Diese Hausarbeit verhandelt das Ton- und Videoaufnahmeverbot im Gerichtssaal und erläutert dies auf juristischer Grundlage.
Im Jahr 2001 befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der Frage, ob der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren verfassungsrechtlich gewährleistet ist. Auslöser war eine Klage des Fernsehsenders n-tv, welcher sich aufgrund des Verbotes von Ton- und Videoaufnahmen während Gerichtsverhandlungen schlechter gestellt sah als die aus dem Gerichtssaal berichtenden Print- und Internetmedien. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage zurück. Das Verbot von Ton- und Videoaufnahmen bleibt bestehen. Doch warum ist das so? Traditionell hat die „Öffentlichkeit“ einen wichtigen Stellenwert für die Justiz. Schon die Paulskirchenverfassung forderte ausdrücklich Verfahrensöffentlichkeit. Sie soll die Kenntnisnahme und Kontrolle durch das Volk sicherstellen. In einer Informationsgesellschaft, in der die Massenmedien als wichtigste Informationsquelle für den Bürger fungieren, ist die Justiz auf massenmediale Berichterstattung angewiesen, um gehört zu werden. Somit sind die erwünschten Auswirkungen von Verfahrensöffentlichkeit, stark von medialer Berichterstattung abhängig. Warum sollte dann ein Interesse bestehen, audiovisuelle Medien in ihrer Berichterstattung einzuschränken? Vor allem, da sie eine besonders realistische Darstellung des Verfahrens ermöglichen sollen?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Teil 1: Wie eine unbegrenzte „Fernsehöffentlichkeit“ die „Wahrheitsfindung“ in Verfahren behindert. Eine juristische Erklärung.
2. Öffentlichkeit als Rechtsbegriff
2.1. Öffentlichkeit
2.2. Gerichtsöffentlichkeit
2.3. Saal- und Medienöffentlichkeit
2.4. Transparenz, Kontrolle und Vertrauen
2.5. Verbot von Ton- und Videoaufnahmen
3. Nachteile von „unbegrenzter Öffentlichkeit“ in Verhandlun gen
3.1. Begründung des Bundesverfassungsgerichts
3.2. Weitere Nachteile von „Fernsehöffentlichkeit“
Teil 2: Wie eine „Fernsehöffentlichkeit“ die legitimierenden Funktionen von Verfahren gefährdet. Ein verfahrenstheoretischer Erklärungsversuch
4. Die Legitimation durch Verfahren
4.1. Das Verfahren
4.2. Die Rolle der Öffentlichkeit
5. Wie eine Fernsehöffentlichkeit die Legitimation durch Verfahren gefährdet
6. Zusammenfassung
7 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Jahr 2001 befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der Frage, ob der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren verfassungsrechtlich gewährleistet ist (Stürmer 2001: 700). Auslöser war eine Klage des Fernsehsenders n-tv, welcher sich aufgrund des Verbotes von Ton- und Videoaufnahmen während Gerichtsverhandlungen schlechter gestellt sah als die aus dem Gerichtssaal berichtenden Print- und Internetmedien (He 2016). Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage zurück (BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001). Das Verbot von Ton- und Videoaufnahmen bleibt bestehen. Doch warum ist das so? Traditionell hat die „Öffentlichkeit“ einen wichtigen Stellenwert für die Justiz. Schon die Paulskirchenverfassung forderte ausdrücklich Verfahrensöffentlichkeit. Sie soll die Kenntnisnahme und Kontrolle durch das Volk sicherstellen (Stürmer 2001: 700). In einer Informationsgesellschaft, in der die Massenmedien als wichtigste Informationsquelle für den Bürger fungieren, ist die Justiz auf massenmediale Berichterstattung angewiesen, um gehört zu werden (Wick 2017: 46). Somit sind die erwünschten Auswirkungen von Verfahrensöffentlichkeit, stark von medialer Berichterstattung abhängig. Warum sollte dann ein Interesse bestehen, audiovisuelle Medien in ihrer Berichterstattung einzuschränken? Vor allem, da sie eine besonders realistische Darstellung des Verfahrens ermöglichen sollen (ebd: 64)?
