Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Veränderungen der natürlichen Umwelt und deren Konsequenzen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der Umweltproblematik in China zu vermitteln und so didaktisch aufzuarbeiten, dass eine Umsetzung im Unterricht erleichtert wird. Der erste Teil geht ausführlich auf die Zerstörung und aktuelle Situation der Umweltfaktoren Wasser, Luft und Boden ein. Hierbei werden Entwicklungen aufgezeigt und mögliche Verbesserungs- bzw. Steuerungsmaßnahmen diskutiert. Der zweite Teil beginnt mit einem kurzen Abriss über die historischen Entwicklungen des Umweltschutzes in China. Daran anschließend werden Umweltschutzorganisationen vorgestellt und die aufkeimende Umweltschutzbewegung, die in westlichen Medien zumeist keine große Aufmerksamkeit erfährt, porträtiert. Im dritten Teil schließt sich eine Untersuchung über das Umweltbewusstsein in China an. Durch die Kooperation mit der Beijing-Normal-University in Beijing – im Rahmen einer Exkursion der Universität Würzburg im September 2006 – war es möglich, eine Befragung durchzuführen, deren Ergebnisse unter 4. ausführlich dargestellt und im Vergleich mit den Ergebnissen deutscher Studien über Umweltbewusstsein diskutiert werden. Die Frage nach dem Umweltbewusstsein bezieht ihre Relevanz aus der Annahme, dass Veränderung nur stattfindet, wenn ein Problembewusstsein vorhanden ist. Besondere Beachtung verdient hierbei der Umstand, dass die Informationspolitik des Landes noch immer mangelhaft erscheint. Hypothese ist, dass sich trotz dieser Gegebenheiten in der Bevölkerung ein breites Bewusstsein für die prekäre Lage der Umwelt durchsetzen konnte.
Der letzte Teil schließt mit einer didaktischen Aufarbeitung des Themenkomplexes Umweltschutz und -verschmutzung in China, die dem Lehrer eine Hilfe zur Vorbereitung einer Unterrichtseinheit an die Hand gibt. Anhand ausgewählter Beispiele werden Unterrichtsmaterialien für die Diskussion verschiedener Fragestellungen erarbeitet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Die Natur versteht keinen Spaß
1.1 Ziel und Aufbau der Arbeit
1.2 Vorgehen/Methodik
1.3 Definitionen
1.4 Aktualität und Relevanz
2 Chinas Umweltzerstörung – Ursachen und Entwicklungen
2.1 Die Ausgangssituation – Wirtschaftswachstum, Ressourcenvorkommen und Bevölkerung
2.2 Die ökologische Krise in China
2.2.1 Wasser – verschmutzt und knapp
2.2.1.1 Wasserknappheit
2.2.1.2 Wasserverschmutzung
2.2.1.3 Gesundheitliche Folgen der Wasserverschmutzung
2.2.2 Luft zum Atmen?
2.2.2.1 Gesundheitliche Folgen der Luftverschmutzung
2.2.3 Boden: Nur so gut wie seine Umwelt
2.3 Eigene Eindrücke
2.4 Auswege aus der Krise – Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation
3 Umweltschutz
3.1 Die historische Entwicklung des Umweltschutzes in China: Schritte der Regierung
3.1.1 Kampagnen und administrative Maßnahmen
3.1.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
3.1.3 Die Kräfte des Marktes
3.2 Die Verwaltungsstrukturen des Umweltschutzes
3.2.1 The State Environmental Protection Administration (SEPA)
3.2.2 The National People’s Congress / Der nationale Volkskongress (NPC)
3.2.3 Der chinesische Staatsrat
3.2.4 Weitere Ministerien und Behörden
3.2.5 Die Lokalbehörden
3.3 Umweltschutz in Nichtregierungs-Organisationen
3.3.1 NGOs und GONGOs
3.3.1.1 Die Gründe des plötzlichen Anwachsens
3.3.1.2 Vorschriften für Nichtregierungs-Organisationen: Der schwere Weg zur Legalität
3.3.1.3 Spezialfall GONGOs
3.3.1.4 Getarnte Organisationen
3.3.2 Studentische Umweltschutzorganisationen
3.3.3 Internetgestützte Umweltschutzorganisationen
3.3.4 Die zukünftige Entwicklung
4 Umweltbewusstsein
4.1 Definition Umweltbewusstsein und Begriffsdiskussion
4.2 Vorbemerkungen zur Untersuchung
4.3 Ergebnisse der Studie
4.3.1 Lebensqualität/Wohnen
4.3.2 Relevanz des Umweltproblems
4.3.3 Wahrnehmung der Umweltqualität / Klimaschutz
4.3.4 Umwelteinstellungen
4.3.5 Verkehr/Mobilität
4.3.6 Umweltbelastungen / Gesundheit
4.3.7 Informationsverhalten
4.4 Ergebnisse anderer Studien
4.5 Zusammenfassung
5 Didaktische Anregungen und Materialien
5.1 Grundlagen: Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung
5.2 Umweltverschmutzung – Wasser
5.3 Umweltverschmutzung – Luft
5.4 Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), Kyoto-Protokoll, Nachhaltige Entwicklung
5.5 Regenerative Energien: Der Drei-Schluchten-Staudamm
5.6 Zukunftsszenarien
Anhang: Fragebögen
A.1 Fragebogen zu Kapitel 4 (deutsch)
A.2 Fragebogen zu Kapitel 4 (englisch)
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung: Die Natur versteht keinen Spaß.
Die Natur versteht keinen Spaß. (Johann Wolfgang von Goethe)
Die Volksrepublik China wandelt sich von einem kommunistischen zu einem kapitalistischen Staat. Der damit einhergehende wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre hat deutliche Auswirkungen gehabt – zum einen auf das Bruttoinlandsprodukt, die Einkommen und die Anzahl der Menschen, die in Armut leben, zum anderen aber auch auf die Umwelt, die natürlichen Ressourcen, die Lebensgrundlage vieler.
