Nach einer Einführung in das Krankheitsbild der Demenz mit ihren verschiedenen Formen und Risikofaktoren werden Diagnoseformen der Krankheit durch Eigen- und Fremdanamnese vorgestellt sowie apparative diagnostische Verfahren aufgezeigt.
Im Anschluss werden Behandlungsmöglichkeiten dementer Menschen in Abhängigkeit des Schweregrades ihrer Erkrankung vorgestellt. Danach wird das weitere Vorgehen in der Klinik besprochen, um andere Erkrankungen sicher auszuschließen. Zum Schluss der Arbeit werden einige Empfehlungen im Umgang mit dementen Menschen in der häuslichen Pflege gegeben, um als pflegender Angehöriger optimal auf die Herausforderungen vorbereitet zu sein.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung
2. Krankheitsbild Demenz
2.1 Definition der Demenz
2.1.1 Primäre Demenz
2.1.2 Sekundäre Demenz
2.2 Klassifizierung der Demenz im ICD 10
2.3 Symptome und Verlauf
2.4 Anamnese und Diagnostik
2.5 Ursachen, Risiko- und Schutzfaktoren
2.6 Therapien
2.6.1 Nicht-pharmakologische Therapien
2.6.2 Pharmakologische Therapien
3. Betreuung durch Angehörige
4. Weiteres Vorgehen
4. Diskussion
6. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ADL-Training: activities of daily living
ICD 10: Die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
MMST: Mini-Mental-Status-Test
MMSE: Mini-Mental-State-Examination
EKG: Elektrokardiogramm
PET: Positronen-Emissions-Tomographie
RKI: Robert-Koch-Institut
BIZA-D: Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung-Demenz
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1, S. 6: Häufigkeit der Demenzen im Alter
Abb. 2, S. 7: bei Alzheimer-Demenz betroffene Neurotransmittersysteme
Abb. 3, S. 10: Prozentuale Häufigkeit verschiedener Demenzformen
Abb. 4, S. 16: verschiedene Therapieformen bei Demenz
1. Einleitung
Die Ausgangssituation stellt sich für den behandelten Arzt wie folgt dar: Die Ehefrau eines 72-jährigen Rentners berichtet, dass sich der Zustand ihres Mannes, den sie in die Klinik mitgebracht hat, seit zweieinhalb Jahren stetig verschlechtert: er verlegt ständig seine Autoschlüssel, hält Termine nicht ein, und ist oft erkennbar verwirrt. Die Namen von Freunden und Bekannten fallen ihm nicht mehr ein. Im Sommerurlaub hat er nicht mehr ins Hotel zurückgefunden und man fand ihn später in einem anderen Hotel sitzend. Die anschliessende körperliche Untersuchung zeigt keine Auffälligkeiten.
Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Rentners und der Fremdanamnese der Ehefrau liegt in diesem Fall wahrscheinlich eine Alzheimer Demenz Typ 1 mit spätem Beginn vor. Die Alzheimer Demenz und die vaskuläre Demenz sind die häufigsten Formen der Demenz. Aufgrund des späten Beginnes, der Patient zeigt Symptome erst seit dem 70. Lebensjahr, dem Ausbleiben von körperlichen Symptomen, wie Hemiplegie (halbseitige Lähmung, die auf einen Schlaganfall schließen lässt) und da ferner weder Alkoholabusus, eine Stoffwechselerkrankung oder eine Mangelernährung beschrieben werden, kann von einer Alzheimer-Demenz ausgegangen werden.
1.1 Zielsetzung
Nach einer Einführung in das Krankheitsbild der Demenz mit ihren verschiedenen Formen und Risikofaktoren werden Diagnoseformen der Krankheit durch Eigen- und Fremdanamnese vorgestellt, sowie apparative diagnostische Verfahren aufgezeigt. Im Anschluss werden Behandlungsmöglichkeiten dementer Menschen, in Abhängigkeit des Schweregrades ihrer Erkrankung, vorgestellt. Danach wird das weitere Vorgehen in der Klinik besprochen, um andere Erkrankungen sicher auszuschließen. Zum Schluss der Arbeit werden einige Empfehlungen im Umgang mit dementen Menschen in der häuslichen Pflege gegeben, um als pflegender Angehöriger optimal auf die Herausforderungen vorbereitet zu sein.