Um diese Frage beantworten zu können, wird die Arbeit in zwei Teile gegliedert. Dazu wird im ersten Teil der Arbeit juristisch aufgearbeitet, was „Öffentlichkeit“ im Rechtsverständnis ist und welche erwünschten sowie negativen Auswirkungen sie auf Verfahren hat. Besonders eine „Fernsehöffentlichkeit“ scheint Verfahren in einem Maße zu beeinträchtigen, das nicht durch die positiven Öffentlichkeitseffekte gerechtfertigt werden könnte. Um die Begründungen für ein Verbot von Ton- und Videoaufnahmen sowie gegen eine Fernsehöffentlichkeit aufzuarbeiten, werden ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001, sowie juristische Argumentationen herangezogen, mit denen die Forschungsfrage juristisch beantwortet werden kann. Es wird festgestellt werden, dass eine Fernsehöffentlichkeit die „Wahrheitsfindung“ in Verfahren und damit Verfahrensentscheide beeinflussen soll. Damit wäre die Forschungsfrage aus juristischer Perspektive schon beantwortet. Doch soziologisch gesehen geht es in Gerichtsverfahren nicht um die Suche nach Wahrheit (Egli 2009: 2). Wenn es also nicht um die Wahrheitsfindung geht, muss die eingeschränkte Verfahrensöffentlichkeit soziologisch gesehen auch andere Funktionen haben. Diese Erkenntnis führt zum zweiten Teil der Arbeit, in der die Funktionalität des Verbotes anhand Niklas Luhmanns Verfahrenstheorie erklärt werden soll. Dazu werden zuerst die Kernelemente der „Legitimation durch Verfahren“ dargestellt und erklärt, wie Verfahren für die Legitimation staatlichen Entscheidens sorgen. Im Anschluss wird die Verfahrenstheorie zur Analyse der juristischen Argumentation genutzt. Dazu werden Erklärungsversuche aufgestellt, wie eine Fernsehöffentlichkeit die Legitimation durch Verfahren bedrohen könnte. Daraus resultiert auch die These der Analyse, denn es wird angenommen, dass das Verbot von Video- und Tonaufzeichnungen in Verfahren, für die Legitimation durch Verfahren funktional ist.
Teil 1: Wie eine unbegrenzte „Fernsehöffentlichkeit“ die „Wahrheitsfindung“ in Verfahren behindert. Eine juristische Erklärung.
Um untersuchen zu können, wie eine unbegrenzte „Fernsehöffentlichkeit“ die „Wahrheitsfindung“ in Verfahren behindert und somit das Verbot von Ton- und Videoaufnahmen rechtfertigt, ist es notwendig, Öffentlichkeit als Rechtsbegriff zu definieren sowie das Verhältnis der Rechtsprechung zur Öffentlichkeit rechtswissenschaftlich aufzuarbeiten.
2. Öffentlichkeit als Rechtsbegriff
2.1. Öffentlichkeit
„Öffentlichkeit“ ist ein diffuser, facettenreicher und kontextbezogener Begriff und somit nur schwer zu fassen (Paschke 2018: 39). Bei dem Begriff der Öffentlichkeit handelt es sich um keinen einheitlichen Rechtsbegriff, da ihm kein spezifischer, rechtlicher Bedeutungsinhalt zugeschrieben ist und er somit an keiner Stelle eine Legaldefinition durch den Gesetzgeber erhalten hat (ebd). Das heißt die Auslegung des Begriffes muss und wird in unterschiedlichen Rechtsgebieten anders ermittelt (ebd.). Für die Untersuchung dieser Arbeit ist vor allem die „Gerichtsöffentlichkeit“ von Wichtigkeit.
2.2. Gerichtsöffentlichkeit
Im Gerichtsverfassungsgesetz findet sich im Paragrafen 169 folgender Satz: „Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich“ (§ 169 Absatz 1 Satz 1 GVG). In diesem Satz ist definiert, was Lehre und Rechtsprechung unter Gerichtsöffentlichkeit verstehen. Gerichtsöffentlichkeit meint dabei „[...] die „Zugänglichkeit“ der Hauptverhandlung „für eine Personenmehrheit“ und als solche eine disponible Verfahrensmaxime“ (Scherer 1979: 1). Doch auch dieser Öffentlichkeitsbegriff lässt sich beliebig ausweiten. So könnte zum Beispiel unter Gerichtsöffentlichkeit ein Publikum im Gerichtssaal und andererseits das Publizieren von Presseartikel verstanden werden (ebd.). Aufgrund dessen bedarf es einer weiteren Aufschlüsselung des Öffentlichkeitsbegriff.