1.1 Ziel und Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Veränderungen der natürlichen Umwelt und deren Konsequenzen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der Umweltproblematik in China zu vermitteln und so didaktisch aufzuarbeiten, dass eine Umsetzung im Unterricht erleichtert wird. Der erste Teil geht ausführlich auf die Zerstörung und aktuelle Situation der Umweltfaktoren Wasser, Luft und Boden ein. Hierbei werden Entwicklungen aufgezeigt und mögliche Verbesserungs- bzw. Steuerungsmaßnahmen diskutiert. Der zweite Teil beginnt mit einem kurzen Abriss über die historischen Entwicklungen des Umweltschutzes in China. Daran anschließend werden Umweltschutzorganisationen vorgestellt und die aufkeimende Umweltschutzbewegung, die in westlichen Medien zumeist keine große Aufmerksamkeit erfährt, porträtiert. Im dritten Teil schließt sich eine Untersuchung über das Umweltbewusstsein in China an. Durch die Kooperation mit der Beijing-Normal-University in Beijing – im Rahmen einer Exkursion der Universität Würzburg im September 2006 – war es möglich, eine Befragung durchzuführen, deren Ergebnisse unter 4. ausführlich dargestellt und im Vergleich mit den Ergebnissen deutscher Studien über Umweltbewusstsein diskutiert werden. Die Frage nach dem Umweltbewusstsein bezieht ihre Relevanz aus der Annahme, dass Veränderung nur stattfindet, wenn ein Problembewusstsein vorhanden ist. Besondere Beachtung verdient hierbei der Umstand, dass die Informationspolitik des Landes noch immer mangelhaft erscheint. Hypothese ist, dass sich trotz dieser Gegebenheiten in der Bevölkerung ein breites Bewusstsein für die prekäre Lage der Umwelt durchsetzen konnte.
Der letzte Teil schließt mit einer didaktischen Aufarbeitung des Themenkomplexes Umweltschutz und -verschmutzung in China, die dem Lehrer eine Hilfe zur Vorbereitung einer Unterrichtseinheit an die Hand gibt. Anhand ausgewählter Beispiele werden Unterrichtsmaterialien für die Diskussion verschiedener Fragestellungen erarbeitet.
1.2 Vorgehen/Methodik
Die beiden Hauptaspekte Umweltzerstörung (Kapitel 2) und Umweltschutz (Kapitel 3) stützen sich auf eingehende Literaturrecherchen sowie persönliche Eindrücke vor Ort, wobei aufgrund der Aktualität des Themas verstärkt auf Fachzeitschriften zurückgegriffen wurde. Für die Untersuchung des Umweltbewusstseins in Kapitel 4 wurde eigens ein Fragebogen entwickelt, der im Anhang vollständig, sowohl auf Deutsch als auch Englisch, wiedergegeben ist. Die Befragung fand zum einen während eines Aufenthaltes in China im September 2006 und zum anderen unter in Deutschland lebenden Chinesen statt. Für die didaktische Aufarbeitung in Kapitel 5 schließlich wurden Materialien – wie beispielsweise Kopiervorlagen – eigenständig erstellt.
1.3 Definitionen
Umweltschutz:
Umweltschutz ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, welche die Umwelt vor nachteiligen, durch die Tätigkeit des Menschen bedingten Veränderungen schützen und dadurch den Menschen dauerhaft eine lebenswerte Umwelt erhalten soll.[1]
Das englische „environmentalism“ bezeichnet gleichermaßen den Umweltschutz wie die Umweltschutzbewegung. Peter Ho versteht hierunter gemeinsame freiwillige Aktivitäten, um die Umwelt zu schützen. Durch das „-ism“ wird angedeutet, dass es sich hierbei um Überzeugungen und Werte handelt, in diesem Fall die Erhaltung der Erde und die Entwicklung der Menschheit[2].
Umweltbewusstsein:
Unter Umweltbewusstsein definiert der Sachverständigenrat für Umweltfragen die „Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst, verbunden mit der Bereitschaft zur Abhilfe“.[3]
Diese Begriffsbestimmung ist auch heute noch aktuell, wurde aber inzwischen differenziert. Heute werden verschiedene Komponenten des Umweltbewusstseins unterschieden – an vorderster Stelle Umweltwissen, Umwelteinstellungen, Umweltverhalten und Verhaltensintentionen:
- Umweltwissen beschreibt den Kenntnis- und Informationsstand einer Person über Umwelt und Natur, über Trends und Entwicklungen in ökologischen Aufmerksamkeitsfeldern.
- Unter Umwelteinstellungen werden neben Einstellungen zu Fragen des Umweltschutzes im engeren Sinne auch Ängste, Empörung, Zorn und Betroffenheit sowie persönliche Grundorientierungen und auf die Umwelt bezogene Werthaltungen verstanden.
- Mit Umweltverhalten wird das individuelle Verhalten in relevanten Alltagssituationen bezeichnet.
- Davon zu unterscheiden sind Handlungsbereitschaft und Verhaltensintentionen, das heißt Bekundungen, sich in Zukunft so und nicht anders verhalten zu wollen.
Der wissenschaftliche Begriff Umweltbewusstsein umfasst in der Regel alle genannten Komponenten, während in der politischen Diskussion üblicherweise lediglich eine Unterscheidung von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten vorgenommen wird. Es wird also zwischen Wissen, Einstellungen sowie Verhaltensintentionen einerseits und dem tatsächlichen Umwelthandeln andererseits unterschieden.[4]
Eine ausführliche Diskussion des Begriffs Umweltbewusstsein findet sich unter 4.1.
