Diese Arbeit befasst sich mit der Problematik, eine Lerngruppe ohne notwendiges Vorwissen zur Geschichte des Nationalsozialismus innerhalb von nur einem Tag mittels fotografischer Bildquellen sowohl inhaltlich als auch persönlich im Rahmen eines vertrauensvollen und respektvollen Umgangs auf eine Fahrt in die Gedenkstätte vorzubereiten, im Gesamtverlauf der Woche Wege des historischen Lernens zu eröffnen und den potenziellen Umfang eines außer- schulischen Lernorts zielgerichtet und individuell zu reduzieren. Die Problematik verteilt sich über zwei Aspekte – die Lernausgangslage der Lerngruppe und die kurze Vorbereitungsphase für die eintägige Fahrt zum außerschulischen Lernort der Gedenkstätte Buchenwald.
Die thematische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgt in der Regel durch den Geschichtsunterricht während des zweiten Halbjahres der Jahrgangsstufe 9. Da die Schule jedoch mittlerweile auch wieder das G9-Konzept anbietet, existiert ebenso eine G9-Klasse, die zwar thematisch der Projektfahrt in die Gedenkstätte zugeordnet, allerdings inhaltlich an das G9-Kerncurriculum angebunden ist, das die Behandlung des Nationalsozialismus erst in der Jahrgangsstufe 10, also ein Schuljahr später, vorsieht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Darstellung der Problematik
a. Lernausgangslage der Klasse 9 in Bezug auf die Projektwoche
b. Chancen und Grenzen außerschulischer Lernorte
3. Planung der methodischen Vorgehensweise unter fachdidaktischen Aspekten
a. Zielsetzung
b. Der Einsatz von Bildquellen im Geschichtsunterricht
c. Bildauswahl
d. Beispielhafte Erkenntniswerte und Gesprächsanlässe der Fotografien
4. Praktisches Vorgehen
a. Vorbereitung der Gedenkstättenfahrt
b. Arbeit mit Bildquellen in der Gedenkstätte
c. Nachbereitung der Gedenkstättenfahrt
5. Projektwochenevaluation
a. Auswertungsergebnisse der Projektwochenevaluation
b. Kritikpunkte der Evaluation
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
I. Anhang
1. Einleitung
„Vergangenheit wird immer durch Medien vermittelt, vor allem durch die Fotografie.“ (Ha- mann 2006, S. 4)
Im Rahmen der Initiative „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ ist in der jährlich stattfindenden Projektwoche thematische Anbindung an den Geschichtsunterricht für die Jahrgangsstufe 9 festgelegt, welche eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und einer eintägigen Fahrt in die Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar vorsieht. [...]
Die thematische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgt in der Regel durch den Geschichtsunterricht während des zweiten Halbjahres der Jahrgangsstufe 9. Da die Schule jedoch mittlerweile auch wieder das G9-Konzept anbietet, existiert ebenso eine G9-Klasse, die zwar thematisch der Projektfahrt in die Gedenkstätte zugeordnet, allerdings inhaltlich an das G9-Kerncurriculum angebunden ist, das die Behandlung des Nationalsozialismus erst in der Jahrgangsstufe 10, also ein Schuljahr später, vorsieht.
Diese Arbeit befasst sich mit der Problematik, eine Lerngruppe ohne notwendiges Vorwissen zur Geschichte des Nationalsozialismus innerhalb von nur einem Tag mittels fotografischer Bildquellen sowohl inhaltlich als auch persönlich im Rahmen eines vertrauensvollen und respektvollen Umgangs auf eine Fahrt in die Gedenkstätte vorzubereiten, im Gesamtverlauf der Woche Wege des historischen Lernens zu eröffnen und den potenziellen Umfang eines außerschulischen Lernorts zielgerichtet und individuell zu reduzieren.