2.3. Saalöffentlichkeit und Medienöffentlichkeit
Wird Gerichtsöffentlichkeit wie nach § 169 Absatz 1 Satz 1 des GVGs als Zugänglichkeit der prozessualen Hauptverhandlung begriffen, dann lässt sich von einer „Saalöffentlichkeit“ sprechen. Öffentlichkeit ist somit an die Mündlichkeit gerichtlicher Entscheidungsfindung gebunden (Scherer 1979: 2). Diese Auffassung von Gerichtsöffentlichkeit blendet die Medienöffentlichkeit aus (ebd.: 4). Dabei wird Gerichtsöffentlichkeit in einer Informationsgesellschaft nur marginal durch Präsenzöffentlichkeit hergestellt (Wick 2017: 45). Aufgrund der täglichen Nutzung von Massenmedien durch die Bevölkerung stellt die massenmediale Berichterstattung die wichtigste Informationsquelle über Gerichtsverfahren und ihren Ausgang dar (ebd.: 46). Deshalb lässt sich konstatieren, dass Medienöffentlichkeit, also die über Massenmedien vermittelte Gerichtsöffentlichkeit, als wichtigstes Sprachrohr der Justiz bezeichnet werden kann. Doch warum wird der Gerichtsöffentlichkeit eine so hohe Bedeutung zugemessen, dass sie sogar eine Verfahrensmaxime darstellt?
2.4. Transparenz, Kontrolle und Vertrauen
Gerichtsöffentlichkeit soll die Transparenz juristischen Handelns ermöglichen (Wick 2017: 42). Somit soll die Akzeptanz der Bevölkerung sichergestellt werden. (ebd.: 37). Diese Akzeptanz soll erreicht werden, indem die Bevölkerung als „Souverän“ die Rechtmäßigkeit juristischer Arbeit beurteilt (Paschke 2018: 34). Außerdem könne mit Gerichtsöffentlichkeit Aufklärungsarbeit über das Rechtssystem geleistet werden (Vietmeyer 2002: 37). Durch die Vermittlung von Kenntnissen über das Rechtssystem und das Normverständnis könne erst eine kritische Begleitung der juristischen Arbeit durch die Bevölkerung ermöglicht werden (ebd.) Des Weiteren sei die Rechtsprechung auf eine Zusammenarbeit mit der Bevölkerung angewiesen (ebd.: 50). Zum Beispiel müsse ein Wille bestehen, die Zeugenpflicht zu erfüllen und Anzeigen aufzugeben. Dafür müsse ein Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung bestehen. Gerichtsöffentlichkeit ermögliche eine Vertrauensstabilisierung, denn durch sie könne Misstrauen aufgrund Geheimhaltung vermieden werden (ebd.: 50f). Außerdem entspringe dem materiellen Strafrecht noch der Gedanke der Prävention (Vietmeyer 2002: 57). Die Idee der „Generalprävention“ basiere auf der Vorstellung, Strafe erzeuge eine vorbeugende Wirkung auf die Allgemeinheit (ebd.: 59). Deshalb könne Öffentlichkeit zur Kenntnisvermittlung von Strafe beitragen und Straftaten vorbeugen (ebd.).
Somit lässt sich das große Interesse der Justiz an einer Gerichtsöffentlichkeit verstehen. In der deutschen Informationsgesellschaft funktioniert Gerichtsöffentlichkeit eigentlich nur über die Massenmedien. Wie Luhmann treffend sagte, wissen wir alles, was wir über die Gesellschaft und die Welt wissen aus den Massenmedien (Luhmann 2017: 9). Somit auch alles was mit Recht und Rechtsprechung zu tun hat. Also wenn die Berichterstattung der Massenmedien so wichtig für die Akzeptanz der Rechtsprechung in der Bevölkerung ist, wieso werden dann ihre Möglichkeiten zur Berichterstattung begrenzt?
2.5. Verbot von Ton- und Videoaufnahmen während Gerichtsverhandlungen
§ 169 Absatz 1 Satz 2 des GVGs besagt: „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhaltes sind unzulässig“ (§ 169 Absatz 1 Satz 2 GVG). Aber warum?