1.4 Aktualität und Relevanz
Dank des beispiellosen chinesischen Wirtschaftsaufschwungs – zweistellige Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts seit mehr als zehn Jahren – und vor allem auch aufgrund seiner gewaltigen Größe – im Jahr 2005 lebten rund 1.300.000.000 Menschen in China[5], das entspricht rechnerisch jedem fünften Bewohner dieses Planeten – erfährt das Land eine hohe Aufmerksamkeit. Die Medienpräsenz ist beeindruckend. So lassen sich für den zurückliegenden Zweijahreszeitraum allein in der Süddeutschen Zeitung 1243, in Die Zeit 1116 und im Spiegel 444 Beiträge über China zählen. Chinas Weg zum Kapitalismus eröffnet viele spannende Einblicke und wirft gleichzeitig Fragen auf. Die Probleme, die möglicherweise andere Entwicklungsländer betreffen, potenzieren sich in China zu gewaltigen Ausmaßen. Trotz eines noch niedrigen Energieverbrauchs pro Einwohner und einer geringen Kfz-Dichte, ist China bereits der zweitgrößte CO2-Emittent der Welt. Im Hinblick auf Schlagworte wie Klimawandel, Erwärmung der Erde, Treibhauseffekt, Kyoto-Protokoll, natürliche Ressourcen, nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz dürfen solche Entwicklungen selbstverständlich nicht unberücksichtigt bleiben. Durch die starken Kontraste zwischen der dicht besiedelten, zum Teil hoch entwickelten Küstenregion und den weiten, oftmals stark landwirtschaftlich geprägten Teilen des Hinterlandes, wird die Frage nach der Definition eines Entwicklungslandes besonders spannend. Auch die Frage der Vorrangigkeit von Wirtschaftswachstum oder Umweltschutz wird durch das enorme Tempo des Aufstiegs extrem zugespitzt. Die Notwendigkeit, die Natur zu schützen, die in China besonders deutlich wird, wirft aber immer auch Fragen nach der Legitimität eines Beraters oder gar Gesetzgebers auf, der für sich bestimmte Privilegien oder Vorrechte beansprucht. Die Annahme, dass die Welt nicht die Kapazität hat, alle Menschen auf dem Konsumniveau der heutigen westlichen Länder zu tragen, impliziert Fragen, die gleichsam jeden betreffen.
Für den Geographie-Unterricht sind sowohl die Volksrepublik China als auch der Umweltschutz von großer Bedeutung. In den neuen Lehrplänen des achtjährigen Gymnasiums in Bayern (G8) beispielsweise finden sich diese beiden Komplexe gleich mehrfach. Im fünften sowie siebten Jahrgang sind jeweils die Maßnahmen und Bedeutung des Natur- und Umweltschutzes aufgeführt. In der achten Klasse sieht der Lehrplan den Erwerb von Grundwissen über einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und Ansätze einer nachhaltigen Entwicklung vor. Weiterhin sollen Merkmale und Probleme von Entwicklungsländern thematisiert werden. Der Jahrgang zehn schließlich (Lehrpläne für die Oberstufe liegen aktuell noch nicht vor) führt explizit den topographischen und naturräumlichen Überblick über China auf. Darüber hinaus können aber auch die Ursachen und Folgen von Bevölkerungsentwicklungen, Entwicklungswege und -probleme von Ländern unterschiedlichen Entwicklungsstands, wirtschaftliche Strukturen und Prozesse in Wirtschaftsmächten des asiatischen und pazifischen Raumes, Kennzeichen und Folgen der Globalisierung und nachhaltige Entwicklung hervorragend am Beispiel Chinas problematisiert werden.[6]
Die Thematik der Umwelt in China nimmt also sowohl hinsichtlich des öffentlichen Lebens als auch im Rahmen der derzeitigen Lehrpläne einen hohen Stellenwert ein.
2 Chinas Umweltzerstörung – Ursachen und Entwicklungen
“Wir werden nicht aus Angst vor dem Ersticken das Essen aufgeben, nicht aus Angst vor Verunreinigung der Umwelt darauf verzichten, unsere Industrie zu entwickeln.”[7]
Die Folgen dieses offiziellen Standpunkts der chinesischen Regierung zur Umweltpolitik holen das bevölkerungsreichste Land der Welt nun ein. So titelt beispielsweise der Spiegel: „Genug Dreck für alle – Luftverpestung, verschmutzte Gewässer, Abfallberge: Die ökologische Lage in China ist desolat.“[8] Und auch von offizieller Seite wird Kritik laut. So äußerte der stellvertretende Umweltminister Pan Yue kürzlich gegenüber dem Handelsblatt die Einsicht: „China steckt in der Umweltkrise, wir dürfen uns da nichts vormachen. Wenn China keine Maßnahmen ergreift, wäre das katastrophal.“[9] Im Folgenden werden die Situation der Umwelt und deren Auswirkung auf die Bevölkerung näher beleuchtet. Neben den zugänglichen Fakten fließen auch persönliche Eindrücke während eines Aufenthaltes in China im September 2006 ein. Es schließt sich ein Ausblick auf mögliche Gegenmaßnahmen an.
2.1 Die Ausgangssituation – Wirtschaftswachstum, Ressourcenvorkommen und Bevölkerung
Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren vom Wirtschaftswunder China gesprochen. Seit der Umstrukturierung des Wirtschaftssystems 1978 boomt die chinesische Wirtschaft. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen seit Jahren bei knapp zehn Prozent (vergleiche Abb.1).
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Abbildung 1: Bruttoinlandsprodukt Chinas 1996 – 2006. Quelle: Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai), Köln.
