhand der Sitzordnung innerhalb der Arena sichtbar werden.24 Und es gibt spezielle Matador-Schulen.25 Diese und weitere Parallelen macht Kyle sich zu Nutze, um den Fakt, dass bei Stierkämpfen kein Fleisch des Bullen verschwendet wird und eben auch als Nahrungsmittel an die Bevölkerung gelangt, auch auf die Tierhetzen zu übertragen.26 Auch wenn er dies als Argument für seine These anführt, entkräftet er es gleichzeitig selbst, indem er es als „more analogous than derivative“ bezeichnet.27 Vergleiche von modernen und antiken Phänomenen können zwar äußerst interessante Zusammenhänge aufdecken, doch um damit eine These zu stützen, bedarf es weitaus mehr, als lediglich eine Aufzählung von Gemeinsamkeiten.
Da die Tierhetzten laut Kyle aber nicht nur im Sport ihre Wurzeln finden, sondern auch in anderen Formen der Jagd und Ritualen, führt er im Zuge dieser Aspekte weitere Argumente an. Ich werde vor allem auf die Jagd als Form der Existenzsicherung Bezug nehmen, da das für die Fragestellung am aufschlussreichsten ist. Außerdem bezieht sich Kyle im Laufe seines Aufsatzes immer wieder auf Opferungen, und dieses Thema möchte ich ebenso näher erläutern.
2.1 Die Jagd
Laut Kyle wurden venationes von den Römern selbst als Jagd gesehen und die Zuschauer erwarteten kein reines Abschlachten der Tiere sondern eine Art spannende Jagdinszenierung.28 Es ist sogar überliefert, dass Probus die Arena für eine Tierhetze von über 3000 Exemplaren mit einer Waldszenerie schmücken ließ, um den Anschein einer echten Jagd zu erwecken und zusätzlich die Zuschauer auf den Arenaboden ließ, damit jeder von ihnen das ergreifen konnte, was er wollte.29 Auch wenn es nicht direkt genannt wird, ist davon auszugehen, dass die erbeuteten Tiere aus der Arena mitgenommen werden durften und somit ist es äußerst wahrscheinlich dass ein Großteil von ihnen auch gegessen wurde. Doch handelt es sich wohl bei dieser interaktiven Präsentationsform um einen Ausnahmefall, da sonst keine Berichte darüber erhalten sind.
Kyle führt außerdem an, dass typische Jagd-Wildtiere, welche sehr häufig auch bei Tierhetzen zum Einsatz kamen, äußerst beliebt zum Verzehr bei den Römern gewesen sind.30 Dies findet Zustimmung von beispielsweise Brigitte Cech, aber auch wenn wir einige Rezepte hierfür überliefert haben,31 kam „das Fleisch dieser Tiere, das man auf den Märkten der Städte kaufen konnte, [...] nur in den seltensten Fällen von erjagten Tieren.“32
Obwohl Kyle dem Ursprung der venationes einen verhältnismäßig großen Anteil seiner Argumentation widmet, lässt sich sein Hauptargument hierzu kurz zusammenfassen. Da der Mensch seit Lebzeiten ein Jäger und Esser von Fleisch ist, um sich zu versorgen oder um Besitz und Leben zu verteidigen, wurde das Jagen nicht als Verschwendung oder Missbrauch der Natur betrieben.33 Da die Tierhetzen, laut Kyle, mitunter aus dieser existenziellen Jagd hervorgegangen sind, wurde wahrscheinlich auch das Fleisch der Arenatiere verwertet.34 Was an sich schlüssig klingt, reicht allerdings lange nicht aus, um seine These zu stützen, da laut seiner eigenen Aussage die Jagd zur Nahrungsbeschaffung nicht die einzige Wurzel der Tierhetzen war.35 Denn sie sollen ebenso von königlichen Jagden abstammen, bei welchen die Tiere nicht ihres Fleisches wegen getötet und dementsprechend auch nicht verzehrt wurden, doch Kyle lässt dies gänzlich außer Acht.36
2.2 Die Opferungen
Da Kyle wiederholt Bezug auf Opferungen im Zusammenhang mit dem Verzehr von getöteten Tieren nimmt, so muss dieses Thema, auch wenn die Römer Tierhetzen “not as sacrifices“ sahen,37 trotzdem behandelt werden. Denn es gab zahlreiche Feste, während denen Tiere geopfert wurden, wie beispielsweise am Fest der Flora. Hier wurden seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. und ab 173 n. Chr. nahezu jährlich Tierhetzen mit Opferungscharakter veranstaltet, wobei es sich dabei allerdings in erster Linie um ungefährliche Tiere wie Hasen und Ziegen handelte, jedoch auch um jene, die der Landwirtschaft schaden.38 Da der Spieleveranstalter (editor) seine Macht, das Volk vor Schädlingen beschützen zu können, durch die Spiele zum Ausdruck bringen konnte, dienten ihm diese gleichzeitig auch als Instrument zur Machtlegitimation.