2. Krankheitsbild Demenz
2.1 Definition der Demenz
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Demenz in „Dementia: Public Health Priority“ (2012) folgendermaßen: „Dementia is a syndrome due to disease of the brain – usually of a chronic or progressive nature – in which there is disturbance of multiple higher cortical functions, including memory, thinking, orientation, comprehension, calculation, learning capacity, language, and judgement. Consciousness is not clouded. The impairments of cognitive function are commonly accompanied, and occasionally preceded, by deterioration in emotional control, social behaviour, or motivation. This syndrome occurs in a large number of conditions primarily or secondarily affecting the brain” (WHO 2012, S.7).
Die ICD 10 Kodierung für die Alzheimer Demenz ist der Schlüssel F00.1. Die Symptome beginnen bei diesem Krankheitsbild „ab dem 65. Lebensjahr, meist in den späten 70er Jahren oder danach, mit langsamer Progredienz und mit Gedächtnisstörungen als Hauptmerkmal“ (ICD 10 2020, S.156). Demenz wird auch im ICD 10 als Syndrom einer erworbenen, chronischen und progressiv verlaufenden Erkrankung der Hirnleistung, die zur Beeinträchtigung multipler höherer kortikaler Gehirnfunktionen führt, beschrieben. Beeinträchtigt sind die Gedächtnisleistung, die Denkfunktionen, die Orientierungsfähigkeit, die Fähigkeit zu kalkulieren, die Lernkapazität, die Urteilsfähigkeit, die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Fähigkeiten zur Lösung von Alltagsproblemen (vgl. Sepandj 2015, S.4).
Demenzerkrankungen werden in primäre und sekundäre Demenzen unterschieden.
2.1.1 Primäre Demenz
Primäre Demenzen werden in Demenzen vom Alzheimer Typ (DAT) und Multi-Infarkt-Demenzen (MID) unterschieden. Demenzerkrankungen nehmen mit fortschreitendem Alter zu, so sind in der Gruppe der 65-70-Jährigen weltweit ca. 2-3% demenzkrank, bei den 85-Jährigen sind es mehr als 25%. Bei 60% der senilen Demenzen wird angenommen, dass eine Alzheimer-Demenz vorliegt (vgl. Popp 2006, S. 22).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Häufigkeit der Demenzen im Alter
Quelle: Förstl 2009, S. 6
Eine Ursache für Alzheimer-Demenz ist die quantitative Abnahme der kortikalen Synapsen. Höhere kognitive Leistungen werden durch hochkomplexe kortikortale Verschaltungen der Nervenzellen im Gehirn möglich. Diese Verschaltungen sind bei Alzheimer-Demenz gestört. Zwar findet dieser Vorgang der Reduktion von kortikaler Synapsendichte auch bei einer gesunden Alterung des Gehirns statt, die kortikale Synapsenzahl von Alzheimer-Dementen liegt jedoch 25-50% unter der Synapsenanzahl von gleichaltrigen gesunden Vergleichspersonen (vgl. Berger 1999, S. 272-273). Ein Merkmal der Alzheimer-Demenz sind pathologische Ablagerungen von Proteinen an den Nervenfasern im Gehirn. Beta-Amyloid-Peptide bilden eine extrazelluläre Plaque, Neurofibrillen bilden intrazelluläre Ablagerungen. Diese Proteinablagerungen können zur Degeneration von Nervenzellen führen, insbesondere im Hippocampus, im Temporallappen und im basalen Vorderhirn, was sich klinisch in Gedächtnisstörungen, visuell-räumlicher Störung und Benennungsstörung bemerkbar macht (vgl. Lieb et al. 2016, S. 129).
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Abb. 2: bei Alzheimer-Demenz betroffene Neurotransmittersysteme
Quelle: Lieb et al. 2016, S.130
Nervenzellen besitzen die Fähigkeit der Plastizität, d.h. sie können bei verstärkter Benutzung vorhandene Synapsen stabilisieren und neue Synapsen ausbilden. Diese Plastizität ist bei Alzheimer-Dementen nicht mehr vorhanden, es werden keine neuen Synapsen mehr aufgebaut, sondern nur noch reduziert. Durch den Verlust von Synapsen entsteht ein kortikortales Diskonnektionssyndrom, das mit EEG-Untersuchungen nachgewiesen werden kann (vgl. Berger 1999, S. 272-273).