2. Darstellung der Problematik
Die Problematik verteilt sich über zwei Aspekte - die Lernausgangslage der Lerngruppe und die kurze Vorbereitungsphase für die eintägige Fahrt zum außerschulischen Lernort der Gedenkstätte Buchenwald.
a) Lernausgangslage der Klasse 9 in Bezug auf die Projektwoche
Die Klasse 9 besteht aus 20 Lernenden, von denen aufgrund von Krankheitsfällen jedoch nur 17 Lernende an der Projektwoche teilnahmen und nur 16 Lernende die Fahrt in die Gedenkstätte unternahmen. Ich wurde der Klasse als betreuende Lehrperson etwa zwei Wochen vor Beginn der Projektwoche zugeteilt, sodass mir die Lerngruppe bis zum Beginn der Woche unbekannt war. Gespräche mit dem Geschichtslehrer ergaben, dass es sich grundsätzlich um eine geschichtlich sehr interessierte und lernwillige Gruppe handelt, die gegenüber neuen Lehrpersonen offen und freundlich eingestellt ist.
Die Klasse 9 befindet sich im G9-Jahrgang. Das Kerncurriculum sieht die Behandlung des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht daher für die Jahrgangsstufe 10 vor, während die übrigen G8-Jahrgänge dieses Thema bereits innerhalb des normal laufenden Geschichts- und Religions- bzw. Ethikunterrichts für das zweite Halbjahr der Jahrgangsstufe ausgiebig behandeln. Diagnosegespräche mit dem unterrichtenden Geschichtslehrer zeigten auf, dass sich die Klasse inhaltlich zu diesem Zeitpunkt im Bereich der Kaiserzeit befindet. Obwohl auch in der Kaiserzeit antisemitische Einstellungen nachzuweisen sind, zeigen diese noch nicht auf, welche Ausmaße das ideologische Denken der Nationalsozialisten im sogenannten Dritten Reich annehmen sollte. Es ist also davon auszugehen, dass die Lernenden der Klasse 9, abgesehen von ihrem allgemeinen, alltäglichen Wissen, inhaltlich nicht sicher mit der Thematik der nationalsozialistischen Ideologie und deren Umsetzung vertraut sind. Vielmehr ist es sogar möglich, dass sich durch mediale Zugänge und unzureichende Überprüfung Halbwissen und möglicherweise falsche Verknüpfungen und Vorstellungen festgesetzt haben.1 Zudem ist zu erwarten, dass speziell zur Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald noch wenig bis kein Wissen vorhanden ist.
Die Konfrontation mit der Geschichte eines ehemaligen Konzentrationslagers konfrontiert die Lernenden nicht nur mit Fachwissen und Inhalten, sondern in erster Linie mit einer moralischen Auseinandersetzung des Gesehenen und den eigenen Emotionen. Entwicklungspsychologisch betrachtet befinden sich die Lernenden nach den Ausführungen Eriksons auf Stufe 5 (Identität vs. Rollenkonfusion) der psychosozialen Entwicklung (vgl. Siegler et al. 2016, S. 320). Auf dieser Stufe geht es vor allem um die Entwicklung der eigenen Identität und die Suche nach ihrer persönlichen Rolle im Rahmen der Gesellschaft. Dieser Prozess ist zukunftsorientiert und verlangt die Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Themenbereichen, um der angestrebten Rolle als Erwachsener näherzukommen. Die Mei- nungs- und Wertebildung ist in diesem Abschnitt zentral, um sich auch zukünftig innerhalb der Gesellschaft positionieren zu können. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Transfer auf aktuelle Geschehnisse und Entwicklungen kann hierzu einen maßgeblichen Beitrag liefern. Die Lernenden erfahren durch diese Beschäftigung, welche Auswirkungen die nationalsozialistische Ideologie mit sich bringen kann und lernen, sich auch heute zu ähnlichen Entwicklungen zu positionieren.
Die emotionale Komponente der nationalsozialistischen Geschichte spricht für eine Durchführung in Form einer Begegnung mit einem außerschulischen Lernort (vgl. Mounajed 2012, S. 266). Die sensible Thematik verlangt einen vertrauensvollen und offenen Rahmen - sowohl in der Vor- und Nachbereitung als auch während des Besuchs vor Ort -, in welchem sich die Lernenden trauen sollen, Gefühle und Gedanken zu äußern und Fragen offen zu formulieren. Dies gilt sowohl für die Lerngruppe untereinander als auch für die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrkraft.
