Risiken einer frühen Fremdbetreuung bei sicher gebundenen Kindern unter 3 Jahren
Zusammenfassung
Doch beschäftigt man sich im Rahmen der Bindungsforschung mit Kindern im Alter von 0-3 Jahren, wird man sehen, dass die Bindung zu den Eltern im Laufe des ersten Lebensjahres entsteht und das Kind in dieser Zeit ganz auf sich und seine Eltern bezogen ist. Erst mit ca. drei Jahren ist es in der Lage aufeinander bezogene wechselseitige Beziehungen zu mehreren Bindungspersonen entstehen zu lassen. Aufgrund eigener Erfahrungen in der Kindheit, sowie mit den eigenen Kindern, stellt sich hier die Frage: Welche Risiken kann eine frühe Fremdbetreuung – hier speziell für sicher gebundene Kinder unter 3 Jahren – in Bezug auf die kindliche Entwicklung und die Eltern-Kind-Bindung mit sich bringen und worauf ist in der Kita-Eingewöhnung zu achten, um eventuelle Risiken möglichst zu vermeiden?
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitu
2 Bindungstheoretische Grundüberlegun
2.1 Die Bindungstheorie
3 Sichere Bind
3.1 Phasen der Bindungsentwicklung
3.2 Erste Bindung an die Mutter und die Bedeutung der Vater-Kind-Bindung
4 Frühe Fremdbetreu
4.1 Risiken einer frühen Fremdbetreuung
4.2 Mögliches Vorgehen bei der Eingewöhnung
4.3 Rahmenbedingungen für eine gelungene Eingewöhnung und Fremdbetreuung
4.4 Kennzeichen einer gelungenen Eingewöhnung
5 Fazi
Literatur- und Quellenverzeichni
Anhan
Aus rechtlichen Gründen wurde der Anhang zum Teil entfernt. (Anm. d. Red.)
1 Einleitung
Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach menschlicher Nähe und Zuwendung, d. h. nach Bindung. Dieses Bedürfnis ist von Geburt an vorhanden und schon hier bzw. auch schon pränatal, werden die Grundsteine einer sicheren Bindung gelegt.
Es ist noch nicht sehr lange her, da wurde der Bindung als grundlegende Basis der zwischenmenschlichen und psychischen Befindlichkeit eines Menschen kaum Beachtung geschenkt. Erst mit Einführung der Bindungstheorie in die wissenschaftliche Psychologie durch John Bowlby und Mary Ainsworth ab den 1950er Jahren fand eine Veränderung statt.
In früheren Jahren noch war es üblich ein Kind die ersten drei Jahre zuhause von der Mutter betreuen zu lassen. Da in unserer heutigen Zeit viele Eltern darauf angewiesen sind, oder es gerne möchten, schnell nach der Geburt eines Kindes wieder arbeiten zu gehen, werden in Deutschland derzeit 34,3 % aller unter Dreijährigen fremd betreut.1 Doch beschäftigt man sich im Rahmen der Bindungsforschung mit Kindern im Alter von 0-3 Jahren, wird man sehen, dass die Bindung zu den Eltern im Laufe des ersten Lebensjahres entsteht und das Kind in dieser Zeit ganz auf sich und seine Eltern bezogen ist. Erst mit ca. drei Jahren ist es in der Lage aufeinander bezogene wechselseitige Beziehungen zu mehreren Bindungspersonen entstehen zu lassen.2
Aufgrund eigener Erfahrungen in der Kindheit, sowie mit den eigenen Kindern - worauf im Anhang dieser Arbeit eingegangen wird-, stellt sich hier die Frage:
Welche Risiken kann eine frühe Fremdbetreuung - hier speziell für sicher-gebundene Kinder unter 3 Jahren - in Bezug auf die kindliche Entwicklung und die Eltern-KindBindung mit sich bringen und worauf ist in der Kita-Eingewöhnung zu achten, um eventuelle Risiken möglichst zu vermeiden?
Um diese Fragen zu klären, wird in der folgenden Hausarbeit zunächst die Bindungstheorie an sich betrachtet. Gefolgt von einem Kapitel über die genaue Erläuterung der sicheren Bindung und der Entstehung und Relevanz der Eltem-Kind-Bindung fürs Kind, um dann im 4. Kapitel genauer auf Fremdbetreuung im frühen Kindesalter einzugehen. Es werden Risiken einer frühen Fremdbetreuung dargestellt und Vorgehensweisen aufgezeigt, wie diese speziell in der Eingewöhnungsphase in einer Kindertagesstätte vermieden werden können. Im 5. und letzten Kapitel wird darüber schließlich ein abschließendes Resümee gezogen.