Doch die Folgen der Industrialisierung und des steigenden Energieverbrauchs sind nicht zu übersehen. Die Kosten für die damit einhergehende Umweltverschmutzung und -zerstörung kompensieren inzwischen die Wachstumsgewinne. Sternfeld und von Waldersee schätzen diese mit Bezug auf Angaben der Weltbank für 2005 auf acht bis zwölf Prozent des BIP.[10] Laut Nachrichtenagentur Xinhua schluckt die Umweltdegradierung in den zehn westlichen Provinzen etwa 13 Prozent des BIP beziehungsweise 15 Milliarden Euro.[11] Das scheinbare Wirtschaftswunder relativiert sich damit erheblich.
Gleichzeitig zur Wirtschaft wuchs auch die Bevölkerung. Waren es bei der Gründung der Volksrepublik China 1949 noch 450 Millionen Menschen, so erreichte die Bevölkerung 2005 1,3 Milliarden Menschen.[12] Damit ist statistisch gesehen jeder fünfte Mensch auf diesem Planeten chinesischer Staatsbürger.
Die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung macht Prognosen über ein weiteres Ansteigen der Bevölkerungszahl möglich, sodass vorerst keine Trendwende in Sicht ist.
Wie groß der Bevölkerungsdruck ist, wird aus den folgenden Zahlen deutlich: Von den 9,6 Millionen Quadratkilometern des chinesischen Staatsgebietes ist ein Drittel nicht bewohnbar. Innerhalb der letzten 50 Jahre verschwand durch Raubbau und Bodenerosion ein weiteres Drittel. Der bewirtschaftbare Boden pro Person verringerte sich dadurch von durchschnittlich 13.333 m2 auf 2.307 m2, eine Reduktion um 83 Prozent. Die Bevölkerungsdichte ist heute dreimal so hoch wie die des Weltdurchschnitts, während die natürlichen Ressourcen nur die Hälfte dessen erreichen. Nach Faktoren aufgeschlüsselt ergibt sich damit eine mittlere Menge nutzbaren Bodens pro Person, die der Hälfte des Weltdurchschnitts entspricht, die Wasserressourcen erreichen nur ein Viertel und der Süßwasserverbrauch gar nur ein Sechstel.
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Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung Chinas 1980 bis 2015. Quelle: UN
Berechnet man die Tragfähigkeit der Umwelt Chinas, so ergibt sich auf der Basis des Süßwassers eine Kapazität von 320 Millionen Personen; zieht man das kultivierbare Land als Maßstab heran, sind es nur 260 Millionen und in Bezug auf bewaldete Fläche sogar nur 170 Millionen Personen, die auf Dauer versorgt werden können.[13]
Trotz der äußerst knappen Ressourcen ist der Umgang mit ihnen verschwenderisch. So ist die Ressourceneffizienz des Landes etwa viermal geringer als die Deutschlands und sogar siebenfach unter der Japans,[14] das heißt bei der Herstellung einer Einheit BIP wird etwa siebenmal soviel Energie verbraucht.
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Abbildung 3: Energieintensitäten 1970 – 2015, USA und China im Vergleich. Quelle: Energy Information Administration, International Energy Outlook 1997. Anmerkung: 1 BTU = 1.055 Joule
Abbildung 4: Energieintensitäten 1980 – 2000 asiatischer Länder im Vergleich in BTU pro US-Dollar Bruttoinlandsprodukt. Quelle: Energy Information Administration (2004): World Energy Use, 1980-2001. Online: http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/carbonemiss/chapter4.html
Unter Ressourceneffizienz versteht man das Verhältnis eines Nutzens zu dem Aufwand, der zur Erreichung des Nutzens nötig ist, also das Verhältnis von erwirtschafteten Produkten oder Dienstleistungen zu den dafür benötigten Ressourcen. Eine geringe Ressourceneffizienz bedeutet also, dass relativ viele Ressourcen zur Herstellung einer wirtschaftlichen Einheit verbraucht werden. Der in den folgenden Graphiken verwendete Begriff der Energieintensität beschreibt gerade das umgekehrte Verhältnis, also den benötigten Aufwand in Energieeinheiten pro Einheit des Bruttoinlandsproduktes. Eine geringe Ressourceneffizienz entspricht also einer hohen Energieintensität.
Die erhöhte Effizienz Chinas, die dennoch auf einem relativ niedrigen Niveau verbleibt, ist vor allem auf verbesserte Fabriken und Kraftwerke zurückzuführen. Gründe sind in der Einführung marktorientierter Anreize zu suchen.
2.2 Die ökologische Krise in China
Die Situation der Umwelt in China stellt sich katastrophal dar. Doch was heißt das im Einzelnen? Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die drei Felder Luft, Wasser und Boden; hierbei werden nicht nur die aktuellen Missstände beschrieben, sondern auch Gründe für die Entwicklungen aufgezeigt.
2.2.1 Wasser – verschmutzt und knapp
Auf der ganzen Welt
Gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser.
Und doch, in der Art,
wie es dem Harten und Starken zusetzt,
kommt nichts ihm gleich.
Denn nichts kann es verändern.
Dass Schwaches das Starke und Weiches das Harte besiegt,
weiß jedermann auf Erden,
nur vermag niemand danach zu handeln.[15]
Diese Zeilen von Laotse erscheinen uns heute in einem anderen Licht. Wasser kann verändert werden. Aber dass wir Menschen auf das weiche Nass zum Leben angewiesen sind, mag wohl niemand bestreiten.