Da der Lerngruppe eine für sie bis dato unbekannte Lehrperson zugeordnet wurde, ist es zentral, schnellstmöglich eine offene und vertrauensvolle Lernumgebung herzustellen, in der keine Befürchtung vor Notendruck herrscht. Auch für die Lehrperson ist es entscheidend, zügig eine Verbindung zur Lerngruppe aufzubauen, um einerseits Interessen zu erkennen und zu fördern, andererseits auch emotionale Überforderung wahrnehmen zu können. Daher ist ein umfassender Austausch unabdinglich, bei dem auf einen respekt- und verständnisvollen Umgang zu achten ist. Dieser Austausch soll ggf. ähnliche Interessen oder Fragen untereinander aufzeigen und die Gewissheit vermitteln, dass auch andere Mitglieder der Lerngruppe (emotional) betroffen sein können (Sozialkompetenz).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus fachlich-methodischer Sicht benötigt die Lerngruppe für die Herleitung historischen Wissens eine hohe Anschaulichkeit, da ein abstrakt-kritisches Denken eine große Herausforderung für sie darstellt. Dies kann auch mit den persönlichen Hintergründen einzelner Lernender zusammenhängen. Gespräche mit dem Klassenlehrer zeigten auf, dass weit über die Hälfte der Lernenden aus einem geschiedenen Haushalt entstammen und/oder mit drastischen persönlichen Problemen konfrontiert sind.
Die persönliche Hintergrundsituation konfrontiert einen Teil der Lernenden mit zusätzlichen problematischen Situationen. Da die thematische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Konzentrationslagers für einige Lernende eine weitere emotionale Belastung bedeuten kann, muss für jede/n die Möglichkeit geboten werden, dies angstfrei äußern zu können und sich ggf. einer emotionalen Überladung durch bspw. einen Rückzug aus der Situation zu entziehen. Es ist davon auszugehen, dass die Reaktionen der Lernenden äußerst verschieden ausfallen können. Die Konfrontation mit einem ehemaligen Konzentrationslager und den Geschehnissen vor Ort kann erfahrungsgemäß neben emotionalen Gefühlsausbrüchen, ebenso einen sachlichen Umgang, Resignation oder Provokation hervorrufen. In bereits zuvor durchgeführten Arbeitsseminaren mit Lernenden vor Ort waren diese unterschiedlichen Reaktionen mehrfach von mir zu beobachten. Gemeinsame Gesprächsrunden erwiesen sich diesbezüglich allerdings als sehr wirkungsvoll, um auch den Lernenden eine Möglichkeit zur Verarbeitung und Reflexion zu bieten. Daher soll auch die Projektwoche durch offene Gesprächsrunden gestaltet sein. [.] Diese individuellen Ausgangslagen, Interessen und Reaktionen sollten auch in der methodischen Vorbereitung Beachtung finden, da diese die Basis für eine gelingende Auseinandersetzung mit einem solchen Gedenkort darstellen.
b) Chancen und Grenzen außerschulischer Lernorte
Außerschulische Lernorte bieten für den Geschichtsunterricht und besonders im Sinne der Mei- nungs- und Wertebildung ein umfangreiches Erkenntnispotenzial, da die historischen Orte neben einer „kognitive[n] Erfahrung des Realen, [...] des nicht Erfundenen oder Erdachten der Überreste aus früheren Zeiten“ (Mayer 2007, S. 392) auch eine emotionale Begegnung ermöglichen. Denn kein Medium kann die „räumliche Erfahrung vermitteln, die man durch Begehen eines Gebäudes [...] oder eines Geländes [...] gewinnt“ (Münchenbach 1996, S. 316). Historische Orte vermitteln somit das Prinzip der Historizität (vgl. Mayer 2007, S. 395), da durch sie Geschichte anschaulich wird.