2 Bindungstheoretische Grundüberlegungen
Bindung in der Entwicklungspsychologie bezeichnet die enge emotionale Beziehung zwischen Menschen, hier die eines Kindes zu seinen Eltern oder Personen, die es beständig betreuen. „Sie liegt in den Emotionen verankert und verbindet das Individuum mit diesen besonderen Bindungspersonen über Raum und Zeit hinweg. Darüber hinaus wird als Bindung auch die intensive Beziehung erwachsener Menschen bezeichnet. Die individualisierte Bindung heißt Liebe“.3
Jeder Mensch hat somit ein Grundbedürfnis nach tiefen emotionalen Beziehungen. Hierfür ein kleines Beispiel:
Heute betreut die Oma das Baby, welches friedlich mit ihr spielt, ohne die Mutter besonders zu vermissen. Erst als es ins Bett gebracht wird, beginnt es zu weinen und nach der Mama zu rufen, bis die Oma es beruhigt und zum Einschlafen gebracht hat.
Diese sogenannte Bindung ist ein Teil des komplexen Systems der Beziehung.4 Doch wie entstehen solche Bindungen überhaupt und wie genau sind sie gekennzeichnet?
2.1 Die Bindungstheorie
Der britische Psychoanalytiker John Bowlby (1907-1990) gilt als Begründer der Bindungsforschung. Er war einer der ersten, der auf dem Gebiet der kindlichen Entwicklung interdisziplinär geforscht hat. Er trug die Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Bereichen, wie Medizin, Biologie etc. zusammen und kam so zu dem Ergebnis, dass Säuglinge aufgrund ihres biologisch verankerten Verhaltenssystems von Anfang an eine Bindung zu der Person aufbauen, die sich dauerhaft um sie kümmert und somit ihr Überleben sichert. Damit legte Bowlby den Grundstein der Bindungsforschung, welche dann von Mary Ainsworth maßgeblich vorangebracht wurde.5
Bowlby ging von der angeborenen Fähigkeit eines Neugeborenen aus, eine Bindung herstellen zu können. Seiner Ansicht nach verfüge ein Kleinkind über ein motivationales System, was es dazu befähigt, Zuwendung, Schutz oder Beruhigung bei seiner Bezugsperson einzufordern und somit sein Überleben zu sichern. Andererseits ermöglicht ihm dies auch die nötige Auseinandersetzung mit der Umwelt (Exploration). Nach Bowlby also bedingen sich Mutter und Kind wechselseitig, ebenso wie sie sich selbst regulieren in ihrem eigenen, zusammengehörenden System.6
Anhand verschiedener Versuchsreihen aus dem Naturverhalten bei Tieren, war zu sehen, das Bindung unabhängig von Fütterung war.7 D. h. ein Tier war nicht zwangsweise an seine Mutter gebunden, nur weil sie ihm zu fressen gab. So sind Gänse zum Beispiel stark an ihre Mutter gebunden, obwohl diese sie nicht direkt mit Futter versorgt.
Bowlby wehrte sich somit gegen die Vorstellung des Psychologen Freud, der der Auffassung war, Bindung sei rein aus trieb-theoretischen Ansätzen zu interpretieren.8
3 Sichere Bindung
Ein Säugling entwickelt im Laufe des ersten Lebensjahres eine spezifische emotionale Bindung an eine Hauptbindungsperson. „Diese emotionale Bindung sichert das Überleben des Säuglings und kann auch als „sicherer emotionaler Hafen“ bezeichnet werden“.9 Daher schreibt man der mütterlichen Feinfühligkeit, d. h. ihrer Sensibilität für die Bedürfnisse des Kindes einen hohen Stellenwert zu. Sensibel auf die Bedürfnisse eines Kindes einzugehen heißt, innerhalb weniger Sekunden das Schreien eines Säuglings zu beachten, seine Signale wahrzunehmen und sofort angemessen darauf zu reagieren.