2.1.2 Sekundäre Demenz
Sekundäre Demenzerkrankungen sind Folgen anderer organischer Erkrankungen und können in verschiedene Gruppen eingeteilt werden:
- Chronische Intoxikation, z.B. durch Sedativa oder Alkoholabusus. Bei langer Anwendung kommt es zu einer allgemeinen Hirnleistungsschwäche und zur Apathie.
- Demenzzustände bei inneren Krankheiten wie Nebenniereninsuffizienz, Vitaminmangel oder Schilddrüsenerkrankungen.
- Chronische, sich langsam entwickelnde intrakranielle Raumforderungen bei Hirntumoren oder Schädel-Hirn-Traumata (vgl. Popp 2006, S. 27).
2.2 Klassifizierung der Demenz im ICD 10
Die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD 10) unterscheidet in folgende Demenzformen:
F00: Demenz bei Alzheimer´scher Erkrankung:
F00.0 mit frühem Beginn
F00.1 mit spätem Beginn
F00.2 atypisch oder gemischte Form
F00.9 nicht näher bezeichnet
F01 Vaskuläre Demenz
F01.0 mit akutem Beginn
F01.1 Multiinfarktdemenz
F01.2 subkortikal vaskulär
F01.3 gemischt vaskulär
F01.4 andere
F01.5 nicht näher bezeichnete
F02 Demenz bei anderorts klassifizierten Krankheiten
F02.0 Demenz bei Pick-Krankheit
F02.1 Demenz bei Creutzfeld-Jakob-Krankheit
F02.2 Demenz bei Chorea-Huntington
F02.3 Demenz bei Parkinson-Syndrom
F02.4 Demenz bei HIV-Krankheit
F02.8 Demenz bei anderorts klassifizierten Krankheiten
F03 Nicht näher bezeichnete Demenz
Besondere Merkmale einiger Demenzformen sind:
- Die Alzheimer Krankheit ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns unbekannter Ätiologie, deren Beginn schon lange vor Auftreten der ersten Symptome angenommen wird. Sie beginnt für gewöhnlich kaum merklich und schreitet über einige Jahre langsam fort. Das Kurzzeitgedächtnis ist zuerst betroffen.
- Cerebrovaskuläre Erkrankungen sind das Ergebnis von mehreren Gehirninfarkten und Schlaganfällen. Typische Merkmale zu Beginn sind beeinträchtigte Exekutivfunktionen (Handlungsplanung) und verlangsamte kognitive Leistungen.
- Die Demenz bei Morbus Pick zeigt sich durch eine frühe, langsam fortschreitende Persönlichkeitsveränderung und dem Verlust sozialer Fähigkeiten. Bei dieser Demenzform ist primär die Handlungsplanung beeinträchtigt, und Verhaltensauffälligkeiten treten vor den kognitiven Störungen auf.
- Die Parkinson-Demenz entwickelt sich bei Patienten und Patientinnen mit fortgeschrittener, gewöhnlich schwerer Parkinson-Erkrankung (vgl. Sepandj 2015, S.5-6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Prozentuale Häufigkeit verschiedener Demenzformen
Quelle: Lieb et al. 2016, S. 12
2.3 Symptome und Verlauf
Im Verlauf einer Demenzerkrankung kommt es zu Störungen der Kognition, des Erlebens, des Verhaltens und der Alltagsfertigkeiten, verbunden mit einer Störung des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit. Da sich eine Demenzerkrankung fortschreitend verschlechtert, werden verschiedene Schweregrade unterschieden. Das häufigste Verfahren, um die Schweregrade zu unterscheiden, ist die Untersuchung mit dem Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder Mini-Mental-State-Examination (MMSE) (Folstein et al. 1975) (im Anhang). Im Test werden zeitliche und örtliche Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Konzentration, Benennen, Sprachverständnis und Visiokonstruktion abgefragt (vgl. Sepandj 2015, S.6-7).