In der Gedenkstätte Buchenwald ist der Aspekt der Anschaulichkeit für viele Lernende oftmals nicht gegeben, da der Ort des ehemaligen Lagers durch die Abtragung der Baracken als solches größtenteils nicht mehr zu erkennen ist und so zu „Enttäuschung“ führen kann. Ihnen fehlt somit der Zugang zu einer emotionalen Auseinandersetzung mit dem Ort, da dieser nicht mehr oder eben schwieriger als historischer Ort für sie erfahrbar ist. Da diese historischen Begegnungen keinem Selbstzweck dienen und auch nicht gleichermaßen für sich sprechen können, verlangen sie eine ausreichende Vorbereitung durch die Lehrperson (vgl. Sauer 2012b, S. 143). Auch die Gedenkstätte selbst legt Schulausflügen eine hinreichende Vor- und Nachbereitung nahe. Da das Potenzial außerschulischer Lernorte eben nicht nur in der Vermittlung von Kenntnissen und Fakten, sondern, wie eben angesprochen, in erster Linie darin liegt, den Ort als „kleinen Ausschnitt heute noch sichtbarer Relikte vergangener Wirklichkeit“ (Mayer 2007, S. 395) wahrzunehmen, muss diesem Phänomen der vermeintlichen Enttäuschung durch ausreichende Vorbereitung und Förderung der Vorstellungskraft entgegengewirkt werden.
Gerade Gedenkorte verbinden häufig zwei Arten von Lernorten: der Erinnerungen dienende Institutionen, wie Museen und Archive, und die historischen Stätten an sich (vgl. Sauer 2012b, S. 142). Die Gedenkstätte Buchenwald bietet sowohl räumlich als auch thematisch einen außerordentlichen Umfang, der weder von Lernenden noch von Lehrpersonen innerhalb von kürzester Zeit - in diesem Fall nur einem halben Tag - aufzunehmen ist. Um die Lernenden mit dieser Masse an Möglichkeiten nicht zu überfordern und ihnen die Chance zu ermöglichen, etwas für sich persönlich mitzunehmen, ist eine didaktische Reduktion (vgl. Lehner 2012, S. 72 ff.) unabdinglich. „Es ist besser, weniger intensiv zu erkunden als einen eher flüchtigen Überblick zu vermitteln, auch wenn - aus der Sicht der Lehrkraft - auf Interessantes und Wichtiges verzichtet werden muss.“ (Münchenbach 1996, S. 316).
Zusammengefasst liegt die Problematik der Projektwoche mit der Klasse 9 darin, einerseits das historische Potenzial des Ortes durch eine zielgerichtete inhaltliche Aufbereitung für die Lernenden anschaulich und erfahrbar zu machen. Andererseits muss eine fokussierte und der Lerngruppe angepasste Reduktion stattfinden, damit die Lernenden die Begegnung mit dem Ort als für sich ertragreich empfinden. Da die sensible Thematik individuelle Zugänge verlangt, sollte dies auch in der Reduktion eine Rolle spielen und persönliche Interessen, Fragen und Emotionen berücksichtigen.
3. Planung der methodischen Vorgehensweise unter fachdidaktischen Aspekten
Um der oben aufgeführten Problematik entgegenzuwirken, soll die methodische und inhaltliche Gestaltung der Projektwoche durch den Einsatz von historischen Bildquellen2 aus der Zeit des Konzentrationslagers Buchenwald erfolgen, die eine Rahmung für die gesamte Woche darstellen sollen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Bildquellen, wie im Folgenden näher beschrieben, in verschiedenen Funktionszusammenhängen und auf verschiedenen Ebenen eingesetzt werden können und so im Vergleich zur Textarbeit eindeutige Vorteile aufweisen. Ich erhoffe mir durch den Einsatz von nur einem Medium, auf verschiedene, oben aufgeführte Problemstellen im Bereich des historischen Lernens parallel einwirken zu können.
a) Zielsetzung
Die Durchführung dieser Projektwoche erhebt in keiner Weise den Anspruch, die nationalsozialistische Ideologie und die Geschichte der Konzentrationslager in Gänze zu thematisieren und darzustellen. Hierbei handelt es sich um ein Unterfangen, das mehrere Monate, wenn nicht Jahre, in Anspruch nehmen kann.