Besonders durch Tieropferungen wird der symbolische Wert des Arenafleisches deutlich, welchen Kyle als Argument dafür anführt, dass das Verteilen des Arenafleisches somit ebenso einen stark symbolischen Charakter erhält und daher um einiges wahrscheinlicher gewesen sei.39 Da geopferte Tiere in den meisten Fällen verzehrt wurden,40 ist die Schlussfolgerung, dass das auch bei entsprechenden Tierhetzen der Fall gewesen ist, nicht abwegig. Günstig ist dabei, dass in der Arena eine Menge Blut vergossen wurde und dies bei Römern während Opferungen als Zeichen eines sehr günstigen Opfers gesehen wurde.41 Ebenso wurde nach Vollendung des Opferrituals häufig ein „Opferschmaus“ aus Teilen des Fleisches zubereitet und durch die anwesende Gesellschaft verzehrt.42 Sofern die Opferungen nicht privat abliefen, wurde das Fleisch des geopferten Tieres normalerweise von Priestern oder Senatoren gegessen, aber auch an Markthändler verkauft.43 Doch „nach römischer Auffassung hatte ein Opfer nur Erfolg, wenn das Opfertier sich willig in sein Schicksal fügte“44 und dieser Fall war bei Tierhetzen natürlich nicht gegeben.
Auch wenn das Töten in der Arena nicht als Opferung benannt werden kann, so wurde durch Opferungen „the aquisition, sharing, and eating of animal flesh [...] profoundly symbolic.”45 Und das wiederum, lässt es aus heutiger Sicht tatsächlich unlogisch erscheinen, dass das Arenafleisch nicht im symbolischen oder wirtschaftlichen Sinne nutzbar gemacht wurde. Allerdings reicht Logik allein nicht aus, um historische Sachverhalte erklären zu können. Auch wenn Kyle umfassend versucht, sich in die Lebensverhältnisse und moralischen Standards des antiken Roms hineinzuversetzen, so ist es ihm unmöglich, seinen Verstand des späten 20. Jahrhunderts zu ignorieren und dadurch wird dieser unweigerlich auf damalige Verhältnisse projiziert. Zudem ist der Mensch kein rein rational handelndes Wesen und eine Argumentation allein über Logik, müsste dies voraussetzen. Ein treffendes Beispiel hierfür bietet Plutarch in einem Bericht über Sulla, in welchem es heißt: „.die Vorbereitungen gingen so sehr über das nötige Maß hinaus, daß täglich große Mengen von feinen Speisen in den Fluß geschüttet werden mussten“46
3. Die Gesellschaft
Um die Frage beantworten zu können, ob die Tierkadaver der Arena zum Verzehr an die städtische Bevölkerung gegeben wurden, muss dringend betont werden, dass keine moralische Bewertung dieses Vorgangs angestrebt werden sollte. Moral und Emotionen sind aus geschichtswissenschaftlicher Sicht äußerst vorsichtig zu behandeln. Was eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert als moralisch verwerflich missbilligt, konnte im alten Rom feste Gewohnheit sein, und besonders das antike Verhältnis von Mensch zu Tier hat äußerst wenig mit der heutigen Tierrechtsbewegung und Vegetarismus zu tun.47 „Animals were seen by virtually all Romans as a sub-human part of nature”, man sah sie am liebsten “controlled or killed, as beasts of burden, as sources of materials [...], and as food.”48 So sollte man folglich nicht aus moderner Abscheu und Tierliebe Kyles These verwerfen.