3. Nachteile von „unbegrenzter Öffentlichkeit“ in Verhandlungen
3.1. Begründung des Bundesverfassungsgerichts
Im folgenden Kapitel wird begründet werden, wieso das Verbot von Ton- und Videoaufnahmen juristisch gerechtfertigt ist. Dafür wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem Verbot von Ton- und Videoaufnahmen herangezogen (BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001, 1 BVR 2623/95, 1 BVR 622/99). Außerdem werden mehrere Argumente des Urteils mit weiteren, passenden, aber urteilsfremden Argumenten unterfüttert. Wichtig zu beachten ist, dass die meisten aufgeführten Argumente sich auf eine „Fernsehöffentlichkeit“ beziehen. Dennoch lässt sich vermuten, dass die gleichen Argumente entsprechend auch auf Tonaufnahmen anzuwenden sind. Beispielsweise lassen sich Tonaufnahmen auch als eine „realistischere“ Berichterstattung des Verfahrens einstufen als Zeitungsartikel. Nur die zu befürchtenden Effekte könnten schwächer sein. Dennoch sind das Hypothesen, die eine gesonderte Untersuchung benötigen. Der analytischen Genauigkeit sei aber darauf hingewiesen, dass zur Begründung des Verbotes hauptsächlich Argumente herangezogen werden, die sich auf eine audiovisuelle Berichterstattung begrenzen.
Im Januar 2001 wies das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde des Fernsehsenders n-tv zurück (BVerfG, 24.01.2001). Der Fernsehsender hatte eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, da er das bestehende Dreh-Verbot für zu weitreichend hielt und eine Verletzung der Informations- und Rundfunkfreiheit sah (Filmverbot in Gerichtssälen bleibt, 2001). Das Bundesverfassungsgericht sieht keine Einschränkung der Informationsund Rundfunkfreiheit, denn den Medien sei der Zugang zum Gerichtssaal durch die Saalöffentlichkeit gegeben. Rundfunkjournalisten können somit an den Gerichtsverhandlungen teilnehmen und über sie berichten. Damit würde auch dem Umstand genügend Rechnung getragen, dass Informationen heutzutage primär aus den Massenmedien bezogen werden. Einzig allein die rundfunkspezifische, audiovisuelle Berichterstattung würde eingeschränkt, denn einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen würden gewichtige Interessen gegenüberstehen (BVerfG, 24.01.2001). Dazu würden (1) das Persönlichkeitsrecht der am Verfahren Beteiligten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG), (2) der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG; zu ihm vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 89, 120 <129>) sowie (3) die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, vor allem der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung (dazu vgl. BVerfGE 33, 367 <382 f>; 77, 65 <76>) gehören. Die Saalöffentlichkeit genüge, um das Interesse an der öffentlichen Kontrolle der Gerichte sowie dem Grundsatz der Zugänglichkeit von Informationen genüge zu leisten (BVerfG, 24.01.2001).
(1) Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht würde durch Ton- und Videoaufnahmen verstärkt. Vor Gericht gebe es einen erhöhten Schutzbedarf, denn besonders in Strafverfahren komme es zu emotional angespannten Situationen, in denen Informationen auch unter Zwang erhoben würden. Werden diese Situationen in Ton und Bild fixiert, könne es unabhängig vom Verfahren zu erheblichen Folgen kommen. Aufgrund der öffentlichen Darstellung vor Gericht könne es zu einer „Prangerwirkung“ kommen. Außerdem könne eine spätere Resozialisierung erschwert werden (BVerfG, 24.01.2001). Um die Effekte der Prangerwirkung zu verstehen, ist es notwendig die ursprüngliche Bedeutung aufzuarbeiten. Im Mittelalter war die „Prangerstrafe“ eine Ehrenstrafe. Öffentlichkeit beziehungsweise öffentliche Bloßstellung wurde zur Bestrafung genutzt (Wick 2017: 60f). Das heißt Fernsehaufnahmen eines Betroffenen mit der Angabe von persönlichen Daten und einer „negativen Qualifizierung“ würden einer öffentlichen Bloßstellung des Betroffenen und damit eine vorverurteilende soziale Sanktion bedeuten, die dem Anspruch auf ein unbefangenes Verfahren negieren würde (ebd.: 64). Fernsehberichterstattung habe dabei eine deutlich nachhaltigere Wirkung als Printmedien, denn die Zuschauer würde einer Fernsehberichterstattung aufgrund einer „realistischeren“ Darstellung weitaus weniger kritisch gegenüberstehen (ebd.). Das führe nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zu einem weiteren Problem.