Leichte Demenz: MMSE – 21 bis 26 Punkte
Vergesslichkeit, Verlegen, Suchen
Zeitliche und örtliche Orientierungsprobleme
Problem bei komplexeren Aufgaben
Verleugnen oder nicht Realisieren von Defiziten
Mittelschwere Demenz: MMSE – 12 bis 20 Punkte
Desorientierung Zeit und Ort
Beeinträchtigung des Langzeitgedächtnisses
Probleme bei der Auswahl von Kleidung
Vermehrte Störungen des Erlebens und Verhaltens
Schwere Demenz: MMSE – 0 bis 11 Punkte
Lückenhafte Erinnerung an die Vergangenheit
Verkennen nahestehender Personen
Ankleiden ohne Hilfe nicht mehr möglich
Verlust des Sprechvermögens
Massive Persönlichkeitsveränderung
Harn- und Stuhlinkontinenz
Der Verlauf einer Demenz ist nicht nur abhängig von der Demenzform (Alzheimer, vaskuläre Demenz, Demenz aufgrund von anderen Krankheiten), sondern auch von äußeren Umständen. Hierzu zählen körperliche Erkrankungen, Überforderung, Unterforderung, Einsamkeit, Depression, soziale Isolation, fehlende Tagesstruktur, unerwartete Ereignisse, Stress, Krankenhausaufenthalte und das Verlassen der gewohnten Umgebung (vgl. Sepandj 2015, S.7).
2.4 Anamnese und Diagnostik
Der MMST kann angewendet werden, solange der Patient noch in der Lage ist Fragen zu beantworten oder die Testanforderungen zu erfüllen. Ist er dazu nicht mehr fähig, kann es sinnvoll sein die Angehörigen zu befragen. Hierfür bietet sich die „Nurses‘ Observation Scale for Geriatric Patients“ (NOSGER Ⅱ) (Spiegel et al. 1991) (im Anhang). Hier werden Fragen zu den Fähigkeiten des Patienten gestellt, die aus der Beobachtung heraus beantwortet werden können.
Neben Eigen- und Fremdanamnese können weitere diagnostische Verfahren zum Einsatz kommen:
- Internistische Untersuchung: Kardiovaskuläre Risikofaktoren die auf eine vaskuläre Ursache der Demenz hinweisen können langjährige Hypertonie, eine bestehende arterielle Verschlußkrankheit, eine kardiovaskuläre Insuffizienz oder ein Diabetes mellitus sein.
- Neurologische Untersuchung: Die primären Sinnesleistungen müssen überprüft werden, um Schwerhörigkeit oder Einbußen der Sehkraft als dementielle Symptomatik auszuschließen.
- Psychiatrische Untersuchung: Eine depressive Pseudodemenz von einer Demenz abzugrenzen kann sehr schwierig sein. Schizophrene Psychosen oder isolierte Wahnerkrankungen zählen auch zur Differentialdiagnose einer Demenz.
- EKG: Die Untersuchung mit dem EKG kann Hinweise auf eine koronare Herzkrankheit als Zeichen einer Tendenz zu vaskulären Erkrankungen geben.
- Morphologische Bildgebung: Durch bildgebende Untersuchungen des Gehirns können vaskuläre Läsionen oder Tumore erkannt werden.
- PET: Mit der Positronen-Emissions-Tomographie kann die synaptische Aktivität im Gehirn anhand des Glukoseverbrauchs aufgezeigt werden, nachdem die Glukose mit einem entsprechenden Tacer angereichert wurde (vgl. Berger 1999, S. 280-284).
- Laborchemische Untersuchungen: Zu untersuchen sind Verdacht auf Borreliose, HIV, Tuberkulose, Blutkörperchen Senkungsgeschwindigkeit, Vitamin B12- und Folatmangel, Thiaminmangel, Hypo- Hyperparathyreoidismus, chronische Hypoglykämie, Drogen, Alkohol, Schwermetallintoxination (vgl. Förstl 2009, S. 278-279).
- Psychopathologische Untersuchung: Kleidung und Auftreten, Stimmung, Affekt, Kommunikation, Wahrnehmungsstörungen, Antrieb, Persönlichkeitsakzentuierung (vgl. Wallesch/Förstl 2012, S. 131).
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