Vielmehr steht im Fokus,
- ein erstes grundsätzliches Fachwissen zur Zeit des Nationalsozialismus (Ideologie, Schaffung von Konzentrationslagern etc.) zu vermitteln,
- den historischen Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald mit seinen verschiedenen (räumlichen) Facetten kennenzulernen,
- den Lernenden einen individuellen, interessensgeleiteten Zugang zu einem oder mehreren Teilbereichen der Gedenkstätte und der Geschichte des Konzentrationslagers aufzuzeigen,
- das Bildgedächtnis der Lernenden zu fördern und dieses ggf. auf längere Sicht nutzbar zu machen,
- die Wahrnehmungs-, Analyse-, Urteilskompetenz (vgl. Kerncurriculum des Landes Hessen für das Fach Geschichte, Sek. I, S. 14 ff.) im Umgang mit historischen Bildquellen zu fördern,
- die Lernenden für die bewusste Wahrnehmung historischer Überreste zu sensibilisieren (vgl. Mayer 2007, S. 396),
- und die Vorstellungskraft der Lernenden für den historischen Ort zu fördern und Anschaulichkeit zu erhöhen, um so einen Denkprozess anzuregen, der bestenfalls ein längerfristiges Interesse an einer thematischen Auseinandersetzung und dem historischen Ort hervorruft, der Rückschlüsse auf die persönliche Gegenwart der Lernenden in Form ihrer Meinungs- und Wertebildung ermöglicht (Förderung der Orientierungskompetenz, vgl. Kerncurriculum des Landes Hessen für das Fach Geschichte, Sek. I., S. 15) und den Prozess der Identitätsfindung unterstützt.
b) Überlegungen zum Lösungsansatz
Grundsätzlich dienen die Fotografien als individueller, einführender Einstieg in die Thematik und die Geschichte des Ortes. Durch ungefähre Lokalisierung der ausgewählten Bildmotive auf einem Lageplan sollen die Lernenden einen groben, theoretischen Überblick und eine Vorstellung über die Aufteilung des Geländes erhalten. Zudem ist beabsichtigt, bereits vor dem Gedenkstättenbesuch eine bildliche Vorstellung des historischen Ortes auszubilden, da sich auf dem Gelände der jetzigen Gedenkstätte die Problematik der vermeintlich fehlenden Originalität und Authentizität (siehe Kapitel 2) ergibt. Durch die Abtragung der Baracken ist auf dem Gelände für die Lernenden zunächst wenig zu sehen, was, wie bereits erwähnt, in den meisten Fällen zu Enttäuschung führen kann, da sie mit dem historischen Ort schwieriger in Verbindung treten können. Dies mindert jedoch grundsätzlich nicht den historischen Wert des Ortes. Die Bildquellen sollen daher auch dazu dienen, den historischen Ort durch hervorgerufene Bildszenen anschaulich zu machen, mit Authentizität zu füllen und das historische Verständnis sowie die historische Vorstellung des Ortes zu erleichtern.
Im Zentrum der methodischen Zielsetzung steht weniger eine detaillierte Quellenanalyse der einzelnen Bildquellen. Vielmehr dienen die Fotografien, insbesondere in der Vorbereitungsphase, als Sprech- bzw. Denkanlass (vgl. Sauer 2012, S. 27), was jedoch nicht gleichsam bedeutet, dass der Quellenwert nicht für das historische Lernen genutzt werden soll. Durch die genaue Betrachtung und Beschreibung der individuell ausgewählten Fotografien stehen im ersten Schritt sowohl die Förderung der Wahrnehmungs- als auch der Fragekompetenz (vgl. Rauh 2018, S.12) der Lernenden im Vordergrund (Bildquellen als Mittel der Motivation, siehe Kapitel 3 c.). Die Lernenden sind nach einer Bildbeschreibung für die restliche Lerngruppe je nach Bildauswahl intuitiv angehalten, Fragen an ihr Bild zu stellen, um das dargestellte Motiv entsprechend in den historischen und narrativen Kontext einzuordnen. Erst durch den Versuch einer möglichen Deutung und Zuordnung durch die Gesamtgruppe im darauffolgenden Schritt, erlangt die Analysekompetenz an Wichtigkeit. Die gemeinsamen Erschließungsversuche unter Anleitung der Lehrperson sollen die Lernenden miteinander in einen Austausch bringen und aufzeigen, inwieweit sie, ggf. durch explizite Fragestellung, bereits selbstständig in der Lage sind, gemeinsam einen Gegenstand und das dazugehörige Wissen zu erschließen (Bildquellen als Arbeitsmittel/zur Förderung der Interpretationsfähigkeit, siehe Kapitel 3 c.). Dies verlangt eine intensive fachliche Vorbereitung der Lehrperson. Die Datenbank des elektronischen Fotoarchivs Buchenwald bietet jedoch zu den einzelnen Fotografien umfassenden Hintergrundinformationen zu Datierung, Ort, Herkunft, Fotograf etc.