Kyle führt auf der gesellschaftlichen Ebene vor allem die teilweise unzureichende Versorgung in Rom und Vorliebe der Römer für (vor allem exotisches) Fleisch an. Er verweist auch auf eine mögliche Verwendung des Arenafleisches bei Wohltätigkeiten durch den editor und hebt christliche Quellen hervor, welche die Praktiken der Arena in besonderer Form kritisieren.
3.1 Die Versorgung
Rom, der niemals satte „Bauch der Welt“,49 fasste im späten 1. Jahrhundert n. Chr. rund eine Millionen Einwohner50 und das Bedürfnis nach Nahrung hatten alle von ihnen gemein. Das Problem der Versorgung der Stadt war eine äußerst wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste, politische Angelegenheit der römischen Machthaber, für die eine Menge Geld aufgebracht wurde.51 Sogar Tiberius, der häufig Zeit außerhalb Roms verbrachte,52 äußerte sich besorgt über dieses Thema.53 Das entwickelte, komplexe Versorgungssystem (annona) war jedoch abhängig von enormen Mengen an Importgütern, da das Umland allein nicht ertragreich genug war,54 und diese Importe wiederum waren abhängig von der Wetterlage und Raubüberfällen.55 Die Importe begrenzten sich nicht nur auf Getreide, Gemüse und Obst, auch Fleisch und lebendige Tiere mussten nach Rom bestellt werden,56 wobei große Schweinezucht- und Masthöfe (villae rusticae), das Volk der Gallier und das der Germanen als Handelspartner hervorzuheben sind.57 Dementsprechend waren Lebensmittel extrem wertvoll und Fleisch in besonderem Maße, denn „Fleisch gehört nicht zu den regelmäßig genossenen Nahrungsmitteln“ bei ärmeren Römern.58
Genauso argumentiert auch Kyle unter Heranziehung zahlreicher Sekundärliteratur und zusätzlichen Quellen,59 welche zwar die Nahrungsknappheit Roms ausreichend belegen, jedoch nicht das Verzehren von Arenafleisch. Diesen Sachverhalt versucht er über das Essverhalten der Römer zu erklären: Während ein Großteil der Bevölkerung „not fussy eaters“60 gewesen sein soll, so seien es die Reichen umso mehr gewesen.61 Um das Arenafleisch als Nahrung nicht zu abnormal wirken zu lassen, verdeutlicht er die Unattraktivität des damaligen Essens.62 Er bezieht sich hier unter anderem auf Horaz, der von dem Verzehren von verdorbenem Wildschweinfleisch berichtet,63 und auf die römische würzige Soße garum, welche aus fermentiertem Fisch, nicht aus „rotten fish“ wie Kyle es beschreibt,64 gewonnen wurde.65 Man bekommt den Eindruck, dass er durch die angeführten Quellen und diese Soße Ekel beim Leser erregen möchte, denn er erwähnt nicht, dass garum keinen fauligen Geschmack trotz der Zutaten hatte und als Würzungsmittel sogar beliebter als Salz bei den Römern war.66 Was die römische Elite betrifft, so nimmt er Bezug zur Vorliebe für ausländische Zutaten und zu ausgefallenen Gerichten, wie sie im Kochbuch des Apicius,67 und bei Petronius68 zu finden sind. Besonders Apicius ist, damals wie heute, vielseitig diskutiert, denn die „sinnesfreudige Lebensart, die in prunkvollem Essen einen der höchsten Werte sah“,69 und die ausländischen Einflüsse, welche vor allem ab der Jahrtausendwende die römisch-elitäre Küche stark beeinflussten, gefielen vor allem „auf Mäßigung bedachten Philosophen“ nicht.70 Wie aussagekräftig sind solche Quellen aber wirklich? Kyle selbst stuft sie als „not representative“ ein,71 wohingegen Gerlach meint, Apicius „zielte mit seinen Rezepten auf gehobene, reiche Haushalte genauso wie auf einfachere“.72 Doch nur weil Apicius die Zubereitung von Straußen, Pfauen und Jagdwild beschreibt,73 heißt das nicht, dass dieses Fleisch auch aus der Arena stammt, denn darauf erhalten wir keinerlei Hinweise. Ganz im Gegenteil, denn Ovid kritisiert, dass extra für solch kulinarische Anlässe „gefangene wilde Tiere [nach Rom] geschickt“ wurden.74 Außerdem ist nicht anzunehmen, dass feine Köche wie Apicius das von Adrenalin saure Fleisch der Arena gerne verwendet hätten, denn dieser legte extremen Wert auf die Art und Weise der Fütterung und auf den Zeitpunkt des Schlachtens der Tiere, welche er zubereitete, um den Geschmack und die Konsistenz des Fleisches und der Innereien zu perfektionieren.75
Da die prekäre Versorgungslage in Rom ausreichend belegt ist, ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass auch adrenalingesäuertes Fleisch verzehrt wurde, aber dieses Argument allein stütz Kyles These lediglich sehr bedingt.