„Ist das Baby geboren, wird die Entstehung einer sicheren Bindung durch liebevolle Zuwendung und Ansprache, Körperkontakt (zum Beispiel durch Tragen, Kuscheln, Babymassage), Stillen nach Bedarf und Ernähren nach dem Bedürfnis des Kindes bei gesundem Nahrungsangebot, Co-Sleeping (Nähe zu den Eltern beim Schlafen) und der Unterstützung der Schutz-, Explorations- und Autonomiebestrebungen des Kindes gefördert“.10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Der Kreis der Sicherheit (Becker-Stoll S. 28)
Hierbei lässt sich Bindung noch einmal in die Bindung von Seiten der Eltern an das Kind (engl. Bonding) und in die Bindung vom Kind an die Eltern (Attachment) unterscheiden. Die Bindung von den Eltern aus umfasst die Bereitschaft, sich um das Kind zu kümmern, es zu pflegen und zu versorgen. Bindung auf der Seite des Kindes ist eher ein Sicherheitssystem. Es wendet sich auf der Suche nach Schutz und Sicherheit an seine Bindungsperson und baut so sein Urvertrauen auf.11
Auf Trennung reagiert ein sicher gebundenes Kind zunächst mit Angst, es weint und ruft laut nach seiner Bindungsperson oder läuft ihr eventuell sogar aktiv nach. Kommt die Bindungsperson nach der Trennung zurück, zeigt das Kind einen deutlichen Wunsch nach Körperkontakt. Nach wenigen Minuten ist es beruhigt und kann sich von der Bindungsperson auf dem Arm wieder lösen.12
Die Anfänge der Eltern-Kind-Bindung beginnen bereits während der Schwangerschaft und der Geburt, und alle Erfahrungen die hierbei, vorwiegend von der Mutter, gemacht werden, beeinflussen die zukünftige Bindung zum Kind.13 Das heißt, erlebt die Mutter eine weitestgehend angst- und sorgenfreie Schwangerschaft und Geburt und bekommt ausreichend Unterstützung, ist der Grundstein für eine sichere Bindung bereits gelegt.
Hat sich die Mutter dann von Beginn an feinfühlig dem Säugling gegenüber verhalten und ist auf seine Bedürfnisse nach Sicherheit und Schutz eingegangen und hat sie selber eine sichere Bindungserfahrung in ihrer Kindheit erlebt, gibt sie diese an ihr Kind weiter und eine sichere Bindung kann entstehen.14
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Freiheit und zugleich die Sicherheit, die eine Bindungsperson dem Kind geben muss, damit es sich von der Bindungsperson wegbewegen und explorieren kann und gleichzeitig aber weiß, dass die Bindungsperson als „sicherer Hafen“ stets verfügbar ist.15
Eine sichere emotionale Bindung schafft die Grundlage, dass Kinder die Fähigkeit entwickeln, Belastungen in ihrem Leben bewältigen zu können. Eine liebevolle, sichere Bindung trägt zur Erhaltung des menschlichen Lebens bei.
3.1 Phasen der Bindungsentwicklung
Die Bindungsentwicklung eines Kindes lässt sich nach Mary Ainthworth in vier Phasen aufteilen, die sich teilweise überlappen oder fliesend ineinander übergehen. Die vier Phasen:16
1. Phase: Vorbindungsphase; unspezifische soziale Reaktion, 0-3 Monate
Der Säugling stellt durch angeborene soziale Verhaltensweisen den Kontakt zur Mutter/ der Bindungsperson her (schreien, anschauen, umklammern, etc.).
Das Kind ist vor allem mit Anpassungsreaktionen beschäftigt und lässt sich von allen Personen trösten und beruhigen.
2. Phase: Phase der entstehenden Bindung; Phase der unterschiedlichen sozialen Reaktionsbereitschaft; 2-6/8 Monate Der Säugling beginnt auf bekannte Personen anders zu reagieren als auf Fremde. Er richtet sein Signalverhalten nicht mehr an Fremde, sondern nur noch vertraute und bekannte Personen und baut die primäre Bindung nun zu der Person auf, zu der er den intensivsten Kontakt hat.
Der Säugling macht erste Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und erweitert sein Ich-Be- wusstsein. Das Fremdeln beginnt.
3. Phase: Phase der ausgeprägten Bindung; Phase des aktiven und initiierten zielkorrigierten Bindungsverhaltens; 6/8 Monate bis 1^/2 Jahre Der Säugling hat durch den Entwicklungsstand seinen Bestand an Verhaltensweisen erweitert und ist nun in der Lage Bindungsverhalten zu zeigen und die Nähe seiner Mutter aktiv zu suchen. Er fremdelt mehr oder weniger stark. Bei Bedrohung sucht das Kind sofort die Nähe zur Bezugsperson. Krabbeln, laufen etc. sind nun möglich, wodurch der Säugling von sich aus die Nähe zu seiner Bindungsperson suchen kann.