2.2.1.1 Wasserknappheit
Wasser ist knapp in China. Das Pro-Kopf-Wasservorkommen liegt 25 Prozent unter dem Weltdurchschnitt. Stehen heute noch jedem Einwohner Chinas 2.200 m3 zur Verfügung, so werden es 2030 nur noch weniger als 1.700 m3 sein, was der Definition der Weltbank für ein wasserarmes Land entspricht.[16] Im Norden des Landes stellt sich die Situation noch drastischer dar. Die durchschnittlichen Wasserreserven liegen dort bei nur 750 m3 pro Person,[17] das entspricht nur einem Zehntel des globalen Mittels.[18] Die geschätzte Zahl von Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, liegt zwischen 350 Millionen (SEPA: State Environmental Protection Administration) und 700 Millionen (Weltbank) und ist in beiden Fällen gleichermaßen erschreckend.[19] Laut Stockholm Environment Institute und UNDP müssen 700 Millionen Menschen in China mit tierischem oder menschlichem Abfall verschmutztes Wasser trinken, das die maximal erlaubten Werte für fäkale Kolibakterienkonzentration um bis zu 86 Prozent überschreitet.[20] 1996 erfüllten nur sechs der 27 größten Städte Chinas die Standards der Regierung für Trinkwasser, beim Grundwasser erreichten diese 23 Städte nicht.[21]
Größter Wasserverbraucher ist die Landwirtschaft, die 80 Prozent des Wassers verschlingt (bzw. 65 Prozent[22] ), doch auch der Verbrauch der Industrie und der privaten Haushalte hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung für das Zhang-He-Bewässerungsgebiet: Wachsende Nachfrage und sich verschärfende Konkurrenz mit dem industriellen Sektor und dem Haushaltsbereich führen zu einem Absinken des für die landwirtschaftliche Bewässerung bereitgestellten Wasseranteils, da in den beiden letztgenannten Bereichen die Gewinnspanne pro Wassereinheit viel höher liegt.
Der wasserarme Norden, dem nur 24 Prozent der Ressourcen zur Verfügung stehen, produziert dennoch Getreide in einem Umfang von 45 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts.[23]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Zhang He-Bewässerungsgebiet, Provinz Hubei, China. Quelle: UN World water report
Trotz der Knappheit wird das Wasser dennoch nicht effizient eingesetzt. So lag 2002 der Wasserverbrauch pro 10.000 US-Dollar-Einheit des Bruttoinlandsprodukts bei 538 m3; das entspricht viermal dem Weltdurchschnitt und sogar zehn- bis zwanzigmal dem Verbrauch in den Industrieländern.[24] Großen Anteil an der Verschwendung trägt die Bewässerungslandwirtschaft, die auf Grundwasserressourcen zurückgreift und bei der hohe Sickerverluste die Regel sind.[25] Die Wasserknappheit hat harte ökonomische Einbußen zur Folge. Die geschätzten Kosten für agrarische Verluste durch Wasserknappheit und Verschmutzung liegen zwischen 24 Milliarden (Weltbank) und 8,2 Milliarden US-Dollar (Chinesische Medien).[26] Von den 640 größten Städten in China sind 400 mit Wassermangel konfrontiert, der Verlust im industriellen Sektor lag 2003 bei 28 Milliarden US-Dollar.[27]
Besonders augenfällig wird der Wassermangel am Gelben Fluss, der seit Mitte der neunziger Jahre bis zu 200 Tage im Jahr nicht mehr das Meer erreicht.[28] 1997 stellte dabei ein besonderes Dürrejahr dar, in dem der Fluss auf den letzten 700 km für 226 Tage trocken fiel, auf den letzten 136 km gar für 330 Tage nicht das Meer erreichte.[29]
Nach Schätzungen der Amerikanischen Botschaft in Beijing könnten durch Wassersparmaßnahmen 100 bis 200 Milliarden m3 Wasser pro Jahr gespart werden, was den Wasserverbrauch um ein Viertel senken würde.[30] Allein der Verlust beim Transport durch undichte Leitungen beträgt 25 Prozent des beförderten Wassers, im Vergleich zu neun Prozent in Japan.[31] Solche Maßnahmen könnten den Bau von weiteren Staudämmen erübrigen, die immer wieder sehr umstritten sind und schon mehrfach zu Protesten führten. In China befinden sich mehr als die Hälfte aller Dämme weltweit, mit 17 Prozent gestautem Wasser ist das Land global führend.[32],[33] Schon Mark Twain wusste: „Whisky is for drinkin’ and water is for fightin’. “ So wurden dem Ministerium zwischen 1990 und 2003 mehr als 120.000 Verteilungskonflikte im Zusammenhang mit Wasser gemeldet. 2004 nahmen 3,76 Millionen Chinesen an mehr als 74.000 Protesten teil.[34]
Und die Situation wird sich weiter zuspitzen. Zwischen 1980 und 2000 stieg der Wasserverbrauch der städtischen Bevölkerung um 150 Prozent von unter 100 auf 244 Liter,[35] während er sich laut dem Bundesverband für Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland zwischen 1990 und 2003 um zwölf Prozent verringert hat und bei 130 Litern liegt.[36] Der verschwenderische Umgang ist vor allem durch stark subventionierte Preise zu erklären. Der gesamte Wassermangel in China wird auf 30 bis 40 Milliarden Kubikmeter geschätzt.[37]
Auf die Folgen für den Boden, wie Desertifikation, geht Abschnitt 2.2.3 ein.