[...]
1 Vgl. Thomas Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom, Darmstadt 1992, S. 11-40, 64-77, 163-183.
2 Vgl. Donald G. Kyle, Animal Spectacles in Ancient Rome. Meat and Meaning, in: Nikephoros, 1994, S. 181.
3 Trajan: Dio 68.15.1.
4 Vgl. Augusta Hönle, Art. „Gladiatorenspiele“, in: DNP Bd. 8, Stuttgart/Weimar 2000, Sp. 492-494.
5 Sen.epist.7,4
6 Vgl. Wiedemann, Kaiser, S. 64-77.
7 Beispielsweise: Ann Hyland, Equus. The Horse in the Roman World, London 1990, S. 249.; Karl-Wilhelm Weeber, Art. „Massenunterhaltung“, in: Karl-Wilhelm Weeber (Hg.), Alltag im Alten Rom. Ein Lexikon, Zürich 1995, S. 247.
8 Vgl. Michael MacKinnon, Supplying Exotic Animals for the Roman Amphitheatre Games. New Reconstructions Combining Archaeological, Ancient Textual, Historical and Ethnographic Data, Mouseion 6, 2006, S. 150-155; Kyle, Donald G., Animal Spectacles in Ancient Rome. Meat and Meaning, in: Nikephoros 7, 1994, S. 185.
9 MacKinnon (2006) stimmt ihm allerdings mit dem Hauptaugenmerkt auf Tierknochenfunde zu.
10 “My main focus is on urban Rome, but at times I integrate important Italian and provincial evidence.” (Kyle, Spectacles, S. 12.)
11 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 189. Ebenso in ähnlicher Form veröffentlicht in Kyle, Spectacles, S. 184212.
12 Vgl. Ludwig Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. In der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine. Zweiter Band, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1922, Stuttgart 1964, S. 78.
13 Kyle, Spectacles, S. x.
14 Vgl. Richard Franklin Devoe, The Christians and the Games. The Relationship between Christianity and the Roman Games from the first through the fifth Centuries, A.D., Phil. Diss. Texas Tech University 1987, S. v-vi;
15 Vgl. Kyle, Spectacles, S. 213.
16 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 184f.; MacKinnon, Supplying, S. 155.
17 Kyle, Meat and Meaning, S. 197.
18 Vgl. ebd., S. 190f.
19 Ebd., S.190.
20 Vgl. Istvan Vörös, Animal husbandry and hunting in the Middle Neolithic settlement at Tiszavasvari- Deakhalmi dülö (Upper Tisza region) in: Németh Péter (Hg.), Jahrbuch des Josa Andras Museums. 36. Jahrgang, Übersetzt von Bartus Imréné, Laura Mitchell, Alice M. Choyke, Nyiregyhaza 1995, S.172.
21 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. S.189f.
22 Ebd., S. 186f.
23 Vgl. Rolf Neuhaus, Der Stierkampf. Eine Kulturgeschichte, Frankfurt a. M./Leipzig 2007, S. 245-248.
24 Ebd., S. 176f.
25 Ebd., S. 249.
26 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 186f.
27 Ebd., S. 186.
28 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 196f.
29 SHA, Probus 19.2-4.
30 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 193.
31 Apic. De Re Coquinaria 8.1-4.
32 Brigitte Cech, Lukullische Genüsse. Die Küche der alten Römer, Darmstadt 2013, S. 84.
33 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 187.