Die Mediendramaturgie sei nicht auf die Abläufe von Gerichtsverfahren abgestimmt. Die langsame „Rekonstruktion der Realität“ in Verfahren passe nicht in die Mediendramaturgie. Medien würden um Aufmerksamkeit kämpfen müssen und dabei auf Kurzberichte setzen. Deshalb liege es gar nicht im Interesse der Medien eine „wirklichkeitsgetreue“ Darstellung der Verfahren zu vermitteln. Insbesondere wirtschaftlicher Wettbewerbsdruck und die immer schwerer zu gewinne Aufmerksamkeit der Zuschauer bürge die Gefahr einer wirklichkeitsverzerrenden Darstellung und der damit verbundenen Bevorzugung des Sensationellen und Skandalösen. Selektivität und Verfälschung seien die Folgen (BVerfG, 24.01.2001). Passend dazu ist, dass Fernsehaufnahmen bei der Gerichtsberichterstattung grundsätzlich nur den Zweck der Unterhaltungsfunktion hätten (Wick 2017: 59). Filmaufnahmen würden den Unterhaltungsfaktor der Wissensvermittlung erhöhen, aber nicht ihren Informationsgehalt (ebd.). Ein Unterhaltungsinteresse der Bevölkerung rechtfertige nicht, Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte (ebd.). Die große Gefahr der Verfälschung und eine besonders unkritische Reflektion der Fernsehkonsumenten sei eine besonders dysfunktionale Kombination.
(2) & (3) Außerdem würde das Verbot zur Sicherung eines fairen Verfahrens und der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung existieren (BVerfG, 24.01.2001). Denn im Gegensatz zur Saalöffentlichkeit würden viele Menschen ihr Verhalten bei Medienpräsenz ändern. Manche würden gehemmt, andere beflügelt. Angeklagte und Zeugen könnten insbesondere in Strafprozessen gehemmt sein, intime, peinliche oder unehrenhafte Dinge preiszugeben (BVerfG, 24.01.2001). Passend dazu ist auch Artikel 103 Paragraph 1 GG, welcher den am Verfahren Beteiligten ein Recht darauf gibt, im Verfahren zu Wort zu kommen (Vietmeyer 2002: 65). Rechtliches Gehör ist nämlich auch dann nicht gewährleistet, wenn persönliche Gründe den Beteiligten daran hindern, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Fernsehöffentlichkeit könne zu deutlich stärkeren Hemmungen und Einschüchterungen als Saalöffentlichkeit führen. Das ermögliche eine Befangenheit der Beteiligten. Deshalb könne Fernsehöffentlichkeit die Beteiligten daran hindern ihr Recht zu nutzen (ebd.:67). Auch könnte die Wahrheitsfindung in Verfahren behindert werden, wenn Beteiligte ihr Verhalten aufgrund einer erwarteten Medienwirkung, selbstinszenierend ausrichten würden (BVerfG, 24.01.2001). Außerdem passt dazu, dass ein faires Verfahren durch die Verletzung von Prozessnormen negiert werden könnte (Vietmeyer 2002: 84). Zeugen müssen nach § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO den Sitzungssaal verlassen. Sie dürfen nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen. Diese Vorschrift soll verhindern, dass die Unbefangenheit der Zeugen durch Vorgänge in der Hauptverhandlung beeinflusst werden könnte (ebd.). Dieser Zweck würde vereitelt, wenn Zeugen das Geschehen im Sitzungsaal via Fernsehen verfolgen könnten (ebd.: 85). Des Weiteren könnten im Verfahrensablauf „Störungen des Verhandlungsablaufs tatsächlicher Art“ entstehen. Dazu gehören das Aufstellen und Bedienen von Aufnahmegeräten (BVerfG, 24.01.2001) sowie „lästige Geräusche“ und „Unruhe“ durch „herumspringende“ Fernsehleute, welche den Verfahrensablauf beeinflussen könnten (Vietmeyer 2002: 128).
Gefährdungen gäbe es in allen Verfahrensarten und Verfahrensabschnitten. Schon zu Beginn können vom Publikum und von Verfahrensteilnehmern Störungen ausgehen, die auf eine Medienpräsenz zurückzuführen seien. Außerdem könne in allen Verfahrensabschnitten die Verfahrensleitung erschwert werden, wenn verfahrensfremde Medieninteressen berücksichtigt werden müssten (BVerfG, 24.01.2001).
3.2. Weitere Nachteile von „Fernsehöffentlichkeit“
Neben den Begründungen des Bundesverfassungsgerichts gibt es noch weitere Risiken, die eine unbegrenzte Medienöffentlichkeit mit sich bringen könnte. Weitere Bedrohungen durch Fernsehöffentlichkeit können für (1) die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) und für (2) die Würde des Gerichts entstehen (§ 175 GVG) (Vietmeyer 2002).
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