Trennungsangst kommt auf, diese wiederum dient dem Kind als Schutzmechanismus, denn sie setzt seinem von Neugier getriebenen Erkundungsdrang Grenzen.
4. Phase: Phase der zielkorrigierten Partnerschaft; Phase reziproker Beziehungen; 2-3 Jahre Diese Phase beginnt ab dem Zeitpunkt, ab dem das Kind sprechen kann und auch in der Lage ist, die Bedürfnisse und Pläne der Mutter oder der Bindungsperson zu berücksichtigen bzw. zu verstehen. Ab hier sind aufeinander bezogene wechselseitige Beziehungen zu mehreren Bindungspersonen möglich. Sprachliche und motorische Fähigkeiten reifen immer mehr aus.
Der Ausscheidungsprozess setzt ein und die Trotzphase beginnt, in der das Kind alles selber machen will, seinen eigenen Willen entdeckt und beginnt sich selbst zu erkennen.
Am Ende dieser Phase, mit ca. 3-5 Jahren, hat das Kind sein Ich vollständig ausgebildet, sein Selbstwertgefühl stabilisiert und beginnt sich für andere Kinder zu interessieren.
Diese vier Phasen machen deutlich, wie sehr das Kleinkind in den ersten drei Jahren an seiner primären Bindungsperson, in der Regel der Mutter hängt und sie als ,sicheren Hafen‘ braucht, um sich im geschützten Rahmen seiner sozialen, kognitiven und motorischen Entwicklung widmen zu können. Durch die Mutter lernt das Kind den Umgang mit Fremden, durch die Angst von ihr getrennt zu werden ist es vor Gefahren geschützt und durch das Wissen über ihre Nähe kann es explorieren.
Wird dem Kind dieser „sichere Hafen“ genommen, sprich wird das Kind in den ersten drei Lebensjahren fremd betreut, kann dieses Urvertrauen zu seiner Bindungsperson gestört werden und es zu weiteren Risiken kommen, wie in Kapitel 4 erläutert wird. Zunächst gilt es aber noch einmal genauer die Bedeutung der Bindung an die Eltern zu klären.
3.2 Erste Bindung an die Mutter und die Bedeutung der VaterKind-Bindung
„Eine Mutter und ihr Kind - ein Urbild für Liebe, Glück und Wärme. Auch heute noch“.17 Wie im Kapitel 3 bereits genannt, spielen schon die Schwangerschaft und die Geburt eine tragende Rolle in Bezug auf die Mutter-Kind-Bindung und ihren Verlauf.
Das Kind wächst im Bauch der Mutter heran und sie ist somit die erste mögliche Bindungsperson für den Säugling. Schon pränatal nimmt das Baby den Herzschlag der Mutter wahr und hört ihre Stimme. „Es ist durch neun Monate währende Schwangerschaft auf eine vollkommen umschließende Geborgenheit der Mutter geprägt und an sie gewöhnt“.18 Kommt der Säugling dann zur Welt erkennt er die Stimme der Mutter wieder und fühlt sich somit in ihrer Gegenwart sicher und geborgen.
Verläuft eine Geburt komplikationslos und wird das Neugeborene der Mutter unmittelbar danach mit direktem Hautkontakt auf den Bauch gelegt, so ist dies die Entstehung der Bindung zwischen Mutter und Kind. Diese ersten Minuten zwischen Mutter und Kind sind wertvoll für den weiteren Bindungsverlauf und werden auch „Bonding“ genannt. In den ersten Wochen und Monaten entwickelt und vertieft sich die Bindung dann in einem wechselseitigen Prozess zwischen Mutter und Kind und ist nicht mehr rückgängig zu machen.19
[...]
1 vgl. Textor/Bostelmann, 2019
2 vgl. Ahnert, 2008.
3 Herbst, 2012
4 vglBRISCH, 2013
5 vgl.Becker-Stoll,2018
6 vgl. Brisch, 2013
7 vgl. Brisch, 2013
8 vgl. Brisch, 2013
9 Brisch, 2015, S, 12
10 Herbst, 2009,o.S.
11 vgl. Brisch, 2015
12 vgl. Brisch, 2013
13 vgl. Herbst, 2009
14 vgl. Brisch, 2013
15 vgl.Becker-Stoll,2018
16 vgl. Herbst, o.J. & Hermann, 2016
17 Götze, 2012,S.13
18 Götze, 2012, S.29
19 vgl. Harms, 2008