34 Ebd., S. 188.
35 Ebd., S. 197.
36 Vgl. John Kinloch Anderson, Hunting in the ancient World, Berkley [u.a.] 1985, S. 67-82.
37 Kyle, Meat and Meaning, S. 196.
38 Vgl. Dorothea Baudy, Art. “Floralia”, in: DNP Bd. 4, Stuttgart/Weimar 1998, Sp. 562f.
39 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 189; 194f.
40 Vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Art. „Opfer“, in: Karl-Wilhelm Weeber (Hg.), Alltag im Alten Rom. Ein Lexikon, Zürich 1995, S. 270-275.
41 Ebd., S. 274.
42 Ebd.
43 Vgl. Paul Veyne, Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike, Übersetzt von Klaus Laermann und Hans Richard Brittnacher, Darmstadt 1990, S. 220f.
44 Weeber, Opfer, S. 271; Plin. nat. hist. VIII 183.
45 Kyle, Meat and Meaning, S. 189.
46 Plut. Sull. 35.
47 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 181.
48 Ebd., S. 183.
49 Hans-Peter v. Peschke/Werner Feldmann, Kochbuch der Alten Römer, Mannheim 2012, S. 9.
50 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 188.
51 Vgl. Greg S. Aldrete/David J. Mattingly, Feeding the City: The Organization, Operation, and Scale of the Supply System for Rome, in: David Stone Potter/David J. Mattingly (Hgg.), Life, Death, and Entertainment in the Roman Empire, Michigan 1999, S. 203.
52 Ebd.
53 Tac. Ann. 3,54.
54 Vgl. Peschke/Feldmann, Kochbuch, S. 10.
55 Vgl. Aldrete/Mattingly, Feeding, S. 176f.
56 Ebd., S. 203.
57 Vgl. Gudrun Gerlach, Zu Tisch bei den alten Römern. Eine Kulturgeschichte des Essens und Trinkens (= Sonderheft 2001 „Archäologie in Deutschland“), Stuttgart 2001 S. 50; 80.
58 Ebd., S. 14; Für eine überaus genaue Darstellung der Versorgungslage der Römer und der Bewohner des gesamten Römischen Reiches, siehe: Peter Garnsey, Famine and Food Supply in the Graeco-Roman World. Responses to Risk and Crisis, Cambridge [u.a.] 1988.
59 Cic. Att. 1.16.11; Dio 48.18.1
60 Kyle, Meat and Meaning, S. 189.
61 Vgl. ebd., S. 188f.
62 Vgl. Kyle, Meat and Meaning, S. 189. Zusätzlich zieht er sieben weitere Quellen heran, in denen (nach unserer modernen Wahrnehmung) von ekelerregenden Praktiken im Zusammenhang mit Medizin und Nahrungsaufnahme berichtet wird. (beispielsweise Suet. Vit. 13; SHA, Elagabalus 20.5-7; Tert. Apol. 9.10)
63 Hor. Sat. 2.2.89-92
64 Kyle, Meat and Meaning, S. 189.
65 Vgl. Cech, Genüsse, S. 96.
66 Ebd., S. 93-98.
67 Apicius, De re coquinaria. Das römische Kochbuch des Apicius. Über die Kochkunst. Lateinisch und Deutsch, Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Robert Maier, Stuttgart 1991.
68 Kyle nennt: Sat. 119.7ff., aber beispielsweise ebenso relevant: Sat. 55.6.
69 Peschke/Feldmann, Kochbuch, S. 12
70 Ebd., S. 13.; Sen. ad Helviam X.; Plin. nat. hist. X 133.
71 Kyle, Meat and Meaning, S. 188.
72 Gerlach, Zu Tisch, S. 36.
73 Apic. De Re Coquinaria 6.1; 6.4.2; 8.1 -4.
74 Ovid: Fasti VI 169-183
75 Vgl. Robert Maier, Nachwort, in: Apicius, De re coquinaria. Das römische Kochbuch des Apicius. Über die Kochkunst. Lateinisch und Deutsch, Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Robert Maier, Stuttgart 1991, S. 247f.; Apic. De Re Coquinaria 7.18.