2.2.1.2 Wasserverschmutzung
Doch das Wasser ist in China nicht nur knapp, sondern teilweise auch stark verschmutzt. Das hat inzwischen auch die Regierung erkannt. So äußerte sich der stellvertretende Umweltminister Pan Yue gegenüber dem Handelsblatt: „90 Prozent aller Flüsse, die durch Städte fließen, sind sehr verschmutzt, […] das Wasser ist nur zum Teil noch als Trinkwasser nutzbar.“[38] Laut SEPA sind etwa 75 Prozent des Wassers in den sieben wichtigsten Flusssystemen des Landes so stark verschmutzt, dass sie nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet sind. Die Wasserqualität der inländischen Süßwasserseen und künstlichen Trinkwasserreservoirs ist nur zu 7,5 Prozent akzeptabel. Die folgende Abbildung zeigt den Verschmutzungsgrad von 135 überwachten Flüssen in China 1995 an:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: The World Bank, Clear Water, Blue Skies: China’s Environment in the New Century (The World Bank, Washington D.C., 1997), p. 14
Dabei ist zu beachten, dass Grad 4 und 5 nicht mehr für den menschlichen Kontakt geeignet erscheinen und sogar für die Landwirtschaft nicht mehr zu nutzen sind. Da die Schwerindustrie vorwiegend im Norden des Landes konzentriert ist, sind die Flüsse dort stärker verschmutzt. Es wurden jedoch bereits Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern. 2005 war ein leichter Anstieg der Qualität von Chinas Oberflächengewässern zu erkennen: Von den 413 Kontrollpunkten für die Qualität der Oberflächengewässer der sieben Flusseinzugsgebiete des Landes entsprachen 2005 41,6 Prozent der staatlichen Norm der dritten Klasse, ein Anstieg um 3,5 Prozentpunkte gegenüber 2003, 30,5 Prozent der Norm der vierten bzw. fünften Klasse, ein Rückgang um 1,7 Prozentpunkte, 27,9 Prozent der Norm unterhalb der fünften Klasse, eine Abnahme um 1,8 Prozentpunkte. Die Wasserqualität des Perlflusses und des Jangtse-Flusses war relativ gut, während die des Haihe-Flusses, des Liaohe-Flusses, des Gelben Flusses, des Huaihe-Flusses und des Songhuajiang-Flusses relativ schlecht war.[39] Die folgende Abbildung zeigt die Qualität der sieben größten Flüsse im Jahr 2004:
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Abbildung 7: Wasserqualität in Chinas Flüssen. Quelle: State Environmental Protection Administration.
Problematisch ist auch die Situation des Grundwassers. Die Hälfte der 660 statistisch erfassten Städte in China leidet unter stark verschmutztem Grundwasser. In rund 400 Städten wird das Grundwasser schneller genutzt als sich neues bilden kann, sodass der Grundwasserspiegel stetig sinkt.[40] Abbildung 8 auf der folgenden Seite zeigt die Folgen der Grundwasserabsenkung in Beijing: Seit 1965 fiel der Wasserspiegel um etwa 59 Meter.
Grund der Verschmutzung ist die ungenügende Klärung der Abwässer. Zwischen 1980 und 2003 verdoppelte sich die Menge an Haushalts- und Industrieabwässern auf 69 Milliarden Kubikmeter. Ein Drittel der industriellen und zwei Drittel der Haushaltsabwässer werden ungeklärt in Gewässer eingeleitet.[41],[42] China ist der weltweit größte Konsument von synthetischem Nitrogen-Dünger.[43]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Grundwasserabsenkung in Beijing und Umland, Schnitt durch das Stadtzentrum, von West nach Ost. Quelle: Nickum, 1994, online: http://www.federationofscientists.org/PMPanels/WaterResources.asp
1995 gab es landesweit nur 100 Klärwerke, bis 2003 erhöhte sich diese Anzahl auf 511 kommunale Klärwerke.[44] Nach Schätzungen wären aber rund 10.000 Klärwerke (Investitionsvolumen 48 Milliarden US-Dollar) nötig, um landesweit 50 Prozent der Abwässer umweltgerecht zu entsorgen. Zwar wurde 1996 auf der Vierten Nationalen Konferenz für Umweltschutz in Beijing das Gesetz gegen Wasserverschmutzung erlassen, das für jede Siedlung über 500.000 Einwohner eine Kläranlage vorschreibt, doch geht die Umsetzung nur schleppend voran. So verfügte die Provinz Sichuan (86 Millionen Einwohner) 2003 lediglich über 12 städtische Klärwerke mit einer Gesamtkapazität von 780 000 m3 pro Tag. In der Provinz Jingxi steht 42 Millionen Einwohnern sogar lediglich ein einziges Klärwerk zur Verfügung.[45] Viele Industriebetriebe zahlen lieber die Strafen der Regierung, als die Reinigungsanlagen zu verwenden, da die Kosten für erstere oft unter denen für die Reinigung liegen. Trotzdem wurden bei der Klärung von Abwässern über die letzten Jahre kontinuierlich Fortschritte erzielt, so zeigt die untenstehende Graphik die Aufbereitungsrate für städtisches Abwasser:
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Abbildung 9: Aufbereitungsrate des Abwassers in den Städten Chinas. Online: http://www.china.org.cn/german/ger-sz2005/hb/hb.htm
Im Jahr 2004 betrug die Tageskapazität für die Aufbereitung des städtischen Abwassers 74 Millionen Kubikmeter, ein Plus von 12 Prozent gegenüber 2003, und die Aufbereitungsrate für das städtische Abwasser 44 Prozent, ein Anstieg um 2 Prozentpunkte.[46]
Abbildung 10 zeigt die Abwasserinfrastruktur für das Jahr 2001 nach Städten aufgegliedert. Die Angaben sind in Tonnen pro 100 Einwohner täglich gemacht. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Versorgung sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.