In gleicher Weise sollen die Bildquellen durch verschiedene Motive helfen, jedem der Lernenden einen individuellen Zugang zu eröffnen, der entweder über inhaltliche Interessen oder emotionale Betroffenheit gestaltet wird. Trotz der inhaltlich breiten Streuung können so einzelne Aspekte innerhalb der Gruppe fokussiert werden, was die umfangreiche Komplexität des Ortes auf die individuellen Interessensbereiche der Lernenden reduziert.
Durch die Kombination mehrerer Bilder eines Sachverhaltes in einer etwa gleichen Zeitstufe ist die Schaffung eines Gesamtbildes des historischen Ortes zur Zeit des Nationalsozialismus angestrebt (vgl. Sauer 2012a, S. 31). Außerdem soll sie den Lernenden ermöglichen, die gezielt für den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald wichtigsten Informationen zur nationalsozialistischen Ideologie und zur Geschichte des Ortes zu erarbeiten und verständlich werden zu lassen.
c) Der Einsatz von Bildquellen im Geschichtsunterricht
Nutzt man Bildquellen im Unterricht, sind einige Aspekte zu berücksichtigen. Der Geschichtsunterricht ist stark auf narrative Rekonstruktion von Geschichte ausgerichtet (vgl. Bergmann; Schneider 2011, S. 221). Diesem Aspekt versuchen Bilder im Geschichtsunterricht häufig nachzukommen. Jedoch sei zu beachten, dass diese Form der Quellen nicht in der Lage sei, selbstständig die Geschichte zu erzählen. In erster Linie bilde diese Quellenart zunächst etwas ab, was die Beschreibung eines konkreten Sachverhalts oder einer historischen Situation ermögliche (vgl. ebd.). Zudem sei die Quelle nicht fähig, Aussagen über Negation oder Häufigkeit zu treffen. Es handle sich stattdessen um ein Medium, das die Geschichte auf nur einen kleinen Ausschnitt perspektivisch reduziere, aber dessen ungeachtet, gerade im Bereich der Fotografie, sprachunabhängig flüchtige Augenblicke konservieren, Anwesenheiten von Personen dokumentieren und Existenzbeweise liefern könne (vgl. Pandel 2008, S. 20 f).
Zum Leidwesen der Lernenden handle es sich dennoch keinesfalls um ein vermeintlich einfaches „Ab-Bild“ der historischen Wirklichkeit, sondern nur um einen kleinen Ausschnitt, der historische Kontextualisierung verlange (vgl. Bergmann; Schneider 2011, S. 212), und der diese Quellenart so anspruchsvoll macht.
Trotz dieses Anspruchs sind Bilder im Geschichtsunterricht ein zunehmend unverzichtbarer Bestandteil geworden. Bergmann/Schneider benennen vier Funktionszusammenhänge, in denen Bilder im Geschichtsunterricht eingesetzt werden können (vgl. ebd., S. 248):
1. Mittel zur Förderung der Interpretationsfä- 3. Arbeitsmittel higkeit 4. Mittel der Überleitung und des Transfers
2. Mittel der Motivation
Grundsätzlich bieten Bildquellen die Möglichkeit, historische und meist abstrakte Themen durch einen optischen Zugang zu vergegenwärtigen oder zu konkretisieren (vgl. ebd., S. 213). Nutzt man Bildquellen allerdings als erste Motivation, sollen sie die Lernenden primär affektiv ansprechen und deren Aufmerksamkeit erregen (vgl. ebd., S. 212f), indem sie diese mit Problemen konfrontieren, Interesse wecken oder auf verschiedene Weise provozieren (vgl. ebd., S. 248). Hierdurch ergeben sich häufig spontane Meinungsäußerungen oder der selbstständige Drang zur Nachforschung und Kontextualisierung, um mögliche Unklarheiten aufklären zu wollen (vgl. ebd., S. 231), und somit tiefer in die Geschichte eindringen zu können. Diese Art der Motivation ist durch die Präsentation einer Textquelle nicht zu leisten (vgl. ebd., S. 215). Dies geschieht häufig aufgrund des scheinbar einfachen, in jedem Fall aber schnellen Zugangs zur Vergangenheit. Während Textquellen oft hemmend wirken und auch zu Überforderung führen können, ermöglicht die für einen ersten Eindruck ausreichende leichte „Lesbarkeit“ von Bildquellen erste Einblicke in historische Sachverhalte, da die Lernenden unmittelbar durch Visualisierungen angesprochen werden (vgl. ebd., S. 231). Die sofortige Generierung von Emotionen, Meinungen und Einstellungen bilde einen relevanten Auftakt für den Prozess des historischen Lernens (vgl. Hamann 2013, S. 5). Dieser Effekt soll innerhalb der Projektwoche zum Tragen kommen und als Schwerpunkt gesetzt werden.