Weitere Gründe für die Verschmutzung des Wassers sind neben den ungeklärten Abwässern und der Überdüngung der exzessive Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie das Versickern von industriellen und häuslichen Abwässern durch defekte Abwasserleitungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Daily disposal capacity of sewage systems in tons per 100 city inhabitantsSource: UN - China Statistical Yearbook, 2002, Table 11-09, S. 623
2.2.1.3 Gesundheitliche Folgen der Wasserverschmutzung
Die gesundheitlichen Folgen sind schwer abzuschätzen. Magen- und Darmerkrankungen sind weit verbreitet. Sie werden durch verschmutztes Wasser übertragen. Auch Leberkrebs wird überdurchschnittlich oft diagnostiziert (20,4 Fälle pro 100.000 im Landesdurchschnitt) und steht im Verdacht, mit der Wasserschmutzung zusammenzuhängen. Die Leberkrebstodesrate in China ist die höchste der Welt. In vielen Gebieten werden chronische Krankheiten beobachtet, die auf zu hohe Belastungen des Trinkwassers mit Arsen, Fluor oder anderen Elementen zurückgeführt werden.[47] Gerade bei industriellen Abwässern spielen auch Petroleum, Cyanide, Lösungsmittel und andere Schwermetalle eine entscheidende Rolle.[48]
2.2.2 Luft zum Atmen?
Luftverschmutzung zählt zu den größten Problemen Chinas. Von den 20 Städten, die weltweit die höchste Luftverschmutzung aufweisen, liegen allein 16 in China. In rund 200 chinesischen Großstädten werden die WHO-Standards für Luftqualität nicht erreicht.
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Abbildung 11: Städtische Luftverschmutzung aus globaler Perspektive. Quelle: Lvovsky, Kseniya et al. (2000): Environmental Costs of Fossil Fuels: A Rapid Assessment Method with Application in Six Cities, Environment Department Papers NO. 78, The World Bank.
In Graphik 12 ist die Belastung der Luft einzelner Städte wiedergegeben. 1995 überschritten mehr als die Hälfte der 88 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überwachten Städte in China die Grenzwerte für SO2-Konzentration. Bis auf zwei Ausnahmen überschritten alle Städte die Richtlinie für die Konzentration von Schwebstoffen (TSP). In einigen Städten wie beispielsweise Taiyuan oder Lanzhou erreichten die gemessenen SO2-Konzentrationen fast das Zehnfache des Richtwertes.[49]
Megacities wie Beijing, Shanghai oder Guangzhou sind regelmäßig unter den Städten mit der weltweit höchsten Belastung durch Feinstaub.[50] 2004 erreichten laut SEPA 70 Prozent von 360 überwachten Städten nicht die nationalen Luftqualitätsstandards (NAAQS) und fast 75 Prozent der städtischen Bevölkerung waren regelmäßig einer Luft ausgesetzt, die als nicht geeignet für bewohnte Gegenden bezeichnet werden muss.[51]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12: Schwebstoffkonzentration in ausgewählten Städten. WHO-Richtlinie: 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Quelle: The World Bank (1997): Clear Water, Blue Skies: China’s Environment in the New Century. Figure 1.1, S.6, Washington D.C.
Hauptursache ist neben dem steigenden Verkehrsaufkommen das Verbrennen von sehr schwefel- und aschehaltiger Kohle. Viele Industrieanlagen und Kohlekraftwerke sind veraltet, die wenigsten (nur etwa fünf Prozent) wurden mit Elektrofiltern ausgestattet. In Nordchina kommen spezifische Probleme durch Blockheizkraftwerke und individuelle Heizungen hinzu, die mit Kohle gefeuert werden und auch innerhalb der Häuser zu einer schlechten Luftqualität beitragen. Kohle ist der größte Energielieferant Chinas. Durch die hohe Abhängigkeit von Kohle und Erdöl steigen die Kohlendioxid-Emissionen drastisch an. So ist China nach den USA schon heute der zweitgrößte CO2-Emittent der Welt.[52]
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Abbildung 13: Kohlendioxidemissionen der USA und China. Quelle: Energy Information Administration. International Energy Outlook 1997.
Ein weiteres Problem sind die unkontrollierten Kohlebrände. Durch brennende Kohleflöze gehen China pro Jahr rund 100 Millionen Tonnen Kohle verloren. Das entspricht der vierfachen Fördermenge von Steinkohle im Jahr 2004 in Deutschland. Man vermutet durch den immensen Ausstoß von Kohlendioxid und Methan einen erheblichen Beitrag zum Klimawandel. Das Löschen dürfte Jahre in Anspruch nehmen.[53]
Obwohl China immer noch relativ wenige Fahrzeuge pro Einwohner besitzt, steigt das Verkehrsaufkommen dennoch rapide an. In Beijing, der Stadt mit der höchsten Verkehrsdichte Chinas, wurden 2004 täglich im Schnitt 1300 Autos zugelassen.[54] Die folgenden Graphiken zeigen die Anzahl der Autos pro tausend Einwohner sowie den durchschnittlichen Energieverbrauch pro Person im Vergleich zu den USA, woraus ersichtlich wird, dass China relativ gesehen noch immer weit hinter solchen Industriestaaten zurückliegt.
Problematisch an der Verkehrsentwicklung – hin zum Auto und weg vom Fahrrad – ist außerdem der sich selbst verstärkende Effekt der Individualmotorisierung durch ein weiteres Abnehmen der Anzahl der Fahrradfahrer aufgrund der sehr schlechten Luft, die diese atmen müssen.
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Abbildung 14: Durchschnittlicher Energieverbrauch pro Person in den USA und China. Quelle: Energy Information Administration. International Energy Outlook 1997.
In den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Busses in Beijing noch etwa zehn Meilen pro Stunde (das entspricht 16 km/h). In den neunziger Jahren sank sie auf etwa fünf Meilen pro Stunden und liegt heute bei nur noch 2,5 Meilen pro Stunde, was in etwa vier Kilometern pro Stunde, also der durchschnittlichen Geschwindigkeit eines Fußgängers, entspricht.
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Abbildung 15: Anzahl der Autos pro 1000 Einwohner. Quelle: Energy Information Administration. International Energy Outlook 1997.
2004 war China der größte Hersteller und drittgrößte Konsument von Kraftfahrzeugen. Die Zuwachsrate von Autobesitzern liegt bei 19 Prozent pro Jahr.[55] Diese Entwicklungen kompensieren leider viele der Bemühungen um eine Erhöhung der Luftqualität.