Zudem betonen kognitionspsychologische und lerntheoretische Überlegungen die Bedeutung des Bildes als Gedächtnisstütze. Bilder seien bereits in der Antike als Form der Mnemotechnik genutzt worden und auch empirische Untersuchungen bestätigen, dass Bilder, aufgrund ihres Wiedererkennungswertes, effektiver im Gedächtnis verankert bleiben als Gelesenes (vgl. ebd.). Da die Geschichte des Nationalsozialismus im Verlauf des kommenden Schuljahres intensiv im Unterricht behandelt wird, kann bestenfalls auf ein Bildgedächtnis zurückgegriffen werden, durch das sich die Lernenden Inhalte schneller in Erinnerung rufen oder diese miteinander verknüpfen können. In diesem Funktionszusammenhang diene das Bild also nicht primär der Informationssammlung, sondern als Anstoß des historisch-kritischen Lernens (vgl. Bergmann; Schneider 2011, S. 225) auf längere Sicht.
Nutzt man Bildquellen als Arbeitsmittel, steht besonders der Erwerb von Wissen im Vordergrund. Sie werden in diesem Zusammenhang zur Vor- und Nachbereitung eingesetzt oder zu gezielten Vergegenwärtigung historischer Sachverhalte. Mit diesem Interesse wird die Quellenkritik selbst für eine scheinbar neutrale Dokumentarfotografie unbedingt notwendig (vgl. Hamann 2013, S. 194), da es sich auch hierbei um einen subjektiven Ausschnitt der Vergangenheit handelt, der Interpretation und Kontextualisierung bedarf. Eine Bildquelle als solche zu behandeln, bedeutet, diese methodisch gestützt zu beschreiben, zu erklären, zu verstehen und damit zu interpretieren und zu kontextualisieren (vgl. ebd., S. 248). Eine fundierte Quellenkritik soll dabei helfen, Sichtweisen und Perspektiven aufzuzeigen und mögliche Interessen oder Absichten der Bildquelle zu entschlüsseln, sodass diese in der Aussagekraft des Dargestellten kritisch bewertet werden könne (vgl. Bergmann; Schneider 2011, S. 224), um so dennoch historische Kenntnisse zu entnehmen. Zur Erschließung des Dargestellten erfährt die Analyse- und Kombinationsfähigkeit erhebliche Förderung (vgl. ebd., S. 231). Dieser Umstand verbindet die beiden Funktionsbereiche Arbeitsmittel und Mittel zur Förderung der Interpretationsfähigkeit nach Bergmann/Schneider (2011) miteinander.
[...]
1 Oftmals ist durch die überlagernde Wirkung des Vernichtungslagers Auschwitz die Annahme verbreitet, dass in den Konzentrationslagern in Gaskammern getötet wurde. Obwohl dies für einige Konzentrationsund Vernichtungslager zutrifft, gehört Buchenwald wie einige weitere nicht dazu. Das Konzentrationslagersystem der SS war weitaus komplexer und verfolgte verschiedene Zielsetzungen des Terrors und kann daher wenig pauschalisiert werden.
2 Online Datenbank der Gedenkstätte Buchenwald: http://fotoarchiv.buchenwald.de/ [07.01.2020]