2.2.2.1 Gesundheitliche Folgen der Luftverschmutzung
Die Luftverschmutzung in China wird für fast 50 Prozent aller Atemwegserkrankungen verantwortlich gemacht. Laut Angaben der UN Environmental Programme Statistics verursachen Ruß und Partikelverunreinigungen durch das Verbrennen von Kohle jährlich 50.000 Todesfälle in China.[56] Andere Quellen beziffern die Zahl der frühzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung auf 300.000.[57] In den elf größten Städten des Landes leiden 400.000 Menschen jährlich an chronischer Bronchitis. Die geschätzten Todesfälle durch Lungenkrebs in schwer verschmutzten Gebieten sind etwa fünf- bis neunmal so hoch wie in Gebieten mit hoher Luftqualität.[58]
Die folgenden Daten wurden dem Bericht der Weltbank von 1997 entnommen[59]:
Air Pollution’s Toll: Schätzung von Atemwegserkrankungen, die vermieden werden könnten, wenn die Luft Qualitätsstandards der Klasse 2 in China erreichen würde:
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Basierend auf aktuellen Verschmutzungsraten berechnet die Weltbank für 2020 Kosten von 390 Milliarden Dollar (das entspricht etwa 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Chinas) für Gesundheitsausgaben, die durch das Verbrennen von Kohle entstehen.[60]
Daneben kamen durch den Kohlebergbau 2004 mehr als 6.000 Bergleute ums Leben. Aufgrund fehlender Sicherheitsstandards sind rund drei Todesfälle auf eine Million Tonnen geförderte Kohle zu verzeichnen. In den USA liegt diese Quote zum Vergleich bei 0,03. China ist damit weltweit für 80 Prozent aller Todesfälle im Bergbau verantwortlich.[61]
2.2.3 Boden: Nur so gut wie seine Umwelt.
Die Bodenqualität hängt entscheidend von der den Boden umgebenden Umwelt ab. Die Verzahnung mit der Luft- und Wasserverschmutzung ist deshalb sehr eng. Niederschlagsmenge, Nutzung, Bewässerung und Vegetation beeinflussen ihn maßgeblich. In diesem Kapitel werden die Zusammenhänge und Folgen dargestellt.
Die Verteilung von nutzbarem Ackerland ist in China relativ ungünstig. Fast zwei Drittel des Territoriums bestehen aus Wüsten und Gebirgen über 1000 Metern, wo so gut wie kein Ackerbau möglich ist. Im übrigen Drittel übt die hohe Bevölkerungsdichte einen großen Druck auf die natürlichen Ressourcen aus. Infolge von Überweidung, Bodenversalzung, Erosion, Schäden durch Nagetiere und Ackerlandgewinnung sind bereits 90 Prozent der Graslandflächen von Degradierung unterschiedlichen Ausmaßes betroffen.[62]
Die bewaldete Fläche wird nicht nur aus Mangel an Acker- und Bauland reduziert, sondern auch durch einen wachsenden Holzbedarf. Die Entwaldung fördert die Erosion und Begleiterscheinungen wie Sedimentation der Flüsse und Überschwemmungen, Erdrutsche und die Absenkung des Grundwasserspiegels. Nach einer verheerenden Überschwemmung des Huanghe 1998 setzte bei der Regierung allmählich ein Umdenken ein. Die Abholzverbote führten jedoch zu steigenden Holzimporten, was letztendlich nur eine Verlagerung des Problems bedeutet.[63]
[...]
[1] Microsoft Encarta 2007
[2] Ho 2001, S. 898
[3] Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 1978, S. 445
[4] Kuckartz 2005, online
[5] Central Intelligence Agency 2006, online
[6] Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2006, online
[7] Vertreter der chinesischen Regierung 1972, S. 6 - 9
[8] Böcking 2006, S. 1
[9] Hoffbauer 2006, S. 1
[10] Sternfeld und von Waldersee 2005, S.3
[11] Xinhua 2005
[12] Tan 2006, S.33
[13] Tan 2006, S. 33
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[15] Laotse, In: Sharma 2000, Kap. 78
[16] Economy 2004
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[18] U.S.Department of Commerce 2005
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[22] Heymann 2006, S. 9
[23] Lohmar et al. 2003
[24] Economic Daily vom 08.08.2005
[25] Heymann 2006, S. 9
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[30] U.S.Embassy in Beijing 1997, Nickum 1998, S. 170
[31] Financial Times 1996, S. 5
[32] Tan 2006, S. 33
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[35] Guan und Hubacek 2004
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[37] Economic Daily vom 08.08.2005
[38] Pan Yue 2006, S. 1-2
[39] China Information Centre 2005, online
[40] SEPA 2004, online
[41] Economic Daily vom 21.12.2004
[42] China Environment Yearbook 2004, S. 532
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[44] China Environment Yearbook 1996, S. 215
[45] Sternfeld und von Waldersee 2005, S. 55
[46] China Information Centre 2005, online
[47] Sternfeld und Von Waldersee 2005, S. 55
[48] China Environment Yearbook 1997, S. 193
[49] National Environmental Protection Agency 1996, S. 5
[50] UNEP 2002, S. 34
[51] SEPA 1995-2004, S. 15
[52] Sternfeld und Von Waldersee 2005, S. 54-56
[53] Heymann 2006, S. 6
[54] Sternfeld und von Waldersee 2005, S. 54-56
[55] Autobesitzer in China (2005)
[56] UNEP 1999, online
[57] Wang et al. 2002, S. 15
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[59] The World Bank 1997, S.19
[60] World Bank 1997, S. 84
[61] Heymann 2006, S. 5
[62] Sternfeld und von Waldersee 2005, S. 53
[63] Sternfeld und von Waldersee 2005, S. 54